OBERWESEL. (hpd/gbs) Der Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, Michael Schmidt-Salomon, hat das gestrige Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das den Kirchen weitgehende Rechte einräumt, ihren Arbeitnehmern fundamentale Grundrechte zu verwehren, scharf kritisiert.
"Das Bundesverfassungsgericht hat die überholten Bevormundungsnormen konfessioneller Arbeitgeber in beschämender Weise über die in der Verfassung garantierten individuellen Selbstbestimmungsrechte gestellt. Religionsgemeinschaften können sich nun auf das höchste deutsche Gericht berufen, wenn sie Wiederverheiratete, Schwule oder Andersgläubige diskriminieren. Dieses Urteil geht nicht nur zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, es beschädigt den Ruf des Bundesverfassungsgerichts und untergräbt die Autorität der Verfassung in der Bevölkerung. Dazu hätte es niemals kommen dürfen!"
Wie bereits der Chefredakteur des Humanistischen Pressedienstes, Frank Nicolai, stellte auch Schmidt-Salomon in seinem Kommentar heraus, dass das BVG sich irre, wenn es mit Bezug auf "Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV" von einem weit gefassten "kirchlichen Selbstbestimmungsrecht" ausgehe: "Tatsächlich findet man in Artikel 137 kein 'kirchliches Selbstbestimmungsrecht', das es den Kirchen erlauben würde, allgemein geltende Gesetze auszuhebeln, sondern bloß ein 'kirchliches Selbstverwaltungs- und Ordnungsrecht'. Wörtlich heißt es in dem Artikel: 'Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes'. Das heißt, dass sich die Religionsgemeinschaften eben nicht über geltende Rechtsnormen stellen dürfen und es deshalb niemals verfassungskonform sein kann, wenn ein katholische Träger einen Chirurgen entlässt, bloß weil dieser ein zweites Mal geheiratet hat. Das Ganze ist eine schreckliche Farce – vor allem wenn man bedenkt, dass die Kirchen keinen Cent zum Erhalt ihrer Krankenhäuser selbst beitragen!"
Erschwerend komme hinzu, so Schmidt-Salomon, dass das BVG die Realität völlig verkenne, wenn es behaupte, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die kirchlichen Arbeitsverträge "freiwillig" akzeptieren würden: "Caritas und Diakonie sind die größten nichtstaatlichen Arbeitgeber Europas, in einigen Regionen agieren sie dank üppiger staatlicher Unterstützung nahezu als Monopolisten im Bereich der Medizin, der Pflege und der Sozialdienste. Eben deshalb muss es eine vordringliche Aufgabe der Politik und der Gerichte sein, die Bürgerinnen und Bürger vor konfessionellen Knebelverträgen zu schützen."
Bislang habe der deutsche Staat auf diesem Gebiet kläglich versagt, meint Schmidt-Salomon, aber das sei kein Grund, voreilig zu resignieren: "Wir werden dieses Urteil nicht klaglos hinnehmen! Im Gegenteil: Wir werden unsere Aktionen gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz noch verstärken. Das BVG-Urteil hat gezeigt, dass wir bei diesem Thema noch sehr viel Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit leisten müssen – offenbar selbst bei unseren obersten Rechtshütern."
Übernahme mit freundlicher Genehmigung von der Webseite der Giordano Bruno Stiftung.
18 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Richtig, Michael! Frage an religiöse Arbeitgeber: Was braucht es, um seine Mitarbeiter anständig zu behandeln? Anstand!
Itna am Permanenter Link
Man sehe sich die Biografien der obersten Richter an, dann wird einem alles klar.
Verdummbibelte, frühindoktrinierte Karrierejuristen.
Man kommt n diese, Staat leider hauptsächlich mit religiotischem Hintergrund nach oben.
Pfarrestochter, Pfarrer, Theologen ohne Ende in mächtigen Positionen.
Rudi am Permanenter Link
Ja das ist leider so. Wenn man die persönlichen Biografien der GROKO anschaut, so jeder einen religiösen Hintergrund. Angefangen von unserer lieben Frau Merkel bis zu unserer hoch verehrten Herrn Gauck.
Grüsse Rudi
Hans Trutnau am Permanenter Link
In der tat beschämend. Und gleichzeitig etwas ermüdend; "nicht klaglos hinnehmen". WER klagt WIE gegen das BVerfG?
