Riesenaufregung bei Twitter: Will FAZ-Mann Patrick Bahners die Bibel über das Grundgesetz stellen?
"Die Einbildung, ein von Menschen gemachtes Gesetz müsse über den heiligen Büchern der Religionen stehen, ist der wahre Fanatismus."
Die Einbildung, ein von Menschen gemachtes Gesetz müsse über den heiligen Büchern der Religionen stehen, ist der wahre Fanatismus. https://t.co/ra6cbLJREz
— Patrick Bahners (@PBahners) 15. Oktober 2017
Mit dieser trockenen Ansage hat der langjährige FAZ-Feuilletonleiter Patrick Bahners jüngst einigen Wirbel auf Twitter erzeugt. Eine Flut von Antworten war ihm sicher:
"Sie scheinen ja noch im Mittelalter zu stecken!" - "Das ist wirklich das Dümmste, was ich seit langem gelesen habe." - "Was bist denn du für ein religiöser Spinner?" - "Lösch dich" - "Ich sags gerne direkt, wenn Sie irgendwelchen Bronzezeit Aberglauben über das GG packen dann begatten Sie gefälligst Ihr Knie." - "Zu viel getrunken? Zum ersten mal ein joint geraucht?"
Dass der Tweet eine Welle von Gegenrede erzeugen würde, wird Bahners schon beim Schreiben vermutet haben. Indem er den Begriff des Fanatismus den Religiösen wegnahm und ihn den Laizisten unterschob, versuchte er die maximale Provokation – was er später dann, als der Gegenwind gar zu gruselig heulte, als Ironie dekodierte, eine Ironie offensichtlich, die von der Polemik schwer zu unterscheiden ist. Die Angriffe, die da kamen, waren schlicht und Bahners hüpfte zumeist leichtfüßig um die Geschosse herum, da sie ihm als wenig satisfaktionsfähig erschienen, wenig Anlass also zur eleganten Parade boten.
Erst auf einigermaßen gesittete Nachfragen ließ er sich dann herab, seinen zunächst archaisch erscheinenden Standpunkt klarzustellen. Wer ihn nicht sofort disste und ins Mittelalter abschob, sondern mit Verständnisfragen kam, durfte durchaus mit nachvollziehbaren Antworten rechnen. Exemplarische Fiktionen entlockten dem Intellektuellen im Wrack seiner schiffbrüchigen Ironie ein paar klare Aussagen.
"Okay, und bei Konflikten gilt dann welches Recht? Versuche Ihren Standpunkt zu verstehen." - "Vor weltlichem Gericht gilt weltliches Recht. Kann inhaltlich mehr oder weniger religionsfreundlich sein."
"und wenn gesetzeinhaltung wider den glauben waere?" - "Ginge der Gläubige für seine Überzeugung ins Gefängnis - und säte vielleicht im säkularen Publikum Zweifel an der Vernunft des Gesetzes."
"Sagen Sie so einen Käse auch, wenn Sie mal vor Gericht stehen? Wollen Sie hier ernsthaft dem GG seine übergeordnete Gültigkeit absprechen?" - "Das Grundgesetz ist einfachen Gesetzen, Verordnungen, Parlamentsbeschlüssen übergeordnet, aber nicht heiligen Schriften (oder Romanen)."
Oder Romanen. An dieser Stelle hat Bahners seinen Punkt vielleicht am deutlichsten gemacht: Das Grundgesetz mit religiösem Schrifttum in eine hierarchische Beziehung zu setzen, ergibt überhaupt keinen Sinn. Das Grundgesetz steht nicht über, unter oder neben den so genannt heiligen Büchern (oder anderen Fiktionen). So wie die Straßenverkehrsordnung nicht darüber bestimmt, ob du gelbe Rennräder lieber magst oder rote mit Bonanzalenker. Das einzige, was Bahners angreift, ist eine schiefe Floskel. Das Grundgesetz stehe über den besagten Büchern.
