Das aktuelle Heft von Aufklärung und Kritik (A&K), der umfangreichen Vierteljahreszeitschrift der Gesellschaft für Kritische Philosophie Nürnberg (GKP), ist erschienen. Die Redaktion hat dem hpd wieder das Vorwort zur Verfügung gestellt.
Einem traditionellen, aber immer wieder aktuellen Thema der Wissenschaft "Philosophie" widmet sich Prof. Dipl.-Psych. Steffen-Peter Ballstaedt in seinem Artikel "Verständlichkeit der Philosophie". Dabei untersucht er verschiedene gegensätzliche Gesichtspunkte, die im Laufe der Philosophiegeschichte eine Rolle spielten, wie Aufklärung versus Idealismus oder Produzent versus Lesende. Aber auch die Positionen der Verteidiger der Schwerverständlichkeit, die die Sorge um den Anspruch der Wissenschaftlichkeit von Philosophie betonen, stellt er vor, ehe er die Bedeutung der Kommunikation in seinem Fazit unterstreicht.
Im hier veröffentlichten zweiten Teil seines Artikels "Hannah Arendt – eine Denkerin für das 21. Jahrhundert. Gefahren der Selbstzerstörung der Demokratie" setzt sich Dr. Bruno Heidlberger zunächst ausführlich mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine auseinander. Beginnend mit den fatalen Folgen der Annahme einer teleologischen Menschheitsentwicklung in positiver Richtung, zeichnet er in einem breiten Informationsblock die (Fehl-)Einschätzungen und Entwicklungen in Deutschland nach. Diese wurden durch Putin jäh beendet, als mit ihm die Gewalt als Mittel der Politik zurückkehrte. Dadurch erwiesen sich Arendts Bücher, wie "Ursprung und Elemente totaler Herrschaft" oder "Über die Revolution", als nach wie vor gültig. Wenn man die Freiheit als das Ziel der Politik und die Abwehr ihrer Gefährdungen nicht aus den Augen verlieren wolle, bleibe uns die Aufgabe, aus ihrem Denken heraus die für dieses Jahrhundert passenden Anwendungen zu gestalten.
Ausgehend von Hegels berühmter Sentenz über das Verhältnis von "wirklich" und "vernünftig" untersucht Prof. Dr. Jürgen Daviter in seinem Beitrag "Zu Hegels Vorstellung von Vernunft in Natur und Gesellschaft", ob Hegels Philosophie etwas zum erkenntnistheoretischen Nutzen der Gegenwart beitragen könne. Dazu beleuchtet er zuerst Hegels Begriff des Wirklichen, verweist auf dessen Naturbegriff und dessen Staats- oder Vernunftbegriff, die alle auf eine Vorstellung vom Wirken Gottes zurückgingen. Durch diesen Rückschritt hinter Kant entwickle der Philosoph eine Begriffsmetaphysik, die kein erkenntnistheoretisches Problem löse, eine reine Glaubenssache sei und trotzdem immer noch Eindruck mache.
Mit antivernünftigen Tendenzen der Gegenwart beschäftigt sich Dr. Christian Zeller in "Auf dem Weg zum autoritären Humanismus – Erklärung und Kritik postmoderner Identitätspolitik". Er versucht zu klären, wie aus dem liberalen und aufgeklärten Grundimpetus in Richtung auf gleiche Freiheiten für alle eine Identitätspolitik entstehen konnte, die in Denk- und Sprechverboten endet. Dazu zeigt er zuerst die historische Entwicklung der Umsetzung dieses Impetus auf, dann erläutert er das postmoderne Weltbild, besonders dessen Wissenschaftsfeindlichkeit bei gleichzeitigem Anspruch, Grundlage für Normen zu sein. Dann legt er dar, wie dies durch die ungeduldige, sensible und sozial vernetzte Generation Z in die Gesellschaft diffundiere – und welche negativen Folgen dies für unsere politische Ausrichtung haben könne.
