NEU-BAMBERG. (hpd) Für viele ist er schlichtweg der "Vater der Fische". Seine vielen, maritimen Bestimmungsbücher erschienen weltweit in zehn Sprachen. Hier erzählt Helmut Debelius die Geschichte von der Entdeckung des Pygmäen-Seepferdchens, das nun seinen Namen trägt. In einem seiner weiteren Unterwasser-Erlebnisse findet er für die "schönste" Korallenfischfamilie, die der Kaiserfische, auf abenteuerlich Weise eine neue Art.
Wenn man so will, bin ich im Roten Meer "groß" geworden. Das heißt, ich habe nach meiner Tauchausbildung im Mittelmeer hunderte tropischer Tauchgänge ab Mitte der Siebziger Jahre im Roten Meer gemacht. Und zwar die ersten – wie damals üblich – nicht am Sinai, sondern auf einer expeditionsartigen Schiffsreise von Dschibouti aus in das südliche Rote Meer zur Bab-El-Mandeb, dem "Tor der Tränen". Zwei erinnerungswürdige Momentaufnahmen sind von dieser Reise verblieben: Ich sah im Golf von Tadjoura meinen ersten Walhai und bewunderte beim selben Tauchgang heimwärts zum Schiff in einer Seegraswiese erstmals ein Dorniges Seepferdchen (Hippocampus jayakari) mit seiner putzigen Schwimmweise. Welch ein Kontrast!
Als ich dann 1977 beruflich die Chance bekam, für ein Jahr entweder nach Zentralafrika oder nach Jordanien zu gehen, war die Entscheidung schnell getroffen. Jetzt sollte ich meinem Wunsch näher kommen, mich im Golf von Aqaba intensiver mit den Tieren im Roten Meer zu beschäftigen. Damals lebte ich in Amman und fuhr alle drei Wochen für einige Tage mit eigener Tauchausrüstung runter nach Aqaba und erkundete die 40 Kilometer lange Küstenlinie von Jordanien. Um zu lernen, was sich nachts an Korallen und in Seegraswiesen abspielt, ging ich manchmal zu jeder vollen Stunde rund um die Uhr ins Wasser. Dabei passierte während eines Tauchgangs um zwei Uhr morgens folgendes: Ziemlich durchfroren schwimme ich über eine Seegraswiese zum Ufer zurück. Der Film ist fast voll, aber was ist das im Scheinwerferstrahl? Seit wann kann ein Seegrasblatt schwimmen? Weg ist es. Und dann sehe ich nach zwei Minuten eifriger Suche dieses "Blatt" wieder, um einige Meter versetzt, wie es dicht über der Wiese kleinen pelagischen Mysiiden (Schwebegarnelen) nachstellt. Der Fisch hat ein langes, röhrenförmiges Maul und gleicht in seiner grünen Farbe perfekt einem der Seegrasblätter. In den vorhandenen Bestimmungsbüchern ist nichts über ihn zu finden. Zwei Aufnahmen gelingen, und mein Lehrmeister, der Meeresbiologe Jack Randall vom Bishop-Museum in Hawaii, gratuliert mir, dass ich erstmals den Geisterpfeifenfisch Solenostomus cyanopterus im Roten Meer nachgewiesen habe.
Zwei Jahre später mache ich die wohl eindruckvollsten meiner Rotmeer-Tauchgänge an den Riffen vor Port Sudan und Suakin. Dabei habe ich viele Seenadeln, aber auch weitere Geisterpfeifenfische des Roten Meeres kennengelernt. In Vorbereitung auf einen neuen "Riff-Führer Rotes Meer" suche ich in den folgenden Jahren auch intensiv nach Seepferdchen im Roten Meer. Und staune gewaltig, als ich 1995 am südlichen Sinai (Ägypten) beim Auftauchen ein winziges Seepferdchen in einer Weichkoralle entdecke. Perfekt in Farbe und Körperform seinem Wirtstier angepasst. Ich muss aus Luftmangel nach oben, und das etwa drei Zentimeter lange, rötlich gestreifte Seepferd wieselt nach unten weg, als ich ihm zu nahe komme. Es gibt ja nicht viele Seepferd-Arten im Roten Meer, und ich habe sie alle bereits auf dem Film: Hippocampus fuscus, Hippocampus suezensis und natürlich die häufigste Art Hippocampus jayakari. Aber wer ist dieser 3-cm-Winzling mit typischen, für seine Körpergröße sehr langen Stacheln auf Kopf und Rücken? Ich suche verzweifelt nach ihm für den Rest dieser Reise, überprüfe jede Weichkoralle, aber das Tierchen ist nicht mehr zu finden. Durch diverse Buchproduktionen in den nächsten Jahren komme ich nicht wieder ans Rote Meer, aber ein befreundeter Fotograf schickt mir für das anstehende Bestimmungsbuch für Rotmeerfische noch bessere Fotos als meine zu. Er hat dieses Zwerg-Seepferdchen bereits 1993 in der Marsa Bareika in nur 17 Metern Tiefe gefunden – auch in einer roten Weichkoralle.