Natürlich tut es das nicht. Das Grundgesetz regelt die Grundlagen unseres hoffentlich demokratischen, freiheitlichen und toleranten Zusammenlebens, deswegen heißt es auch so. Es steht nirgends drüber, es ist die Grundlage von allem. Vielleicht ist es auch ein Erbe des gottverdammten, mit Blutvergießen und Gewalt durchgesetzten Monotheismus, dass wir so von hierarchischem Denken versaut sind: Bevor der Gott kam und mit furchtbarsten Gewaltandrohungen alle anderen Götter auslöschte, war Toleranz auch im Glauben verankert, da sämtliche verfügbaren Gottheiten einander relativierten. Der Monogott hingegen ist der Gott der absoluten Weisungsbefugnis, er ist derjenige, der uns das strenge hierarchische Denken lehrt, das Hinnehmen und Nichthinterfragen von Befehlen und gegebenen Strukturen - welches in sich antidemokratisch und antifreiheitlich ist.
Bahners ist in dem Punkt, den er machen möchte, beizupflichten, auch wenn es ein billiger Punkt ist: Ja, natürlich steht das Grundgesetz in keinem hierarchischen Verhältnis zu Bibel, Koran und "Feuchtgebiete". Worum es eigentlich geht, an dieser Frage springt er dabei elegant vorbei: Inwiefern stellen Religionen in ihrer Struktur und ihrem ideologischen Inhalt eine Bedrohung für unsere Freiheit dar, inwieweit sind wir als aufgeklärte Gesellschaft gehalten, jeden bronzezeitlichen Okkultismus zu tolerieren? Soll es zulässig sein, Kindern ein Schuldgefühl gegenüber einer ausgedachten allwissenden Instanz einzuimpfen? Soll man aus so genannten Glaubensgründen an ihren Körpern herumschneiden dürfen? Soll Kirche über das Arbeitsrecht erhaben sein? Sollen Frauen für bestimmte Posten nicht in Frage kommen, weil sie in einem alten Buch als minderwertig dargestellt werden?
An all diesen Fragen hat Bahners sich vorbeigemogelt, indem er einfach ein weiteres Mal das Sonderrecht der anderen, der sakralen Fantasiewelt herausarbeitete: Mein Gott kann etwas anderes verlangen als das Grundgesetz und seine nachgeordneten Gesetze gebieten. Dann besteht ein Konflikt. In dem entscheide ich dann selbst, bin also letzten Endes über das Grundgesetz erhaben: Im Extremfall darf ich meine Kinder prügeln oder willkürlich Leute mit dem Laster totfahren, nur gehe ich dann halt dafür ins Gefängnis. Die Einführung und Akzeptanz einer zweiten Rechtsebene bedeutet, dass die Ebene der Menschenrechte relativierbar wird, und hier stehen wir vor dem ewigen Hauptproblem unserer Zeit: Inwieweit müssen wir kämpfen, um unsere Grundrechte zu verteidigen? Schafft Toleranz, konsequent durchgezogen, sich am Ende selber ab? Die Ungerechtigkeit besteht hier darin, dass Menschen, die frei von Gottesideen leben, dadurch auch alle Sonderrechte verwirkt haben. Wer sich einen Gott sucht, kann sich über den Konsens erheben.
Nebenbei hat Bahners ein weiteres Problem durch einseitige Beleuchtung ebenfalls aus der Welt geschafft: die wenig nachvollziehbare Verquickung von Kirche und Staat in diesem Land. An einer Stelle im Thread sagt er: "Das Land der Religionsfreiheit = des Verzichts auf staatliche Antworten auf religiöse Fragen ist die Bundesrepublik Deutschland." Hier scheint also noch einmal auf, was ihm Sorge bereitet: Die Gläubigen könnten von den Religionsfreien geknebelt und unterdrückt werden. Was er dabei verschweigt, ist die Umkehrung seiner Frage: Wie ist es denn um religiöse Antworten auf staatliche Fragen bestellt? Etwa erleben wir es bis heute, dass der Staat in den Feierstunden, da er seiner Grundlagen gedenken sollte – stattdessen beten geht. Gerade erst wieder so geschehen am 3. Oktober, der in einer Kirche pompös durchzelebriert wurde. Warum?