Unter dem etwas sperrigen Titel "Physikalismus und Geist – ein Streifzug durch die Problemgeschichte – Teil 1" stellt Reinhard Fiedler die durch die Jahrhunderte erfolgten Versuche dar, die Entstehung und das Wesen von "Geist" rational zu erklären. Ausgehend von Descartes' Substanzdualismus und der zeitgenössischen Kritik daran, über Lockes und Leibniz' Erklärungen reicht der erste Abschnitt bis hin zu Kant. Kapitel zwei befasst sich mit der Materialismusdebatte im 19. Jahrhundert, als der naturwissenschaftliche Fortschritt zu einem physiologischen Materialismus führte, der aber breite Kritik hervorrief. Welche Lösungen für das Problem im 20. Jahrhundert und bis heute Furore machten, beflügelt vom wissenschaftlichen Fortschritt und dem Ziel, naturwissenschaftliche Abstraktionen auf alle Wissenschaften anzuwenden, zeigt der Autor an eindrucksvollen Beispielen und benennt die offenen Probleme.
In seinem Artikel "Etwas über Ästhetik" beleuchtet Prof. Dr. Harald Seubert einige wesentliche Kernpunkte der Bedeutung der Ästhetik im Laufe der Philosophiegeschichte. So beginnt er mit der Bedeutung des Schönen bei Platon, bei dem, im Unterschied zur modernen Auffassung, das Schöne mit dem Guten in Verbindung stehe, noch nicht mit "Kunst". Mit Aristoteles fange die Aufnahme der Ästhetik in den Bildungskanon an, und damit eine kulturtheoretische Konzeption des Schönen. Diesen Spuren wird dann nachgegangen über die Gotik, die Renaissance, Kant und die Romantik bis zur Moderne und den Ästhetiken des 20. Jahrhunderts (Lukacz, Adorno, Bloch). Mit einer Problematisierung der Gegenwart endet der "Rundgang".
Dr. Ludwig Coenen entwickelt in "Abraham als metaphorisches Sinnbild für Humanität. Zum heiklen Verhältnis von Religion und Moral im Christentum" sowohl eine Darstellung des Fortschritts der Moralphilosophie vom Neuen Testament bis zu Kant als auch eine Darstellung der christlicherseits immer wieder vorgebrachten Einwände, die sich zu Hindernissen der Umsetzung dieses Fortschritts auswachsen konnten. Dabei geht er von Winfried Schröders Buch "Radikale Moralkritik von den Sophisten bis Nietzsche" aus.
In seinem Artikel "Zur Anerkennungsökonomie" hat sich Frederick Herget zum Ziel gesetzt, eine sachgerechte Kapitalismuskritik zu entwerfen, die Schwachstellen sowohl linker als auch rechter naiver Kapitalismuskritik aufdeckt und außerdem die moralische Rechtfertigung des Kapitalismus, bezugnehmend auf den in A&K 1/2022 erschienenen Artikel von Prof. Pies, zurückweist. Demgegenüber untersucht der Autor die Tauglichkeit des Kapitalismus als eine ihren Zweck erfüllende Wirtschaftsordnung, führt die Anerkennung als notwendige, aber begrenzte Ressource ins Feld und zeigt neben (Fehl-)Entwicklungen der letzten Jahre auch mögliche Lösungsansätze.
Das FORUM eröffnet Dr. Christian Hugo Hoffmann mit "Der Weg zu mehr Pragmatismus: Drei Gründe zum Überdenken des kruden Liberalismus", worin er drei Argumente gegen die libertäre Form des Liberalismus skizziert und diesen als unangemessen für Menschen und komplexe moderne Staaten und Gesellschaften kritisiert.
In seinem Beitrag "Zurück zur Phronesis – digitale Transformation und Waste Land" empfiehlt Prof. Dr. Hans Gutbrod eine Rückbesinnung auf Aristoteles, um von dessen Ethik aus in einer Welt ohne Zentralperspektive zu einer verantwortungsvollen Machbarkeit zu kommen.
