Das genomchirurgische Verfahren CRISPR/Cas verspricht revolutionäre Fortschritte für die biomedizinische Forschung. Erstmals können auf gezielte und einfache Art Änderungen in den Genen lebender Zellen vorgenommen werden. Mit dieser neuen Methode könnten künftig schwere Erbkrankheiten effektiv behandelt werden. Doch vor allem die Anwendung auf die menschliche Keimbahn ist höchst umstritten und wirft drängende ethische, rechtliche und sozialpolitische Fragen auf. Höchste Zeit für eine offene gesellschaftliche Debatte – jenseits von undifferenzierter Schwarzmalerei und unkritischer Euphorie.
Mit kaum einem anderen Forschungsfeld sind derzeit so viele Hoffnungen und Ängste zugleich verbunden wie mit CRISPR/Cas. Während Utopisten das neue Verfahren der Genomchirurgie zum universellen Heilsbringer erklären, mit dem künftig Erbkrankheiten einfach aus dem menschlichen Genom "gelöscht" werden könnten, warnen Dystopisten vor einem unaufhaltsamen gesellschaftlichen Dammbruch und einem gefährlichen Schritt in Richtung "Designerbaby". CRISPR/Cas (ein Akronym für "Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats" und "CRISPR-assoziierte"-Proteine) – in populärwissenschaftlichen Artikeln gerne auch als "Gotteswerkzeug" oder "Zauberschere" bezeichnet – wurde erst vor wenigen Jahren entwickelt und hat in kürzester Zeit einen imposanten Siegeszug durch die weltweiten Forschungslabors angetreten. Die Technik verspricht präzise, effektiv und kostengünstig wie nie, Erbanlagen in lebenden Zellen zu verändern oder auszutauschen. Forscher sagen ihr ein immenses Innovationspotential für Pflanzenzüchtung, Biotechnologie oder Gentherapie nach. Schon jetzt ist von der Entdeckung des noch jungen 21. Jahrhunderts die Rede. Zwar wird CRISPR/Cas bis heute vor allem in der Grundlagenforschung, an Pflanzen und an Tieren angewandt, doch wird die medizinisch-therapeutische Anwendung am Menschen immer wahrscheinlicher und damit weitreichendere Fragen nach einem ethischen Umgang mit diesem neuen Werkzeug dringlicher. Seinen Weg in die breite Öffentlichkeit hat das Thema jedoch noch nicht gefunden.
CRISPR/Cas ist schnell, präzise und kostengünstig
Erst 2012 hatten zwei Wissenschaftlerinnen, die Französin Emmanuelle Charpentier und die US-Amerikanerin Jennifer Doudna, das Verfahren entwickelt, das seitdem in den Fokus des weltweiten Forschungsinteresses geraten ist. Sie hatten spezielle Enzyme untersucht, mit deren Hilfe sich Bakterien vor angreifenden Viren verteidigen. Das Enzym "Cas9" erkennt den krankmachenden Virus und zerschneidet, um ihn zu zerstören, zielgerichtet dessen DNS an einer bestimmten Stelle. Aus dieser natürlichen Abwehrfunktion von Bakterien konnten die Forscherinnen eine Methode ableiten, die sich auf die DNS eines jeden Lebewesens – von Einzellern und Mikroorganismen bis zu Pflanzen, Tieren und Menschen – anwenden lässt, um Gene jedweder Art zu manipulieren. Das Enzym wird dabei als eine Art molekulare Genschere benutzt, um Abschnitte eines Genoms herauszuschneiden, zu korrigieren oder durch andere Abschnitte zu ersetzen. Für dieses Allround-Werkzeug der Genchirurgie hat sich deshalb, analog zum Editieren eines Textes, der Begriff Gene-Editing, zu deutsch: Gen-Editierung, durchgesetzt.
