CRISPR/Cas: Genomchirurgie beim Menschen

Risiken und Chancen der Genomchirurgie – eine ethische Betrachtung

Das genomchirurgische Verfahren CRISPR/Cas verspricht revolutionäre Fortschritte für die biomedizinische Forschung. Erstmals können auf gezielte und einfache Art Änderungen in den Genen lebender Zellen vorgenommen werden. Mit dieser neuen Methode könnten künftig schwere Erbkrankheiten effektiv behandelt werden. Doch vor allem die Anwendung auf die menschliche Keimbahn ist höchst umstritten und wirft drängende ethische, rechtliche und sozialpolitische Fragen auf. Höchste Zeit für eine offene gesellschaftliche Debatte – jenseits von undifferenzierter Schwarzmalerei und unkritischer Euphorie.

Mit kaum einem anderen Forschungsfeld sind derzeit so viele Hoffnungen und Ängste zugleich verbunden wie mit CRISPR/Cas. Während Utopisten das neue Verfahren der Genomchirurgie zum universellen Heilsbringer erklären, mit dem künftig Erbkrankheiten einfach aus dem menschlichen Genom "gelöscht" werden könnten, warnen Dystopisten vor einem unaufhaltsamen gesellschaftlichen Dammbruch und einem gefährlichen Schritt in Richtung "Designerbaby". CRISPR/Cas (ein Akronym für "Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats" und "CRISPR-assoziierte"-Proteine) – in populärwissenschaftlichen Artikeln gerne auch als "Gotteswerkzeug" oder "Zauberschere" bezeichnet – wurde erst vor wenigen Jahren entwickelt und hat in kürzester Zeit einen imposanten Siegeszug durch die weltweiten Forschungslabors angetreten. Die Technik verspricht präzise, effektiv und kostengünstig wie nie, Erbanlagen in lebenden Zellen zu verändern oder auszutauschen. Forscher sagen ihr ein immenses Innovationspotential für Pflanzenzüchtung, Biotechnologie oder Gentherapie nach. Schon jetzt ist von der Entdeckung des noch jungen 21. Jahrhunderts die Rede. Zwar wird CRISPR/Cas bis heute vor allem in der Grundlagenforschung, an Pflanzen und an Tieren angewandt, doch wird die medizinisch-therapeutische Anwendung am Menschen immer wahrscheinlicher und damit weitreichendere Fragen nach einem ethischen Umgang mit diesem neuen Werkzeug dringlicher. Seinen Weg in die breite Öffentlichkeit hat das Thema jedoch noch nicht gefunden.

CRISPR/Cas ist schnell, präzise und kostengünstig

Erst 2012 hatten zwei Wissenschaftlerinnen, die Französin Emmanuelle Charpentier und die US-Amerikanerin Jennifer Doudna, das Verfahren entwickelt, das seitdem in den Fokus des weltweiten Forschungsinteresses geraten ist. Sie hatten spezielle Enzyme untersucht, mit deren Hilfe sich Bakterien vor angreifenden Viren verteidigen. Das Enzym "Cas9" erkennt den krankmachenden Virus und zerschneidet, um ihn zu zerstören, zielgerichtet dessen DNS an einer bestimmten Stelle. Aus dieser natürlichen Abwehrfunktion von Bakterien konnten die Forscherinnen eine Methode ableiten, die sich auf die DNS eines jeden Lebewesens – von Einzellern und Mikroorganismen bis zu Pflanzen, Tieren und Menschen – anwenden lässt, um Gene jedweder Art zu manipulieren. Das Enzym wird dabei als eine Art molekulare Genschere benutzt, um Abschnitte eines Genoms herauszuschneiden, zu korrigieren oder durch andere Abschnitte zu ersetzen. Für dieses Allround-Werkzeug der Genchirurgie hat sich deshalb, analog zum Editieren eines Textes, der Begriff Gene-Editing, zu deutsch: Gen-Editierung, durchgesetzt.

Mittels Gen-Editierung sind nun erstmals auch sogenannte Multiplex-Verfahren möglich: Prinzipiell können Veränderungen an gleich mehreren Stellen der DNS vorgenommen werden. Damit sind zukünftig auch Behandlungen von nicht monogenetischen Erkrankungen denkbar, also Erbkrankheiten, deren Ursache an mehr als nur einer Stelle des Genoms verortet ist. Brisant ist zudem, dass eine Editierung des Genoms später nicht mehr als solche nachweisbar ist. Während ältere Techniken der Genmanipulation im Nachhinein immer eindeutig als künstliche Eingriffe identifiziert werden können, ist eine Gen-Editierung durch CRISPR/Cas nicht mehr von natürlicher Mutation oder Züchtung zu unterscheiden. Die Grenzen zwischen natürlicher und künstlicher Mutation verschwimmen.

