Eine neue Studie sieht das größte Erkennungsmerkmal unserer Spezies nicht in dem besonderen Umgang mit Symbolen oder in einem dramatischen kognitiven Wandel, sondern in ihrer einzigartigen ökologischen Stellung als Generalist und Spezialist in einem. Die Fähigkeit von Homo sapiens, verschiedene und extreme Lebensräume auf der ganzen Welt zu besiedeln, steht in deutlichem Gegensatz zu den ökologischen Anpassungen anderer menschlicher Arten und könnte erklären, wie unsere Spezies zum letzten überlebenden Vertreter der Gattung Homo auf der Erde wurde.
In ihrer Studie nehmen Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte und der Universität Michigan eine Neubewertung der wachsenden Zahl archäologischer und paläoökologischer Datensätze vor, die sich auf die Verbreitung menschlicher Arten innerhalb und außerhalb Afrikas im mittleren und späten Pleistozän (vor 300.000 bis 12.000 Jahren) beziehen. Demnach belegen die Daten für Homo sapiens gegenüber früheren und koexistierenden Menschenarten wie Homo neanderthalensis und Homo erectus einzigartige Lebensräume und Anpassungen.
Nach Ansicht der Wissenschaftler sollten Untersuchungen über die Besonderheiten des modernen Menschen ihren Fokus weniger auf die Suche nach den frühesten materiellen Spuren von Kunst, Sprache oder technischer Komplexität legen. Stattdessen sollte die Frage in den Mittelpunkt rücken, was unsere Spezies ökologisch einzigartig macht. Im Gegensatz zu anderen Menschenarten besiedelte unsere Art nicht nur eine Vielzahl von schwierigen Umgebungen wie Wüsten, tropische Regenwälder, Höhenlagen und die Arktis, sondern hat sich auch an einige dieser Extreme speziell angepasst.
Im Gegensatz zu anderen Mitgliedern der Gattung Homo hatte sich Homo sapiens vor 80.000 bis 50.000 Jahren auch in höher gelegene Gebieten ausgebreitet. Vor mindestens 45.000 Jahren besiedelte er dann rasch eine Reihe von arktischen Gebieten sowie tropische Regenwälder in Asien, Melanesien und Amerika. Die Zahl an genauer datierten und zunehmend detaillierten Belegen für die Durchquerung der nordafrikanischen Wüsten, der arabischen Halbinsel und Nordwestindiens sowie der Gebirge Tibets und der Anden durch Homo sapiens wächst beständig. Die Autoren erwarten davon weitere Erkenntnisse, welche besonderen Fähigkeiten der moderne Mensch beim Vordringen in diese Regionen bewiesen hat.
Generalist und Spezialist zugleich
Eine der wichtigsten Aussagen der Autoren ist, dass die Belege für die menschliche Besiedelung unterschiedlichster Lebensräumen auf den meisten Kontinenten der Erde im späten Pleistozän auf eine neue ökologische Nische hindeuten, die des "generalistischen Spezialisten". Erstautor Patrick Roberts vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte erklärt: "Es gibt eine traditionelle ökologische Zweiteilung zwischen 'Generalisten', die eine Vielzahl von verschiedenen Ressourcen nutzen und vielfältige Lebensräume bewohnen können, und 'Spezialisten', die eine spezifischere Ernährung und geringere Toleranz gegenüber wechselnden Umweltbedingungen haben. Homo sapiens als eigentlich generalistische Art umfasst jedoch auch spezialisierte Populationen wie die Bewohner von Bergregenwäldern oder paläoarktische Mammutjäger."
Diese ökologische Anpassungsfähigkeit dürfte durch die intensive Kooperation zwischen Nicht-Familienmitgliedern unter den pleistozänen Homo sapiens unterstützt worden sein, sagt Ko-Autor Brian Stewart. "Das Teilen von Nahrungsmitteln, der Austausch über weite Distanzen hinweg und rituelle Beziehungen haben vermutlich den Gruppen ermöglicht, sich 'reflexiv' an lokale Klima- und Umweltschwankungen anzupassen und andere menschliche Arten zu ersetzen." Letztlich war wohl die Ansammlung, Verwendung und Weitergabe eines umfangreichen kulturellen Erfahrungsschatzes in materieller oder ideeller Form entscheidend dafür, dass sich der moderne Mensch die Nische als generalistischer Spezialist im Pleistozän schaffen und erhalten konnte.