Mittels Gen-Editierung sind nun erstmals auch sogenannte Multiplex-Verfahren möglich: Prinzipiell können Veränderungen an gleich mehreren Stellen der DNS vorgenommen werden. Damit sind zukünftig auch Behandlungen von nicht monogenetischen Erkrankungen denkbar, also Erbkrankheiten, deren Ursache an mehr als nur einer Stelle des Genoms verortet ist. Brisant ist zudem, dass eine Editierung des Genoms später nicht mehr als solche nachweisbar ist. Während ältere Techniken der Genmanipulation im Nachhinein immer eindeutig als künstliche Eingriffe identifiziert werden können, ist eine Gen-Editierung durch CRISPR/Cas nicht mehr von natürlicher Mutation oder Züchtung zu unterscheiden. Die Grenzen zwischen natürlicher und künstlicher Mutation verschwimmen.
Die Anwendungsgebiete der CRISPR/Cas-Technik sind äußerst vielseitig und vielversprechend. In der Pflanzenzüchtung kommt sie schon mit Erfolg zum Einsatz. Pflanzen-DNS kann mit der Genschere so zurecht geschnitten werden, dass die Pflanzen eine Immunität gegen Schädlinge entwickeln – so lässt sich bakterienresistenter Reis oder mehltauresistenter Weizen herstellten. Auch soll das Erbgut von Tieren mittels Gene Drive so verändert werden können, dass sich die Veränderung auf den Genpool einer ganzen Population auswirkt. Auf die Art könnte es bald möglich sein, ganze Populationen von Mücken resistent gegen Malaria, Dengue-Fieber oder Gelbfieber zu machen. Ähnlich große Hoffnung hegen Mediziner bezüglich der Anwendung auf den Menschen. Vor allem bei der Bekämpfung von eindeutig genetischen Defekt-Krankheiten wie Mukoviszidose, Chorea Huntington und Sichelzellenanämie erhofft man sich große Fortschritte. Aber auch gezielt adressierte Immunitäten gegen bestimmte Infektionen sind möglich. So wird schon heute intensiv an der genchirurgischen Herstellung einer HIV-Immunität geforscht, wie sie bei wenigen Menschen von Natur aus vorkommt.
Genetische Eingriffe in die menschliche Keimbahn sind höchst umstritten
Für eine differenzierte ethische Betrachtung der Genomchirurgie ist vor allem eine Unterscheidung zwischen Anwendungen an somatischen Zellen und solchen an der Keimbahn wichtig. Die genchirurgische Veränderung somatischer Körperzellen wie Haut- oder Organzellen betrifft immer nur das behandelte Individuum. Eingriffe in die Keimbahn wirken sich dagegen auf Keimzellen, also Ei- oder Samenzellen, aus. Eine Veränderung des Erbgutes betrifft dann nicht mehr nur das Individuum, sondern alle seine möglichen Nachkommen. Dasselbe gilt für den Einsatz von CRISPR/Cas an Embryonen: In frühen Entwicklungsphasen des Embryos lässt sich noch nicht eindeutig zwischen Somazellen und Keimbahnzellen unterscheiden. Jede Genmanipulation könnte sich damit auch auf potentielle Nachkommen vererben.
Die somatische Gentherapie am Menschen zu medizinischen Zwecken wird, sofern sie ausreichend sicher ist, zumeist als ethisch und rechtlich unbedenklich eingestuft. Experten gehen davon aus, dass dieses Verfahren in Zukunft zunehmend medizinische Verwendung finden wird. Eingriffe in die menschliche Keimbahn werden dagegen weitaus kritischer betrachtet. In seiner Jahrestagung zu dem Thema hatte sich der Deutsche Ethikrat gegen genchirurgische Keimbahninterventionen zum jetzigen Zeitpunkt ausgesprochen. Auch fordern viele internationale Wissenschaftsakademien Moratorien für jegliche Experimente an der menschlichen Keimbahn. Die Forschungspause soll genutzt werden, um eine gesellschaftliche Debatte über ethische, rechtliche und politische Dimensionen der neuen technischen Möglichkeiten anzustreben.
