Der Einfluss der Kirchen

Die Kirchen können sich noch immer auf ihre Parteien verlassen

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BERLIN. (hpd) Evangelische und Katholische Kirche haben bei den wichtigen Parteien in Deutschland einen guten Stand. Sie müssen auch weiterhin nicht befürchten, dass ihre Privilegien aus der Weimarer Reichsverfassung von 1919 alsbald gekappt oder auch nur ernsthaft in Frage gestellt werden.

Aber nicht nur ihr halb-staatlicher Sonderstatus als öffentlich-rechtlichen Körperschaften wird noch einige Zeit unangetastet bleiben, auch die übrigen finanziellen Segnungen bleiben erhalten. Das klamme Berlin zahlt 8,1 Millionen Euro für den Evangelischen Kirchentag 2017. Laut aktuellem Subventionsbericht der Bundesregierung umfassen allein die Steuerrückzahlungen an die ZahlerInnen von Kirchensteuer auf 3,65 Mrd. Euro im Jahre 2014. Die Tendenz ist steigend.

Diese himmlische Sonderrolle hat vielerlei historische, psychologische und praktische politische Gründe. Gerade Säkulare unterschätzen bisweilen die gesellschaftlich seit dem Ende der Religionskriege tief verwurzelte Besorgnis in Teilen der Öffentlichkeit, ein Streit über Religion beschädige die Gesellschaft in ihrer Stabilität und gefährde das Miteinander der Menschen. Diese Haltung ist auch in den Parteien durchaus weit verbreitet. Sie erfährt eine Wiederbelebung durch die aktuelle Diskussion über den richtigen Umgang mit dem Islam. Der deutsche "Linksliberalismus" hat sich bis heute stets ängstlich verkrochen, wenn Islamisten für sich in Anspruch nahmen zu entscheiden, welche künstlerischen Darstellungen erlaubt sein sollen oder welche nicht – oder wer in den Flüchtlingsunterkünften das Sagen hat. Religionen selbstbewusst zu begegnen und ihnen ihre Grenzen aufzeigen ist nach wie vor ein großes Tabu in unserem Land!

Warum ist in den Parteien der Einfluss der Kirchen so stark? - Am Beispiel von Bündnis 90/Die Grünen

Menschen treten aus den verschiedensten Gründen in Parteien ein und engagieren sich dort. Unionsmitglieder beschwören beispielsweise aus ihrer katholischen Tradition heraus die immerwährende Stärkung von klassischer Ehe und Familie. Geraten ihre Mythen von der heilen Welt dann auch noch durch Zuwanderung ins Wanken, wird sogar die bislang unantastbare Autorität der Kanzlerin in Frage gestellt. Bei den Sozialdemokraten wiederum spielt die Zugehörigkeit zu Gewerkschaften und den Interessen der Beschäftigten traditionell eine besondere Rolle. Einmal abgesehen von der Auseinandersetzung von ver.di zum kirchlichen Arbeitsrecht ruht der See zwischen SPD bzw. Gewerkschaften und Kirchen allerdings recht still. Gabriel hat dafür gesorgt, dass sich die Ansätze zur Bildung einer laizistischen Arbeitsgruppe in Wohlgefallen aufgelöst haben.

Etwas anders liegen die Verhältnisse bei Bündnis 90/Die Grünen. Diese Partei hat sich (im Westen) in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts aus mehreren sozialen Bewegungen heraus formiert um als "verlängerter Arm" dieser Bewegungen aus den Parlamenten heraus die Zerstörung unserer Umwelt zu stoppen und die Gleichstellung der Geschlechter voran zu bringen und für Menschenrechte international zu streiten. Die Haltung zu den Kirchen war ambivalent. Einig war man sich in der "Bewahrung der Schöpfung". In der Gesellschaftspolitik waren die Gräben jedoch unüberwindbar.

