Über die Entdeckung von Meerestieren

Der See-Pferdflüsterer

Der Blaue Mauritius

Obwohl als Ferienziel von Badeurlaubern rund ums Jahr sehr geschätzt, fand ich wenig Positives über das Tauchen um Mauritius geschrieben. Und wenn jemand von seinen Tauchgängen — wie in der Fremdenverkehrswerbung des Landes — überschwänglich erzählte, bekam man beim Anblick der Fotos zum Bericht einen Schrecken: Wie so oft klafften Wort und Bild meilenweit auseinander. Bevor ich aber den Urteilen anderer vertraue, verschaffe ich mir lieber selbst einen Eindruck. Und so reiste ich 1988 zum ersten Mal in den südlichen Indischen Ozean.

In Flic en Flac, einem Fischerdorf an der Westküste, machte ich eine ungewöhnliche Bekanntschaft: Daniel Pelicier. Er lebt vom Fischfang, sei es für den Fischmarkt, sei es für den Export tropischer Zierfische. Während meines Besuches ist Daniel gerade von einem südafrikanischen Haiforscher engagiert worden, der unbedingt einen mauritianischen Hai untersuchen will. Tot oder lebendig ist ihm egal und Daniel schlägt dazu einen Haken mit Köderfisch an einer Langleine vor. Mir wird aufgetragen, die Konstruktion in etwa 50 m Tiefe an einer steil abfallenden Riffwand zu befestigen. Gesagt, getan. Doch was ist das im Augenwinkel?

Endlich im Netz des Autors in 52 m Tiefe, der unbekannte Zwergkaiser, Foto: © Archiv Debelius
Endlich im Netz des Autors in 52 m Tiefe, der unbekannte Zwergkaiser, Foto: © Archiv Debelius

Mit dem Entfernungsknopf bewege ich die 100er Makrolinse näher und näher. Ich wage kaum zu atmen. Das Gesicht eines Zwergkaiserfisches mit den Dornen am Kiemendeckel ist mir seit Jahren vertraut, doch dieses tiefblaue Farbkleid habe ich noch nie gesehen. Es ist ziemlich düster in dieser Tiefe und ich habe Schwierigkeiten, den quirligen algenzupfenden, mir unbekannten Zwergkaiser zu focussieren. Doch genau in dem Moment, als der Fisch von etwa 10 cm Länge zur Kamera schaut, drücke ich ab. Mit dem Blitz ist der Fisch verschwunden! Ich lauere noch einige Sekunden lang und hoffe innigst, dass er nochmal aus seinem genau 48 m tiefen Versteck hervorkommt, da erinnert mich ein Piepsen des Tauchcomputers an bevorstehende Deko-Probleme. Ich folge der Vernunft, nicht dem Jagdtrieb. Zufrieden und mit nur noch geringer Restluft in der Flasche tauche ich langsam auf. Dieses eine Foto ist zwar nicht berauschend, aber es reicht für die Pomacanthiden-Experten aus, meinen Verdacht auf einen der Wissenschaft bislang unbekannten Kaiserfisch der Gattung Centropyge zu bestätigen.

Bekanntlich braucht ein Wissenschaftler zur Beschreibung einer neuen Fischart mindestens ein Exemplar, besser jedoch mehrere. Ich werde daher aufgefordert, mich doch gelegentlich darum zu kümmern. Der Ichthyologe Richard Pyle von Hawaii, der seine Doktorarbeit über Zwergkaiserfische (Pygmy angelfishes) gerade vorbereitete, ist damals ganz versessen darauf, mich bei einer weiteren Mauritius-Reise zu begleiten.

Wir landeten im März 1990 - das ist die beste Jahreszeit zum Tauchen, es sei denn, ein Zyklon beliebt sich zu nähern. Nach unserer Ankunft war die Wetterlage stabil und wir freuten uns auf spannende Tauchgänge. Richard Pyle war sich da ganz sicher: "Helmut, dieser Kaiserfisch ist gar nicht so selten, wie du glaubst. Du bist nicht tief genug getaucht, denn in 60 – 70 m werde ich ihn gleich gruppenweise antreffen." Bei aller Liebe zur Wissenschaft meide ich solche Tiefen mit normaler Pressluft. Ich musste ihm aber glauben, da er im Pazifik genug Erfahrung mit Zwergkaisern gesammelt hatte, die in solch großen Tiefen leben. Wir waren beide optimistisch, den kleinen Centropygen an der mir gut verinnerlichten Steilwand wiederzufinden, denn Fischfänger Daniel sollte uns verabredungsgemäß zur Zielwand Rempart l‘herbe führen.

Das Tauchwetter war gut, nur weigerte sich Daniel plötzlich, mit uns an diesem Riff zu tauchen. Er machte uns unmissverständlich klar, dass das hier “sein” Gewässer sei und hier niemand anderes Fische fangen dürfe. Ziemlich verärgert verließen wir Flic en Flac. Uns war klar, wollten wir den unbekannten Zwergkaiserfisch finden, mussten wir weiter an der Westküste suchen, denn im Osten von Mauritius ist die Küste sehr flach. Alle bekannten Fischforscher hatten in den letzten Jahrzehnten die gesamte Westküste von Mauritius betaucht und den blauen Zwergkaiser im üblichen 40-Meter-Bereich nicht gesehen. Dann machte Tauch-Instructeur Hugues Vitry uns wieder Mut. Seine Tauchbasis liegt bei Trou aux Biches und er kennt die dortigen Tauchgründe wie kein anderer.