Warum muss man sich in einem Land, in dem, grob gerechnet, die Hälfte der Menschen als Christen eingetragen sind, und noch viel weniger ernsthaft an einen Gott glauben, warum muss man sich da unter die Fittiche des Großlobbyisten Kirche begeben, wenn es unsere Werte, die der Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit, zu feiern gilt? Nicht einmal in einem Land voller Gläubiger wäre das ein schlüssiger Akt. Denn, wie Bahners richtig sagt, der Staat hat seine eigenen Gesetze, er hat seine eigenen Werte. Er sollte sich darauf besinnen, wie er diese zu feiern gedenkt. Vieles spricht dafür, dass nicht nur die Kirche als Ort falsch ist, sondern überhaupt die ganze patriarchale Heiligtuerei, die allen Religionen anhaftet. Ein fröhliches, buntes Fest, mit Musik, mit Verbrüderung, mit Gesang, freie Menschen unter einem freien Himmel - das stünde uns wohl besser zu Gesicht als der verklemmte Muff der Robenträger und der gespielte Ernst der so genannten Honoratioren. Aber das nur am Rande.
21 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Der muss noch nicht einmal gedisst werden. Das ist einfach ein weiterer Versuch der religiotischen Reconquista, der zum Scheitern verurteilt ist.
wolfgang von Sulecki am Permanenter Link
Von hinten durch die Faust ins Auge ...?
Wenn der tweet [von Bahners] so gemeint gewesen ist wie es hier jetzt dargestellt wird war es mindestens eine irreführende, verwirrende Art das auszudrücken.
Gleichwohl:
Dagegen sprechen die sonstigen, früheren Einlassungen & Veröffentlichungen des Herrn Bahners sowie seine Verbindungen & Mitgliedschaften. Ähnlich weltfremde Argumente waren zu Religionen und deren Absichten bzw. Ansprüchen schon früher von ihm zu lesen - und da wollen Sie hier eine "Reinwaschung" vornehmen?
Ätsch, alles nicht so gemeint wie es geschrieben ist?
Solche Denkkapriolen wie in diesem Artikel haben nur den einen Fehler:
Sie interpretieren etwas in die Aussagen hinein .... und wie Ingeborg Bachmann einmal zu Interpretationen äußerte *" .. wenn ich beim schreiben soviel denken würde wie es in meine Gedichte hinein interpretiert wird hätte ich nicht ein Einziges zustande gebracht .. "*
little Louis am Permanenter Link
Zu folgendem Textabschnitt:
Merkwürdig: Erklärt ein Reichsbürger, er habe aufgrund seines Glaubens an die fortbestehende Macht einer historischen deutschen Nation(was fast dem Gottesbezug entspricht) ein Sonderrecht zur Beurteilung bundesrepublikanisch- staatlichen Handelns-
- dann wird ihmr wegen des Verdachts auf verfassungsfeindliches Gedankengut fast schon mit Überprüfung durch die VS- Behörden gedroht.
Beschäftigt sich aber ein FAZ- Journalist mit Gedankenspielen zur eventuellen Höherrangigkeit von Religionsgrundsätzen oder von Kirchendogmen gegenüber dem GG
scheint das demokratietheoretisch völlig unverdächtig und unverfänglich zu sein.
Welch ungeheure Verführung für konservative Muslime, sich zu einem liberalen und grundgesetzkonformen"Euroislam" zu bekennen! Ich seh den Ansturm der Islamreformatoren schon auf uns zukommen.Ob diese dann auf den Widerstand von FAZ- Journalisten treffen?
Aber halt . Vielleicht war alles (im Nachhinein) ja nur ironisch gemeint (
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Das Grundgesetz darf nie die höchste Norm für das Handeln eines Menschen sein.
Auch die Menschenrechtserklärung darf nie die höchste Norm für das Handeln eines Menschen sein.
