Intelligent Design 2.0 - Teil 8

Die Alternative, die keine ist

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Die Erschaffung Adams (Michelangelo) (Ausschnitt)
Die Erschaffung Adams (Michelangelo) (Ausschnitt)

RONNENBERG. (hpd) Seit die Wissenschaft ohne die Hypothese "Gott" auskommt, versuchen religiöse Menschen eine Lücke zu finden, um ihren Argumentationshansel wieder ins Spiel zu bringen. Während die harten Vertreter früher noch reaktant darauf bestanden, dass ihre Offenbarungen wörtlich zu nehmen waren, passen sich moderne Gläubige an und suchen die wenigen Möglichkeiten, die ihnen Wissenschaftler noch lassen.

In den letzten Jahrzehnten wurden daher verschiedene Begriffe geprägt, die die notgedrungene und nicht gerade widerstandsfreie Annäherung einiger Glaubensvorstellungen an die Evolutionstheorie widerspiegeln. Doch man kann die Lehren des Kreationismus, der creatio continua, der theistischen Evolution, des Intelligent Designs sowie des Abrupt Appearence definieren, wie man möchte, um das taktische Wettrüsten an Argumenten der letzten Jahre nachzuvollziehen, der Grundgedanke hinter all diesen Angriffen auf das wissenschaftlich-naturalistische Weltbild ist immer derselbe: sie können nicht auf ihren "Gott" verzichten, sehen in Natur und Evolution "sein Wirken" und wollen dieses als "empirisch" gesichert verstanden wissen. Hierfür eröffnen sie Parallelwelten.

Pseudowissenschaft

Wie gehen Gläubige vor, um die Naturwissenschaften zu umgehen? Zunächst postulieren sie die Vereinbarkeit von Glauben und Wissenschaft [Losch 2015]. Man könnte auch erklären: Rot ist schneller als kalt. Abgesehen davon, dass hier eine Methode (Wissenschaft) mit dem Ergebnis eines Denkprozesses (religiöser Glauben) in einem logischen Kategorienfehler gegenübergestellt werden, existieren hier lediglich Parallelwelten ohne jeglichen Berühungspunkt. Was soll, was muss da vereinbar sein? Nichts, es sei denn, man möchte nicht das Glauben als Prozess des Denkens, sondern die Ergebnisse des religiösen Wünschens, die Glaubensinhalte, mit den Ergebnissen der Wissenschaften auf eine Stufe stellen.

Um das Fehlen von überprüfbaren, wissenschaftlichen Methoden zu kaschieren, wird postuliert, dass es mehr Wege zur Erkenntnis geben soll, als die bekannte empirische Wissenschaft bereithält. Der übliche Hilferuf an die subjektiven Erfahrungen jedes Gläubigen also, der ebenfalls glaubt, schon durch Erleuchtung allwissend zu sein.

"Aufgrund von Ergebnissen in der Hirnforschung werden Aussagen getroffen über Gott, die Seele und den freien Willen, also über Konzepte, die die Erkenntnisgrenzen der Neurowissenschaften übersteigen." [Peter 2008], heißt es enthusiastisch. Doch nicht nur von einem "Übersteigen" der Erkenntnisgrenzen, sowie von Aussagen über "Gott", auch von einem erkenntnistheoretischen Pluralismus ist die Rede, in dem Kunst und Religion neue Arten von Erkenntnissen darstellen [Blume 2011]. Als Beispiele werden genannt, dass die Evolution selber auch mit diesem Pluralismus arbeitet, da sie ja die Kunst hervorgebracht habe und religiöse Gesellschaften erfolgreicher wären als nicht-religiöse.

Hier werden nicht nur Variabilität und Selektion sowie Versuch und Irrtum mit der methodisch-wissenschaftlichen Suche nach Ursache und Wirkung gleichgestellt. Hier werden auch die Begriffe geschickt eingesetzt. Wie sind sie laut Sprachwissenschaft im Deutschen definiert [Drosdowski 1989]?

Erkenntnis: durch geistige Verarbeitung von Eindrücken und Erfahrungen gewonnene Einsicht. Einsicht: Verstehen eines vorher ungelösten, noch nicht verstandenen Sachverhaltes. Wissen: durch eigene Erfahrung, oder Mitteilung von außen, Kenntnisse von etwas haben, so dass man zuverlässige Aussagen machen oder die Sache wiedergeben kann. Erfahrung: durch Wiederholung gewonnnene Kenntnis.