Fest steht: In Deutschland ist eine Keimbahnintervention und die Verwendung genetisch veränderter Keimzellen zur Befruchtung nach §5 des Embryonenschutzgesetzes (ESG) verboten. Doch dieses Gesetz ist 26 Jahre alt und weist Lücken auf, wenn man es auf die Keimbahninterventionen durch CRISPR/Cas anwendet. Vor allem die Begründung für das Embryonenschutzgesetz ist problematisch. Der Gesetzgeber argumentiert nämlich allein mit den unabsehbaren Risiken der Keimbahnintervention und den damit verbundenen Gefahren für das ungeborene Individuum. Wenn aber die Technik der Keimbahnintervention in naher Zukunft so ausgereift ist, dass sich ohne großes Risiko die Erbanlagen von Embryonen verändern lassen, ist diese Begründung hinfällig. Das Gesetz muss also angesichts der neuen Möglichkeiten überarbeitet werden.
Auch die meisten Wissenschaftler argumentieren primär mit dem unbekannten Risiko des Verfahrens und einer damit verbundenen möglichen Schädigung des zukünftigen Individuums. Dagegen ist auch zunächst nichts einzuwenden: Bei den unabsehbaren Risiken stellen Eingriffe an der menschlichen Keimbahn derzeit schlicht unverantwortliche Menschenversuche dar. Nach heutiger Kenntnislage sind Keimbahninterventionen nämlich irreversibel und unumkehrbar und unerwünschte Folgen könnten phänotypisch möglicherweise erst bei der nächsten oder übernächsten Generation auftreten. Doch mit zunehmender Erforschung der Technik stellt sich immer mehr die Frage, ab wann das Risiko tolerierbar ist. Und was ist, wenn die Technik eines Tages so ausgereift ist, dass sich ohne Risiko die Erbanlagen von Embryonen verändern lassen? Gibt es jenseits der Einwände gegen die derzeit hohe Unsicherheit des Verfahrens auch grundlegende ethische Bedenken? Auch wenn eine routinierte medizinisch-therapeutische Anwendung an der menschlichen Keimbahn im Gegensatz zur somatischen Therapie noch Zukunftsmusik ist, sollte die ethische Debatte über Risiken und Chancen für Mensch und Natur schon jetzt geführt werden. Dabei ist weder undifferenzierte Schwarzmalerei noch unkritische Euphorie geboten.
Gibt es kategoriale Einwände jenseits von Risikoabwägungen?
Es genügt dabei wohlgemerkt nicht, auf die Künstlichkeit eines genchirurgischen Eingriffes zu verweisen. Alle Heilung ist künstlich, insofern sie einen planmäßigen Eingriff in den Lauf der Natur darstellt. Lehnt man die Gen-Editierung aufgrund ihrer Künstlichkeit ab, müsste man konsequenterweise jede Therapie durch Menschenhand ablehnen. Es ist außerdem nicht evident, wieso naturwüchsige Vorgänge künstlichen überhaupt ethisch überlegen sein sollten – mag auch unser Alltagsdenken oft dem Natürlichen einen moralischen Sonderstatus zugestehen. Einen ethisch relevanten Unterschied zwischen einer spontanen natürlichen Mutation und einer willentlich herbeigeführten Manipulation des Genoms gibt es dennoch. Zwar können in beiden Fällen die späteren Individuen nicht selbst über ihre genetische Ausstattung verfügen, doch kann im Fall der natürlichen Mutation kein Verursacher oder Verantwortungsträger identifiziert werden. Es macht also durchaus einen Unterschied, ob ich meine DNS der natürlichen Lotterie des Zufalls oder der bewussten Entscheidung meiner Eltern verdanke.
Bei einer gründlichen ethischen Erwägung des Themas muss darüber hinaus bedacht werden, dass nicht allein die Anwendung von Genomchirurgie, sondern auch ihre Unterlassung ethische Probleme aufwirft. Sollte das Verfahren eines Tages so weit ausgereift sein, dass es Menschen vor schweren Erbkrankheiten bewahren kann, stellt sich die Frage nach einer moralischen Begründung eines staatlichen Verbotes. Eine solche Begründung müsste rechtfertigen, wieso der Staat eine Therapie verbietet, die zukünftigen Individuen ein Leben ohne schwere Krankheit ermöglicht. Eine Unterlassung eines solchen Eingriffes untergräbt womöglich das Recht auf körperliche Unversehrtheit des ungeborenen Menschen.
