Göttlicher Kinderwunsch?
Fragen wir nach anderen Ursachen für eine gesteigerte Reproduktionsrate. Warum verhalten sich einzelne Individuen in manchen Gruppen, an manchen Orten und unter bestimmten Bedingungen so? "Kein Elternpaar ist in der Lage, kurz gefasst die Gründe für seine Wahl aufzuzählen, dieses Thema widersetzt sich der Analyse" heißt es jetzt kurz und bündig [Blume 2014]. Für gestandene Familienväter unter den Religionswissenschaftlern ist dies nicht nur eine schlechte Ausrede, sondern zudem schlecht recherchiert. Ein Blick in die biologische Standardliteratur hätte gereicht [z.B. Grammer 2002]. Das Thema ist in allen Industrienationen hoch aktuell und es gibt seit Jahrzehnten Studien dazu, warum Eltern Kinder haben. Diese Studien scheinen aber nicht zu den erwünschten Ergebnissen des Intelligent Designs 2.0 zu passen.
Abzüglich der Abtreibungen sind nach Aussagen von Eltern in den U.S.A. knapp 50 Prozent der existierenden Kinder einfach Unfälle, derer man sich trotzdem angenommen hat. Da wurde in Kauf genommen. Wenn geplant wurde, dann häufig, um die eigenen Gefühle als Vater oder Mutter zu befriedigen, denn dies ist der Trick der Natur. Der Kinderwunsch rückt in den Vordergrund sowie sich ein geeigneter Partner mit ausreichendem und regelmäßigem Einkommen findet sowie eine planbare Zukunft sich abzeichnet.
Dr. rer. nat. Andreas E. Kilian
In anderen Ländern sind Kinder häufig die Folgen ehelicher Vergewaltigungen oder fehlender Verhütungsmöglichkeiten. Studien zeigen, dass dort, wo Frauen selbstbestimmt Zugriff auf medizinische Versorgung, Einkommen sowie Verhütung haben, auch die Geburtenraten drastisch zurückgehen [Rosling 2012]. In manchen Teilen Afrikas sind bis zu 80 Prozent der Frauen vor ihrem 18. Lebensjahr aufgrund von Vergewaltigungen schwanger. Wenn deutsche Religionswissenschaftler nun erklären, dass dieser Kinderreichtum "nur" mit “Religionen” zu erklären sei, dann wird diesen Frauen ein weiteres Mal Unrecht angetan. Denn Religionen dienen in solchen Gesellschaften in der Tat der Rechtfertigung für das Ausleben der männlichen Triebe.
Ohne Religionen geht es nicht?
Lassen wir folgende Aussagen auf uns wirken: "Religionsgemeinschaften können demografisch scheitern oder aufblühen – aber nichtreligiöse Menschengruppen konnten sich ohne Zustrom von außen noch nie erhalten. (…) Ohne Religionen ist demografisch kein Staat und schon gar keine Kultur oder Zivilisation zu machen. Und diese Aussage ließe sich einfach widerlegen, wenn eine einzige nichtreligiöse Population entdeckt werden würde, die einhundert Jahre eine Geburtenrate von über zwei aufweisen würde. Doch so eine wurde nie gefunden…" [Blume 2015]. Ein klassisches Argument des Intelligent Design 2.0 ist das Argumentum ad ignorantiam: wenn es die anderen nicht zeigen können, habe ich automatisch Recht!
Ohne Religion ist also kein Staat zu machen? Wer sich die Statistiken ansieht, dem fällt zunächst auf, dass es wesentlich mehr Sekten und religiöse Splittergruppen als Staaten auf Erden gibt. Hunderte von Religionsgemeinschaften können heute nur in den säkularen Staaten zusammen leben, weil die Menschen ihre religiösen Gefühle hinten anstellen und sich unter der Prämisse der Humanität auf Menschenrechte und Verfassungen geeinigt haben. Nicht Religionen machen Staaten, sondern der Verzicht auf die Allmachtsansprüche der jeweiligen Religionen. Die -Ismen müssen abgebaut werden, wenn Integration und Kooperation erwünscht sind.
