Transhumanismus

Aufklärung und Kritik: Schwerpunktausgabe 2015 erschienen

Struktur, Konzept und Inhalt dieser Schwerpunktausgabe zum Transhumanismus

Diese Ausgabe beginnt mit einem Beitrag von Gerhard Engel zum komplexen Verhältnis zwischen Humanismus und Transhumanismus. Seine Reflexionen zeigen zahlreiche Aspekte dieser vielschichtigen Relation auf. Die nächste Sektion thematisiert die Geschichte des Transhumanismus. Christopher Coenen erläutert dabei wichtige Vordenker, die die Entstehung des Transhumanismus vorbereiteten.

Der Begriff transhumanism wurde erst 1957 durch Julian Huxley in dessen Buch "New Bottles for New Wine" geprägt. Auf drei zentrale Denker, die für die weitere Entwicklung dieser Denkrichtung besonders wichtig waren, geht Reinhard Heil in seinem Beitrag zur Geschichte des Transhumanismus ein. Ein mit dem Transhumanismus häufig identifizierter Denker ist Friedrich Nietzsche, auch wenn die Bedeutung seiner Ahnenschaft selbst unter Transhumanisten keine unumstrittene ist. Drei Facetten dieses verstrickten Verhältnisses stellen die darauffolgenden Beiträge vor. Michael Steinmann fokussiert sich in seinem Beitrag auf die Frage nach der Ahnherrschaft Nietzsches für den Transhumanismus. Diana Aurenque hingegen konzentriert sich speziell auf die Frage, ob Nietzsches Übermensch mit dem transhumanistischen Posthumanen identifiziert werden kann. Christian Niemeyer plädiert wiederum für ein Abrücken von der Fokussierung auf Nietzsches Übermenschen und der "genetisch fit gemachten Variante" von Nietzsches "letztem Menschen" und für eine verstärkte Konzentration auf Nietzsches Konzept des "guten Europäers".

Die Frage nach der Bedeutung Nietzsches für den Transhumanismus spielte auch im Rahmen einer großen öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Transhumanismus eine Rolle, die um die Jahrtausendwende herum im deutschsprachigen Kontext Aufsehen erregte. Mit der Thematisierung der sogenannten Sloterdijk-Habermas-Debatte, die auf Sloterdijks berühmte Menschenpark-Rede folgte, beginnt die Sektion mit aktuellen philosophischen, politischen und ethischen Auseinandersetzungen mit dem Transhumanismus. Robert Ranisch erörtert zahlreiche zentrale Momente dieser vielschichtigen Debatte zur liberalen Eugenik bzw. dem genetischen Enhancement, in deren Rahmen der Transhumanismus in den Kontext gefährlicher historischer Ereignisse und Überlegungen gerückt wird.

Dieter Birnbacher hinterfragt in seinem Beitrag, ob es sich beim Transhumanismus überhaupt um eine gefährliche intellektuelle Bewegung handelt. Eine Gefährdung der Menschenwürde scheint aus der Sicht Heiner Bielefeldts durch den Transhumanismus in der Tat gegeben zu sein, weshalb er sich in seinem Artikel gegen eine transhumanistische Revision des "Menschenwürde"-Begriffs ausspricht.

Auf den aktuellen politischen Kontext dieser Debatten gehen Roland Benedikter und Katja Siepmann ein, wobei sie zentrale Anliegen einiger jüngst gegründeter transhumanistischer politischer Parteien erörtern. Die darauffolgende Sektion vertieft die intellektuelle Auseinandersetzung mit ausgewählten Eigenschaften, deren Förderung Transhumanisten besonders wichtig ist. Ein transhumanistisches Hauptanliegen ist die Förderung der Lebensspanne, wobei die meisten Transhumanisten in diesem Kontext eher von der Gesundheitsspanne sprechen, also der Förderung der Lebensdauer als gesunder Mensch. Diesbezüglich erörtert Jörg Ehni die Frage, ob es sich beim Prozess des Alterns in der Tat um eine Krankheit handelt, wovon viele Transhumanisten ausgehen.

