Kolumne

Der letzte Streifen in der Kleinstadt

kino.png

SAARBRÜCKEN. (hpd) Ein Mittwochnachmittag in der Kleinstadt bietet selten Zerstreuung. hpd-Gesellschaftskolumnist Carsten Pilger war auf der Suche nach ihr und landete im Kino seiner Heimatstadt dann irgendwo zwischen Nostalgie, Nüchternheit und Hoffnung.

Es war ein später Mittwochnachmittag im Spätsommer in einer kleinen Stadt. Ein Freund aus Schulzeiten hat sich mit mir zum Kinobesuch verabredet. Die hellblau gestrichene Fassade des Kinos fällt kaum auf in der Straße mit hellem Pflaster, in der es zwei kleinere Cafés, einige Fachgeschäfte und einen Billigmarkt gibt. Das Kassenhäuschen am Eingang steht leer. 

Auf dem Weg zum Kino habe ich im Gedächtnis gekramt. Die Frage: Wann war ich zuletzt in diesem einen Kino in der Stadt, in der ich zur Schule gegangen bin. Ich versuche mich an die Filme zu erinnern, die ich dort gesehen habe. Einige sind im Gedächtnis geblieben, vor allem die Ausflüge der Schulkinowoche. Der letzte Besuch muss etwa neun oder zehn Jahre her sein. "Wann warst Du das letzte Mal hier?", fragt der Schulfreund. Nach kurzer Diskussion stellen wir fest, dass auch er wohl einige Jahre nicht hier war. "Eigentlich schade", sagt er in einem Tonfall, der für Außenstehende wohl gleichgültig klingen würde. Ich weiß, dass er es nicht ist.

Die Karten gibt es nicht mehr am Kassenhäuschen, sondern im Foyer, zusammen mit Popcorn und Getränken. Von den Wänden grüßen Marilyn Monroe, Humphrey Bogart und James Dean, auf greller roter Farbe. Das Innere hat sich kaum verändert. Die Glanzzeit Hollywoods soll zum Kinobesuch verlocken. Verlockend wirkte das Kino dabei in letzter Zeit kaum. Im vergangenen Jahr schloss es kurzzeitig aufgrund schlechter Zahlen, mehrere Monate drehten sich keine Filmrollen. Seit einem guten Monat hat es wieder geöffnet, ein junger Mann hat es unter Aufmerksamkeit der Presse übernommen. Mit einer Mischung aus Idealismus und Geschäftssinn will er das Kino wieder kleinstadttauglich machen.

Entsprechend gibt es erst einmal nur vier Filme am Tag, nur ein Film zur gleichen Zeit. Zwei Karten für "Victoria" werden geordert. Eine bemerkenswerte Filmauswahl, muss der Fan von Independent-Filmen im Saarland oft meist bis in die Landeshauptstadt fahren, um dort in einem der kleinen Programmkinos fündig zu werden. Die deutsche Produktion, die unter Filmfans das Gesprächsthema Nummer eins ist, weil "Victoria" gänzlich ohne Schnitt auskommt. 140 Minuten Handkamera, viele improvisierte Dialoge, lange Momente. Keine einfache Kost. Eine mutige Entscheidung des Betreibers. Ein Pärchen mittleren Alters hat die gleiche Wahl getroffen wie wir. Macht nach Adam Riese vier Besucher für "Victoria". Mut wird nicht immer belohnt.

Im Saal hat sich ein Detail seit unserem letzten Besuch geändert. Die Sitzreihen wurden abmontiert, neue Sitzreihen eingebaut. Mehr Komfort, mehr Platz. Sonst ist alles gleich. Auf der linken Seite ist eine Glühbirne kaputt, auf der rechten Seite zwei. "Wie eine Zeitreise", meint der Schulfreund. Obwohl ich gesalzenes Popcorn vorziehe, habe ich eine Tüte gezuckertes Popcorn gekauft. Frisch zubereitet, statt aus der Tüte. Es wirkt klumpig verklebt. Die Lichter gehen aus. Nur zwei, drei Vorfilme für andere Filme. Wenig Werbung für Dinge. Viel Werbung, Werbung im Kino zu machen. "Victoria" beginnt.

Zum Ende des Films kommt ein fünfter Zuschauer in den Saal. Ich erkenne den neuen Betreiber des Kinos. Als wir an ihm vorbei nach draußen gehen, wünscht er uns noch einen schönen Abend. Im Foyer sind die Lichter angegangen, es warten einige Leute auf den nächsten Film, keinen Independent-Film, sondern Hollywood-Kost. Viele sind es nicht. Aber genug, um die Hoffnung auf weitere schöne Kinoabend in der Kleinstadt aufrecht zu erhalten.