Der Missbrauch des Adjektivs "grün"

Das Wachstum ist der Umwelt sein Tod

BERLIN. (hpd) Weihnachten unterbricht den Alltag nicht nur für gläubige Menschen. Rechtzeitig dazu erschien die “Kritik der grünen Ökonomie”. Die Autoren Thomas Fatheuer, Lili Fuhr und Barbara Unmüßig beschreiben darin, warum nicht alles, was grün daherkommt, auch tatsächlich grün ist. Im Festtags-Leitartikel der Süddeutschen Zeitung des Jahres 2000 analysiert Heribert Prantl mit Blick auf unsere heutige Welt, dass es “um mehr Profit, mehr Wachstum, mehr vermeintlich gutes Leben” geht. Und er fordert ein “Aufbegehren gegen den absurden Kreislauf, in dem stets erst die Katastrophe geschehen muss, um die Verantwortung wieder zu wecken, mit der es zur Katastrophe gar nicht erst gekommen wäre”.

“Europa ohne Humanität (…) ist kein Raum des Rechts, der Sicherheit und der Freiheit, sondern ein Raum der Gier, der Unsicherheit und der Rücksichtslosigkeit” (Prantl, 2012). Eine Politik die Fluchtursachen schafft, muss durch eine Kultur des globalen und generationenübergreifenden Teilens abgelöst werden. Die Überbetonung des Wachstums führt nicht zu einer Steigerung der Lebensqualität, untergräbt nachhaltige Ziele und lenkt von wichtigen Problemen der heutigen Zeit ab. Die Autoren stellen sich der entscheidenden Frage, “was unter diesem Begriff verstanden und wie das Konzept einer Grünen Ökonomie konkret ausbuchstabiert wird”.

Das Umweltbuch des Monats November 2015 der Deutschen Umweltstiftung unterzieht die Grüne Ökonomie einer kritischen Prüfung, analysiert ihre Möglichkeiten und konfrontiert diese mit der von ihr erzeugten Erwartungshaltung. Die “Kritik der grünen Ökonomie” verspricht nur was es auch durch viele Beispiele belegen kann und ist ein gelungener, kurzweiliger Beitrag zur Kontroverse. Wer dieses Buch gelesen hat erkennt hinter dem bröckelnden Leitbild der Grünen Ökonomie den Versuch eines “Greenwashing” des alten Wachstumsmodells, welches die Plünderung des Planeten nicht stoppt und die sozialen Ungleichheiten noch verschärft.

Die industriellen Revolutionen

Die Einführung der Dampfmaschine und des Taylorismus in der Produktion führten zur den beiden ersten industriellen Revolutionen. Heute ist die Makroökonomie durch den Computer und die digitalen Netzwerke, aber auch einer globalen Rohstoffverknappung und der zunehmenden Umweltverschmutzung geprägt. Durch eine “neue industrielle Revolution der Ressourceneffizienz” soll der Verbrauch von natürlichen Ressourcen so weit gesenkt werden, dass die Wirtschaft stark wachsen kann, ohne die Umwelt zu überlasten.

Grüne Ökonomie suggeriert “grünes Wachstum” für eine bessere Zukunft, also nachhaltiges Wirtschaften. Aber mehr Wachstum und trotzdem grün, geht das?

Kann durch den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft die Umweltfrage gelöst werden? Oder muss ein wesentlich grundlegenderer Ansatz gedacht werden? Und birgt die Abkehr vom Dogma des Wachstums nicht unbeherrschbare Risiken?

Was versteht man unter “Grüner Ökonomie”?

Bei der Grünen Ökonomie müssen ständig drei Säulen der Nachhaltigkeit betrachtet werden: die Ökonomie, die Ökologie und das Sozialsystem. Ökosystemdienstleistungen, wie die Bereitstellung von Trinkwasser, Luft und anderen Naturgütern, bekommen einen Marktwert, der sich in entsprechenden Preisen widerspiegelt. Dadurch werden Wachstum und verschwenderischer Ressourcenverbrauch entkoppelt, doch mit der Priorisierung von Marktmechanismen verschärft grüne Ökonomie auch den Bedeutungsverlust der Politik. Eine ökologische und ressourcenschonende Wachstumsstrategie soll schließlich durch gezielte “grüne Investitionen” zu mehr sozialer Gerechtigkeit führen.

Durch die Steigerung der Produktivität und der Innovationstätigkeit kann grünes Wachstum als Katalysator für nachhaltige Entwicklung dienen – so die Idee. Grünes Wachstum soll die sozialen und ökologischen Kosten mit einbeziehen und sicherstellen, dass Investitionen den Grundstein für eine nachhaltige Entwicklung in der Zukunft legen. Der Staat kann hier regulierend eingreifen durch eine Investitions- und Subventionspolitik, ein ökologisches Steuersystem und indem er den Märkten Rechtsrahmen setzt. Die Umweltfolgen des immer noch unvermeidlichen Ressourceneinsatzes sind dabei zu begrenzen.

Die Entkopplung von Wachstum und ökologischen Schäden könnte allenfalls das Klima- und Energieproblem lösen. Ob sie ausreicht den dramatischen Verlust der biologischen Vielfalt, die Störung der Ökosysteme durch Überdüngung oder die rapide sich ausbreitende menschliche Landnahme zu verhindern, darf bezweifelt werden. Motoren werden zwar effizienter, aber die bescheidenen Fortschritte bei der Verbrauchsminderung werden fast vollständig aufgezehrt, weil die Autos immer größer und schwerer werden (Reboundeffekt). Auch werden mehr Pflanzen angebaut, um Treibstoff herzustellen, was die Versorgung der Menschheit mit ausreichend Lebensmitteln gefährdet, riesige Flächen von Regenwäldern zerstört und massiv die Artenvielfalt bedroht.