Standen in den Kindertagen der Partei bis in die späten 80er Jahre hinein die Konflikte über Schwangerschaftsabbruch, Homosexualität und Gleichstellung im Zentrum unüberbrückbarer Differenzen, so begann von da an ein allmählicher Wandel. Nicht zuletzt unter dem Einfluss von ReformchristInnen in der Partei rückten die alten Streitigkeiten in den Hintergrund. Eine wichtige Rolle in diesem Annährungsprozess spielte das sog. "Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland" aus dem Jahre 1997. Nach und nach sahen auch immer mehr Grüne die Kirchen immer weniger als Gegner, sondern als Partner mit gemeinsamen Zielen.

Aktuell spielt die Zusammenarbeit in der Flüchtlingsarbeit eine herausgehobene Rolle, wenn die Grüne Führungsspitze - durchaus mit viel Sympathie von der Basis - den Kirchenfürsten allenfalls mit Wattebäuschchen begegnet. Warum staatliche Mittel kürzen, wenn die Kirchen womöglich dann den Geldhahn für die Initiativen abdrehen?

Ein wichtiger Grund für die unkritische Haltung zu den Großkirchen ist ein höchst pragmatischer. In den Kirchen und ihren zahlreichen Organisationen sind viele Menschen - gerade auch Multiplikatoren – tätig, die Parteien allzu gerne als WählerInnen gewinnen wollen. Die Großkirchen sind trotz Schwund immer noch die mitgliederstärksten Organisationen in Deutschland. Selbst wenn wir berücksichtigen, dass die Mitglieder ohne eigenes Zutun durch Taufe "beitreten", bleiben immer noch die vielen Nebenorganisationen mit teilweise mehreren Hunderttausend Mitgliedern. In den Parteien, die sich durch Wahlen legitimieren müssen, macht das auf die oberste Leitung Eindruck.

Für die im Bundestag vertretenen Parteien sind säkulare Fragen allenfalls an den Rand gedrängte Themenfelder. Entsprechend dürftig ist daher die Qualität des Diskurses zu Fragen der Säkularisierung. Immerhin hat sich meine eigene Partei, Bündnis 90/Die Grünen, im letzten Jahr dazu durchgerungen, eine Fachkommission mit dem Auftrag zu bilden, ein Konzept zur Neubestimmung des Verhältnisses von Staat, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu entwickeln. Mit der Vorlage dieses Berichts ist im Spätherbst 2015 zu rechnen. Als Mitglied dieser Kommission hofft der Autor sehr, dass sich auf der Grundlage dieses Berichts endlich eine qualifizierte innerparteiliche Debatte entwickelt.

Parteien haben eine andere Aufgabe als NGO’s

Vertreter kirchenkritischer NG0’s tun sich mitunter schwer damit, das geschilderte Desinteresse der Parteien am Thema Staat-Kirchen nachzuvollziehen. Wer beispielsweise dem Internationalen Bund der Konfessionslosen und AtheistInnen beitritt, hat ein besonderes Interesse am Thema und erwartet eine entsprechende Ausrichtung des Verbands. Maßstab für Erfolg oder Misserfolg der NGO ist dabei nicht der Massenzuspruch bei Wahlen, sondern die Mitgliederstatistik und der Zugang zu den Medien. Niemand muss in einer der fachlich engagierten Gruppen und Vereinigungen die Konkurrenz zu anderen Themen ausfechten. Bei den Parteien hingegen stehen die schwarzen Löcher in der Limburger Bischofskasse immer auch in Konkurrenz zu den realen Abgründen des Braunkohle-Tagebaus.

Es wäre freilich verfehlt, von den Parteien zu verlangen, sie sollten wie gesellschaftliche Organisationen reagieren. Parteien sind primär dazu da, bei Wahlen für Mehrheiten zu werben und diese Mehrheiten in praktische (Regierungs)Politik umzusetzen. Von ihnen zu verlangen, die gesellschaftliche Kräfteverhältnisse außer Acht zu lassen, verkennt die Rollenverteilung im politischen Geschäft. Diese ist aber auch eine Chance für NGO’s, deren Aufgabe gerade nicht von Parteien übernommen werden kann. Sie können als Peergroup Belange vertreten, ohne sich für ihre Haltung Mehrheiten suchen zu müssen. Sie können daher viel langfristiger und themenloyaler planen und arbeiten. Nicht selten wurde so aus einer anfangs noch marginalisierten und belächelten Position im Laufe der Zeit eine gesellschaftliche Mehrheitsmeinung. Umgekehrt heißt das aber auch, dass NGO’s von sich aus für eine Änderung der Verhältnisse kämpfen müssen, ohne diese Aufgabe der Durchsetzung bei den Parteien abzugeben wie ein Jackett in der Reinigung. Übersetzt auf die Debatte über Säkularität heißt dies, dass ohne einen gesellschaftlichen Resonanzboden, für den die NGO’s maßgeblich mit verantwortlich sind, werden sich die Parteien auch in Zukunft schwer tun, die Trennung von Staat und Gesellschaft auf ihr Schild zu schreiben.

