Hat sich ein FAZ-Redakteur gegen das Grundgesetz positioniert?

Drunter, drüber und daneben

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Jesus oder Donald, wer ist mein Gott? Oder gehe ich an allen Fiktionen achselzuckend vorbei.

Riesenaufregung bei Twitter: Will FAZ-Mann Patrick Bahners die Bibel über das Grundgesetz stellen?

"Die Einbildung, ein von Menschen gemachtes Gesetz müsse über den heiligen Büchern der Religionen stehen, ist der wahre Fanatismus."

Mit dieser trockenen Ansage hat der langjährige FAZ-Feuilletonleiter Patrick Bahners jüngst einigen Wirbel auf Twitter erzeugt. Eine Flut von Antworten war ihm sicher:

"Sie scheinen ja noch im Mittelalter zu stecken!" - "Das ist wirklich das Dümmste, was ich seit langem gelesen habe." - "Was bist denn du für ein religiöser Spinner?" - "Lösch dich" - "Ich sags gerne direkt, wenn Sie irgendwelchen Bronzezeit Aberglauben über das GG packen dann begatten Sie gefälligst Ihr Knie." - "Zu viel getrunken? Zum ersten mal ein joint geraucht?"

Dass der Tweet eine Welle von Gegenrede erzeugen würde, wird Bahners schon beim Schreiben vermutet haben. Indem er den Begriff des Fanatismus den Religiösen wegnahm und ihn den Laizisten unterschob, versuchte er die maximale Provokation – was er später dann, als der Gegenwind gar zu gruselig heulte, als Ironie dekodierte, eine Ironie offensichtlich, die von der Polemik schwer zu unterscheiden ist. Die Angriffe, die da kamen, waren schlicht und Bahners hüpfte zumeist leichtfüßig um die Geschosse herum, da sie ihm als wenig satisfaktionsfähig erschienen, wenig Anlass also zur eleganten Parade boten.

Erst auf einigermaßen gesittete Nachfragen ließ er sich dann herab, seinen zunächst archaisch erscheinenden Standpunkt klarzustellen. Wer ihn nicht sofort disste und ins Mittelalter abschob, sondern mit Verständnisfragen kam, durfte durchaus mit nachvollziehbaren Antworten rechnen. Exemplarische Fiktionen entlockten dem Intellektuellen im Wrack seiner schiffbrüchigen Ironie ein paar klare Aussagen.

"Okay, und bei Konflikten gilt dann welches Recht? Versuche Ihren Standpunkt zu verstehen." - "Vor weltlichem Gericht gilt weltliches Recht. Kann inhaltlich mehr oder weniger religionsfreundlich sein."

"und wenn gesetzeinhaltung wider den glauben waere?" - "Ginge der Gläubige für seine Überzeugung ins Gefängnis - und säte vielleicht im säkularen Publikum Zweifel an der Vernunft des Gesetzes."

"Sagen Sie so einen Käse auch, wenn Sie mal vor Gericht stehen? Wollen Sie hier ernsthaft dem GG seine übergeordnete Gültigkeit absprechen?" - "Das Grundgesetz ist einfachen Gesetzen, Verordnungen, Parlamentsbeschlüssen übergeordnet, aber nicht heiligen Schriften (oder Romanen)."

Oder Romanen. An dieser Stelle hat Bahners seinen Punkt vielleicht am deutlichsten gemacht: Das Grundgesetz mit religiösem Schrifttum in eine hierarchische Beziehung zu setzen, ergibt überhaupt keinen Sinn. Das Grundgesetz steht nicht über, unter oder neben den so genannt heiligen Büchern (oder anderen Fiktionen). So wie die Straßenverkehrsordnung nicht darüber bestimmt, ob du gelbe Rennräder lieber magst oder rote mit Bonanzalenker. Das einzige, was Bahners angreift, ist eine schiefe Floskel. Das Grundgesetz stehe über den besagten Büchern.

Natürlich tut es das nicht. Das Grundgesetz regelt die Grundlagen unseres hoffentlich demokratischen, freiheitlichen und toleranten Zusammenlebens, deswegen heißt es auch so. Es steht nirgends drüber, es ist die Grundlage von allem. Vielleicht ist es auch ein Erbe des gottverdammten, mit Blutvergießen und Gewalt durchgesetzten Monotheismus, dass wir so von hierarchischem Denken versaut sind: Bevor der Gott kam und mit furchtbarsten Gewaltandrohungen alle anderen Götter auslöschte, war Toleranz auch im Glauben verankert, da sämtliche verfügbaren Gottheiten einander relativierten. Der Monogott hingegen ist der Gott der absoluten Weisungsbefugnis, er ist derjenige, der uns das strenge hierarchische Denken lehrt, das Hinnehmen und Nichthinterfragen von Befehlen und gegebenen Strukturen - welches in sich antidemokratisch und antifreiheitlich ist.

