Der moderne Mensch stammt nicht von einer einzigen Gründerpopulation in einer Region Afrikas ab, sondern seine Vorfahren lebten über den gesamten Kontinent verstreut. Die verschiedenen Jäger- und Sammlergruppen waren weitgehend voneinander isoliert. Getrennt durch Wüsten und dichte Wälder lebten sie in unterschiedlichen Lebensräumen. Jahrtausende der Trennung führten zu einer erstaunlichen Vielfalt menschlicher Gruppen, deren Vermischung letztlich unsere Spezies prägte. Dies ist das Ergebnis einer internationalen Studie unter der Leitung von Eleanor Scerri, Wissenschaftlerin an der British Academy der Universität Oxford und am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena.
Während allgemein anerkannt ist, dass der moderne Mensch seinen Ursprung in Afrika hat, wurde der Frage, wie sich der Mensch innerhalb des Kontinents entwickelt hat, bislang wenig beachtet. Vielfach ging man davon aus, dass die frühen Vorfahren des Menschen eine einzige, relativ große Bevölkerungsgruppe waren, die ihre Gene und auch Technologien, wie die Herstellung von Steinwerkzeugen, mehr oder weniger zufällig untereinander austauschten.
Eine neue Studie stellt diese Sichtweise in Frage, indem sie nicht nur anthropologische Funde (Knochen), archäologische und genetische Erkenntnisse einbezieht, sondern auch neue und detailliertere Rekonstruktionen von Afrikas Klimazonen und Lebensräumen während der letzten 300.000 Jahre.
Eine Art, viele Ursprünge
"Steinwerkzeuge und andere Artefakte - gewöhnlich als materielle Kultur bezeichnet - haben sich bemerkenswerterweise in geographischen und zeitlichen Clustern entwickelt", sagt Erstautorin Eleanor Scerri, Wissenschaftlerin an der Universität Oxford und am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. "Es gibt zwar über ganz Afrika einen Trend zu einer ausgefeilteren materiellen Kultur, aber diese 'Modernisierung' hat eindeutig nicht ihren Ursprung in einer einzigen Region oder Zeitperiode."

Menschliche Fossilien erzählen eine ähnliche Geschichte. "Wenn wir das Erscheinungsbild der menschlichen Knochen in den letzten 300.000 Jahren betrachten, sehen wir eine komplexe Mischung aus archaischen und modernen Merkmalen an verschiedenen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten", sagt Ko-Autor Chris Stringer vom Londoner Natural History Museum. "Wie bei der materiellen Kultur sehen wir auf dem gesamten Kontinent einen Trend zu anatomischen Merkmalen des modernen Menschen, aber verschiedene Merkmale treten an verschiedenen Orten zu unterschiedlichen Zeiten auf, und einige archaische Merkmale existierten noch bis vor Kurzem."
Die genetischen Befunde stehen damit in Einklang: "Die genetischen Muster heutiger Afrikaner und die DNA aus den Skelettresten von Menschen, die in den letzten 10.000 Jahren in Afrika lebten, lassen sich kaum mit einer einzigen menschlichen Urbevölkerung in Einklang bringen", sagt Ko-Autor Mark Thomas, Genetiker am University College London. "Wir sehen Anzeichen für schwache genetische Verbindungen tief in der Vergangenheit, einige sehr alte genetische Abstammungslinien und ein Niveau der Gesamtvielfalt, welches eine einzelne Population nur schwer hätte aufrechterhalten können."
Ein genetisches, ökologisches und kulturelles Patchwork
Um zu verstehen, warum die Bevölkerung Afrikas so stark untergliedert war und wie sich diese Aufspaltungen im Laufe der Zeit verändert haben, betrachtete das Forschungsteam die ursprünglichen Klimazonen und Lebensräume des Kontinents. Dabei entstand das Bild von sich verändernden und oft isoliert bewohnbaren Zonen. Viele der heute unwirtlichsten Regionen Afrikas, wie die Sahara, waren einst feucht und grün, mit Seen- und Flüssen durchzogen und einer reichen Tierwelt belebt. Zeitgleich waren einige tropische Regionen, die heute feucht und grün sind, einst trocken. Diese sich verändernden Umweltbedingungen führten auch zu Aufspaltungen innerhalb von Tierarten.
Der Wandel der bewohnbaren Zonen legt die Vermutung nahe, dass ihre Bevölkerungen viele Phasen der Isolation durchlebten, was zu lokaler Anpassung und der Entwicklung einer eigenen materiellen Kultur und biologischen Zusammensetzung führte. Darauf folgten wiederum eine genetische und kulturelle Vermischung.
"Übereinstimmende Belege aus diesen verschiedenen Bereichen unterstreichen, wie wichtig es ist, die Bevölkerungsstruktur in unseren Modellen der menschlichen Evolution zu berücksichtigen", so Lounes Chikhi vom CNRS in Toulouse und vom Instituto Gulbenkian de Ciência in Lissabon.
