Können wir spontan Gedanken lesen?

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In den Videos des Experiments trug eine Schauspielerin eine Augenbinde.
In den Videos des Experiments trug eine Schauspielerin eine Augenbinde.

Eine der wichtigsten menschlichen Fähigkeiten ist, zu verstehen, was andere Menschen denken. Die Perspektive anderer scheint uns sogar dann zu beeinflussen, wenn sie für uns völlig irrelevant ist. Katrin Rothmaler und Charlotte Grosse Wiesmann vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig haben untersucht, inwieweit die Perspektive Anderer unser Denken unterschwellig beeinflusst.

Sind wir von der Perspektive Anderer in unserer eigenen Wahrnehmung oder unserem eigenen Verhalten beeinflusst, wird dies in der Wissenschaft als "alterzentrisch" bezeichnet. Noch ist unklar, ob solche alterzentrischen Effekte auf universale Aufmerksamkeitsprozesse zurückgeführt werden können oder ob wir tatsächlich die Perspektive unserer Mitmenschen spontan mitverarbeiten.

Das Team um Katrin Rothmaler hat zwei unabhängige Experimente mit Studienteilnehmerinnen und Teilnehmern durchgeführt. Die Personen wurden zu Beginn mit zwei Augenbinden vertraut gemacht: Die eine Augenbinde war durchsichtig, die andere nicht. Im Anschluss daran sahen sie Videos wie dieses, in denen eine Schauspielerin eine dieser Augenbinden trug.

Um dies zu testen, hat das Team um Katrin Rothmaler zwei unabhängige Experimente mit insgesamt 234 Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchgeführt. Die Personen wurden zu Beginn der Experimente mit zwei Augenbinden vertraut gemacht: die eine Augenbinde war durchsichtig, die andere nicht. Im Anschluss daran sahen die Personen Videos, in denen eine Schauspielerin eine dieser Augenbinden trug. Basierend auf ihrer eigenen Erfahrung mit der Augenbinde konnten die Probandinnen und Probanden sich nun die Perspektive der Schauspielerin erschließen.

Beweise gegen alterzentrische Effekte

"Anders als in vorangegangenen Studien ohne Augenbinde konnten wir in unseren Experimenten statistische Beweise gegen alterzentrische Effekte in den Reaktionszeiten der Personen finden. Gleichzeitig waren sie stark von ihrer eigenen Perspektive beeinflusst. Diese Befunde legen zwei unterschiedliche Interpretationen nahe: Entweder sind alterzentrische Effekte tatsächlich nur auf einfache Aufmerksamkeitsprozesse zurückzuführen oder wir können die Perspektive Anderer nicht implizit verarbeiten, wenn wir sie uns anhand von eigenen Erfahrungen erschließen müssen", erklärt Katrin Rothmaler die Ergebnisse.

Was bedeutet dies nun für unser alltägliches Leben? Können wir die Perspektive unseres Gegenübers direkt ablesen, kann sie unsere Aufmerksamkeit und unser Verhalten unterschwellig beeinflussen. Muss die Perspektive des Anderen jedoch erst mühsam erschlossen werden, setzten diese impliziten Prozesse aus. Ob wir uns spontan in jemand anderen hineinversetzten, hängt also davon ab, mit wieviel Aufwand es verbunden ist. (mpg)

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