Auf jeden Fall ist da etwas faul im Staate D.
Arno Gebauer am Permanenter Link
Hallo,
als vor ein paar Jahren der deutsche Papst alle deutschen Verfassungsrichter zu sich nach
Freiburg zu einem nicht veröffentlichten Gespräch einlud, war mir klar, dass das Folgen für die deutsche Rechtsprechung haben wird. Die betrachtete Urteilsfindung wird damit wohl zu tun haben.
Sehr bedenklich ist, dass sein päpstliche Nachfolger am 25.11.14 vor dem Europaparlament
sprechen wird und überhaupt darf, denn er ist kein Politiker, sondern ein Esoteriker!
Welche Folgen das für die EU hat, müssen wir abwarten.
Sicher ist, dass der Esoteriker nur Forderungen stellen wird.
Viele Grüße
Arno Gebauer
Hans Trutnau am Permanenter Link
Deutet sich hier die von Jo (s.u., 22.11.) kritisierte esoterische Verschwörungstheorie an? Das meinte ich mit meinem kurzen Beitrag nicht und läge mir auch sehr fern.
Kretzer am Permanenter Link
Da käme wohl nur noch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Frage. Es ist anzunehmen, dass die Diskriminierung Geschiedener dort als Menschenrechtsverletzung kassiert würde.
Lorenzo am Permanenter Link
In diesem Staate D ist sehr viel faul, vor allem Politiker und jetzt auch die höchstrichterliche Macht. Wir dürfen aber nicht müde werden dagegen anzukämpfen.
David am Permanenter Link
Dieses Urteil kann man eigentlich nur mit einem Zitat von Fr. Merkel selbst kommentieren, was ebenfalls im religiösem Umfeld fiel:
"Wir machen uns ja sonst zur Komiker-Nation!"
Philo am Permanenter Link
Das Grundgesetz und das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) setzten voraus, dass die Richter des Bundesverfassungsgerichts gleichwohl ihr Amt im Bemühen um Objektivität wahrnehmen (Beschl. v.
In diesem u. vergleichbaren Sinne empfehle ich gewisse Beziehungsverhältnisse einiger Verfassungsrichter zu politischen wie religiösen Interessensgemeinschaften zu prüfen, sodass ggf. entsprechende Befangenheitsanträge zu stellen sind.
Wolfgang Graff am Permanenter Link
Es handelt sich hier um eine höchstrichterlich gebilligte Verletzung von Menschenrechten, und ist damit wohl sogar ein Fall für Amnesty International.
Am Rande: Beschimpfungen sind kontraproduktiv. Die Kritik wird damit insgesamt in ein schlechtes Licht gerückt.
Florian B. am Permanenter Link
Soweit ich die Kommentare verstehe, wird hier nicht die Institution des Bundesverfasungsgerichts als solche kritisiert, sondern nur die handelnden Personen und ihr Urteil.
Jo am Permanenter Link
Man kann über solche Urteile natürlich streiten und auf anderer GG-Interpretation beharren. Aber hier bzw.
Elke am Permanenter Link
Man könnte das Urteil nun auch andersherum lesen: Als Apell des obersten Gerichts an die Politik, allgemeine, öffentliche Aufgaben nicht länger in die Hände von Religionsgemeinschaften zu geben.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Eine sehr gewagte These, Elke, bzw. Interpretation des Urteils. Sollte man nicht irgend einen Hinweis darauf im Urteil finden?
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ich finde zu dieser These auch keine Entsprechung in dem Urteil. Jedoch ist eines definitiv nicht von der Hand zu weisen: Die Zahl der konfessionell Gebundenen sinkt in Deutschland kontinuierlich.
JM am Permanenter Link
Ich bin mir zwar nicht "sicher", jedoch befürchte ich, dass die Kirche, bevor sie es zu diesen Problemen kommen lässt klammheimlich auf alle ihre Anforderungen verzichtet (vielleicht mit ein paar spektakulär
Elke am Permanenter Link
Ich habe mir erlaubt, dort konsequent weiterzudenken, wo das Urteil die eigenen Konsequenzen nicht weiterverfolgt. Das war ja auch nicht die gestellte Aufgabe.