Das aktuelle Heft von Aufklärung und Kritik (A&K), der umfangreichen Vierteljahreszeitschrift der Gesellschaft für Kritische Philosophie Nürnberg (GKP), ist erschienen. Die Redaktion hat dem hpd wieder das Vorwort zur Verfügung gestellt.
Eröffnet wird dieses Heft mit dem ersten Teil von Dr. Bruno Heidlbergers Artikel "Hannah Arendt – Eine Denkerin für das 21. Jahrhundert", in dem er die ungebrochene Aktualität der Analysen der Philosophin sichtbar macht. Dabei stellt er den Aufstieg des "neuen Faschismus", vor allem in Russland und den USA, in großen Linien dar, aber auch Versäumnisse der europäischen Politik, und bezieht darauf, so wie auf die jüngsten, erschreckenden Ereignisse in der Ukraine, schwerpunktmäßig Argumente Hannah Arendts, zum Beispiel aus "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft".
Auch der Beitrag von Dr. Gerhard Engel "Nietzsche als Realist. Anregungen für eine heuristisch akzentuierte Lektüre von Nietzsche-Texten" will dazu herausfordern, liebgewonnene Denkschemata aufzugeben, und die Welt und den Menschen realistisch auch aus anderen Perspektiven zu betrachten. Als Coach empfiehlt er dafür Nietzsche, dessen harte Analysen und oft "skandalöse" Metaphern, wie "Übermensch" oder "Sklavenmoral", meist in anderen Zusammenhängen erläutert würden und dadurch auch andere Bedeutungen bekämen.
Nachdem Prof. Dr. Hubert Kiesewetter im ersten Teil seines Aufsatzes "Hegel. Ein Philosoph des Machtstaats. Freie Gedanken zur Viewegschen Legende" Hegels Machttheorie als freiheitsfeindlich in Bezug auf individuelle Freiheit und das Strafrecht dargelegt hatte, beginnt der zweite Teil mit der "Weltgeschichtliche(n) Rechtfertigung von Angriffskriegen". Auch hier weist der Autor nach, dass durch die Verknüpfung von Weltgeist und Staat bei Hegel der Staat letztlich jeder Verantwortung für Bürger oder Frieden enthoben sei, und er zeigt an weiteren Beispielen, wie dies auch in der NS-Zeit genutzt wurde.
In seinem Text "Der doppelseitige Charakter der Börse. Marx und Engels über Börse und Aktienhandel" stellt Dr. Konrad Lotter die Diagnosen von Marx und Engels zu Börse und Aktienhandel dar, deren Wandlungen im Laufe der Zeit und deren mögliche Rolle innerhalb der Aufhebung des Kapitalismus. Dabei gelingt es ihm, sowohl Widersprüche der beiden Väter des Kommunismus in diesem Zusammenhang nachzuzeichnen, als auch die unveränderte Aktualität vieler ihrer Analysen dem Leser vor Augen zu führen.
Die ungebrochene Gültigkeit eines anderen Klassikers, nämlich Darwins, zeigt uns Prof. Dr. Eckart Voland in seinem Artikel "Hat Gott Naturgeschichte? Die Evolution der Religiosität". Ausgehend von der hauptsächlich biologischen Schwerpunktsetzung in der Darstellung der Evolutionstheorie, erinnert der Autor daran, dass auch das menschliche Verhalten und die zugehörigen psychischen und mentalen Eigenschaften als Mittel des struggle of life mit diesem Modell erklärbar sein müssen, wenn die Evolutionstheorie gültig sein will. Dazu möchte er einen Beitrag leisten mit der Untersuchung der Frage, wie Religion mit der menschlichen Natur zusammenhängt, und präsentiert dazu überraschende, aber einleuchtende Ergebnisse.
Auch Dr. Jürgen August Alt hat die Fruchtbarmachung der Evolutionstheorie in seinem Aufsatz "In Darwins Spuren. Tinbergens Vermächtnis, tiefe Theorien und eine kühne Vorausschau" zum Thema, allerdings mit anderem Fokus. Er stellt kurz den Verhaltensforscher Niko Tinbergen und dessen Forschungsansatz mit vier Grundfragen zur Erklärung tierischen Verhaltens vor. Im Folgenden wird anschaulich dargelegt, wie diese Grundfragen auf der Evolutionstheorie basieren und gleichzeitig interdisziplinäre Forschungen von Neurowissenschaften über Biologie und Genforschung bis hin zur Philosophie anstoßen.
Dafür, dass Reproduktion keine selbstverständliche, moralisch neutrale Handlung sei, sondern dass Elternschaft auch ethisch gerechtfertigt sein müsse, argumentieren Daniel Lucas und Prof. Dr. Martina Schmidhuber in ihrem Beitrag "Elternschaft als Privileg? Eine philosophische Perspektive". In diesem Zusammenhang begründen sie bewusste Kinderlosigkeit als moralisch neutrale Haltung, während sich Elternschaft immer am Kindswohl messen lassen müsse, und viel mehr getan werden müsse, um "möglichst viele schlechte Kindheiten zu verhindern."
Mit einer philosophiehistorischen Fragestellung befasst sich Dr. Ludwig Coenen in "War Friedrich der Große ein Atheist? Zum Verhältnis von Atheismus und Deismus im Zeitalter der Aufklärung". Der Autor zeichnet die Entwicklungen des Deismus hauptsächlich im 18. Jahrhundert nach, an Moses Mendelssohn und J.J. Spalding. Von der davon ausgehenden Toleranzdiskussion kommt er zu Friedrich II. und seinen französischen Philosophengästen (Voltaire, La Mettrie, Helvetius) und deren Stellung zur Religion, um schließlich des Preußenkönigs eigene Haltung mit Briefen und Erlassen gut nachvollziehbar darzustellen.
