ILMÖ Jahresbericht Januar 2016

Realitäten in Europa und die neue Herausforderungen

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Amer Albayati
Amer Albayati

WIEN. (hpd) Die Initiative Liberaler Muslime Österreich (ILMÖ) tritt für Meinungsfreiheit zu allen religiösen und nichtreligiösen Ansichten, Fragen und Problemen ein. Es muss niemand einer Meinung mit anderen sein, aber es soll jeder seine Meinungen äußern dürfen, sofern diese nicht hetzerisch gegen andere Menschen gerichtet sind. Kritik muss jede Religion, speziell auch der Islam aushalten und tolerieren!

Ich liebe meine Gegner. Das braucht viel Überwindung, aber ich habe das seit Jahren geschafft. Weil für die, welche mich als Gegner betrachten, es ihr Problem ist. Meine Haltung bleibt es, zu verzeihen und zu lieben. Ohne Feindseligkeit, in einer Welt, in der es gegenwärtig voller Hass zwischen den Großmächten, Politikern, Religionen, Humanisten und alle, einer gegen den anderen, zugeht. Und wir bedenken dabei nicht, dass wir unser gesamtes Leben in Gegenwart und Zukunft, ohne Ethik, Moral und Verantwortung für die Menschen, Tiere und Umwelt, leider für immer kaputt machen. Wir werden auch künftig mit realistischer Haltung, ehrlich und mutig bleiben, um im Sinne aller Menschen für eine neue Hoffnung zu agieren.

Radikaler politischer Islam ist eine Bedrohung für ganz Europa

IS-Terroristen, Dschihadisten, Salafisten und Muslimbrüder stellen eine ernste Gefahr für ganz Europa dar. Als Insider, Betroffener, Augenzeuge und Islam-Reformer fasse ich hier, in gegebener Kürze, grundlegende Punkte über den radikalen und politisch organisierten Islam zusammen.

Gleichzeitig möchte ich die Friedfertigkeit der meisten Muslime in Europa betonen, die mit diesen Angelegenheiten nichts zu tun haben wollen und von Gruppierungen wie IS als Kafirun, Muschrikun und Munafiqun (Ungläubige, Beigeseller und Heuchler) angesehen werden, denen abgesprochen wird, Muslime zu sein.

Dies gilt auch für den von Saudi-Arabien global exportierten salafistischen Wahhabiyya-Islam, der nicht ohne Grund eine religiöse Legitimationsgrundlage von IS und al-Qaidah bildet, da er schon Gewaltanwendung gegen jeden, der nicht zu den Wahhabiten gehört, durch die Religion rechtfertigt, da allen Muslimen gegenüber Takfir (Erklärung zu einem Ungläubigen) und Entlassung in die Dschahiliya [Zeit der vorislamischen Unwissenheit und Barbarei] ) erklärt wird, die nicht dieser Islamauslegung folgen, die dann, wie alle Nichtmuslime, durch den gewaltsamen Dschihad bekämpft werden dürfen und müssen. Nichts anderes also als das, was IS auch propagiert. Insoweit die Islamauslegung von Saudi-Arabien das Spiegelbild der Islamauslegung von IS darstellt. Und umgekehrt.

Es fehlt daher jedes Verständnis, warum viele Politiker und Medien dubiose Organisationen aus dem Spektrum des radikalen Islamismus und gewaltsamen Dschihadismus ideell und materiell unterstützen, was auch für den Wahhabiyya-Islam gilt, der seit Jahrzehnten in Österreich verbreitet wird, obwohl die politisch und gesellschaftliche Verantwortlichen in der Regel über dessen Konflikt- und Gewaltpotential informiert sind.

Diese implizite Unterstützung führt in ganz Europa zu einer ansteigenden abstrakten Gefährdungslage, die im Bereich des gewaltsamen Dschihadismus durch erfolgreich ausgeübte Anschläge und Attentate jederzeit in eine konkrete Gefährdungslage umschlagen kann.

Die islamischen – vor allem die arabischen – Länder werden von extremistischen Organisationen des politischen Islam seit Jahren mit Gewalt und Terror überzogen, was bisher zu hunderttausenden Toten geführt hat.