Unsere Ungeduld wuchs, als im Radio gemeldet wurde, ein Zyklon nähere sich von Osten. Hugues war nun endlich bereit, mit uns gemeinsam den Sondertauchgang an einer ihm bekannten Wand, die in 45 m Tiefe anfangen und steil ins Unendliche fallen sollte, durchzuführen. Wir tauchten zu dritt ab. Hugues und ich blieben im 50 m Bereich und schwammen an der unbekannten Riffwand entlang, während Richard in der Tiefe verschwand. Schon nach drei Minuten sehe ich ihn. Hastig, wie alle Zwergkaiser nun mal schwimmen, huscht der vielleicht 6 cm lange Fisch aus einer Felsspalte in die andere und zupft an den Algen. Wieder wage ich kaum zu atmen und pirsche mich näher heran. Der Winder der Kamera läuft. Habe ich den Flitzer nun scharf erwischt? Manchmal verschwindet der Zwergkaiser der düsteren, veralgten Felswand für Minuten, kommt aber zum Glück wieder hervor. Wenn er weg ist, werden die Minuten zur Ewigkeit! Als Hugues mich antippt, schaue ich auf den Computer: 52 m Tiefe und 13 Minuten getaucht. Es wird Zeit, aufzusteigen.

Von Richard keine Spur. Ich freue mich schon auf die Exemplare, die der Kenner der Zwergkaiser in größeren Tiefen gefangen hat, und hänge erwartungsvoll am Dekoseil. Da endlich taucht Richard auf. Sichtlich enttäuscht. Und ich kann es nicht fassen: Richard hat weder einen blauen Zwergkaiser gesehen noch gefangen. In seinem Behälter sind einige Mitratus-Falterfische und auch zwei Acanthops-Zwergkaiser, nur der von ihm vermuteten Gruppenansammlung des neuen Kaiserfischs ist er in bis zu 75 m Tiefe nicht begegnet. Im Indik herrschen wohl andere Gesetze als im Pazifik ….

Am nächsten Tag war Hugues mit Kunden ausgebucht und wollte mit ihnen nicht so tief tauchen. Zähneknirschend verstanden wir, dass sein Geschäft vorzugehen hatte, und machten einen "Lusttauchgang" zusammen mit den Touristen. Der Zyklon war inzwischen näher gekommen und an der Ostküste standen die Wellen schon meterhoch. Über Mauritius hingen tiefe schwarze Wolken, doch noch war das Wasser hier an der Westküste spiegelglatt. Die Zeit drängte, denn Richard und ich mussten den Kaiserfisch unbedingt fangen! Mit aufkommendem Wind fuhr Hugues allein mit uns beiden am darauf folgenden Morgen wieder raus. Es war ungemütlich, und Hugues konnte wegen der tiefliegenden Wolken kaum seine Orientierungsmarken an Land erkennen, mit dessen Hilfe er die Riffwand nur finden konnte. Richard und ich tauchten dann zusammen ab, während Hugues wegen des Wetters im Boot verharrte. In 15 m Tiefe ist es schon fast dunkel.

Hugues' Anker landet diesmal an einer anderen Stelle und wir haben Schwierigkeiten, den Wandabschnitt zu lokalisieren, an dem ich vor zwei Tagen den blauen Zwergkaiser fotografiert habe. Auf der Suche nach dem Habitat des kleinen Algenzupfers tauche ich nervös an der Wand entlang. Richard wird ungeduldig, weil ich die Stelle nicht gleich finde und lässt sich etwas tiefer fallen. Der Tiefenmesser hilft mir: Ich leuchte im 50-Meter-Bereich in die Höhlen und Überhänge hinein und finde tatsächlich nach fünf Minuten "meinen" herumwuselnden Kaiserfisch. Es muss ein sehr lauter Schrei gewesen sein, den ich bei seinem Anblick ausstoße, denn unmittelbar danach ist Richard neben mir, grinst mich an und "schiebt" den Fisch mit großem Geschick in den von mir gehaltenen Kescher. Mein Luftvorrat ist vor Aufregung fast aufgebraucht….

Unsere Augen leuchten, als wir zum Dekomprimieren an der Ankerleine des Tauchboots hängen. Und Hugues gratuliert uns herzlich, als Richard ihm den Fangeimer über die Bordwand reicht und er einen Blick hinein tut. Aus Erfahrung klug geworden — ein Zyklon hatte ihm sein vorheriges Holzboot am Ufer zerschlagen —‚ halfen wir Hugues direkt nach diesem Tauchgang, sein Boot so hoch wie möglich auf Land zu ziehen, denn das Unwetter hatte mit heftigem Regen längst eingesetzt. An Tauchen war in den nächsten Tagen nicht zu denken. Mich störte das alles recht wenig. Ich schaute nur dauernd den blauen Zwergkaiser an, der munter in einem vorbereiteten Aquarium schwamm. Richard brachte ihn und andere endemische Mauritius-Fische sogar lebend nach Hawaii. Dort begannen die vergleichenden Untersuchungen der Wissenschaftler, nachdem ich meine recht brauchbaren UW-Fotos übersandt hatte. Die Beschreibung des neuen Zwergkaiserfisches ist inzwischen erfolgt. Der (nicht die) Blaue Mauritius wurde mit wissenschaftlichem Namen nach mir benannt: Centropyge debelius. Eine Ehre, die mich stolz macht.

Wer kennt nicht DIE BLAUE MAURITIUS, hier DER blaue Mauritius als Briefmarke, Foto: © Archiv Debelius
Wer kennt nicht DIE BLAUE MAURITIUS, hier DER blaue Mauritius als Briefmarke, Foto: © Archiv Debelius