Notizen aus Polen

Schriftstellerin Olga Tokarczuk bedroht

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WARSCHAU. (hpd) Olga Tokarczuk ist die wohl prominenteste polnische Schriftstellerin. Sie wurde vor einigen Wochen für ihren neuesten Roman "Księgi Jakubowe" ("Die Jakobsbücher") schon zum zweiten Mal mit dem wichtigsten polnischen Literaturpreis "Nike" geehrt. Weil sie jedoch die polnische Gesellschaft an die eigene Vergangenheit erinnerte, wird sie nun massiv angegriffen.

Jakub Lejbowicz Frank – Rabbi, Mystiker, Philosoph, Prophet, religiöser Reformer, Gründer der jüdischen Sekte der Frankisten – lebte im siebzehnten Jahrhundert. Dank eines Geleitbriefes des Königs Augustus III. konnte Frank, lange nach der Vertreibung seines Vaters, nach Rzeczpospolita (polnisches Königsreich) zurückkehren und seine Idee der Annäherung zum Gott der Christen verbreiten. Das Buch von Olga Tokarczuk über das Leben von Frank ist ein wichtiger Beitrag zur Geschichte der 1000-jährigen Anwesenheit der Juden auf polnischen Gebieten.

In einem Interview nach der Verleihung des Nike-Preises sagte die Autorin: "Wir haben uns die Geschichte Polens immer als ein tolerantes, offenes Land gedacht; einem Land, das nichts Schlimmes gegen eigene Minderheiten getan hat. Jedoch haben wir auch schreckliche Sachen gemacht: als Kolonisatoren, als nationale Mehrheit, als Besitzer von Sklaven oder gar als Judenmörder."

Olga Tokarczuk
Olga Tokarczuk, Foto: Grzegorz Zygadło, wikimedia, gemeinfrei

Nach dieser Aussage brach im Internet gegen sie die Hate-Welle los. Dabei erhielt die Schriftstellerin auch Morddrohungen. Die Gegner veröffentlichten ihre Wohnadresse und riefen zu "Besuchen" bei Olga Tokarczuk auf.

Die Staatsanwaltschaft hat jetzt eine Untersuchung angeleitet. Von den rund 1.000 analysierten Eintragungen im Internet brachen mindestens 160 gültige Gesetze. Die Betreiber der entsprechenden Webseiten wurden verpflichtet, solche Eintragungen zu löschen. Die Polizei ermittelt auch nach den Tätern, die den Mordaufruf veröffentlichten.

Katuell ist auch das Buch "Miasta śmierci" ("Städte des Todes") von Mirosław Tryczyk erschienen. Thema seines Buches sind die Verbrechen gegen polnische Staatsbürger jüdischer Abstammung in Nordostpolen in den Jahren 1941–1942. Damals töteten polnischen Nachbarn Juden von sich aus oder zusammen mit den deutschen Besatzer. Die Deutschen genehmigten diese Taten im Voraus oder billigten sie nachher.

Der Autor wurde bereits vor dem Erscheinen des Buches diskreditiert und die Hate-Welle wird auch ihn erreichen. Auf vielen Internet-Seiten – vor allem der von Zeitungen und Zeitschriften – wurden die Kommentarfunktion unter Texten, die sich mit dem Buch befassen, ausgeschaltet um auf diese Weise die Hater zurückzuhalten.

Einige NGO’s versuchen sich, dieser Welle des Hasses entgegen zu stellen. Nicht nur Olga Tokarczuk hat das erlebt. Auch die Flüchtlinge aus Syrien erleben das oft. Die Stiftung "Nie wieder" kämpft seit Jahren gegen Rassismus und Hass-Sprache. "Noch kürzlich waren das Einzelfälle, heute sind das sehr viele", sagte die Chefin der Stiftung. "Wir haben diesbezüglich gute Vorschriften, aber die Staatsanwälte verstehen immer noch nicht, dass die Worte ‘das jüdische Aas’ eine Beleidigung bedeuten."

Endlich melden sich auch die staatlichen Institutionen zur Wort. Bisher haben das nur einige Politiker gemacht; aber deren Worte waren nicht selten an xenphobische und homophobische Wähler gerichtet, um deren Stimmen zu gewinnen.

Der stellvertretende Justizminister will mit der Innenministerin und dem Generalstaatsanwalt nach besseren Methoden zur schnellen Fahndung nach solchen Tätern suchen. Auch der Bürgerbeauftragte versucht, eine breite Koalition der staatlichen Ämter, darunter auch des Schulministeriums, zu organisieren, um die Hasswelle und die Gewalt auf den Straßen und in den Schulen zu bekämpfen.

Lieber spät als gar nicht.
Aber das ist die Bekämpfung der Auswirkungen und nicht der Ursachen. Die Polen haben noch nicht die Lektion des Antisemitismus, Homophobie und Xenophobie richtig bearbeitet. Es ist die höchste Zeit, das endlich nachzuholen.

Die Bücher von Olga Tokarczuk, Mirosław Tryczyk und früher von Jan T. Gross ("Die Nachbarn" und "Angst") und Anna Bikont ("Wir aus Jedwabne") haben viel dazu beigetragen. Diese Autoren mussten und müssen viel Hass ertragen; aber sie machen das auch für uns, die polnische Humanisten.