In der Fischsammlung meines "Heimat-Museums" Senckenberg in Frankfurt suchte ich damals intensiv nach einem Namen für das Tierchen. Mit dem Kurator für Fische war ich einig, dass es im gut erforschten Roten Meer kein unbekanntes Seepferd mehr geben könne. So blieb nur Hippocampus lichtensteinii übrig, das der Forscher Kaup "aus dem Roten Meer" ohne weitere Angaben beschrieben hatte. Diesen Namen benutzte ich 1998 in meinem neuen Riff-Führer Rotes Meer. Aber wir lagen alle falsch!
Der australische Meeresbiologe Rudie Kuiter brachte mich 2001 auf die richtige Spur: Der im 19. Jahrhundert am Senckenberg-Institut arbeitende deutsche Ichthyologe Kaup hatte 1856 zur gleichen Zeit Seepferdchen aus Japan und aus dem Roten Meer vorgelegt bekommen. Bei seinen Bestimmungen muss es zu einer Verwechslung gekommen sein, denn Hippocampus lichtensteinii stammt augenscheinlich aus japanischen Gewässern. Rudie bat mich, für eine Neubeschreibung des Weichkorallen-Seepferdchens, das in keiner wissenschaftlichen Sammlung zu finden war, neue Fotos zu besorgen und ein Tier für wissenschaftliche Untersuchungen aus dem Roten Meer zu fangen. Ich verbrachte danach wegen anderer Buchverpflichtungen nur noch einen Monat am Sinai, konnte trotz großer Mühen das Zwerg-Seepferdchen nicht mehr finden!
Kuiter begann 2008 mit der Arbeit an der Revision seines Buches "Seahorses and their relatives", und da musste eine neue Strategie her: Ich informierte meine Freunde von einem großen Unterwassermagazin über die "Fahndung" nach Fotos des Weichkorallen-Seepferdchens. Die Meldung auf www.unterwasser.de zeigte endlich Wirkung: Aus Hurghada meldeten sich Tauchlehrer Sven Kahlbrock, der das "lichtensteinii"-Seepferd aus meinem Riffführer gut kannte. Allerdings sprach Sven davon, er habe hunderte von Tauchgängen gebraucht, um es zu finden, zumeist in "gefährlichen" Tiefen unter 40 m. Völlig sprachlos war ich, als er seine großartigen Seepferd-Fotos per e-Mail übersandten und mir viele interessante Hinweise zum Verhalten der Winzlinge gab. Inzwischen hatte mir die Filmerin Darja Tjioe ein Video vom Wrack der Rosalie Moller nahe Hurghada geschickt, auf dem das gesuchte Zwergseepferd, als weiße Hydrozoe getarnt, in der Strömung nach Plankton haschte. Später traf ich Sven zur Durchsicht seiner gesamten Unterwasser-Fotos in Deutschland, und er war zuversichtlich, für wissenschaftliche Zwecke ein Weichkorallen-Seepferdchen fangen zu können.
Frühjahr und Sommer 2008 vergingen ergebnislos. Der Tauchlehrer tauchte jede freie Minute nach dem Winzling, aber er blieb verschwunden. Ich mache eine Luftsprung, als ich am 25. September 2008 eine SMS von Sven erhalte. Gerade hat er ein Zwerg-Seepferdchen gefangen und wohlpräpariert nach Deutschland gesandt. Die australischen Seepferd-Experten Martin Gomon und Rudie Kuiter arbeiten an einer Abhandlung über neue Zwerg-Seepferdchen, als sie “meinen” Rotmeer-Zwerg erhalten. DNA-Untersuchungen und Röntgenaufnahmen zeigen, dass die indonesischen Zwergseepferdchen (H.bargibanti, H. pontohi, H. waleananus) nicht mit dem Winzling von 3 cm Größe aus dem Roten Meer verwandt sind. Letzteres ist zweifelsfrei eine neue Art und wird noch im Januar 2009 nach mir benannt: Hippocampus debelius.
2 Kommentare
Kommentare
Juliana Bernholt am Permanenter Link
Vor vielen Jahren, ich war zw. 4-6 Jahre jung, fand ich auf Borkum am Strand ein Nordsee-Seepferdchen. Mit meinen Kinderaugen gesehen fand ich es riesengroß, obwohl es vielleicht gerade mal 10 cm maß.
Mein Vater erklärte mir damals, dass der Fund dieses Pferdchens etwas ganz Besonderes war, dass nicht jeder das Glück hat so ein Tierchen in der freien Natur zu sehen.
Ich weiß noch wie stolz und traurig zugleich ich war.
Stolz, weil ich mich damals nach dem Fund verschiedener Muscheln, Wattwürmer, Seesternen und eben diesem Nordsee-Seepferdchen wie eine Entdeckerin fühlte, traurig, weil das Seepferdchen nicht mehr lange lebte.
Doch seit diesem Tag faszinieren mich Seepferdchen.
Danke Helmut, für diesen wiedermal wunderbaren Bericht.
Juliana
Hans Trutnau am Permanenter Link
Danke, Helmut; das liest sich wie ein Krimi und macht Lust, mal wieder zu tauchen!