Die höchste Norm für das menschliche Handeln hat immer das Gewissen des einzelnen Menschen zu sein.
Wenn ein Mensch meint, dass sein Gewissen ihn zwinge, die gerade hier und jetzt gültigen Gesetze zu brechen, dann darf man ihm also keinen moralischen Vorwurf machen, wenn er Gesetze bricht.
Dasselbe gilt, wenn das Gewissen eines Menschen mit kirchlichen Gesetzen kollidiert.
Allerdings darf dieser Mensch sich auch nicht wundern, wenn er danach bestraft oder des Landes verwiesen bzw. aus der Kirche ausgeschlossen wird.
Jede Weltanschauung hat ihre Helden, die gerade dafür geehrt werden, dass sie gegen staatliche oder sonstige Widerstände ihrem Gewissen treu geblieben sind. Das ist bei Humanisten genauso wie bei Katholiken oder Sozialisten. Fast alle Menschen erkennen an, dass der Widerstand gegen ungerechte Gesetze eine gute Tat ist. Unterschiedlich ist nur die Ansicht darüber, welche Gesetze ungerecht sind.
Wenn das Gewissen sich an der Bibel oder am Koran orientiert - ja, dann steht eben bei diesem Menschen die Bibel oder der Koran über dem Grundgesetz. Das ist ganz normal. Wir haben schließlich Gewissensfreiheit.
Abnormal wird es erst, wenn der betreffende Mensch meint, dass jetzt der Staat sein Gesetz ändern müsse. Das muss der Staat natürlich nicht. Im Gegenteil: Dieser Mensch muss entweder auswandern oder eine Strafe in Kauf nehmen. So, wie das viele Reformer oder Revolutionäre bereits getan haben.
Ob so ein Mensch jetzt ein Reformer ist oder ein subversives Element; ein Widerstandskämpfer oder ein Aufrührer; ein Aktivist oder ein Krimineller - das liegt zum Gutteil daran, ob man seine Meinungen teilt oder nicht.
Prinzipiell jeden Menschen moralisch zu verurteilen, der das gerade bei ihm gültige Grundgesetz nicht beachtet - das halte ich für reichlich kurzsichtig. Und für äußerst unfair den Menschen gegenüber, deren Widerstand gegen Unrechtsregime wir viel zu verdanken haben.
Und das derzeitige Grundgesetz für der Weisheit letzten Schluss zu halten, ist wohl auch etwas naiv.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Und das derzeitige Grundgesetz für der Weisheit letzten Schluss zu halten, ist wohl auch etwas naiv."
Ein evolutionärer Humanist wird das sicher nie tun. Allerdings nur bezogen auf das DERZEITIGE GG. Die Idee eines von Menschen entwickelten Grundgesetzes wird er jedoch vermutlich (zumindest ich sehe dies so) als unumstößlich ansehen. Dies muss aber fortlaufend an neue Erkenntnisse über unser Zusammenleben angepasst werden.
Dagegen stellen Sie folgendes Konzept: "Wenn das Gewissen sich an der Bibel oder am Koran orientiert - ja, dann steht eben bei diesem Menschen die Bibel oder der Koran über dem Grundgesetz. Das ist ganz normal. Wir haben schließlich Gewissensfreiheit."
Da sich Bibel und Koran selbst als der Weisheit letzten Schluss definieren, suggerieren sie deren Lesern und Anhängern, dass diese "Weisheiten" gar nicht verändert werden dürfen. Die Exegese lasse ich hier nicht als "Weiterentwicklung" im evolutionären Sinne gelten, weil Exegese zum einen nur Fachleuten verständlich ist und zum anderen extrem beliebig, weil personenbezogen. Es gibt keine verbindliche Exegese.
Aus diesem Widerspruch - zu veränderndes GG vs. ewige Wahrheiten - leiten gläubige Menschen eben genau das ab, was Sie als "normal" bezeichnen und mit der Gewissenfreiheit begründen. Dabei gestatten gerade die Monotheismen ihren Anhängern keine Gewissensfreiheit, sonst bräuchten sie ja nicht mit Moral zu argumentieren, sondern könnten ethische Leitlinien vorstellen.