Die einen Religionsgründer würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie sehen könnten, mit welchen Ungläubigen sich ihre Schäfchen heute in der Kantine an einen Tisch setzen oder sogar untereinander heiraten. Die anderen Religionsstifter würden aus dem Himmel fallen, wenn sie erführen, dass ihre Anhänger keine internationale Umam, sondern Nationalstaaten bilden.
Auf die Idee, dass die sogenannten Religiösen auch ein säkulares Leben führen, indem ihre Religiosität gar keine Rolle spielt, scheinen Wissenschaftler mit der religös-nicht-religiös-Brille nicht zu kommen. Denn eine einfache Untersuchung, wann Personen mit Religionszugehörigkeit religiös oder säkular motiviert handeln, würde ausreichen, um die oben angeführte Hypothese zu verwerfen.
Und wie sieht es mit der Behauptung aus, dass es ohne Religion keine Kultur und keine Zivilisation gäbe? Ein Blick in die Evolution, insbesondere zu unseren nächsten Verwandten, hätte gereicht. Selbst Schimpansen haben Kultur. Die evolutive Entwicklungsrichtung ist eindeutig belegt, wenn man den Menschen wissenschaftlich als Tier unter Tieren akzeptiert. Zivilisation – als Entwicklung von Forschung und Technik – geht definitiv nicht auf das Konto von Religionen, sondern auf den Einfallsreichtum von Forschern zurück, die sich mit den Erklärungen der Religionen nicht zufrieden gaben.
Religionen spielen im normalen Alltagsleben überhaupt nicht die Rolle, die ihnen religiös motivierte Wissenschaftler zuschreiben wollen. Richtig ist, dass Religiosität und Religionen weltweit anzutreffen sind. Aber dies sind Dummheit und Verbrechen statistisch gesehen auch! Letzteres bietet ebenfalls biologische Vorteile auf Kosten anderer, jeder hat schon einmal etwas Unerlaubtes getan – ist also angeboren verbrecherisch – und wie die Mafia zeigt, gibt es dieses Verhalten auch als kulturell hochentwickelte Organisationsstufe. Doch wer käme auf die Idee Verbrechen als angeboren oder den Ehrenkodex der Mafia gar als Voraussetzung für einen Staat zu bezeichnen?
Im Intelligent Design 2.0 werden – bewusst oder unbewusst – Voraussetzungen mit Folgen, Religiosität mit Religion, Natur mit Kultur sowie Evolvieren mit Tradieren verwechselt. In der Auswertung von Statistiken wird zudem von der Existenz auf die Notwendigkeit geschlossen. Dies ist die Bankrotterklärung wissenschaftlichen Denkens, der sogenannte naturalistischer Fehlschluss, in dem Korrelation mit Kausalität verwechselt wird.
Intelligent Design 2.0 - Teil 1: Religions- oder Pseudowissenschaft
Intelligent Design 2.0 - Teil 2: Ist Religiosität angeboren?
Literatur
Blume, Michael; Ramsel, C.; Graupner, S.: Religiosität als demographische Faktor – Ein unterschätzter Zusammenhang? Marburg Journal of Religion (2006).
Blume, Michael: Warum gibt es noch Atheisten? Evolutionsforschung zum Phänomen des Nichtglaubens. 2009. http://www.blume-religionswissenschaft.de/pdf/WarumnochAtheistenBlume200...
Blume, Dr. Michael: Religion und Demografie. Warum es ohne Glauben an Kindern mangelt. Sciebooks, Amazon Create Space, 2014.
Blume, Dr. Michael: Islamisierung, Säkularisierung, Re-Christianisierung? Religion & Demografie zwischen Thilo Sarrazin und Wolfgang Huber. (2015). http://www.scilogs.de/natur-des-glaubens/files/ReligionDemografieWolfgan... http://www.youtube.com/watch?v=OafWorK8kow
Courtiol, Alexandre et al.: Natural and sexual selection in a monogamous historical human population. PNAS Vol 109 (2012). S. 8044 – 8049.