Wenn die Wirtschaft gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) wächst, verbraucht sie mehr Ressourcen und schadet der Umwelt. Die Folgen des Wachstumsfetischismus für Natur, Umwelt und Ressourcenbestand sind gravierend. Wer anderes behauptet, leugnet die Realität. Güter oder Dienstleistungen sind so beschaffen, dass ihre Produktion, ihre Nutzung und ihre Entsorgung Fläche, Energie, oder andere Ressourcen verbrauchen. Dies gilt auch für digitale Technologien und Internet-Services (Elektroschrott!).

Die Verknappung wichtiger Ressourcen wird uns wie die Klimaerwärmung zu Verhaltensänderungen zwingen. Das begrenzte Angebot trifft auf eine explodierende Nachfrage, denn schon in 35 Jahren werden 30 % mehr Menschen auf dieser Erde leben als heute, die auch ihren Lebensstil dem der Industriegesellschaften anpassen wollen. Und schon in 15 Jahren werden wir nach konservativen Berechnungen der UN zwei Planeten brauchen, um den globalen Ressourcenbedarf zu decken – wir haben aber nur einen.

Robert F. Kennedy brachte es auf den Punkt: “Das Bruttoinlandsprodukt beinhaltet weder die Schönheit unserer Poesie noch die Intelligenz unserer öffentlichen Debatten. Es misst weder unseren Verstand noch unseren Mut, unsere Weisheit, unsere Erkenntnisse, unser Mitgefühl oder unsere Hingabe. Kurz, es misst alles – nur nicht das, worauf es im Leben wirklich ankommt.”

Worauf kommt es denn an?

Seit die negativen Konsequenzen wirtschaftlicher Aktivitäten nicht mehr zu leugnen sind und “grün” ein Synonym für umweltschonendes Wirtschaften wurde, mehren sich Konzepte, die mit dem Attribut “grün” belegt werden: “Green New Deal”, “Green Economy”, “Green Growth”, “Green IT”, “Green Technology”, “Green Revolution”, “Green Building” und “Green Office”.

“Green New Deal” steht hierbei für grüne Konjunkturprogramme, die die Wirtschaft ankurbeln, “grüne Jobs” schaffen, und den Klimawandel bzw. drohende Ressourcenengpässe mindern sollen. Der Umweltschutz soll mit marktwirtschaftlichen Mitteln, statt ausschließlich mit Verboten und Geboten, durchgesetzt werden. Eine Integration ökologischer Nachhaltigkeit in das gesamte Wirtschafts- und Gesellschaftssystem sei dafür überfällig. Umweltschutz wird dann betriebswirtschaftlich billiger als Umweltverschmutzung. Doch reichen diese systemimmanenten Maßnahmen aus, um die Versorgung aller Erdenbewohner mit Gütern und Dienstleistungen unter Berücksichtigung der Generationengerechtigkeit sicher zu stellen?

Die Autoren des Buches sind überzeugt, dass Ökonomie und Natur nicht in Einklang zu bringen sind, solange es um mehr Wachstum und um mehr Konsum geht. Auch der Versuch, für die Natur einen Geldwert zu errechnen, trage nicht zur Nachhaltigkeit bei. Die Ökologie verkommt so zu einer Begleiterscheinung des Wirtschaftswachstums. Die Autoren warnen davor, sich selbst zu betrügen und zu glauben, dass es mit “ein bisschen grün angestrichener Wirtschaft” zu schaffen sei. Umweltschutz mit Wirtschaftswachstum versöhnen zu wollen bleibt Illusion.

Radikales Denken als Voraussetzung einer Erneuerung

Der fossile Kapitalismus erfordert ein radikales Umgestalten der Wirtschaft. Der Abschied vom Wachstum muss geplant und vorbereitet werden, da es sonst zu massiven sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen kommt, die viele Menschen in Existenznöte stürzt. Doch einen grundsätzlichen Umbau unserer Ökonomie, der keine volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Brüche riskiert, gibt es nicht.

Wachstumskritiker haben nur dann eine Chance auf politische Akzeptanz, wenn ihr Konzept überzeugende Antworten auf die Frage formuliert, wie bei einem schrumpfenden Sozialprodukt und einer steigenden Weltbevölkerung die Lebensqualität global und generationenübergreifend auf einem angemessenem Niveau sichergestellt werden kann. Der Umbau zu einer ökologischen Wirtschaftsweise muss nachhaltig sein und eine weltweite Armutsreduzierung verfolgen. Da dies die Grüne Ökonomie nicht leisten kann, muss weiter nach Lösungen gesucht werden.

Hier endet das Buch “Kritik der Grünen Ökonomie”, ohne einen Ausweg aus der Misere zu weisen. Diesen Anspruch hatten die Verfasser auch nicht. Es gibt sicher keinen einfachen Königsweg zum ökologischen Umbau unserer Volkswirtschaft, der all unsere Ressourcen- und Umweltprobleme löst. Aber ein geeignetes Bündel von Maßnahmen muss auch das Verbot der “geplanten Obsoleszenz” enthalten.

Barbara Unmüßig, Thomas Fatheuer, Lili Fuhr, “Kritik der Grünen Ökonomie”, 192 Seiten, oekom verlag München, 2015, ISBN–13: 978–3–86581–748–8, 14,95 Euro