Es wird sofort klar! Erkenntnisse sind kein Wissen. Wissen setzt die objektivierbare Wiedergabe voraus und soll Prognosen ermöglichen. Erkenntnisse können auch rein subjektiv und zudem falsch sein. Kenntnisse können durch Wiederholungen, also durch Erfahrung, entstehen und durch geistige Verarbeitung zu Erkenntnissen werden.

Gläubige setzen hier also die Begriffe Erkenntnis und Wissen zwar nicht gleich, suggerieren aber, dass die Ergebnisse dieser Erkenntnisgewinne durchaus gleichzusetzen wären. Doch der Weg ist nicht das Ziel. Zwar ist es theoretisch durchaus möglich, dass einige subjektive Kenntnisse objektiv überprüfbar sind und auch Vorhersagen erlauben, da Vieles in Kunst und Religion auf Erfahrungen basiert, die in der Kultur ausgelesen bzw. in der Evolution selektiert wurden. Doch solche subjektiven Eindrücke werden erst zu einem adäquaten, wissenschaftlichen Wissen, wenn sie sich den Kriterien der Wissenschaft unterzogen haben. Bis dahin sind solche Erkenntnisse ein unüberprüftes Sammelbecken von subjektiven Eindrücken und Lebenserfahrungen. Zudem sind viele Kenntnisse der Religionen historisch singulär, häufig geschichtlich überholt, vor allem aber nicht falsifizierbar und daher jeder Wissenschaftlichkeit entzogen. Eine Parallelwelt also, die Gleichwertigkeit im Ergebnis vortäuscht, dies aber nicht hält.

Parallelwissenschaften

An ihren Ergebnissen soll man/frau sie erkennen. Was kommt bei so etwas heraus? Sehen wir uns zum Beispiel das Ergebnis von über 10 Jahren Forschung zur "Natur des Glaubens" in Deutschland an [Blume 2014]. Wer von Religiosität als einer biologischen Adaption spricht [s. Blume 2010], muss nach wissenschaftlichem Mindeststandard folgende Faktoren benennen: Gen, Phänotyp, Selektionsvorteil und Selektionsfaktor.

Die Religionswissenschaftler konnten in den letzten Jahren nicht einmal das angeblich angeborene Verhalten (Phänotyp) beschreiben oder gar vormachen, welches sie als angeborene Religiosität bezeichnen. Von einer reproduzierbaren Messbarkeit ganz zu schweigen. Selbstredend können sie daher keine Gene benennen, sondern verstecken sich hinter dem Begriff der Komplexität. Der Selektionsfaktor bleibt - vielleicht aus christlichen Gründen - gänzlich ausgeklammert. Aus diesem Nichtwissen resultiert laut Religionswissenschaft, dass dieses unbekannte Verhalten irgendwie zu einer erhöhten Geburtenrate führen soll, da von Statistikern eine Korrelation von Religion und Reproduktion für einige Sekten empirisch festgestellt wurde. Hierfür wird aus Korrelation nun eine Kausalität “erkannt”, in einem Gedankensprung aus Religiosität plötzlich Religion gemacht sowie Religionen nun zur Ursache und zum Selektionsvorteil erklärt.

Die Kurzform dieser Offenbarung lautet: Keine Gene + kein beschriebenes Verhalten + kein Selektionsfaktor identifiziert + kein nachgewiesener Selektionsvorteil + (Korrelation mit Kausalität verwechselt) + (biologische Selektion mal eben so postuliert bzw. mit Tradierung verwechselt)  "Religionen – und nur Religionen – vermögen Menschen in ausreichender Zahl zu einem Verzicht zu bewegen, den Familien mit mehr als zwei Kindern bedeuten.", weil: "Die 'Wunder des Theismus' und die 'Wunder des Zeugens' sind also auf einer empirisch beobachtbaren Weise miteinander verbunden." [Blume 2014].

