Forschung

Tote enthüllen Geschlechterrollen der Bronzezeit

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Bestattung eines (männlichen?) Kindes in Franzhausen II,, ca. 2000 bis 1600 v.u.Z.
Bestattung eines (männlichen?) Kindes in Franzhausen II

In den 1980er Jahren entdeckte man beim Bau einer Schnellstraße in Niederösterreich tausende bronzezeitliche Gräber. Jetzt will ein Team aus Archäologie, Gerichtsmedizin und Chemie die Funde wieder zum Leben erwecken. Die Forschenden versuchen herauszufinden, welche Rolle das Geschlecht für das Zusammenleben in der vergangenen Kultur spielte.

Die Gräberfelder von Franzhausen I und II liegen im unteren Traisental in Niederösterreich zwischen St. Pölten und Krems. In der frühen Bronzezeit (zwischen 2300 und 1600 v.u.Z.) wurden hier über 2.200 Menschen bestattet – Männer, Frauen und Kinder. Während Franzhausen I intensiv untersucht wurde, blieb das größere Gräberfeld Franzhausen II mit rund 1.500 Bestattungen bisher weitgehend unerforscht.

"Franzhausen II ist eine großartige Ressource, vor allem weil wir in der Archäologie in den letzten Jahren viele neue Analysemethoden entwickelt haben", sagt Katharina Rebay-Salisbury, Professorin für Urgeschichte des Menschen an der Universität Wien. Eine dieser Methoden ist die Analyse des Proteins Amelogenin im Zahnschmelz. Da sich dieses Protein bei Frauen und Männern unterscheidet, ist damit eine molekularbiologische Bestimmung des genetischen Geschlechts möglich. "Meine Idee war, diese Analysen mit der Erforschung der unangezapften Goldmine Franzhausen II zu verbinden", so Rebay-Salisbury. Über die "1000-Ideen-Förderschiene" des Wissenschaftsfonds FWF für besonders originelle Forschungsprojekte geht die Archäologin nun mit einem interdisziplinären Team der Frage nach, welche Stellung das Geschlecht im Zusammenleben der bronzezeitlichen Menschen hatte.

Die Kinder der Bronzezeit

In der Bronzezeit waren Bestattungen stark geschlechtsspezifisch. Kulturelle Praktiken bestimmten je nach Geschlecht die Position der Personen im Grab und die Grabbeigaben. Durch den Vergleich mit dem biologischen Geschlecht kann Rebay-Salisbury gleich mehreren Fragestellungen nachgehen. Zum einen war es früher nicht möglich, das biologische Geschlecht von Kindern eindeutig zu bestimmen, weil sich die Skelettmorphologie zwischen Mädchen und Buben nicht wesentlich unterscheidet. Amelogenin-Analysen von Franzhausen I bestätigen aber, dass schon Kleinkinder geschlechtsspezifisch bestattet wurden. "Das ist im Vergleich zu anderen Kulturen ungewöhnlich, denn Kleinkinder gehören in der Regel noch zur mütterlichen Sphäre und werden dem weiblichen Bereich zugeordnet", erläutert Rebay-Salisbury die Funde.

Zum anderen will die Archäologin mit der innovativen Methode das Leben der Kinder rekonstruieren und untersuchen, ob eines der beiden Geschlechter überproportional von Unterernährung, Traumata, Krankheiten oder Kindermorden betroffen war. So zeigen Analysen der Zahnabnutzung von 75 Kindern aus Franzhausen I bereits, dass Kinder in der Bronzezeit im Vergleich zu heute eher härtere, abrasive Nahrung erhielten und selten an Karies erkrankten. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass Mädchen und Jungen möglicherweise unterschiedlichen Zugang zu bestimmten Nahrungsmitteln wie Fleisch hatten.

Kaum Transidentitäten festgestellt

Zu den geschlechtsspezifischen Bestattungen der Bronzezeit gehörten klar definierte Praktiken. So wurden Männer auf der linken Seite liegend mit dem Kopf nach Norden und den Füßen nach Süden bestattet. Frauen hingegen wurden auf die rechte Seite gelegt und genau umgekehrt ausgerichtet. Hinzu kamen geschlechtstypische Beigaben wie Tracht, Schmuck und Werkzeuge. Auch die Grabtiefe hing von der sozialen Stellung und dem Geschlecht ab: Männer wurden meist in tieferen Gräbern bestattet, Frauen in flacheren, Kinder ganz flach oder bis zum Alter von zwei Jahren fast gar nicht.

Diese Praktiken dienten dazu, die Verstorbenen gesellschaftlich einzuordnen und ihren Status zu unterstreichen, erklärt Rebay-Salisbury. Interessanterweise fand sich kein einziger Fall, in dem eine Frau wie ein Mann bestattet wurde oder umgekehrt. "Wir sehen jedoch in Einzelfällen Mischformen in der Bestattungspraxis. Diese sind derzeit am schwierigsten zu interpretieren", sagt Rebay-Salisbury mit Blick auf erste Ergebnisse aus dem aktuellen Projekt, die derzeit zur Publikation vorbereitet werden.

Geschlechterrollen der Bronzezeit

Die Gemeinschaften der Bronzezeit bestanden aus einigen hundert Menschen, die in Dörfern zusammenlebten und Bronze vor allem für Schmuck und Werkzeuge verwendeten. "Diese Menschen mussten in Europa gut vernetzt sein, um Zugang zu den Rohstoffen zu haben, und die Verarbeitungstechniken beherrschen. Wir sehen auch, dass Berufe wie der des Schmieds in dieser Zeit aufkamen und vorwiegend von Männern ausgeübt wurden", erklärt Rebay-Salisbury, weshalb sich die Binarität der Geschlechter im Vergleich zur vorangegangenen Jungsteinzeit verstärkte. Zusätzlich trieb das Bevölkerungswachstum die Arbeitsteilung an und verschärfte die Kontraste zwischen den Geschlechtern.

"In der heutigen Gesellschaft verstehen wir Geschlechteridentität als etwas, das man zum Teil selbst definieren und leben kann. Dabei befinden wir uns beim Thema Geschlecht in einem Spannungsfeld zwischen dem, wie wir uns selbst sehen, und dem, wie wir von anderen gesehen werden", sagt Rebay-Salisbury. An den Gräbern aus Franzhausen lässt sich ablesen, wie die Mitmenschen das Geschlecht ihrer Verstorbenen nach deren Tod beurteilten – denn Tote bestatten sich bekanntlich nicht selbst. Durch das "1000-Ideen-Projekt" will Rebay-Salisbury nun auch Einblicke in das Leben dieser Menschen und das Zusammenleben der Geschlechter während der Bronzezeit geben.

Der Beitrag erschien zuerst im Magazin Scilog des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF.

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