Gegen die Keimbahninterventionen wird dagegen häufig das Recht auf körperliche Selbstbestimmung angeführt. Die Veränderung des Erbgutes geschieht schließlich ohne eine Einwilligung des zukünftigen Individuums. Ein "Informed Consent", wie er anderen medizinischen Maßnahmen zugrunde liegen muss, kann somit nicht gewährleistet werden. Eine willentliche Veränderung der Erbanlagen nach den Vorstellungen anderer könnte außerdem eine unzulässige Instrumentalisierung des noch ungeborenen Menschen und damit eine Verletzung seiner Würde darstellen. Ob aber im Falle der Vorbeugung einer schweren Erbkrankheit von einer verwerflichen Würdeverletzung die Rede sein kann, ist fraglich.
In der ethischen Debatte um Keimbahninterventionen beim Menschen geraten erneut Fragen in den Blick, die schon bei den Debatten um Klonen, Präimplantationsdiagnostik und Pränataldiagnostik diskutiert wurden und noch immer ethischen Zündstoff bieten. Interessanterweise sprechen sich viele ehemalige Gegner der PID heute mit einem Verweis auf die Möglichkeiten der PID gegen Keimbahnexperimente aus. Ein Einsatz von CRISPR/Cas an Embryonen sei überflüssig, da Erbkrankheiten auch durch die risikoärmere PID vermieden werden könnten. Die Veränderungen seien bei der PID auf das Individuum beschränkt. Bei genchirurgischen Eingriffen an der Keimbahn seien dagegen ganze Generationen betroffen. Doch diesem Argument kann auch widersprochen werden: Wieso sollte ausgerechnet die Selektion und Aussortierung von vielen Embryonen weniger verwerflich sein, als die "Reparatur" der Gene eines Einzigen?
Auch die sogenannten Slippery-Slope- oder Dammbruchargumente sollten bei einer ethischen Betrachtung berücksichtigt werden. Besonders die für die Forschung so attraktive Niedrigschwelligkeit von CRISP/Cas birgt Gefahren. Das Handwerk der Genomchirurgie könnte zukünftig so einfach und kostengünstig ausführbar sein, dass es auch in mittelmäßig ausgestatteten Laboren angewendet werden kann. Kritiker warnen, dass eine Anwendung zur Vermeidung von schweren Krankheiten so den Weg ebnen könnte für eine unkontrollierbare Nutzung von CRISPR/Cas zur eugenischen Erbgutoptimierung. Es wird außerdem befürchtet, die Möglichkeit mittels Keimbahntherapie genetisch bedingte Behinderungen verhindern zu können, wirke sich negativ auf den gesellschaftlichen Umgang mit Menschen mit Behinderungen aus. Doch derartige Dammbruchargumente hängen immer auch von starken empirischen Hilfsprämissen ab und sind nur dann triftig, wenn diese Prämissen gut begründet werden können. Es bleibt nämlich fraglich, ob eine Erlaubnis von Keimbahninterventionen zur Vermeidung von schweren Krankheiten tatsächlich den prognostizierten gesellschaftlichen Dammbruch zur Folge hat.