"Abnormal wird es erst, wenn der betreffende Mensch meint, dass jetzt der Staat sein Gesetz ändern müsse."
Genau dies fordern doch die Monotheismen. In jedem säkularen Staat fordern und erhalten sie Privilegien, die ihren moralischen Grundsätzen entsprechen.
Bleiben wir mal beim deutschen Christentum: Hier gibt es den "3. Weg" im Arbeitsrecht, der es kirchlichen Konzernen gestattet, ihre Mitarbeiter nach moralischen Vorstellungen, die weit ins Private reichen (Ehe, Sexualität etc.), zu beurteilen - mit existenziellen Folgen. Auch das Eintreiben von Mitgliederbeiträgen durch den Staat, staatliche Subventionen für Vereinstreffen oder Feierlichkeiten für einen Antisemiten und Volksverhetzer zugunsten der Glaubenskonzerne sowieso Dotationen (im Wesentlichen für den katholischen Konzern) zählen für mich zu diesen Sonderprivilegien, die keine andere Firma in Deutschland bekommt.
Die jüdischen und muslimischen Gemeinden haben noch schwerwiegendere Sondergesetze bekommen, so den 1631d BGB, der es Eltern erlaubt, an ihren Kindern ohne Grund eine Körperverletzung und lebenslange Verstümmelung vornehmen zu lassen. Auch das Schächten gehört dazu.
Ich könnte diese Liste noch fortsetzen (z.B. Propagandaveranstaltung für die Konzerne - als "Schulunterricht" getarnt). Dies alles beweist, dass sich gerade die Glaubenskonzerne dank ihrer erfolgreichen Lobbyarbeit Nischen oberhalb des GG geschaffen haben, da es einen durch Lobbyarbeit eingefügten GG-Art. gibt, der ihnen praktisch Narrenfreiheit einräumt.
Selbstbeherrschung oder Verzicht auf das eine oder andere Privileg aus ethischen Gründen fällt diesen Konzernen regelmäßig schwer. Nun ja, Macht und Einfluss, die man mal gewonnen hat, gibt niemand gerne freiwillig her. Da sind die Glaubenskonzern genauso so machtbesessen, wie große DAX-Unternehmen oder totalitäre Staatsführungen...
Norbert Schönecker am Permanenter Link
S.g. Herr Kammermeier!
Der Unterschied zwischen dem wandelbaren Grundgesetz und den i.A. unwandelbaren heiligen Schriften ist völlig einleuchtend.
Deshalb gibt es in den meisten christlichen Kirche eine Exegese. Dass diese nur für Fachleute verständlich sei, bestreite ich.
Bei einzelnen Gesetzen der Bibel wird man auch nicht umhin kommen, festzustellen: "Dieses Gesetz oder Gebot ist in dieser Formulierung überholt." Jesus hat es in den Evangelien auch so gehandhabt, und der gilt Christen nach wie vor als Autorität in biblischen Fragen.
Dass es in monotheistischen Religionen keine Gewissensfreiheit gebe, das stimmt aber so nicht. Es gibt die selbe Gewissensfreiheit wie in einer modernen Demokratie: Wir akzeptieren dein Gewissen, aber wenn es mit unseren Gesetzen kollidiert, dann musst du die Konsequenzen ziehen!
Dazu ein Zitat des Thomas von Aquin: "Infolgedessen muss gesagt werden, dass jedes Gewissen, ob richtig oder irrig, ... verpflichtend ist, sodass wer gegen sein Gewissen handelt, sündigt." (Quodlibet III, q.12, a.2) Thomas meint, dass der Mensch lieber eine Exkommunikation in Kauf nehmen soll, als gegen sein Gewissen zu handeln.