Thomas Damberger hingegen konzentriert sich auf das große Spektrum an Möglichkeiten, im Rahmen der Erziehung und Bildung auf biotechnologische Maßnahmen zurückzugreifen. Ein radikaler transhumanistischer Vorschlag stellt die Variante des mind uploading dar, deren philosophische Dimensionen von Jan-Hendrik Heinrichs erörtert werden.

Der Transhumanismus umfasst jedoch außer ethischen, politischen und sozialen auch noch weiterführende kulturelle Überlegungen. Dieser Dimension ist die nächste Sektion gewidmet, in deren Rahmen künstlerische, kulturelle und utopische Dimensionen des Transhumanismus thematisiert werden.

Über die Vielfalt der medialen Auseinandersetzungen mit dem Transhumanismus im Film und Fernsehen schreibt Alexander Darius Ornella. Eine neue Kunstrichtung, die Bioart, deren Entstehung in einer engen Beziehung mit den verschiedenen über den Humanismus hinausreichenden Ansätzen steht, stellt Laura Benítez Valero vor. In historischer Perspektive ist die Figur des Prometheus auf vielschichtige Weise mit dem Transhumanismus verbunden. Marcus Rockoff gibt einen Einblick in die komplexe Verflechtung des Prometheus-Mythos mit dem Transhumanismus. Eine spezielle soziale Herausforderung, die im Kontext der Debatten um den Transhumanismus immer wieder thematisiert wird, steht im Mittelpunkt des Films “Gattaca”. Ralf Beuthan analysiert in seinem Beitrag die wichtigsten Gesichtspunkte der diesbezüglichen Diskussion.

Eine allgemeine Erörterung der Utopie-Dimension im Rahmen verschiedener transhumanistischer Überlegungen stellt Sascha Dickel vor. Die Schwerpunktausgabe endet schließlich mit einem von Stefan Lorenz Sorgner verfassten Plädoyer für einen schwachen Nietzscheanischen Transhumanismus, in dem für zwölf Grundpfeiler dieser Denkart in separaten Überlegungen argumentiert wird. In diesem Kontext treten auch wichtige zukünftige mit dem Transhumanismus einhergehende Herausforderungen hervor, und mit jeder neuen Technik werden sich weitere ethische, politische, soziale, kulturelle und philosophische Fragestellungen ergeben, so dass davon auszugehen ist, dass sich die Auseinandersetzung mit dem Transhumanismus in der Zukunft noch weiter intensivieren wird.

Zwar werden in der Gegenwart vermehrt Stimmen laut, die für eine Entschleunigung eintreten und die deshalb auch fordern, die Geschwindigkeit von technischen Innovationen zu reduzieren. Diese Denker haben jedoch nicht bemerkt, dass eine Entschleunigung auf unterschiedliche Weisen erzielt werden kann. Auch wenn menschliche Fähigkeiten gefördert werden, so kann dies zur Folge haben, dass die gleichen äußeren Belastungen plötzlich als nicht mehr so schnell und schwierig empfunden werden wie zuvor. Für einen Mathematikprofessor ist eine einfache Addition eine andere Herausforderung als für einen Grundschüler. Alleine diese Überlegung veranschaulicht, dass auch ein Enhancement zur Entschleunigung führen kann. Hieran wird ebenso deutlich, dass der Transhumanismus für die unterschiedlichsten lebensweltlichen Herausforderungen durchaus bedenkenswerte Vorschläge liefern kann. Die vorliegende Ausgabe soll zumindest einen ersten Zugang zu der Vielzahl von Herausforderungen bieten, die im Kontext des Transhumanismus auftreten und erörtert werden.


Bezug der Ausgabe über die Gesellschaft für kritische Philosophie Nürnberg via Internet: www.gkpn.de (Schutzgebühr 10,00 EUR zuzügl. 1,50 EUR Verp. u. Porto)

Zum Thema Transhumanismus – Perspektiven, Chancen, Risiken findet am 05.12.2015 ein Symposium in Nürnberg statt. Näheres unter www.trans-humanismus.de