Bahners ist in dem Punkt, den er machen möchte, beizupflichten, auch wenn es ein billiger Punkt ist: Ja, natürlich steht das Grundgesetz in keinem hierarchischen Verhältnis zu Bibel, Koran und "Feuchtgebiete". Worum es eigentlich geht, an dieser Frage springt er dabei elegant vorbei: Inwiefern stellen Religionen in ihrer Struktur und ihrem ideologischen Inhalt eine Bedrohung für unsere Freiheit dar, inwieweit sind wir als aufgeklärte Gesellschaft gehalten, jeden bronzezeitlichen Okkultismus zu tolerieren? Soll es zulässig sein, Kindern ein Schuldgefühl gegenüber einer ausgedachten allwissenden Instanz einzuimpfen? Soll man aus so genannten Glaubensgründen an ihren Körpern herumschneiden dürfen? Soll Kirche über das Arbeitsrecht erhaben sein? Sollen Frauen für bestimmte Posten nicht in Frage kommen, weil sie in einem alten Buch als minderwertig dargestellt werden?

An all diesen Fragen hat Bahners sich vorbeigemogelt, indem er einfach ein weiteres Mal das Sonderrecht der anderen, der sakralen Fantasiewelt herausarbeitete: Mein Gott kann etwas anderes verlangen als das Grundgesetz und seine nachgeordneten Gesetze gebieten. Dann besteht ein Konflikt. In dem entscheide ich dann selbst, bin also letzten Endes über das Grundgesetz erhaben: Im Extremfall darf ich meine Kinder prügeln oder willkürlich Leute mit dem Laster totfahren, nur gehe ich dann halt dafür ins Gefängnis. Die Einführung und Akzeptanz einer zweiten Rechtsebene bedeutet, dass die Ebene der Menschenrechte relativierbar wird, und hier stehen wir vor dem ewigen Hauptproblem unserer Zeit: Inwieweit müssen wir kämpfen, um unsere Grundrechte zu verteidigen? Schafft Toleranz, konsequent durchgezogen, sich am Ende selber ab? Die Ungerechtigkeit besteht hier darin, dass Menschen, die frei von Gottesideen leben, dadurch auch alle Sonderrechte verwirkt haben. Wer sich einen Gott sucht, kann sich über den Konsens erheben.

Nebenbei hat Bahners ein weiteres Problem durch einseitige Beleuchtung ebenfalls aus der Welt geschafft: die wenig nachvollziehbare Verquickung von Kirche und Staat in diesem Land. An einer Stelle im Thread sagt er: "Das Land der Religionsfreiheit = des Verzichts auf staatliche Antworten auf religiöse Fragen ist die Bundesrepublik Deutschland." Hier scheint also noch einmal auf, was ihm Sorge bereitet: Die Gläubigen könnten von den Religionsfreien geknebelt und unterdrückt werden. Was er dabei verschweigt, ist die Umkehrung seiner Frage: Wie ist es denn um religiöse Antworten auf staatliche Fragen bestellt? Etwa erleben wir es bis heute, dass der Staat in den Feierstunden, da er seiner Grundlagen gedenken sollte – stattdessen beten geht. Gerade erst wieder so geschehen am 3. Oktober, der in einer Kirche pompös durchzelebriert wurde. Warum?

Warum muss man sich in einem Land, in dem, grob gerechnet, die Hälfte der Menschen als Christen eingetragen sind, und noch viel weniger ernsthaft an einen Gott glauben, warum muss man sich da unter die Fittiche des Großlobbyisten Kirche begeben, wenn es unsere Werte, die der Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit, zu feiern gilt? Nicht einmal in einem Land voller Gläubiger wäre das ein schlüssiger Akt. Denn, wie Bahners richtig sagt, der Staat hat seine eigenen Gesetze, er hat seine eigenen Werte. Er sollte sich darauf besinnen, wie er diese zu feiern gedenkt. Vieles spricht dafür, dass nicht nur die Kirche als Ort falsch ist, sondern überhaupt die ganze patriarchale Heiligtuerei, die allen Religionen anhaftet. Ein fröhliches, buntes Fest, mit Musik, mit Verbrüderung, mit Gesang, freie Menschen unter einem freien Himmel - das stünde uns wohl besser zu Gesicht als der verklemmte Muff der Robenträger und der gespielte Ernst der so genannten Honoratioren. Aber das nur am Rande.