Eine Grenze zwischen Therapie und Optimierung ist schwierig zu ziehen
Die wichtigste und zugleich schwierigste Unterscheidung für eine ethische Betrachtung ist sicherlich die zwischen Therapie und Optimierung. Die klare Mehrheit des Deutschen Ethikrates spricht sich dagegen aus, Gen-Editierung jemals zu Zwecken der positiven Eugenik einzusetzen. Es soll ausgeschlossen werden, dass die Technik statt zur Heilung von Krankheiten zur Perfektionierung der Erbanlagen genutzt wird und Eltern ihren Nachwuchs nach Gesichtspunkten der Ästhetik, Athletik, Intelligenz oder Musikalität optimieren. Eine solche Gestaltung der Erbanlagen von Kindern nach den eigenen Vorstellungen eines guten Lebens stellt eine problematische Instrumentalisierung dar. Auch gilt zu befürchten, dass eine derartige Erbgutoptimierung bestehende soziale Ungerechtigkeiten erheblich ausweiten wird. Doch so essentiell eine Trennung zwischen medizinisch indizierten und optimierenden Eingriffen auch ist; sie ist nicht immer so leicht mit dem Lineal zu ziehen, wie der Ethiker sich das wünscht. Handelt es sich bei einer genchirurgisch hergestellten HIV-Resistenz um eine präventive medizinische Maßnahme oder schon um Enhancement? Um die Grenze zwischen Heilung und Perfektionierung sauber ziehen zu können, bedarf es einer klaren und verbindlichen Krankheitsdefiniton. Aber Krankheitsbegriffe sind immer auch normative Konzepte und unsere Vorstellungen von Gesundheit, Krankheit und Normalität unterliegen einem ständigen gesellschaftlichen Wandel. Eine Trennung zwischen Heilung und Optimierung impliziert deshalb immer auch Werturteile über lebenswertes und defizitäres Leben, über vermeidbares Leid und über einen erstrebenswerten Normalzustand. Solche Werturteile können nicht allein Wissenschaftler und Mediziner treffen – sie müssen Gegenstand einer offenen und transparenten gesellschaftlichen Debatte sein.
11 Kommentare
Kommentare
Bernd Vowinkel am Permanenter Link
Optimierung ist nur eine andere Bezeichnung für Verbesserung. Was zum Teufel sollte an einer Verbesserung der Gene ethisch bedenklich sein?
Florian Chefai am Permanenter Link
Dieter Birnbacher hat sich diesbezüglich bei der Jahrestagung des Deutschen Ethikrates recht konkret geäußert: Dadurch dass eine Keimbahnintervention sämtliche Zellen eines Organismus über viele Generationen betrifft,
Solche ethische Bedenken gegenüber der Genom-Editierung und anderen neueren Technologien, wie sie von Birnbacher und hier von Jannis Puhlmann vorgebracht werden, haben jedenfalls mit einem "mittelalterlichen Menschenbild" nichts zu tun, sondern sind Bestandteil einer verantwortungsbewussten Risikoabschätzung.
Bernd Vowinkel am Permanenter Link
Der Hinweis auf Ratschläge von Autoritäten ist (zumindest für mich) kein Argument.
Regine am Permanenter Link
Was ist das Ziel dabei? Einen Menschen zu schaffen, der unendlich lang lebt? Man muss diese Gedanken zu Ende denken, wenn man sie schon beginnt. Ein Mensch lebt z.B.
Oder doch lieber vorprogammmierter Zelltod? Oder einen eingeplanten Herzinfarkt? Oder - um der Überbevölkerung entgegen zu treten - durch den Menschen gesteuerte Selektion der Menschen????! Kann das das Ziel der Wissenschaft sein??? Und wenn man erstmal in diese Richtung geht, wird es immer Menschen geben, die über's Ziel hinausschießen.
Das Problem ist doch, dass man nicht wahrhaben will, dass man sein Geschick nicht steuern kann. Dass es jemand anderen gibt, der über Leben und Tod entscheidet.
Talorin am Permanenter Link
Die Frage ist ja nicht ob Modifikationen mittels CRISP/Cas durchgeführt werden, sondern ob diese Möglichkeit der breiten Masse zugänglich gemacht wird.
Weiter vergibt man sich damit die Möglichkeit eine Lösung für ein weiteres Problem zu finden. Faktisch findet eine natürliche Selektion nicht mehr statt. Menschen die früher aufgrund diverser Krankheiten früh gestorben sind und keine Nachkommen haben konnten, geben ihre Krankheiten an die nächste Generation weiter, da heutige Medizin und das Fehlen von Raubtieren ihnen ein Weiterleben ermöglichen. Ich will niemanden das Recht zum Leben absprechen, aber der logische Schritt ist die Gen Bereinigung.