Wolfgang Huber war als Theologe von dieser Art der Wissenschaft schier begeistert [Blume 2015] und jedem Naturwissenschaftler verschlägt es ebenfalls den Atem. Immerhin wird diese Art der Beweisführung als state of the art der Religionswissenschaften publiziert und unterrichtet. Doch dieses "Wunder des Theismus" beinhaltet theologischen Sprengstoff. Wäre Religiosität eine Adaption, wie sehe dann die beste Anpassung aus? Was wäre die "richtige" Religion für alle Menschen? Und was wäre mit der Mission Jesu Christi, wenn es die "richtige" Religion gar nicht geben könnte? "Wunder" ist schon das richtige Wort, um an Phillip E. Johnson erinnert zu werden [Johnson 1996].

Parawissenschaften

Christoph Maria Schönborn war da in der New York Times theologisch konsequent [Schönborn 2005]. Wenn alles auf einen Tag des Jüngsten Gerichtes hinausläuft und “Gott” seinen Sohn zur Kurskorrektur vorbeischickte, dann sollte auch die Evolution nicht ziel- und zwecklos gedacht werden. Außerdem sind Korrekturen durch Wunder nur sinnvoll, wenn etwas von einem Plan abweicht. Diesem Ruf nach einem “intelligenten Plan” im Kosmos schloss sich Josef Aloisius Ratzinger an [Standard 2005]. Zudem soll der Mensch nach einer Designervorlage - nach dem Ebenbild Gottes - geschaffen worden sein. Ob dies "intelligent" war, steht auf einem anderen Blatt, zeigt aber, dass nach dem Verständnis der Kirchen ein "Designer" vorauszusetzen ist. Schließlich macht ein Gott ohne Hilfe im Hier und Jetzt, ohne wundersames Eingreifen und Zurechtrücken, und vor allem ohne designerischem Überblick nach christlichem Verständnis wenig Sinn.

Wer also "Wunder" als "realen" Teil des Weltgeschehens und seiner wissenschaftlichen Arbeit akzeptiert, der erkennt sowohl die Existenz eines über-natürlichen Akteurs, das Vorhandensein eines Designs sowie eines intelligenten Planes, als auch das Eingreifen zur Kurskorrektur in den Selbstorganisationsprozess der Evolution als real an. Weshalb religiös motivierte Forscher heute ganz offen im Namen der Religions-"Wissenschaft" nach dem Wirken von "Gott" in Raum und Zeit fragen [Blume 2015]?

Literatur

Blume, Dr. Michael: Ist Religiosität eine Adaption? 09.10.2010. http://www.scilogs.de/natur-des-glaubens/ist-religiosit-t-eine-adaption/

Blume, Michael: Erkenntnistheorie und die empirische Beweislast der Antitheisten. scilogs 28. April 2011. http://www.scilogs.de/natur-des-glaubens/die-empirische-beweislast-der-a...

Blume, Dr. Michael: Religion und Demografie. Warum es ohne Glauben an Kindern mangelt. Sciebooks, Amazon Create Space, 2014.

Blume, Michael: Wer den Himmel leerräumt, schafft die Menschheit ab. Zu den erforschbaren Zusammenhängen von Zeit, Evolution und Gottesglaube. Lebendiges Zeugnis 02 / 2015.

Drosdowski, Günther et al.: Duden. Deutsches Universal Wörterbuch A - Z. Dudenverlag, Mannheim, Wien, Zürich, Düsseldorf, 1989.

Johnson, Phillip E.: Starting a Conversation about Evolution. 1996. http://www.arn.org/docs/johnson/ratzsch.htm

Losch, Andreas & Vogelsang, Frank (Hrsg.): Wissenschaft und die Frage nach Gott. Theologie und Naturwissenschaft im Dialog. Mit einem Vorwort von Harald Lesch. Evangelische Akademie im Rheinland, Bonn 2015.

Peter, Lisa: Religion – Hirngespinst oder evolutionärer Vorteil? In Put, Wissen für junge Köpfe (2008). https://vitruv.uni-tuebingen.de/ilias3/data/pr01/lm_data/lm_1171/Artikel...

Schnückel, Jörg: Overbeck auf dem Weg zum Hassprediger? In: Humanisti­scher Pressedienst vom 16.5. 2012. http://hpd.de/node/13387.

Standard, der: Pabst spricht vom “intelligenten Plan” des Kosmos. 10. November 2005. http://derstandard.at/2238621/Papst-spricht-vom-intelligenten-Plan-des-K...