150 Jahre Tierpark Hagenbeck in Hamburg

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Ehemaliger Haupteingang im Tierpark Hagenbeck, Hamburg
Ehemaliger Haupteingang im Tierpark Hagenbeck, Hamburg

Am 11. März 1874, vor genau 150 Jahren also, eröffnete der Hamburger Tierhändler Carl Hagenbeck (1844-1913) – in Konkurrenz zu einem schon Anfang der 1860er aus der Hamburger Bürgerschaft heraus begründeten "Zoologischen Garten" – einen privaten "Thierpark", in dem er die bis dahin sowohl in Hamburg als auch in den anderen Zoologischen Gärten (Berlin, Frankfurt am Main, Köln, Dresden, Karlsruhe, Hannover) übliche simple Zurschaustellung exotischer Wildtiere mit jeder Menge Zirkus- und Rummelplatzattraktionen verknüpfte.

Da er zudem die Eintrittspreise auf ein Niveau absenkte, das auch "kleinen Leuten" den Besuch seiner Tierschauen erlaubte, erzielte er ungeheuren Publikumszuspruch. Unter Rückgriff auf die Erfahrungen seines Vaters, der schon ab 1852 eine Schaubude mit "Wachsfiguren-Cabinet" und "Ménagerie" in St. Pauli betrieben hatte, zog Hagenbeck seinen "Thierpark" ganz nach dem Geschmack des "einfachen Volkes" auf: neben der Zurschaustellung ständig wechselnder exotischer Wildtiere – Hagenbeck nutzte seinen "Thierpark" auch als Zwischenlager für seinen Tierhandel – wurden regelmäßig Zirkusnummern mit dressierten Tigern, Elefanten und anderen Tieren vorgeführt.

Völkerschauen

Von Anfang an veranstaltete Hagenbeck auch sogenannte "Völkerschauen". Anknüpfend an die bis ins frühe 16. Jahrhundert zurückreichende Tradition, auf Jahrmärkten und Volksfesten "abnorme" oder "exotische" Menschen auszustellen – auch im Umfeld der Schaubude seines Vaters waren Klein- und Riesenwüchsige, Missgebildete, Siamesische Zwillinge oder, wie es in damaligen Ankündigungen hieß, "Neger mit Tellerlippen", "Schwarze Haarmenschen" oder "Nackte Zuluprinzessinnen" präsentiert worden –, importierte er "Exoten" aus allen Teilen der Welt, bevorzugt aus Äthiopien, Somalia, dem Sudan, Birma, Ceylon und anderen als "rückständig" geltenden Ländern und Kulturen, die er, oft unter irreführenden und falschen Versprechungen, von Agenten anwerben und nach Hamburg verschiffen ließ.

Meist waren die Gruppen eine ganze Saison lang bei Hagenbeck zu besichtigen, dann wurden sie von anderen abgelöst. Letztlich fanden mehr als sechzig derart kulturchauvinistische und größtenteils offen rassistische "Völkerschauen" in Hamburg statt – unter anderem mit "Kaffern" (aus dem östlichen Südafrika, 1886), "Ashanti" (aus dem heutigen Ghana, 1898) oder "Indischen Zigeunern" (aus dem heutigen Kerala/Südindien, 1900). In eigens angefertigten Kulissenlandschaften aus Holz und Pappmaché mussten die einzelnen Gruppen "Szenen aus ihrem Alltagsleben" vorführen. Die Lappländer etwa bauten zwei Zelte aus Rentierhaut auf und setzten sich davor; dann bauten sie sie wieder ab, luden sie auf Schlitten, zogen damit ein paar Mal im Kreis herum und bauten sie erneut auf.

Adolph Friedländer: Plakat für eine Lappen-Völkerschau bei Carl Hagenbeck 1893/94
Adolph Friedländer: Plakat für eine Lappen-Völkerschau bei Carl Hagenbeck 1893/94, gemeinfrei

Zwischendurch zeigten sie ihre Kunstfertigkeit im Umgang mit dem Lasso oder fertigten Kleidungsstücke aus Tierfellen an. Besonderes Aufsehen, so Hagenbeck in seinen Notizen, erregte eine "kleine Lappländerfrau, wenn sie in aller Natürlichkeit ihrem Säugling die Brust reichte".1 Ebenso aufsehenerregend war offenbar eine nur mit Lendenschurzen bekleidete Gruppe aus dem Sudan, über die es in einem Zeitungskommentar aus dem Jahre 1894 hieß: "Auf Kleidung gibt der Dinka-Neger wenig (…) er nimmt sich Adam ganz zum Muster".2 Auch wenn immer wieder nord- oder osteuropäische Gruppen auftraten, war doch die ganze Präsentation "wilder Menschen" darauf angelegt, die Überlegenheit des zivilisierten und christianisierten "weißen Mannes" herauszustellen: vor allem die Schauen mit dunkelhäutigen Menschen waren offen rassistisch.