"Die Entwicklung der menschlichen Bevölkerung in Afrika war multiregional. Unsere Abstammung war multiethnisch. Und die Entwicklung unserer materiellen Kultur war multikulturell", bilanziert Erstautorin Eleanor Scerri. "Wir müssen uns alle Regionen Afrikas ansehen, um die menschliche Evolution zu verstehen." (MPG)
14 Kommentare
Kommentare
annen anne Nerede am Permanenter Link
Das ist mir zu kompliziert. Ich bestehe als Frau darauf, aus der Rippe eines Menschen geformt worden zu sein.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Aber wenn schon, denn schon "aus der Rippe eines" *Mannes*... ;-)
little Louis am Permanenter Link
Das/der Narrativ der Abstammung aller heutigen Menschen von wenigen Individuen aus einer winzigen "Flaschenhals-Population (aus Afrika) scheint allmählich zu bröckeln.
Die Chinesen haben eh nie daran geglaubt und aufgrund ihrer Empirie (und auch aus Nationalismus?) die global multiregionale These favorisiert.
Und so wird auch bei uns allmählich (und intern vermutlich schon länger) aus : "Wir alle sind aus einer einzigen Region "Out of Afrika" die Geschichte so umgedeutet, dass "Wir" jetzt halt aus verschiedenen Regionen Afrikas sind. Das macht vermutlich den baldigen Übergang vom bisherigen "Out of Africa"- Dogma zum aufgrund von bevölkerungsgenetischen und örtlichen Funddaten weit plausibleren Global-multiregionalen Modell der Chinesen etwas unauffälliger. Und damit im Rücklick auf die heißen Kämpfe der Vergangenheit angenehmer.
Vom Himmel oben lässt Thomas Kuhn mit seiner Theorie der wissenschaftlichen Paradigmenwechsel grüßen.
Siegbert am Permanenter Link
Aufgrund von genetischen Befunden ist ein Flaschenhals bei 70000 Jahren vor heute anzunehmen. Das hat nichts zu tun mit den in dem Artikel angesprochenen Zeiträumen, wo es viel weiter zurückgeht.
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Die Chinesen sind mit ihrer eigenen Pekingmensch-Rasse auf die Nase gefallen. Das war wohl nix.
little Louis am Permanenter Link
@Siegbert und KHB
Und was halten Sie davon
https://www.spektrum.de/news/die-ersten-die-hier-ankamen-stammten-aus-afrika/1577656
Dazu gab es vor Jahren auch schon eine TV- Dokumentation
Sie auch die älteren Artikel dazu bei spektrum. (Aber auch sonstwo).
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Ein genetisches, ökologisches und kulturelles Patchwork" - was auch sonst?
Das Pleistozän mit seinem klimatischen Auf und Ab war geradezu prädestiniert dazu, dieses Patchwork zu provozieren.
Für mich persönlich am wichtigsten - das Ergebnis wird mit Sicherheit (! NICHT mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit !) anders aussehen als von sog. "heiligen Büchern" behauptet.
Das Ergebnis wird (nur z.B.) keine 'sprechenden Schlangen' enthalten.
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Was will uns der Artikel denn sagen?
Dass nicht alle Homininen in den letzten 7 Mio Jahren auf einem Fleck gelebt haben? Wussten wir.
Wo ist bei diesem Artikel der große Erkenntnisgewinn zu finden?
Dass es der MPG mal wieder gelungen ist, Belangloses als weltbewegende Erkenntnis rauszuhauen, mit der die Geschichte der Menschheit von Grund auf neu geschrieben werden muss? Wer in die Genetik und Kultur der letzten 40 000 Jahre Homo sapiens in Europa schaut, findet genau das gleiche. Wie erstaunlich!
Siegbert am Permanenter Link
Der Artikel teilt mit, dass die Evolution zum Homo Sapiens immer noch viel verzweigter war als wir bzw. die Wissenschaftler es sich bisher vorgestellt hatten.
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Aus Teilen eines Schädels und einem Stück Oberschenkelknochen schließen einige Archäologen auf einen 190 - 300 000 Jahre alten Homo sapiens, weil man die Knochen in einer Schicht dieses Alters gefunden hat.
Siegbert am Permanenter Link
Nicht unbedingt. Der Genpool kann immer mal wieder ausgedünnt worden sein, sei es durch Verringerung der Individuenzahl oder einfach durch Nichtweitergabe von bestimmten Genen.
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Natürlich ist fast alles möglich, aber ist es auch wahrscheinlich? Wenn es Homo sapiens bereits vor 300 000 Jahren gab, müsste die afrikanische Population sehr viel diversifizierter sein, als sie es heute ist.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Karl-Heinz, soweit ich weiß, werden solche Pressemitteilungen (PMen) nicht von den verursachenden Wissenschaftlern, sondern von PR-Strategen geschrieben (die nicht unbedingt Wissenschaftler sind); da kann dann u.U.
little Louis am Permanenter Link
@ H.B,, KHB und S.
Zum Theoriestreit "(Globaler) Multiregionalismus" nochmal was etwas aktuelleres, was hierzulande (offiziell) kaum wahrgenommen wird:
https://www.heise.de/tp/features/Out-of-Africa-oder-Multiregionalismus-4079378.html