Aus Gründen des Tierschutzes forderte die Tierrechtsorganisation PETA vergangene Woche, bei den nächsten Oberammergauer Passionsspielen auf den traditionellen Jesus-Ritt auf einem Esel zu verzichten. Alternativ könne der Jesus-Darsteller einen Elektro-Tretroller nutzen. Ein Sturm der Entrüstung folgte.
"Der Sohn Gottes auf einem Elektro-Tretroller?" Diese mit Fragezeichen versehene dpa-Schlagzeile ging am zurückliegenden Donnerstag über die Ticker der hiesigen Medien und löste einen Sturm der Empörung aus: Kaum eine Redaktion – von BILD, Süd- und Mitteldeutscher Zeitung über Stern, Focus, Welt und Tagesspiegel hin zu BR, SWR3, Deutschlandfunk und zahllosen anderen (selbst aus dem Ausland) –, die nicht über die nachgerade blasphemische Forderung der Tierrechtsorganisation PETA berichtet hätte, bei den traditionellen Oberammergauer Passionsspielen im kommenden Jahr auf die Nutzung eines Esels zu verzichten, auf dem laut Neuem Testament der fünf Tage später gekreuzigte Jesus in Jerusalem eingezogen sei. Und stattdessen, den Zeitläuften gemäß, auf ein moderneres Fortbewegungsmittel zurückzugreifen: beispielsweise einen E-Scooter.
Bei den Oberammergauer Passionsspielen handelt es sich um eine Art Laiensingspiel, das der Legende nach auf ein Pestgelübde aus dem Jahre 1634 zurückgeht. Die Oberammergauer sollen damals versprochen haben, alle zehn Jahre die Geschichte der letzten fünf Tage im Leben Christi aufzuführen, wenn niemand mehr an der seinerzeit im bayerischen Oberland grassierenden Pest sterbe. Tatsächlich soll Oberammergau weitgehend verschont geblieben sein – nur 80 Dorfbewohner sollen der Pest zum Opfer gefallen sein –, was ebendiesem Versprechen und dem dadurch erwirkten göttlichen Beistand zugeschrieben wurde. Seither wird, mit wenigen Unterbrechungen, in zehnjährigem Abstand von den Einwohnern des Ortes das "Leiden, Sterben und die Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus" nachgespielt.
Seit 1890 gibt es eine eigene Bühne, die, ausgebaut für die Spiele von 1930, bis heute als "größte Freiluftbühne mit überdachtem Zuschauerraum der Welt" mit nicht weniger als 4.500 Sitzplätzen gilt. Die Oberammergauer Passionsspiele – vergleichbare, aber wesentlich kleinere Passionsspektakel gibt es auch andernorts – sind längst eine international beachtete touristische Attraktion geworden, die dem 5.200-Einwohner-Ort jeweils dreistellige Millioneneinnahmen beschert. Die 109 Aufführungen der Spiele von 2010 wurden von mehr als 500.000 Zuschauern gesehen, die je nach Sitzplatzkategorie zwischen 30 und 180 Euro pro Ticket bezahlten; und auch sonst jede Menge Geld in der Gemeinde ließen: ein 3-Tage-Arrangement schlägt mit bis zu 1.294 Euro zu Buche.
Für die vom 16. Mai bis 4. Oktober 2020 anberaumten 42. Passionsspiele sind 110 Aufführungen vorgesehen. Mitspielen darf nur, wer in Oberammergau geboren und aufgewachsen ist oder seit mindestens 20 Jahren dort wohnt. 2.400 Mitwirkende werden als Jesus, Judas, Maria, Pilatus oder Kaiphas auftreten (jeweils in doppelter Besetzung), dazu Engel, Soldaten, Priester, Chorsänger und sonstige Statisten. Das Spiel dauert satte fünf Stunden und endet nach Leidensweg, Kreuzigung und Tod Jesu mit seiner glorreichen Auferstehung und Himmelfahrt.
Verständlich, dass gerade christliche Medien wie domradio.de, kirche+leben.de oder katholisch.de besonders erzürnt auf das Ansinnen PETAs reagierten, Jesus zu Beginn des Passionsschauspiels statt auf einem Esel reitend auf einem E-Scooter in Jerusalem einziehen zu lassen. Wie lächerlich – um nicht zu sagen: gotteslästerlich – wäre das denn, den Sohn Gottes auf einem E-Roller an seinen Hosianna jubelnden und Palmwedel schwenkenden Anhängern vorbeifahren zu lassen. Zumal der Prophet Sacharja schon im Alten Testament vorhergesagt hatte, dass der "kommende Friedensfürst auf einem Esel in Jerusalem einreiten" werde (Sach 9,9 EU); und eben nicht auf einem E-Scooter. Ein Sprecher der Oberammergauer Laienspieltruppe betonte kenntnisreich, vor 2000 Jahren habe es noch gar keine Elektrofahrzeuge gegeben: die Passionsspiele stünden in einem "historischen Kontext", da habe ein E-Roller nichts auf der Bühne zu suchen.