Dr. Jürgen Lambrecht erläutert in seinem Artikel "Vom schwierigen Umgang mit Systemen" zuerst die Entwicklung der Systemtheorie, beschreibt anschließend darin enthaltene Strukturen und stellt dar, wie eine genaue Kenntnis und Beachtung von Grenzen und Strukturierungen von Systemen für eine verbesserte Kommunikation in Politik und Gesellschaft wichtig wären.
Bezugnehmend auf den Artikel von Prof. Heuermann in A&K 2/2022 setzt sich Dr. Hans-Joachim Niemann in "Der Tod der Wahrheit: Die böse Saat ist aufgegangen" nochmals mit dem Wahrheitsverlust der Gegenwart auseinander und beleuchtet ausführlich die Rolle von Horkheimers und Adornos Dialektik der Aufklärung dabei.
In "Corona – Wahn oder Wissenschaft? Plädoyer für Vernunft" diskutiert Dr. Steffen M. Diebold anhand gesicherter Fakten Reizthemen im Pandemiezusammenhang, beleuchtet die ergriffenen Maßnahmen im Hinblick auf ihre wissenschaftliche Fundierung und bietet einen Überblick über weit verbreitete irrationale Verhaltensweisen im Umfeld von "Gesundheit".
Prof. Dr. Anton Grabner-Haider hat seinen Beitrag "Denken im Widerstand. Gegen Fake News und neue Ideologien" dem 2009 verstorbenen Kulturphilosophen Ota Weinberger gewidmet, der durch seinen Ansatz der interkulturellen Philosophie die Werte der Vernunft, der Demokratie und der Verständigung gestärkt habe.
Ausgehend vom Topos des Übermenschen als Ausdruck der menschlichen Sehnsucht nach Stärke und Unbesiegbarkeit zeigt Dr. Jutta Georg in "Das Phantom Übermensch – Philosophische Reflexionen" verschiedene Metaphern dafür auf, um sich dann darstellend und wertend ausführlich mit Nietzsches Aussagen dazu zu befassen.
In seinem Text "Arthur Schopenhauer und Dante Alighieri" zeigt Ernst Ziegler die vielfachen Bezüge des Philosophen, die dieser in seinen Vorlesungen und Werken zu dem italienischen Dichter hergestellt hat, auf und weist die Veränderung von dessen Wertung im Laufe seines Schaffens nach.
Die beiden folgenden Texte, "Kosmische Weihnacht. Neue Sinngebung für einen konkreten Mythos" von Prof. Dr. Hubertus Mynarek und "O du fröhliche" von Helmut Fink, befassen sich auf unterschiedliche Weise mit dem Thema "Weihnachten".
Als Übergang zu den Rezensionen folgen noch zwei Artikel, die gleichzeitig ausführliche Rezensionen sind.
Zunächst setzt sich Prof. Dr. Hermann Josef Schmidt in "Jakob Burckhardt – der heimliche Adressat? – Nietzsche, Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben, 1874" mit dem entsprechenden Band des Nietzsche-Kommentars umfassend und lobend auseinander und bringt zusätzlich seine Einschätzung des Verhältnisses von Nietzsche zu Jacob Burckhardt mit ein.
Den Abschluss des FORUMs bilden Prof. Dr. Wulf Kellerwessels kritische Überlegungen zu "Giovanni Maio über schwerste Krankheiten und ärztlich assistierten Suizid", in denen er die Thesen des Autors zur Bewertung von Krankheitsverläufen und zur Bewertung von Patientenautonomie auf den Prüfstand stellt.
Eine Reihe von interessanten Rezensionen, die ein breites Themenspektrum abdecken, und einige vielleicht zum Nachdenken anregende Aphorismen runden diese Ausgabe ab.
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