Das verdeutlichten die Anschläge im Irak, in Kuwait, Nigeria und Ägypten während des Ramadan 2015, die sich gegen Muslime der eigenen und anderer Glaubensausprägungen richteten. Auch waren bisher nach verschiedenen Schätzungen in den letzten 20 Jahren ca. 85–90 Prozent der Opfer von Anschlägen durch al-Qaidah Gruppierungen Muslime. Der Terror von IS und al-Qaidah richtet sich primär gegen Muslime und sollte nicht als ein Kampf der Kulturen zwischen Islam und Christentum interpretiert werden. Das würde schon den islamischen Extremisten in die Hände spielen, die die Gesellschaft entlang ethnisch-religiöser Bruchlinien gezielt spalten wollen. Ebenso denjenigen, die unter dem Deckmantel angeblicher “Islamkritik” ihre subjektive Idiosynkrasie gegen Islam und Muslime verbreiten, weil man Islam und Muslime in der Gesamtheit hasst. Beides Positionen, die in einer freien Gesellschaft keinen Platz haben können, weil das den Gedanken des gleichberechtigten und friedlichen Miteinanders von Menschen heterogener religiöser Orientierung und ethnischer Herkunft widerspricht, für das die Initiative Liberaler Muslime in Österreich (ILMÖ) eintritt, wobei auch immer bestehende Problemlagen offen angesprochen wurden und weiterhin werden.

Die ILMÖ hat seit ihrer Gründung am 2. Februar 2000, also schon vor dem 11. September 2001, immer vor terroristischen Anschlägen gegen die USA und Europa gewarnt. Diese Warnungen wurden nicht ernst genommen, bis sich erfolgreiche Anschläge in Madrid, London, Frankfurt/Main, Brüssel, Paris und Kopenhagen ereigneten.

Unsere letzte Warnung war nach der Eskalation des innerislamischen Religionskrieges in Syrien/Irak, dass dschihadistische Kämpfer als angebliche Flüchtlinge über Nordafrika nach Europa in den Schengen-Raum gelangen. Dabei verdienen auch Gruppierungen von al-Qaidah im Islamischen Maghreb (AQIM) wie Ansaar ad-Din (Mali) und IS nahe Gruppen in Libyen am illegalen Migranten-Schmuggel mit.

Die von der islamistischen AKP regierte Türkei lässt zu, dass Terroristen innerhalb stetig ansteigender Flüchtlingsströme nach Europa gelangen können. Politiker und Medien wollten auch diese Warnungen nicht hören, obwohl es jetzt in ganz Europa zu immer mehr Verhaftungen solcher Terroristen kommt. Diese Dschihadisten nützen die islamische Religion und die religiösen Gefühle von Muslimen in allen europäischen Staaten aus, um für ihre Ziele zu werben, neue ausländische Kämpfer für den IS und die al-Qaidah nahe an-Nusrah Front in Syrien/Irak zu rekrutieren und letzten Endes selbst Anschläge in Europa auszuüben.

Die Rolle der radikal-islamischen Organisationen und ihrer Moscheen in Europa

Die Muslimbruderschaft (al-Ichwan al-Muslimun) wurde im März 1928 von dem Volksschullehrer Hasan al-Banna (1906–1949) in Ismaʿilia/Ägypten gegründet.

Sie gilt als Mutterorganisation des neuzeitlichen Islamismus als explizit politisch ausgerichtete Islamauslegung und wird von Kennern der Materie in das Lager der Salafi-Reformer eingeordnet, weil al-Banna von dem Salafi Reformer Rashid Ridda (1865–1935) beeinflusst wurde, der als einer der Gründer der neuzeitlichen Salafiyya-Bewegung gilt. Er trat mit seiner 1922 verfassten Schrift „Das Kalifat oder das größte Imamat“ für die Wiedererrichtung eines arabischen Kalifates ein und wandte sich in seinen letzten Lebensjahren dem Wahhabiyya-Islam zu. Die Muslimbruderschaft übernahm dieses Konzept von Ridda und propagiert seitdem die Errichtung eines islamischen Staates. Mit der Frage konfrontiert, warum die Muslime unbedingt in einem Kalifat leben müssten, erklären sie, dass der Islam Religion und Staat (al-Islam huwa Din wa Daula) sei.

Ihre Ideologie richtet sich gegen jede Form von “Verwestlichung”, da der Westen für den Niedergang der arabischen Welt verantwortlich gemacht wird, der mit dem Ägyptenfeldzug von Napoleon 1798 begann. Daher strebt die Bruderschaft eine “Modernisierung” der jeweiligen Gesellschaft im Rahmen des gesamten Gesetzes (Schariah) als Rückkehr zu einer “wahren islamischen Ordnung” (an-Nizam al-Islami) an, womit bestehende Ordnungen überwunden werden müssen, was langfristig auch in Europa bewerkstelligt werden soll, um ein globales Kalifat zu errichten.