Ich fürchte hier wird eine Verweigerung zu einem lukrativen Schwarzmarkt führen, wo illegale Kliniken Behandlungen durchführen, die offiziell verboten sind. Wer entsprechend genetisch vorbelastet ist (z.B. Spondylarthrose seit Generationen in der Familie belegt), wird entweder keine Kinder in die Welt setzen oder alles Menschenmögliche machen, um seinen Kinder diese Krankheiten zu ersparen - auch Illegales.
little Louis am Permanenter Link
Beim Streit um den (künstlichen?)Eingriff in die Keimbahn wird merkwürdigerweise meistens das folgende "übersehen":
Jede natürliche Zeugung, die nicht zufällig und ungewollt von statten ging, ist heutzutage meistens auch das Ergebnis von bewussten und eventuell mehreren (strategischen) Entscheidungen der beiden Partner.
Deshalb sind auch "natürliche" Zeugungen letzendlich nichts anderes, als bewusste Eingriffe in die menschliche Keimbahn, bei der lediglich die "Technik" eine etwas andere ist.
Also treffen fast alle oben erwähnten Vorbehalte und Einwände gegen Eingriffe in die Keimbahn auf gentechnischem Wege prinzipiell auch auf die "natürliche Zeugung " zu. Auch jedem Elternteil kann bezüglich einer Zeugung vorgeworfen werden, durch bewusste Kombination von gesunden und "fehlehhaften" Genen zum Nachteil des Kindes negativ in eine (potentielle) Keimbahn eingegriffen zu haben.Das prangern die Behindertenaktivisten ja auch regelmäßig an und lehnen Selektionen jeder Art las unethische Euthanasie ab.
Aber bewusste VORGEBURTLICHE "Euthanasie" durch Auswahl oder Ablehnung von Zeugungspartnern (oder nachtäglich "Abtreibung") kann selbstverständlich auch durchaus als ethisch positive Maßnahme zur Verhinderung von Leid von (potentiellen) menschlichen Individuen gesehen werden.
Und dadurch bekommt die (obige) Diskussion auch teilweise absurde Züge. Ein Hauptproblem bei der ethischen Auseinandersetzung scheint immer noch zu sein, dass viele der beteiligten Akteure nicht bereit sind , mit offenen Karten zu spielen. Denn vielen geht es in der Diskussion nicht in erster Linie um humane Ethik und um das Wohl von Individuen, sondern vor allem um ihr (egoistisch-) privatreligiöses Motiv:
Nämlich dass man dem lieben Gott nicht ins Handwerk pfuschen dürfen soll ! (Oder um den gehorsamen Vollzug von Vorgaben der Chefs ihrer mächtigen Religionsvereine)
Sie haben also eher ein Interesse daran, von vernunftethischen Argumenten abzulenken oder diese als "selbstverständlich" unethisch propagandistisch zu denunzieren.
Doch schäbig (egoistisch) ist, wer versucht, private religiöse Motive als humanistische Universalethik zu verkaufen.
Thomas Friedrich am Permanenter Link
"Auch die meisten Wissenschaftler argumentieren primär mit dem unbekannten Risiko des Verfahrens und einer damit verbundenen möglichen Schädigung des zukünftigen Individuums.
Das Argument ist nicht schlüssig, wenn die Alternative darin besteht, mit einer viel höheren Wahrscheinlichkeit eine tödliche Krankheit weiterzugeben.
Man sollte sich klarmachen, dass die natürliche Fortpflanzung selbst ein vollkommen unsicheres Verfahren ist: Fünf Prozent aller Kinder werden mit genetischen Defekten geboren. Jede natürliche Fortpflanzung ist ein biologisches Experiment mit offenem Ausgang, und Millionen Opfer bezahlen den Preis dafür. Insofern ist es absurd, die künstliche Fortpflanzung, die schon bald viel sicherer sein wird, ausgerechnet wegen vermeintlicher Risiken abzulehnen.
"Gegen die Keimbahninterventionen wird dagegen häufig das Recht auf körperliche Selbstbestimmung angeführt. Die Veränderung des Erbgutes geschieht schließlich ohne eine Einwilligung des zukünftigen Individuums. Ein "Informed Consent", wie er anderen medizinischen Maßnahmen zugrunde liegen muss, kann somit nicht gewährleistet werden."
