Es gibt unendlich viele Ernährungstipps, oft sind die aber viel heißer gekocht als gegessen. Was ist seriös und wissenschaftlich haltbar? Unsere Kolumnistin, die Ärztin Natalie Grams-Nobmann, serviert evidenzbasierte Ernährung.
Kokoswasser! Arganöl! Grünes Superfood! Ernährung ist heute Lifestyle, konkurrierende Diät-Empfehlungen mit Clickbait-Überschrift lassen sich schwer übersehen. Was als "gesunde Ernährung" gelten sollte, ist in Marketingkreisen ständig vehement umkämpft: Selbsternannte Ernährungsexpertinnen und -experten stellen andauernd ganz spezielle Lebensmittel ins Rampenlicht, entweder als Lösung oder als Ursache gesundheitlicher Malaisen. Oft fällt unter den Tisch, dass hinter der Flut an Tipps und Ratschlägen handfeste finanzielle Interessen stehen.
Aber wenigstens ist gesunde Ernährung damit im Gespräch – denn in der Medizin ist sie es viel zu selten. In meinem Studium zum Beispiel kam sie gar nicht vor. Das ändert sich gerade: Auch einige Ärzte und Ärztinnen haben das Thema und den Büchermarkt entdeckt, und Ernährungsbücher mit "Geheimtipps" von Frau oder Herr Doktor werden regelmäßig zu Bestsellern, weil dem Dr. med. als Autor besonderes Vertrauen entgegengebracht wird. Auch hier finden sich allerdings mehr als genug absurde, nicht evidenzbasierte Claims und manche gefühlte Wahrheit statt belegter Nachweise. Darüber kann man sich schon wundern. Ist es wirklich so schrecklich kompliziert, widersprüchlich und aufwändig, sich auf der Basis wissenschaftlicher Evidenz gesund zu ernähren?
Eigentlich gar nicht. Kürzlich habe ich darüber mit dem Ernährungsmediziner Martin Smollich im Podcast gesprochen. Ich fasse mal zusammen: Viel Gemüse, wenig Fleisch, wenig Alkohol, viel Hülsenfrüchte, Nüsse, gute Öle, abwechslungsreich und alles möglichst wenig verarbeitet – schon ist man ziemlich safe. Und wer überwiegend gesund isst, darf auch mal "sündigen", denn gute Ernährung sollte nicht nur zweckorientiert auf Gesundheit, sondern auch auf das Wohlgefühl ausgerichtet sein.
Klingt schlicht. Es ist aber gar nicht leicht, streng wissenschaftlich wasserdicht zu belegen, was Ernährung im Einzelnen bewirkt. Das liegt schon daran, dass die Goldstandardmethode der placebokontrollierten, randomisierten und möglichst noch verblindeten Analyse bei Ernährungsstudien nicht oder nur selten angewendet werden kann. Die Teilnehmenden an solchen Studien wissen, was sie essen. Es ist zudem enorm schwierig, das Essverhalten vieler Probanden über Jahre oder Jahrzehnte hinweg auszuwerten. Die Ernährungswissenschaft muss daher immer wieder auf Beobachtungsstudien zurückgreifen, also "retrospektive" statt "prospektive" Forschung treiben. Dabei müssen viele Störfaktoren berücksichtigt werden; echte kausale Zusammenhänge sind enorm schwer oder gar nicht nachzuweisen, und eine Rosinenpickerei in den Resultaten ist nicht einfach zu vermeiden. Hat wirklich dieses eine, zufällig in der Studie beforschte Lebensmittel den Unterschied gemacht, den man statistisch nachweisen kann? Oder gab es andere Gründe, denen man nur nicht genau genug hinterhergeprüft hat? Ist das Ergebnis auch im "real life" tragfähig? Ist der eine, einzig entscheidende Faktor gefunden?
Noch schwieriger wird der wissenschaftliche Nachweis, wenn es nicht um Vorbeugung geht, sondern wenn durch eine bestimmte Ernährung eine Krankheit behandelt oder geheilt werden soll. Klar, die Ratgeber überschlagen sich auch hier mit Versprechungen: Arthrose, Diabetes, Bluthochdruck, gegen alles hilft dies und das im Essen. Die Flut von Empfehlungen trübt den Blick fürs Wesentliche. Immerhin, als wissenschaftlich gesichert gilt, dass gesundes Essen häufige Volkskrankheiten wie Diabetes, Übergewicht oder auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen positiv beeinflusst.
Kurz und schmerzhaft hilft nicht
Es gibt aber eine Voraussetzung für langfristige Effekte: Die Umstellung auf eine gute Ernährungsweise muss ebenso langfristig sein! Demnach gilt auch, dass kurzfristige "Hau-ruck-Ratschläge" durch den Rost fallen, egal, ob ein innerer Schweinehund es lieber krass, schnell und einfach hätte. Psycho-logisch ist nachvollziehbar, dass wir uns ein einzig richtiges Nahrungsergänzungsmittel wünschen, oder eine einzig wahre Kurz-Diät: Wir müssten dann nicht jeden Tag auf die Gesundheitsvorsorge per Ernährung achten. Leider klappt es so aber nicht. Ungesunde Ernährung lässt sich nicht durch ein Nahrungsergänzungsmittel oder ein exotisches "Superfood" kompensieren.
Auch nicht weiter hilft ein kurzer Blick auf ein Label, das eine vermeintlich gesunde Ernährung kennzeichnen soll. Das gilt übrigens auch für "Vegan". Wer aus ethischen Gründen oder aus Gründen des Umweltschutzes ganz auf tierische Produkte verzichtet – ich übe mich derzeit darin –, der sollte nicht vergessen, dass vegane Ernährung nicht automatisch gesund ist. "Cola und Pommes sind zwar vegan, aber eben nicht auf Dauer gesund", sagt Smollich.
Damit zu einem letzten, für mich als Ärztin sehr wichtigen Punkt – die Ernährung in Gesundheitseinrichtungen, also etwa Pflegeheimen oder Krankenhäusern. Hier weiß man auch wissenschaftlich gesehen mehr. Das Rechercheportal Medwatch hat dazu die Ergebnisse eines Berichts der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zusammengestellt: Mehrere Untersuchungen belegen, dass der Heilungsverlauf in Kliniken auch durch die Ernährung bestimmt war. Zu viele Patienten und Patientinnen, auch Krebspatienten, litten mit erheblichen Folgen an Mangelernährung: Verzeichnet sind erhöhte Infektanfälligkeit, gestörte Wundheilung, längere Genesungsprozesse und eine erhöhte Sterblichkeit.
Gute Lebensmittel sind Mittel zum guten Leben – darum heißen sie ja so. Das war zu allen Zeiten und an allen Orten wichtig. Es betrifft uns auch heute alle, nicht nur als Individuum, sondern auch als Teil der Gesellschaft und Solidargemeinschaft. Zurecht sagt die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Alena Buyx: "Essen ist nicht nur Privatsache!".
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