Fischer, Lars: Glaube und Zölibat: bio-logisch erfolgreich? 23.12.2007. http://www.scilogs.de/fischblog/glaube-und-z-libat-bio-logisch-erfolgreich/
Grammer, Karl: Signale der Liebe. Die biologischen Gesetze der Partnerschaft. dtv, München 2002.
Rand, David et al.: Dynamical social networks promote cooperation in experiments with humans. PNAS Vol. 108 (2011). S. 19193–19198.
Rosling, Hans: Religionen und Babies. TED-Talks, Mai 2012.
Sosis, Richard & Bressler, Eric R.: Cooperation and Commune Longevity: A Test of the Costly Signaling Theory of Religion. Cross Cultural Research Vol 37 (2003). S. 211–239.
Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen (2010). S. 4. http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/9678–10.pdf.
5 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
"In der Geschichte der Menschheit hat es bereits viele Religionen gegeben, von denen die meisten gescheitert sind".
Es bedarf dazu 'nur' der fortgeführten Aufklärung.
Kretzer am Permanenter Link
Ich sach nur... Kilian lesen! Die Bücher sind so spitze wie dieser Text hier.
Claudia Schletter am Permanenter Link
Dazu möchte ich mal etwas ausführlicher antworten.
Was mich ganz krass stört, ist der sofortige Reflex, die für uns Ungläubige nicht eben positiven Befunde hinsichtlich der Demografie irgendwie aufzuwerten, indem man die Religionen abwertet. Denn obwohl einem sofort eine Ablehnung der Idee in den Kopf schießt, wegen unserer demografischen Probleme die Religionen mehr zu fördern, wäre es ja per se besser, unsere Probleme selbst zu lösen?
Natürlich ist nicht alles von Vorteil, was stabile Gemeinschaften so mit sich bringen. Aber die Vorteile überwiegen die Nachteile um ein Vielfaches. Zudem wäre die Ablehnung stabiler Gemeinschaften ja aus demselben Grund eine Ablehnung aller festen Beziehungen - wieso überhaupt heiraten (und die Schwiegerfamilie unfreiwillig in Kauf nehmen) oder enge Freundschaften schließen? Bringt alles zwangsläufig irgendwelchen Streß mit sich.
Und gerade auf Kooperation sind die angewiesen, die keine Kinder bzw Familie haben. Alles an Effizienz zu messen ist ein Leid unserer Tage, welches zu enormer Vereinsamung führt - in D leben aktuell etwa 13Mio Menschen - meist unfreiwillig - alleine. Zudem sinkt bei häufig wechselnder Gemeinschaft die soziale Kompetenz im Umgang mit anderen, da der Wechsel eine prima Gelegenheit ist, Problemen aus dem Weg zu gehen, statt sie zu lösen.
Aber stabile Gemeinschaften zu haben entspricht vor allem unserem Menschenwesen - wir sind Herdentiere, keine Einsiedler. Als Einsiedler und flexible Beziehungswechsler hätten wir nie überleben können.
Insofern: ja, stabile Gemeinschaften bieten definitiv mehr Vor- als Nachteile. Und insofern wären sekulare Gemeinschaften mit einem klaren Bekenntnis zu Kollektivwerten für uns wichtig und richtig.
Kinder sind heute - wo man nicht mehr zur Altersabsicherung auf sie angewiesen ist - eine reine Wertefrage. Und da haben Relgiiöse mit ihrem "Kinder sind Gottesgeschenke" einfach die besseren Werte gegenüber unseren sehr freiheitlich und individualistisch orientierten (hier mit Schimpansen zu argumentieren mutet schon SEHR bizarr an).
Individualisten halten keine Gesellschaft am Leben - das tun Familien.