Die Autoren sind sich darüber im Klaren, dass diese Aussage hypothetisch ist und widerlegt werden kann, wenn sich in "extremen" Gegenden Nachweise für andere Mitglieder der Gattung Homo finden. Die Überprüfung der These vom "generalistischen Spezialisten" rege jedoch die Forschung in extremeren Lebensräumen einschließlich der Wüste Gobi und des Amazonasregenwalds an, die bisher in der paläoanthropologischen und archäologischen Forschung als zu wenig aussichtsreich galt. (PR/PM)
6 Kommentare
Kommentare
Klaus D. Lubjuhn am Permanenter Link
Die Erweiterung dieser Forschungsthese auf den Klimawandel könnte v.a. die aktuell diskutierte Sorge der Klimawanderung als "Anpassungsproblem" neu bewerten. Technische Intelligenz als Stichwort.
Stefan P. am Permanenter Link
Dieses Alleinstellungsmerkmal des Homo sapiens sapiens wirkt in der Tat wie eine noch zu wenig beachtete Schlüsselfähigkeit des Homo sapiens sapiens zu seinem Überleben und seiner Verbreitung.
„Nach Ansicht der Wissenschaftler sollten Untersuchungen über die Besonderheiten des modernen Menschen ihren Fokus weniger auf die Suche nach den frühesten materiellen Spuren von Kunst, Sprache oder technischer Komplexität legen.“
Man darf nicht vergessen, dass die Entwicklung der genannten (Primär-)Fähigkeiten wiederum erst die Grundlage der (Sekundär-)Fähigkeit solcher Anpassung ist. Zwar findet man erstgenannte Fähigkeiten auch bei zahlreichen anderen Arten, doch macht den Unterschied wie sehr häufig lediglich die Quantität. Es ist also keineswegs so, dass nur ein Alleinstellungsmerkmal den Unterschied macht.
Bezeichnenderweise führt die Autoren der Studie die Frage, was denn konkret die Anpassung ermöglicht hat, wieder zurück zu Fähigkeiten, die sie gerne aus dem Fokus der Wissenschaft genommen wüssten:
„Letztlich war wohl die Ansammlung, Verwendung und Weitergabe eines umfangreichen kulturellen Erfahrungsschatzes in materieller oder ideeller Form entscheidend dafür, dass sich der moderne Mensch die Nische als generalistischer Spezialist im Pleistozän schaffen und erhalten konnte.“
Fortschritt in Sprache, Kultur und Technik und die Fähigkeit zur Anpassung an unterschiedliche ökologische Räume gehen Hand in Hand und sind eine untrennbare Gesamtentwicklung. Manchmal muss halt einiges zusammenkommen, damit es passt. Und deshalb ist es richtig, in all diesen Bereichen weiter zu forschen.
Kay Krause am Permanenter Link
Das traurige Ergebnis dieser Fähigkeit des Homo Sapiens ist allerdings, dass er nun dabei ist, all die wunderbaren gegenden, die er erobert hat, so schnell und so gründlich wie möglich zu zerstören!
pavlovic am Permanenter Link
Folgte man veganen Moralfachkräften und Peta-Anhängern in ihrer Argumentation sollte der Mensch auf nichts stolz sein dürfen, was ihn vermeintlich vom Tier abhebt.
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Es gibt keinen Grund, auf etwas stolz zu sein, wozu man selbst nichts beigetragen hat. Ich kann stolz auf meine Bildung sein, aber nicht auf meinen Kopf.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Die gewisse Ambivalenz von "stolz" lässt mich diesen Begriff schon länger grundsätzlich nicht mehr verwenden, Karl-Heinz.