Eklat um Oberammergauer Passionsspiele

Jesus auf dem E-Scooter

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Liebäugelt Jesus mit modernen Fortbewegungsmitteln?

Aus Gründen des Tierschutzes forderte die Tierrechtsorganisation PETA vergangene Woche, bei den nächsten Oberammergauer Passionsspielen auf den traditionellen Jesus-Ritt auf einem Esel zu verzichten. Alternativ könne der Jesus-Darsteller einen Elektro-Tretroller nutzen. Ein Sturm der Entrüstung folgte.

"Der Sohn Gottes auf einem Elektro-Tretroller?" Diese mit Fragezeichen versehene dpa-Schlagzeile ging am zurückliegenden Donnerstag über die Ticker der hiesigen Medien und löste einen Sturm der Empörung aus: Kaum eine Redaktion – von BILD, Süd- und Mitteldeutscher Zeitung über Stern, Focus, Welt und Tagesspiegel hin zu BR, SWR3, Deutschlandfunk und zahllosen anderen (selbst aus dem Ausland) –, die nicht über die nachgerade blasphemische Forderung der Tierrechtsorganisation PETA berichtet hätte, bei den traditionellen Oberammergauer Passionsspielen im kommenden Jahr auf die Nutzung eines Esels zu verzichten, auf dem laut Neuem Testament der fünf Tage später gekreuzigte Jesus in Jerusalem eingezogen sei. Und stattdessen, den Zeitläuften gemäß, auf ein moderneres Fortbewegungsmittel zurückzugreifen: beispielsweise einen E-Scooter.

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Für die Oberammergauer Passionsspiele 2020 wird bereits jetzt geworben – aktuelles Werbeplakat im Münchner Hauptbahnhof. (© Daniela Wakonigg)

Bei den Oberammergauer Passionsspielen handelt es sich um eine Art Laiensingspiel, das der Legende nach auf ein Pestgelübde aus dem Jahre 1634 zurückgeht. Die Oberammergauer sollen damals versprochen haben, alle zehn Jahre die Geschichte der letzten fünf Tage im Leben Christi aufzuführen, wenn niemand mehr an der seinerzeit im bayerischen Oberland grassierenden Pest sterbe. Tatsächlich soll Oberammergau weitgehend verschont geblieben sein – nur 80 Dorfbewohner sollen der Pest zum Opfer gefallen sein –, was ebendiesem Versprechen und dem dadurch erwirkten göttlichen Beistand zugeschrieben wurde. Seither wird, mit wenigen Unterbrechungen, in zehnjährigem Abstand von den Einwohnern des Ortes das "Leiden, Sterben und die Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus" nachgespielt.

Seit 1890 gibt es eine eigene Bühne, die, ausgebaut für die Spiele von 1930, bis heute als "größte Freiluftbühne mit überdachtem Zuschauerraum der Welt" mit nicht weniger als 4.500 Sitzplätzen gilt. Die Oberammergauer Passionsspiele – vergleichbare, aber wesentlich kleinere Passionsspektakel gibt es auch andernorts – sind längst eine international beachtete touristische Attraktion geworden, die dem 5.200-Einwohner-Ort jeweils dreistellige Millioneneinnahmen beschert. Die 109 Aufführungen der Spiele von 2010 wurden von mehr als 500.000 Zuschauern gesehen, die je nach Sitzplatzkategorie zwischen 30 und 180 Euro pro Ticket bezahlten; und auch sonst jede Menge Geld in der Gemeinde ließen: ein 3-Tage-Arrangement schlägt mit bis zu 1.294 Euro zu Buche.

Für die vom 16. Mai bis 4. Oktober 2020 anberaumten 42. Passionsspiele sind 110 Aufführungen vorgesehen. Mitspielen darf nur, wer in Oberammergau geboren und aufgewachsen ist oder seit mindestens 20 Jahren dort wohnt. 2.400 Mitwirkende werden als Jesus, Judas, Maria, Pilatus oder Kaiphas auftreten (jeweils in doppelter Besetzung), dazu Engel, Soldaten, Priester, Chorsänger und sonstige Statisten. Das Spiel dauert satte fünf Stunden und endet nach Leidensweg, Kreuzigung und Tod Jesu mit seiner glorreichen Auferstehung und Himmelfahrt.