Klischees und Vorurteile

Ab 1897 zog Hagenbeck vom Neuen Pferdemarkt auf ein wesentlich weitläufigeres Gelände in Stellingen um. In seinem 1907 eröffneten neuen Tierpark (der bis heute besteht) ließ er eine eigene Schauarena einrichten, in der aufwändig angelegte Spektakel inszeniert werden konnten. Bis zu achtmal pro Tag wurden exakt choreographierte "bewegte Bilder" vorgeführt, die sämtliche Klischees und Vorurteile bedienten – und fortschrieben –, die über die jeweiligen Völker kursierten: Die "Sioux–Schau" von 1910 etwa zeigte einen Überfall "hinterhältiger Indianer" auf eine Farm weißer Siedler, die "Beduinen-Schau" von 1912 die gewaltsame Entführung eines jungen Mädchens, das der Sohn eines Wüstenscheichs zur Frau haben will. Nach immergleicher Dramaturgie – Überfall, Verfolgung, Showdown – entspannen sich jeweils "wilde Reiterkämpfe" mit Geschrei und Gejohle. Zur Schaffung entsprechender Atmosphäre wurden in der Schauarena immer auch thematisch passende Tiere, etwa Zebras oder Giraffen, dazugestellt.

Kaiser Wilhelm II. begegnet einer Gruppe Äthiopier bei einer Völkerschau im Tierpark Hagenbeck (1909)
Kaiser Wilhelm II. begegnet einer Gruppe Äthiopier bei einer Völkerschau im Tierpark Hagenbeck (1909), Bundesarchiv, Bild 183-R52035 / Lizenz: CC-BY-SA 3.0

Nach ihren Auftritten in Hamburg wurden die "Völkerschauen" auf Tourneen quer durch Europa weitervermarktet, reihum traten sie in zahlreichen anderen Zoos und Kolonialausstellungen auf. Nicht wenige der "Wilden" sahen ihre Heimaten nie wieder: sie fielen Infektionskrankheiten zum Opfer, gegen die sie keine Abwehrkräfte hatten.4

Erst Anfang der 1930er wurden die Völkerschauen eingestellt beziehungsweise von den Nationalsozialisten vereinnahmt, die noch bis Ende des Jahrzehnts Schauveranstaltungen nach Hagenbeck'schem Vorbild organisierten: über Jahre hinweg tourte etwa eine "Deutsche Afrika-Schau" durch die Lande, die sich für die Wiedergewinnung der ehemaligen deutschen Kolonien stark machte. 1940 trat ein Auftrittsverbot für "Farbige" in Kraft, was das endgültige Aus für die Völker- und Menschenschauen bedeutete.

Eine ernstzunehmende, sprich: öffentliche Aufarbeitung dieses besonders düsteren Kapitels ihres "Tierparks" verweigert die Familie Hagenbeck bis heute. Auch wenn in einem Jubiläumsbildband von 2007 dem Thema "Hagenbecks Völkerschauen" ein eigenes Kapitel eingeräumt wird, findet sich darin nicht die Spur (selbst-)kritischer Reflexion: "Wie bei der Präsentation der Tiere setzte Hagenbeck auch und gerade bei den Völkerschauen auf die Schaffung 'malerischer' Bilder. (…) Es waren bis ins Einzelne durchorganisierte Shows, die virtuos mit den Erwartungen des Publikums spielten. Man knüpfte an vorhandene Stereotype an und bot den Besuchern einen 'touristischen' Blick auf Land, Menschen und Kultur."5 Auf der aktuellen Website des Zoos findet sich unter dem Stichwort "Völkerschauen" überhaupt nichts. Kein Wort. Im Zoo selbst hingegen lassen sich bis heute, gänzlich unkommentiert, zahlreiche Hinweise auf die "Völkerschauen" des Carl Hagenbeck entdecken, nicht zuletzt die Statue eines speerschwingenden "Wilden" mit Lendenschurz auf dem historischen Eingangstor oder die als Kulissen der Birma-Schau von 1913 genutzten "Tempelruinen". Das zooeigene Restaurant ist, auch hier völlig unkommentiert, mit Plakaten der seinerzeitigen "Völkerschauen" dekoriert. Und selbstredend steht ein überlebensgroßes Denkmal für den "Impresario" auf dem Zoogelände herum.

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1 Hagenbeck, Carl: Von Tieren und Menschen. Leipzig 1967, S. 66

2 zitiert in: Anhalt, Utz: Tiere und Menschen als Exoten: Exotisierende Sichtweisen auf das 'Andere' in der Gründungs- und Entwicklungsphase der Zoos (Diss.). Hannover, 2006, S. 334

3 vgl. Geiss, Imanuel: Geschichte des Rassismus. Frankfurt am Main, 1988, S. 147f.

4 vgl. Eißenberger, Gabi: Entführt, verspottet und gestorben. Berlin, 1996

5 Hagenbeck: Ein zoologisches Paradies. Hamburg 2007, S. 71f.