Keiner der oben aufgeführten Punkte kommt an der Tatsache vorbei, daß religiöse Menschen mehr Kinder bekommen als Nichtreligiöse, und daß Nichtreligiöse deutlich unter der Reproduktions"marke" liegen. Stellt man die Frage: was wäre denn schlimm, wenn Nichtreligiöse weniger Kinder haben? - muß man antworten: weil es bisher keine Religion geschafft hat, dauerhaft menschenrechtsbasierte Gesellschaften zu schaffen, und so ist es eigentlich unsere dringendste Aufgabe, dem etwas entgegen zu setzen. Wozu den ganzen Streß mit der Sekularisierung, wenn wir dann doch aussterben?
Daß Blumes Argumentation stellenweise löchrig und nicht schlüssig ist, etwa daß es angeblich keine innerweltlichen Gründe für Fortpflanzung gibt, ist richtig. Sollte uns aber nicht davon abhalten, das Faktum der niedrigen Geburtenzahlen bei uns als Problem zu begreifen und nach machbaren Lösungen zu suchen.
Claudia, Atheistin, 3 Kinder
Andreas E. Kilian am Permanenter Link
Liebe Frau Schletter,
niemand argumentiert gegen stabile Gruppen. Clane waren und sind das Rückgrad unserer Kultur.
Gruppen sollten nur frei wählbar sein und Wechsel erlauben. Dies sind die meisten religiösen Gruppen leider nicht und erlauben tun sie so gut wie gar keine Konversionen oder Austritte.
Herr Blume gibt die Stabilität als solches als einen evolutiven Vorteil aus. Was sie allerdings nicht ist. Es kommt darauf an, was man daraus macht.
Wer mit Evolution argumentiert, kommt leider an unseren nächsten Verwandten schlecht vorbei.
Ich gebe Ihnen allerdings Recht. Das Problem mit den Kindern sollte bei Gelegenheit gelöst werden. Vielleicht schreiben Sie als Mutter ein paar Zeilen für den hpd?
MfG
Andreas E. Kilian
Claudia Schletter am Permanenter Link
Lieber Andreas,
Gruppen, die man frei wählen kann, SIND zu einem hohen Grad instabil. Man sieht es z.B. in so ziemlich allen atheistischen Vereinigungen - angefangen beim IBKA oder den Humanisten. Sie sind nicht verbindlich, weil sich wohl sehr viele, die man auf irgendwas festnageln will, dem wieder entziehen.
Jede Gruppe, die moralische Ansprüche stellt, wird in den Augen von Individualisten erstmal als schlecht empfunden. Deswegen auch der sehr sehr spärliche Zulauf zu allem, was sich außerhalb des Religionsmarktes zu etablieren versucht. Freiheit und Verpflichtungen moralischer Art passen nunmal nicht zusammen.
Es stimmt, daß es immer drauf ankommt, was man aus den jeweiligen Gruppen macht. Nur erweisen sich halt Religionsgemeinschaften durch die gesamte Geschichte hinweg als die stabilsten - auch wenn es die von Dir genannten Ausnahmen und Abweichler gibt. Nur - mit Abweichungen und Ausnahmen wird kein Trend widerlegt - und hier behält Blume halt Recht.
Und sicher kommen wir an den Affen vorbei - es sind keine vorausdenkenden und planenden Wesen (was beim Thema Kinderentscheid Voraussetzung ist), insofern halte ich dies für sehr unpassend. Zudem in solchen Diskussionen - gerade mit Religiösen - alles andere als überzeugend. Da braucht es handfestere Argumente.
Es wäre schonmal gut, würde Kinderarmut bei Konfessionslosen endlich als Problem begriffen werden - und es ist keines, was man "bei Gelegenheit" mal löst. Dagegen widersetzt sich aber der Reflex der meisten Atheisten, auch in Religionen positive Aspekte zu sehen.
Gerne schreibe ich ein paar Zeilen für den hpd, allerdings fallen die wohl dann nicht zu 100% so religionskritisch aus wie Deine.
Schöne Grüße,
Claudia