Zu den Sonderrechten im Staat: Wenn der Staat der Kirche Sonderrechte anbietet, dann wird die Kirche höflich danken und diese Rechte in Anspruch nehmen (außer es hängen unannehmbare Bedingungen daran). Wenn der Staat diese Rechte wieder wegnehmen will, dann wird selbstverständlich verhandelt. Aber leben kann die Kirche auch ohne staatliche Sonderrechte in vielen Ländern der Welt.
Mir fällt auf: Als Humanist gefällt Ihnen offenbar der eine oder andere Artikel des Grundgesetzes auch nicht, und Sie arbeiten daran, diese zu ändern. Was unterscheidet Sie von Christen oder Muslimen, die das Grundgesetz aufgrund ihrer Religion teilweise missbilligen? Offenbar nur die Tatsache, dass die Ansichten der religiösen Menschen z.T. auf Schriften basieren, die nicht geändert werden. Aber auch bei Ihnen, Herr Kammermeier, gibt es Normen oberhalb des Grundgesetzes.
Zu Ihren angeführten Details: Mit dem 3. Weg kenne ich mich nicht aus; Luther fällt nicht in meine Kompetenz; Mitgliederbeiträge durch den Staat bekommt in Österreich die durchaus private Gewerkschaft, die Kirche nicht; manche Dotationen sind die Folge von Enteignungen, andere sind bezahlte Leistungen im Sozialbereich; der Religionsunterricht ist im vom hpd so heftig verteigten GG festgelegt.
"Nun ja, Macht und Einfluss, die man mal gewonnen hat, gibt niemand gerne freiwillig her."
Ja, das stimmt sicher, und das trifft zweifellos auch auf Christen zu. Es gibt ganz bestimmt auch herrschsüchtige Bischöfe, Pfarrer, Gefängnisseelsorger und Religionslehrer, und manchem von uns täte ein Jahr als Novize in einem Kloster oder als Tellerwäscher in einem Restaurant gut.
Könnten Sie ruhigen Gewissens behaupten, dass das in Giordano-Bruno-Stiftung anders ist?
Werner Helbling am Permanenter Link
An Bernd. Deiner Aussage kann ich vollumfänglich zustimmen. Geben wir das kämpfen nicht auf!
Wolfgang von Sulecki am Permanenter Link
Ich nehme an da verwechseln Sie die Begriffe "Gedankenfreiheit" und "Gewissensfreiheit" - denken dürfen Sie Alles.
Gewissen allerdings ist eine genetisch fixierte Einstellung zu "gut" und "böse", die das Überleben sichern soll. Darüber sind wir, dank Zivilisation, glücklicherweise hinausgewachsen. Deswegen sollte sich das Gewissen bei Menschen, die sich für höhere Wesen halten, an bestehenden Gesetzen orientieren.
Sich gegen ein Unrechtssystem zu stellen müßte allen vernunftbegabten Menschen von daher ein Anspruch sein, nur sind nicht alle zu Helden oder Märtyrern geboren.
Sie schreiben:
" .. Und das derzeitige Grundgesetz für der Weisheit letzten Schluss zu halten, ist wohl auch etwas naiv .. " - diese Feststellung ohne jede Begründung oder Beispiel ist eine von jenen wohllfeilen Mißbilligungen bar jeder Substanz.
Was genau halten Sie denn an unserem Grundgesetz für ungeeignet/schlecht/verbesserungswürdig ...?
Norbert Schönecker am Permanenter Link
S.g. Herr von Sulecki!
Das Gewissen als "genetisch fixiert" zu betrachten, geht weit an dem vorbei, was die meisten Menschen unter "Gewissen" verstehen.
Die Katholische Kirche (und auch viele andere Menschen, inklusive so mancher Atheist) spricht von "Gewissensbildung" - durch Eltern, Vorbilder, Kultur, Literatur, Freundeskreis etc.
Zum Glück hat sich bei vielen Menschen in so manchem Unrechtsregime das Gewissen eben nicht an bestehenden Gesetzen orientiert. Auch nicht an den Genen (denn von Natur aus sind die Menschen nicht so gut, wie Rousseau gehofft hat). Sondern an oben genannten Einflüssen oder auch an eigenen Gedanken.