Das gilt für jede medizinische Maßnahme, die Eltern an ihren unmündigen Kindern durchführen lassen, zum Beispiel Impfungen nach der Geburt. Da aber praktisch alle Menschen lieber gesund als krank sind, kann man sich - wie bei der ärztlichen Versorgung eines bewusstlosen Unfallopfers - auf das mutmaßliche Interesse des Kindes berufen.
"Es soll ausgeschlossen werden, dass die Technik statt zur Heilung von Krankheiten zur Perfektionierung der Erbanlagen genutzt wird und Eltern ihren Nachwuchs nach Gesichtspunkten der Ästhetik, Athletik, Intelligenz oder Musikalität optimieren. Eine solche Gestaltung der Erbanlagen von Kindern nach den eigenen Vorstellungen eines guten Lebens stellt eine problematische Instrumentalisierung dar."
Die Nutznießer der Verbesserung sind die Kinder und nicht die Eltern. Insofern ist es unplausibel, von einer Instrumentalisierung zu sprechen.
Der Hinweis, dass es sich um die Vorstellungen der Eltern handelt, ist auch nicht überzeugend. Denn es dürfte einen großen Konsens darüber geben, welche Eigenschaften einem glücklichen Leben zuträglich sind. Zum Beispiel gibt es viele Menschen, die gerne intelligenter wären, aber vermutlich niemanden, der gerne dümmer wäre. Millionen Menschen leiden an ihrer Hässlichkeit, aber niemand bedauert ernsthaft seine Schönheit.
Wie realistisch ist die Vorstellung, dass Kinder ihren Eltern Vorwürfe machen, weil ihnen die Chance auf ein Leben mit einem niedrigen IQ oder einem hässlichen Körper geraubt wurde?
"Auch gilt zu befürchten, dass eine derartige Erbgutoptimierung bestehende soziale Ungerechtigkeiten erheblich ausweiten wird."
Ebenso könnte das Gegenteil passieren. Ein Abbau der natürlichen Ungerechtigkeit, weil Eigenschaften wie Schönheit und Hochbegabung in Zukunft nicht mehr das Privileg einer Minderheit sein werden.
J.P.K. am Permanenter Link
In der Einleitung heißt es: "Höchste Zeit für eine offene gesellschaftliche Debatte – jenseits von undifferenzierter Schwarzmalerei und unkritischer Euphorie." Was durch CRISPR/Cas alles möglich werden wird,
Die enorme, kaum zu begreifende Vielfältigkeit und relative Einfachheit* der Methode [*Vieles oder das meiste, könnte auch ohne CRISPR/Cas, zumindest theoretisch ermöglicht werden, nur sehr viel aufwendiger]. Ich glaube, dass CRISPR/Cas einen so hohen Stellenwert in der Erdgeschichte einnehmen wird, dass in manchen Bereichen von "CRISPR/Cas-Zeitalter" die Rede sein wird.
Klaus Bernd am Permanenter Link
"Die Veränderung des Erbgutes geschieht schließlich ohne eine Einwilligung des zukünftigen Individuums."
Wie auch in anderen Kommentaren angesprochen:
Ich gebe TALORIN recht, der vom Schwarzmarkt bei der Anwendung dieser Technik spricht. Genau wie bei der Sterbehilfe oder der Abtreibung
werden die Betuchten, so katholisch sie auch sein mögen, Mittel und
Wege finden, um in den Genuss dieser Technik zu kommen.
Martin Weidner am Permanenter Link
Medizin soll einem Menschen helfen, er selbst zu sein, nicht, ihn durch einen anderen zu ersetzen.
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Dazu ein interessanter Artikel:
http://scienceblogs.de/bioinfowelten/2016/09/30/ich-weiss-dass-ich-nicht-weiss-irrglauben-auf-dem-weg-unser-erbgut-zu-verstehen/2/
Die Kernaussage: Wir wissen über die Funktionsweise des Genoms noch zu wenig, um verantwortungsbewusst am menschlichen Genom zu experimentieren.
Was wir bisher wissen, ist ebenso faszinierend wie die offenen Fragen.