Dabei hatten die Tierrechtler von PETA ihre – keineswegs satirisch gemeinte – Forderung eigens mit einem Appell Papst Franziskus' unterfüttert, der vor Jahren schon die Christenheit ermahnt haben soll, "Tiere gut zu behandeln". Im Übrigen nutze auch er, der Stellvertreter Christi auf Erden, für seine Fahrten durch den Vatikan ein Elektromobil. Allein: man stieß auf taube Ohren. Auch das Argument, gemäß einer Leitlinie der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz dürfe die Belastung eines Esels nicht mehr als zwanzig Prozent seines Eigengewichtes betragen, ohne dass dem Tier Schaden zugefügt würde, wurde ignoriert: weder der Oberammergauer Bürgermeister noch das zuständige Kreisveterinäramt haben bislang auf die Forderungen PETAs reagiert.
Der Esel jedenfalls, so der Tenor der Empörungsmedien von BILD bis domradio.de, müsse bleiben. Allein schon der fast vierhundertjährigen Tradition der Oberammergauer Leidensspiele wegen, die Eingriffe in den Handlungsverlauf schon deshalb nicht gestatte, weil dieser eben Tradition sei. Bezugnehmend auf die biblischen und damit unhintergehbaren Berichte aller vier Evangelisten (!) sei der Jesusdarsteller immer schon auf einem Esel durch die Pappdeckel- und Sperrholzkulissen Jerusalems geritten. Daran lasse sich nicht rütteln.
Dass man vor einigen Jahren sehr wohl in den Ablauf und die überlieferten Texte der Passionsspiele eingreifen konnte (bzw. musste), wenngleich erst auf massiven öffentlichen Druck hin, fällt dabei unter den Tisch. Schon seit den 1950ern waren die teils extrem antijüdischen beziehungsweise antisemitischen Tendenzen der Passionsspiele heftig kritisiert worden. Jüdische Organisationen hierzulande wie vor allem in Übersee hatten sogar zum Boykott der Oberammergauer Leidensspiele aufgerufen, deren Sonderaufführung 1934 – anlässlich ihres 300-jährigen Jubiläums und mit Blick auf die neuen Machthaber hatte man einen Zwischentermin eingeschoben – von Hitler höchstpersönlich besucht und in den höchsten Tönen belobigt worden war; er hatte die Spiele gar zum "reichswichtigen" Kulturgut erklärt.
Um der von Aufführungsjahr zu Aufführungsjahr anwachsenden Kritik aus jüdischen Kreisen zu begegnen, strich man halbherzig ein paar Passagen und textete ein paar Zeilen um: die antisemitischen Grundzüge indes blieben bestehen. Erst zu den Spielen 2010 erklärte der langjährige Spielleiter Christian Stückl (57) – gebürtiger Oberammergauer und seit 2002 Intendant des Münchner Volkstheaters –, es gelte nunmehr das "Problem der Antijudaismen, die sich unheilvoll durch die gesamte Geschichte Europas und des Christentums ziehen und an deren Verbreitung auch die Passionsspiele ihren Anteil hatten (…) aus dem Spiel zu verbannen." Ob dieses ehrenwerte Vorhaben gelungen ist, wird sich erst bei den Spielen 2020 zeigen. Die rechtsschlagseitige Wochenschrift Junge Freiheit fordert jedenfalls weiterhin "unverfälschte Passionsspiele" – zumindest mit Blick auf den Auftritt des Esels.
12 Kommentare
Kommentare
Lila Grütze am Permanenter Link
*Lol* Ich dachte zuerst, dass es sich um eine Meldung vom Postillon handelt.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ein E-Roller passt auch meiner Meinung nach nicht in das angestaubte Bild der Passionsspiele. Er passt nicht mal in unser modernes Stadtbild, weil man die "letzte Meile" besser zu Fuß gehen sollte.
Man könnte ein kleines, als Esel verkleidetes Pferd nehmen, das mit der Last des Jesus gut zurechtkäme. Oder zwei Oberammergauer, die sich ein Eselskostüm anziehen und auf ihrem Rücken den Jesus ins ebenso gefakte Jerusalem tragen.