Mit Ihrem zweiten Absatz bin ich völlig einverstanden. Ich verstehe nur nicht, wie Sie ihn mit Ihrem eigenen ersten Absatz in Einklang bringen.
Was ich am deutschen (und auch am österreichischen) Grundgesetz für verbesserungswürdig halte - ein paar spontane Ideen:
) eine Klarstellung, was genau ein Mensch ist (das könnte in den nächsten Jahrzehnten recht spannend werden, wenn vielleicht wirklich Hybride geschaffen werden, ist aber jetzt schon im Bereich Abtreibung und Fortpflanzungsmedizin ein wichtiges Thema)
) eine echte Gewaltentrennung - ich würde mir wünschen, dass in deren Sinn nicht der Bundestag den Kanzler und somit indirekt die Regierung bestimmt. Eine echte Trennung zwischen Legislative und Exekutive wäre schön.
) Umweltschutz, Tierschutz und Tierrechte fehlen mir im Grundgesetz.
Ganz allgemein gilt zudem, dass Gesetze immer der Zeit unterworfen sind. Auch gute Gesetze müssen sich manchmal ändern, wenn die Gesellschaft sich ändert.
Wolfgang von Sulecki am Permanenter Link
Vielen Dank, dass Sie sich die Mühe gemacht haben meine Äußerungen zu kommentieren und die Fragen zu beantworten.
Klaus Bernd am Permanenter Link
"warum muss man sich da unter die Fittiche des Großlobbyisten Kirche begeben, wenn es unsere Werte, die der Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit, zu feiern gilt?"
Aber, aber, das war doch die perfekte Gelegenheit, dem gerade neu inthronisierten Fürstbischof von Mainz die Referenz zu erweisen. Nicht jeder hochrangige Politiker konnte schließlich an der pompösen Feier teilnehmen, in der ihm seine Superkräfte verliehen wurden. Die 2 1/2 - stündige Fernsehübertragung anzuschauen war natürlich kein Ersatz für die persönliche Demonstration der Unterwürfigkeit und der Versicherung, dass man es mit der Gleichheit, z.B. im Arbeitsrecht, nicht so ernst nimmt und die Freiheit - sprich Selbstbestimmung - die Grenzen hat, die von der Bischofskonferenz vorgegeben werden.
Bruder Spaghettus am Permanenter Link
Heilige Bücher geben konkrete Regeln vor, wie das Leben zu führen und Konflikte zu lösen sind. Sie bieten also ein alternatives Rechtssystem zum real existierenden.
Wieso sollte also die Formulierung, das GG stehe über heiligen Büchern, falsch sein? Die besagt doch nur, dass es deren Rechtssystem außer Kraft setzt.
Helmut Lambbert am Permanenter Link
Ich finde, dass dieser Kommentar eine ziemliche Sophisterei ist.
Roland Fakler am Permanenter Link
Wenn man sagt, dass das Grundgesetz über den „Heiligen Büchern“ steht, heißt dass, dass das GG im Konfliktfall gilt und die „Heiligen Bücher“ nicht.
Z.B. GG: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. – Bibel: Alle Obrigkeit kommt von Gott. Das können sich die Nachkommen von Kaiser Wilhelm zwar einbilden, gilt in Wirklichkeit aber nicht.
GG: Mann und Frau sind gleichberechtigt. – Bibel: Die Frauen sind dem Mann untergeordnet.
GG: Die Prügelstrafe ist abgeschafft – Bibel: Wer seinen Sohn liebt, der züchtigt ihn.
GG: Holzholen am Sabbat ist keine Strafe – Bibel: Holzholen am Sabbat wird mit dem Tode bestraft. Gilt zum Glück (vorläufig) nicht mehr, bis Herr Bahners sich mit seinen Ansichten durchgesetzt hat. Usw.
Resnikschek Karin am Permanenter Link
Religion ist monokratisch, insofern tendenziell undemokratisch. Religion bedroht - tendenziell - unsere Freiheit. Der Islam stebt die Weltherrschaft an, der Katholizismus ebenfalls. Jedenfalls teilweise.