Verständlich, dass gerade christliche Medien wie domradio.de, kirche+leben.de oder katholisch.de besonders erzürnt auf das Ansinnen PETAs reagierten, Jesus zu Beginn des Passionsschauspiels statt auf einem Esel reitend auf einem E-Scooter in Jerusalem einziehen zu lassen. Wie lächerlich – um nicht zu sagen: gotteslästerlich – wäre das denn, den Sohn Gottes auf einem E-Roller an seinen Hosianna jubelnden und Palmwedel schwenkenden Anhängern vorbeifahren zu lassen. Zumal der Prophet Sacharja schon im Alten Testament vorhergesagt hatte, dass der "kommende Friedensfürst auf einem Esel in Jerusalem einreiten" werde (Sach 9,9 EU); und eben nicht auf einem E-Scooter. Ein Sprecher der Oberammergauer Laienspieltruppe betonte kenntnisreich, vor 2000 Jahren habe es noch gar keine Elektrofahrzeuge gegeben: die Passionsspiele stünden in einem "historischen Kontext", da habe ein E-Roller nichts auf der Bühne zu suchen.

Dabei hatten die Tierrechtler von PETA ihre – keineswegs satirisch gemeinte – Forderung eigens mit einem Appell Papst Franziskus' unterfüttert, der vor Jahren schon die Christenheit ermahnt haben soll, "Tiere gut zu behandeln". Im Übrigen nutze auch er, der Stellvertreter Christi auf Erden, für seine Fahrten durch den Vatikan ein Elektromobil. Allein: man stieß auf taube Ohren. Auch das Argument, gemäß einer Leitlinie der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz dürfe die Belastung eines Esels nicht mehr als zwanzig Prozent seines Eigengewichtes betragen, ohne dass dem Tier Schaden zugefügt würde, wurde ignoriert: weder der Oberammergauer Bürgermeister noch das zuständige Kreisveterinäramt haben bislang auf die Forderungen PETAs reagiert.

Der Esel jedenfalls, so der Tenor der Empörungsmedien von BILD bis domradio.de, müsse bleiben. Allein schon der fast vierhundertjährigen Tradition der Oberammergauer Leidensspiele wegen, die Eingriffe in den Handlungsverlauf schon deshalb nicht gestatte, weil dieser eben Tradition sei. Bezugnehmend auf die biblischen und damit unhintergehbaren Berichte aller vier Evangelisten (!)  sei der Jesusdarsteller immer schon auf einem Esel durch die Pappdeckel- und Sperrholzkulissen Jerusalems geritten. Daran lasse sich nicht rütteln.

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Werbeplakat der Oberammergauer Passionsspiele 1934.

Dass man vor einigen Jahren sehr wohl in den Ablauf und die überlieferten Texte der Passionsspiele eingreifen konnte (bzw. musste), wenngleich erst auf massiven öffentlichen Druck hin, fällt dabei unter den Tisch. Schon seit den 1950ern waren die teils extrem antijüdischen beziehungsweise antisemitischen Tendenzen der Passionsspiele heftig kritisiert worden. Jüdische Organisationen hierzulande wie vor allem in Übersee hatten sogar zum Boykott der Oberammergauer Leidensspiele aufgerufen, deren Sonderaufführung 1934 – anlässlich ihres 300-jährigen Jubiläums und mit Blick auf die neuen Machthaber hatte man einen Zwischentermin eingeschoben – von Hitler höchstpersönlich besucht und in den höchsten Tönen belobigt worden war; er hatte die Spiele gar zum "reichswichtigen" Kulturgut erklärt.

Um der von Aufführungsjahr zu Aufführungsjahr anwachsenden Kritik aus jüdischen Kreisen zu begegnen, strich man halbherzig ein paar Passagen und textete ein paar Zeilen um: die antisemitischen Grundzüge indes blieben bestehen. Erst zu den Spielen 2010 erklärte der langjährige Spielleiter Christian Stückl (57) – gebürtiger Oberammergauer und seit 2002 Intendant des Münchner Volkstheaters –, es gelte nunmehr das "Problem der Antijudaismen, die sich unheilvoll durch die gesamte Geschichte Europas und des Christentums ziehen und an deren Verbreitung auch die Passionsspiele ihren Anteil hatten (…) aus dem Spiel zu verbannen." Ob dieses ehrenwerte Vorhaben gelungen ist, wird sich erst bei den Spielen 2020 zeigen. Die rechtsschlagseitige Wochenschrift Junge Freiheit fordert jedenfalls weiterhin "unverfälschte Passionsspiele" – zumindest mit Blick auf den Auftritt des Esels.