Mit einer anderen Sicht auf Atheismus, nämlich aus religionsphilosophischer Perspektive, setzt sich Dr. Matthias Mindach in seinem Artikel "Schröders Atheismus" auseinander. Darin erläutert er die von Winfried Schröder 2021 in dessen Buch "Atheismus. Fünf Einwände und eine Frage" aufgestellten Begründungen und Verteidigungsstrategien für Atheismus, kritisiert und ergänzt sie.
Dr. Jutta Georg befasst sich in ihrem Aufsatz "Abschied-Nehmen – Leitmelodie der Existenz" mit einer philosophisch wenig beachteten Grundkonstante im menschlichen Leben, dem Abschied. Thanatologien aus verschiedenen philosophischen Schulen und weitere überlieferte Auseinandersetzungen mit Sterben lernen und Abschiednehmen bewertet die Autorin als unzureichend für ihre Fragestellung, findet aber letztlich in Nietzsches tragischer Lebensbejahung eine Möglichkeit eines praxisphilosophischen Ansatzes zum Umgang damit.
Der Artikel "Ist der Gavagai zum Quaddieren disponiert?" von Dr. Christian Hugo Hoffmann ist eine Darlegung sprachanalytischer Problemstellungen, bezogen auf die analytischen Philosophen W.V. Quine und Saul Kripke. Dabei steht die Frage im Vordergrund, ob und wenn ja wie Übersetzung im Sinne von Bedeutungserschließung überhaupt möglich sei. Von deren Lösung hängen die unterschiedlichen Stellungnahmen der beiden Philosophen zum Problem Sprache und Kommunikation ab, wie der Autor zeigt.
Auch im FORUM finden sich hochinteressante Beiträge. So unternimmt es Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber, in "Die politische Ideologie der Neuen Rechten in kritischer Prüfung" am Beispiel zweier prominenter Vertreter dieser Bewegung über deren Organisationsstrukturen, Vorbilder und Auffassungen aufzuklären. In seinem Beitrag "Eine kurze Reflexion zur Aktualität des 'Projekts Aufklärung'" würdigt Prof. Dr. Rudolf Lüthe die Anstrengungen von A&K und Helmut Walther, an diesem Projekt unermüdlich mitzuarbeiten, und skizziert Erscheinungsformen und Argumentationen der Gegenaufklärung. Helmut Walther stellt mit seiner ausführlichen Rezension die soeben erstmalig erschienene Ausgabe des Originaltextes "Die Nietzsche-Vorlesungen von Georg Brandes 1888" vor und zeigt damit die beginnende Öffentlichkeitswirksamkeit Nietzsches auf. In seinem Artikel "Schwund der Wahrheit – die Erosion eines philosophischen Begriffs" umreißt Prof. Dr. Hartmut Heuermann historische und wissenschaftliche Entwicklungen und Probleme des Wahrheitsbegriffs, um dann die gegenwärtige Erosion desselben in Politik und Medien einschließlich der gesellschaftlichen Folgen zu skizzieren. Dr. Jürgen Lambrecht widerlegt in "Warum es die Welt doch gibt" mit Hilfe von Dialektik und moderner Systemtheorie die Theorie des Philosophen Markus Gabriel, der zu dem logischen Schluss kommt, die Welt existiere nicht. In seinem Aufsatz "Veganismus als Konsequenz der Leidensfähigkeit" begründet Dr. Sigbert Gebert den Verzicht auf Fleischkonsum als eigentlich moralisch geboten. Geschichte, Gegenwart und mögliche Zukunft der Parias in Indien skizziert Gopal Kripalani in seinem Artikel "Diskriminierungs- und Hassobjekt Parias". Der streitbare Kirchenkritiker Prof. Dr. Hubertus Mynarek gibt in "Das Idol Drewermann – Retter oder Totengräber der Kirche?" einen Abriss von Drewermanns wechselvoller Bedeutung für die katholische Kirche. Eine mit Bedauern festgestellte Lücke in der Philosophie möchte Jörn Sack mit seinem Text "Zum Krieg als Gegenstand der Philosophie" wenigstens ansatzweise schließen, indem er wesentliche philosophische Äußerungen dazu zusammenfasst und das Werk von Carl von Clausewitz als beispielhaften Ansatz vorstellt. Ulrike Ackermann-Hajek gibt in ihrem Bericht vom diesjährigen Symposium mit dem Titel "Lucius Annaeus Seneca – Philosoph zwischen Geist und Macht" einen Überblick über Inhalte und Schwerpunkte der Veranstaltung. Das FORUM wird abgeschlossen durch Prof. Dr. Thomas Rießingers umfangreiche Rezension von "Karl R. Poppers Objektive Erkenntnistheorie – Herausgabe des letzten Bandes seiner GW durch H.J. Niemann". Darin wird anschaulich erläutert, welche Schwerpunkte in diesem Band mit dem Titel "Objektive Erkenntnis" behandelt werden, und inwiefern er gleichzeitig eine "Theorie des objektiven Wissens" enthalte, wie die Folgerungen des Herausgebers H.J. Niemann zeigen.
Eine beträchtliche Anzahl von Rezensionen bringt ein breites Spektrum philosophischer Fragestellungen. Eine literarisch gestaltete Seite, Leserbriefe und die Terminübersicht schließen diesen Band ab.
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