Hoffentlich liest das jemand. Ich bin nicht bei Twitter & Co. Karin Resnikschek
Konrad Schiemert am Permanenter Link
Ich suche seit 2 Tagen auf faz.de eine Stellungsnahme der Redaktion über diesen Unsinn. Nichts gefunden. IMHO würde der FAZ mit einer Stellungsnahme ihr Image ein Bisschen retten oder verbessern.
Thomas Baader am Permanenter Link
Bahners hatte schon immer stark religiös fundamentalistische Züge.
http://www.menschenrechtsfundamentalisten.de/page8.php?post=185
Itna am Permanenter Link
Sehr gute Rezension. Danke.
Gila am Permanenter Link
Die Seele der freien Welt ist der Glaube an Gewissens- u Meinungsfreiheit. Es ist unsere Freiheit, unsere Sorgen auszusprechen, die Freiheit anzubeten, wen wir wollen oder frei von einem Gott zu sein.
Leider sehen religiöse Kollektive dies anders: sie fordern und erhalten Sonderrechte, die andere in ihrer Freiheit einschränken oder auch körperlich beeinträchtigen. Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit wurde am 12. 12. 2012 bei den aller Schwächsten unserer Gesellschaft verletzt, damit wir keine Komiker Nation sind (mehr ist das Grundrecht auf Unversehrtheit religiösen Menschen nicht wert). Nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo hat das Franzl Päpstchen lamentiert, er würde auch jedem mit der Faust schlagen, der seine Mutti beleidigt.
Herr Bahners und Herr Schöneker möchten die persönliche Gewissensentscheidung als höchste Instanz leben. Die alles entscheidende Frage ist, welche Rechtfertigungsgründe lassen wir für Gewalt gelten? Geschmacksfragen, Befindlichkeiten u. nicht objektivierbare religiöse Zwangsvorstellungen, Religiös beleidigt fühlen sind eine denkbar schlechte Basis zur Wahrung des gesellschaftlichen Friedens. Herr Bahners hat in seinem Buch "Panikmacher" eine unerträgliche Verhöhnung und Herabsetzung von weiblichen Opfern religiöser Zwangsvorstellungen, wie Ayaan Hirsi oder Necla Kelek legalisiert und die Frauen einfach als radikale Emanzen und islamophob dargestellt. Die Menschenverachtung und der Chauvinismus des Herrn Bahner sind ein Hohn für alle Opfer religiöser Gewalt, die vornehmlich Muslime selbst sind, vor allem weiblich sind. Auch rechtfertigt Herr Bahners indirekt Genitalverstümmelungen und Zwangsheirat, indem sie Leute wie Ayaan Hirsi und Necla Kelek ins lächerliche zieht, bzw. in eine angeblich politisch "rechte" Ecke stellen.
Es ist sehr traurig, dass Menschenrechte von Mitarbeitern einer überregionalen Zeitung derart infrage gestellt werden dürfen. Hätte ich ein Abo der FAZ würde ich es kündigen.
Wolfgang von Sulecki am Permanenter Link
Volle Zustimmung - hier wird deutlich warum die (Holz-) Presse ihre Glaubwürdigkeit verloren hat.
Schon 2002 schrieb ich dem Chefredakteur einer Münsterschen Zeitung anläßlich meiner Kündigung des Abos:
Wenn Sie nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass es mittlerweile alternative Möglichkeiten gibt sich zu informieren und weiter Meinung statt Information verbreiten, dann wird ihr Blatt untergehen.
little Louis am Permanenter Link
Ich muss mir wieder mal verwundert die Augen reiben.
Kann mich noch an einen Prozess erinnern, den eine angehende Lehrerin deswegen gegen das Land führte und verlor. Sie hatte darauf beharrt, ihrer religiösen Gewissensentscheidung Priorität vor den "irdischen "Grundgesetzen" einräumen zu dürfen. Sie verlor und ihre Einstellung wurde abgelehnt.