Wünschen wir uns nicht alle ein Wundermittel gegen tödliche Krankheiten? Etwas wie die HPV-Impfung, die Krebs wirksam verhindert? Nutzen tun sie viel zu wenige. Warum nur, fragt die Ärztin Natalie Grams-Nobmann?
Die Ursachen vieler Krebsarten sind nicht genau bekannt, beim Gebärmutterhalskrebs ist die Medizin aber weiter: Sehr oft sind bestimmte Varianten des Humanen Papillomavirus (HPV) der Auslöser eines Zervixkarzinoms. Das hatte als Erster der deutsche Forscher Harald zur Hausen schon Ende der 1970er Jahre herausgefunden; 2008 bekam er für die Beschreibung der Zusammenhänge dann den Medizin-Nobelpreis.
Mittlerweile ist gut belegt und erforscht, dass 80 Prozent aller Zervixkarzinom-Fälle auf das Konto einer Infektion mit HP-Viren gehen. Weniger bekannt ist, dass eine Infektion mit diesem Erreger noch andere Folgen haben kann, die auch Männer betreffen: Ihnen drohen Penis- oder Analkrebs. Bei allen Infizierten kann sich ein Krebs im Mund-Rachen-Raum entwickeln.
Die gute Nachricht ist, dass sich all diese Folgen einer Ansteckung mit recht hoher Wahrscheinlichkeit verhindern lassen – durch die HPV-Impfung. Dazu ein paar Zahlen. Nur eine von zehn Frauen, so schätzt man, hat im Lauf ihres Lebens gar keinen Kontakt mit dem HPV-Virus. Von den anderen 90 Prozent werden rund zwei Drittel infiziert – wobei das oft gar nicht bemerkt wird, weil das Virus keine akuten Symptome verursacht. Der Erreger kann beim Sexualverkehr übertragen werden. Nur relativ selten mündet eine Infektion dann später in eine Krebserkrankung. Allerdings heißt selten nicht nie: Zwei bis drei Prozent der Betroffenen geraten in das maligne Spätstadium einer Krebsentwicklung, und einige von ihnen versterben. Lange nach Einführung der Früherkennung 1971, im Jahr 2007, als die HPV-Impfung ihren Start hatte, starben europaweit noch rund 15.000 Frauen an Gebärmutterhalskrebs.
Ein Impfstoff gegen Krebs
Als das Virus als Ursache der Krebsarten entlarvt war, ging man schnell daran, nach einem Impfstoff zu forschen. Heute sind mehrere Vakzine verfügbar, und die STIKO empfiehlt, Jungen und Mädchen vor ihren ersten sexuellen Erfahrungen im Alter von 9 bis 14 Jahren zweifach zu impfen. Die 15- bis 17-Jährigen sollen drei Impfdosen erhalten, und auch später kann noch gegen HPV geimpft werden, im Einzelfall selbst Volljährige – am besten nach Absprache mit der Krankenkasse. Die Impfung ist zwar recht kostspielig, aber eben zugleich sehr wirksam. Es gibt mehrere Virusvarianten, und eine Mehrvariantenimpfung kann sogar dann Schutz vor anderen HPV-Typen bieten, wenn man bereits mit einer Sorte des Erregers angesteckt sein sollte. Zuletzt hat die WHO ein neues Impfschema vorgestellt, das es Impfwilligen noch leichter machen soll: Hier reicht womöglich schon eine Einzeldosis für einen wirksamen Impfschutz von Mädchen gegen Gebärmutterhalskrebs. Die STIKO muss aber noch entscheiden, ob sie dies ebenfalls für Deutschland empfehlen wird.
Wichtig ist in jedem Fall: je früher die Impfung erfolgt oder nachgeholt wird, desto besser. In Untersuchungen sank das Krebsrisiko um 87 Prozent, wenn die Vakzinierung im Alter von 12 bis 13 Jahren durchgeführt wurde, was eine große britische Studie mit 13,7 Millionen Mädchen 2021 bestätigen konnte. Bei 16- bis 18-Jährigen reduzierten sich die Fälle von Gebärmutterhalskrebs nur noch um 34 Prozent.
Die HPV-Impfquoten gerade bei jüngeren Kindern sind in Deutschland leider nach wie vor schlecht: Nicht einmal 50 Prozent der jungen Mädchen und Frauen sind geimpft, 13-Jährige nur zu etwa 30 Prozent – und bei Jungs sind es noch viel, viel weniger. Das liegt auch daran, dass die Impfempfehlung für Jungen später kam und viele die HPV-Infektion immer noch für ein reines "Mädchen-Problem" halten.