Man könnte natürlich die ganze Passage von einem Historiker dem Publikum erklären lassen, in dem Sinne, dass die ganze Jesus-Geschichte sowieso Fake ist und dass man das Publikum nicht länger mit pseudoauthentischen Aufführungen verarschen will.
Oder man hängt - die einfachste Lösung - ein Schild an die Eingangstür zu den Passionsspielen: "Wir zeigen ab heute keine antisemitischen Fantasy-Spektakel mehr!"
Götz am Permanenter Link
Super Idee! Tatsächlich die einzig sinnvolle Verwendung für dieses überflüssige Spielzeug. Und einen Lacher hat Jesus dann sicher.
Manfred Schleyer am Permanenter Link
"Unverfälschte Passionsspiele"? Mit der Passion spielen? Als ob es eine Passion gäbe?
Claudia am Permanenter Link
Interessant ist auch, dass bis zu den Passionsspielen 1990 keine Frauen mitspielen durften, die verheiratet oder älter als 35 Jahre waren.
Welch emanzipatorischer Geist durchweht seither die Leidensspiele des Herrn...
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Was erwarten wir von einer patriarchalischen Religion?
Aber das hat auch sein Gutes: So beweisen diese Verhaltensweisen wie altbacken und vorgestrig das religiöse Konstrukt ist - jedes religiöse Konstrukt...
Ulrike Dahmen am Permanenter Link
Die Humanisten müssen ja nicht auf jeden Schnickschack eingehen! Der Esel wird durch diesen Ritt nicht besonders gequält. Es gibt Wichtigeres und Schlimmeres zu berichten. Macht euch doch nicht lächerlich!
Frank Zappa am Permanenter Link
@Ulrike Dahmen: Soso, Tiere quälen ist also ok, solange es nicht "besonders" [schlimm] ist? Kinder quälen auch?
Und was gibt es "Wichtigeres" für einen Humanisten, als das Leid in dieser Welt zu lindern? Im Großen wie im Kleinen?
ps: Ist nicht Friedrich Nietzsche in geistige Umnachtung versunken angesichts eines gequälten Esels?
awmrkl am Permanenter Link
@Ulrike Dahmen
"Die Humanisten müssen ja nicht auf jeden Schnickschack eingehen!"
Stimmt. Aber wenn ihnen danach ist, dann dürfen sie es doch!?
"Der Esel wird durch diesen Ritt nicht besonders gequält. "
Waren Sie schon mal dieser Esel? Und es hat Sie nicht besonders gequält?
Schön für Sie. Aber nicht für den Esel.
"Es gibt Wichtigeres und Schlimmeres zu berichten."
Richtig.
Soll doch bitte der HPD, die dt. Journalisten, die gesamte Welt und deren Berichterstattung gefälligst bei Ihnen nachfragen, was es nicht nur "Wichtiges und Schlimmes", sondern gar "Wichtigeres und Schlimmeres" zu berichten gibt - sonst darf es ja wohl nicht veröffentlicht werden!?
Macht euch doch nicht lächerlich!
Nein. Sie machen sich lächerlich, indem Sie versuchen, Anderen (Bloggern, Schreibern, Medien) vorgeben zu wollen, was sie zu berichten haben (und was nicht), ganz im Stil absolutistischer französischer "Adeliger" (wenns kein Brot gibt, dann sollen sie halt Kuchen fressen). Und die deutschen "Adeligen" waren seinerzeit um keinen Deut besser.
Man muß nicht zu jedem Thema, das einem nicht in den Kragen passt, einen riesen Wirbel machen. Zumal ohne jegliches Argument oder Begründung.
Es gibt da einen schönen Spruch von D. Nuhr: Wenn man keine Ahnung hat, ...
awmrkl am Permanenter Link
@Ulrike Dahmen
Ich mach einen Vorschlag zur Güte:
"Der Esel wird durch diesen Ritt nicht besonders gequält."
Sie spielen diesen Esel, und ich stelle Ihnen statt dem angeblichen damaligen Reiter Jesus als heutigen Stellvertreter einen Kumpel zur Verfügung, ca. 110 kg schwer. Und nicht besonders geschickt.
Ich würde zu gerne sehen, wie weit und lange Sie das durchhalten :-)
Volker Kirsch am Permanenter Link
Sie haben da wohl was nicht richtig verstanden. Es geht doch nicht um die Frage E-Roller oder Esel allein!!
Andrea Pirstinger am Permanenter Link
Warum sind so viele nicht-menschliche Säugetiere SO geduldig mit uns kleinen menschlichen Säugetieren?
Möchten diese nicht-menschlichen Säugetiere "uns" etwas mitteilen? Wenn ja: was?