Beschwörung altbackener Feinbilder – Predigt in einer leeren Kirche

Eine breit angelegte gesellschaftliche Debatte über eine zukunftsweisende Politik zur Neuregelung des Verhältnisses von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zum Staat sollte angesichts einiger Fehlschläge in den letzten Jahrzehnten gar nicht erst den Versuch machen, auf klassische antiklerikale Feindbildern aufzubauen. Ein solcher Ansatz hat nicht die geringste Chance auf eine nennenswerte gesellschaftliche Resonanz. Schon deshalb ist er auch innerhalb der Parteien chancenlos.

Die unterschiedlichen Aufgaben und Funktionsweisen von Parteien und NGO’s sind vorhanden und machen auch Sinn. Umso mehr müssen Säkulare – parteiübergreifend – zusammenwirken und von innen und außen auf ihre Parteien einzuwirken, das zählebige Staatskirchenrecht endlich aus seiner Weimarer Gruft zu holen und stattdessen ein modernes Vereinsrecht für zivilgesellschaftliche tätige Organisationen zu entwickeln. Es ist nicht leicht, die mehr oder weniger schweren Tanker in die Spur zu bringen, aber bei klugem Herangehen lassen sich (die Union klammere ich jetzt mal aus) doch innerparteiliche Debatten voranbringen. Dabei wird es darauf ankommen, die Kernpunkte so zu wählen, dass sie auch mehrheitsfähig sind oder werden können. Von daher müssen diese Eckpunkte für eine säkulare Reform plausibel, verständlich und auch aus einem Alltagsverständnis heraus klar nachvollziehbar sein.

Als Beispiele seien folgende Stichpunkte genannt:

  1. Finanzielle Privilegierung der Großkirchen (Kirchensteuer, Staatsleistungen und sonstige unkontrollierte Alimentierungen),
  2. Debatte über erheblichen finanziellen Reserven der Kirchen (Paderborn), die umfassende Alimentierungen im bisherigen Ausmaß verbieten,
  3. Kirchliches Arbeitsrecht mit seiner Missachtung der individuellen Rechte der Beschäftigten und des kollektiven Arbeitsrechts,
  4. Fixierung der geltenden Rechtsnormen auf die christlichen Großkirchen und das Versagen dieser Regelungen bei der Gestaltung wachsender religiös-weltanschaulicher Vielfalt.
  5. Fortdauernde Rückständigkeit insbesondere der Katholischen Kirche in gesellschaftspolitischen Kernfragen.

Ein gutes Motiv für die politischen Parteien, endlich ihren kirchenpolitischen Winterschlaf zu beenden und den Fragen der Säkularität größere Aufmerksamkeit zu schenken ist die wachsende Zahl von Konfessionsfreien. Während die Großkirchen inzwischen deutlich unter die 30-Prozent-Marke gerutscht sind ständig weitere Mitglieder verlieren, wächst die Zahl der Konfessionsfreien. Diese machen inzwischen rund 35 Prozent der Bevölkerung aus. Hinzu kommt, dass auch die wachsende nicht-christliche Religiosität ihren gesellschaftlichen Platz sucht. Hier liegt ein riesiges unbeackertes Feld unmittelbar vor ihren Geschäftsstellen. Kirchenfreie - ob religiös oder nicht – haben noch immer keine politische Lobby in den Parteien. Warum soll sich das nicht ändern?