Gründe für die Impfskepsis
Kurz: Viel zu wenige sind gegen HPV geimpft. Woher kommt diese allzu schleppende Nachfrage nach einem Mittel, das nachweislich vor Krebs schützt?
Vielleicht liegt es an einer psychologischen Hemmschwelle von Eltern? Es könnte ihnen widerstreben, dass ihre Kinder, denen sie noch gar keine sexuelle Aktivität zutrauen, gegen eine sexuell übertragbare Erkrankung geimpft werden sollen. Die Empfehlung der STIKO für eine frühe Impfung ist aber berechtigt, wie zum Beispiel eine Erhebung der BZGA zeigt. Demnach können Kinder und Jugendliche durchaus schon früh sexuell aktiv sein, wobei ein Übertragungsrisiko bereits bei genitalem Petting bestehen kann. Bei manchen Eltern ruft diese Vorstellung womöglich eine instinktive Abwehrhaltung hervor: Sie führt ab und an dazu, eine Impfung ganz abzulehnen, weil sie als Freibrief für geschlechtliche Aktivitäten gesehen wird – oder zumindest als Anreiz, weniger vorsichtig zu sein. Und weniger Vorsicht bei ersten sexuellen Kontakten wäre ja tatsächlich aus guten Gründen nicht angeraten.
In meinem Podcast sprach ich kürzlich mit einer Gynäkologin über das Problem. Sie berichtete von Gesprächen mit Müttern in der Sprechstunde. Die meinten zum Beispiel: "Meine Tochter wird nur einen Partner im Leben haben, da braucht sie diese Impfung nicht." Natürlich ist das heutzutage lebensfern. Im Gespräch mit Töchtern ohne Anwesenheit der Mutter offenbaren sich dann oft ganz andere Ansichten, die eine Impfung durchaus lohnenswert erscheinen lassen. Gynäkologen, aber auch und vor allem Kinder- und Jugendärzte, sollten das Thema unbedingt von sich aus ansprechen, Tabus entgegentreten und helfen, die Impfakzeptanz und das Verständnis für die Wichtigkeit der Impfung im entscheidenden Alter zu erhöhen. Denn es könnte sein, dass vielen Gefährdeten sonst einfach ein geeigneter Ansprechpartner fehlt: Zur Gynäkologin kommen nur die Mädchen und jungen Frauen, und das häufig erst nach den ersten sexuellen Kontakten. Und für Menschen mit nichtbinärem Geschlecht oder nach einer Transition gibt es meist gar kein niederschwelliges Gesprächsangebot.
Neben fehlender Ansprache und psychologischen Sperren schaden wieder einmal auch Fake News der Impfquote: Impfskeptische Gerüchte und falsche Behauptungen begleiteten etwa die Entwicklung von HPV-Impfstoffen wie Gardasil lange und fanden sogar den Weg in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Besonders krass: In Japan kostete das Eintreten für die Impfung und gegen unhaltbare Gerüchte die junge Ärztin Riko Mukanara praktisch die Existenz, als sie trotz bester Argumente in einen Prozess mit einem Impfgegner gezogen wurde. Der hatte es tatsächlich geschafft, mit seiner medial gut organisierten Anti-Impf-Propaganda die Impfquote von guten 70 Prozent auf nahezu null zu drücken, und die japanische Regierung zu beeinflussen, die HPV-Impfung aus ihren amtlichen Empfehlungen zu streichen. Ganze Jahrgänge waren dadurch ungeschützt, die Infektionszahlen stiegen, und die schlimmen Folgen werden erst später deutlich werden.
Glücklicherweise wird gerade jetzt, während ich diese Kolumne schreibe, die Impfung in Japan wieder offiziell empfohlen und rehabilitiert – hoffentlich bald genauso die mutige junge Ärztin. Die Impfung schützt, und sie birgt kein Risiko für schwere Nebenwirkungen: "Seit Zulassung der Impfung wurden weltweit mehr als 270 Millionen Dosen verabreicht. Sowohl vor als auch nach der Zulassung wurde die Sicherheit der HPV-Impfung in diversen, umfangreichen Studien untersucht. Dabei wurden keine schweren Nebenwirkungen (…) im ursächlichen Zusammenhang mit der HPV-Impfung festgestellt", schreibt das RKI. Nichtsdestotrotz wurde die Impfung immer wieder in Verruf gebracht. Öffentliche Aufklärung ist also weiter dringend angeraten. Ein Wundermittel haben wir nicht – immerhin aber eine Impfung, die gegen Krebs schützt! Das sollten wir auf keinen Fall ungenutzt lassen.
Übernahme mit freundlicher Genehmigung von spektrum.de.