Die Anwendungsgebiete der CRISPR/Cas-Technik sind äußerst vielseitig und vielversprechend. In der Pflanzenzüchtung kommt sie schon mit Erfolg zum Einsatz. Pflanzen-DNS kann mit der Genschere so zurecht geschnitten werden, dass die Pflanzen eine Immunität gegen Schädlinge entwickeln – so lässt sich bakterienresistenter Reis oder mehltauresistenter Weizen herstellten. Auch soll das Erbgut von Tieren mittels Gene Drive so verändert werden können, dass sich die Veränderung auf den Genpool einer ganzen Population auswirkt. Auf die Art könnte es bald möglich sein, ganze Populationen von Mücken resistent gegen Malaria, Dengue-Fieber oder Gelbfieber zu machen. Ähnlich große Hoffnung hegen Mediziner bezüglich der Anwendung auf den Menschen. Vor allem bei der Bekämpfung von eindeutig genetischen Defekt-Krankheiten wie Mukoviszidose, Chorea Huntington und Sichelzellenanämie erhofft man sich große Fortschritte. Aber auch gezielt adressierte Immunitäten gegen bestimmte Infektionen sind möglich. So wird schon heute intensiv an der genchirurgischen Herstellung einer HIV-Immunität geforscht, wie sie bei wenigen Menschen von Natur aus vorkommt.

Genetische Eingriffe in die menschliche Keimbahn sind höchst umstritten

Für eine differenzierte ethische Betrachtung der Genomchirurgie ist vor allem eine Unterscheidung zwischen Anwendungen an somatischen Zellen und solchen an der Keimbahn wichtig. Die genchirurgische Veränderung somatischer Körperzellen wie Haut- oder Organzellen betrifft immer nur das behandelte Individuum. Eingriffe in die Keimbahn wirken sich dagegen auf Keimzellen, also Ei- oder Samenzellen, aus. Eine Veränderung des Erbgutes betrifft dann nicht mehr nur das Individuum, sondern alle seine möglichen Nachkommen. Dasselbe gilt für den Einsatz von CRISPR/Cas an Embryonen: In frühen Entwicklungsphasen des Embryos lässt sich noch nicht eindeutig zwischen Somazellen und Keimbahnzellen unterscheiden. Jede Genmanipulation könnte sich damit auch auf potentielle Nachkommen vererben.

Die somatische Gentherapie am Menschen zu medizinischen Zwecken wird, sofern sie ausreichend sicher ist, zumeist als ethisch und rechtlich unbedenklich eingestuft. Experten gehen davon aus, dass dieses Verfahren in Zukunft zunehmend medizinische Verwendung finden wird. Eingriffe in die menschliche Keimbahn werden dagegen weitaus kritischer betrachtet. In seiner Jahrestagung zu dem Thema hatte sich der Deutsche Ethikrat gegen genchirurgische Keimbahninterventionen zum jetzigen Zeitpunkt ausgesprochen. Auch fordern viele internationale Wissenschaftsakademien Moratorien für jegliche Experimente an der menschlichen Keimbahn. Die Forschungspause soll genutzt werden, um eine gesellschaftliche Debatte über ethische, rechtliche und politische Dimensionen der neuen technischen Möglichkeiten anzustreben.

Fest steht: In Deutschland ist eine Keimbahnintervention und die Verwendung genetisch veränderter Keimzellen zur Befruchtung nach §5 des Embryonenschutzgesetzes (ESG) verboten. Doch dieses Gesetz ist 26 Jahre alt und weist Lücken auf, wenn man es auf die Keimbahninterventionen durch CRISPR/Cas anwendet. Vor allem die Begründung für das Embryonenschutzgesetz ist problematisch. Der Gesetzgeber argumentiert nämlich allein mit den unabsehbaren Risiken der Keimbahnintervention und den damit verbundenen Gefahren für das ungeborene Individuum. Wenn aber die Technik der Keimbahnintervention in naher Zukunft so ausgereift ist, dass sich ohne großes Risiko die Erbanlagen von Embryonen verändern lassen, ist diese Begründung hinfällig. Das Gesetz muss also angesichts der neuen Möglichkeiten überarbeitet werden.

Auch die meisten Wissenschaftler argumentieren primär mit dem unbekannten Risiko des Verfahrens und einer damit verbundenen möglichen Schädigung des zukünftigen Individuums. Dagegen ist auch zunächst nichts einzuwenden: Bei den unabsehbaren Risiken stellen Eingriffe an der menschlichen Keimbahn derzeit schlicht unverantwortliche Menschenversuche dar. Nach heutiger Kenntnislage sind Keimbahninterventionen nämlich irreversibel und unumkehrbar und unerwünschte Folgen könnten phänotypisch möglicherweise erst bei der nächsten oder übernächsten Generation auftreten. Doch mit zunehmender Erforschung der Technik stellt sich immer mehr die Frage, ab wann das Risiko tolerierbar ist. Und was ist, wenn die Technik eines Tages so ausgereift ist, dass sich ohne Risiko die Erbanlagen von Embryonen verändern lassen? Gibt es jenseits der Einwände gegen die derzeit hohe Unsicherheit des Verfahrens auch grundlegende ethische Bedenken? Auch wenn eine routinierte medizinisch-therapeutische Anwendung an der menschlichen Keimbahn im Gegensatz zur somatischen Therapie noch Zukunftsmusik ist, sollte die ethische Debatte über Risiken und Chancen für Mensch und Natur schon jetzt geführt werden. Dabei ist weder undifferenzierte Schwarzmalerei noch unkritische Euphorie geboten.

Gibt es kategoriale Einwände jenseits von Risikoabwägungen?

Es genügt dabei wohlgemerkt nicht, auf die Künstlichkeit eines genchirurgischen Eingriffes zu verweisen. Alle Heilung ist künstlich, insofern sie einen planmäßigen Eingriff in den Lauf der Natur darstellt. Lehnt man die Gen-Editierung aufgrund ihrer Künstlichkeit ab, müsste man konsequenterweise jede Therapie durch Menschenhand ablehnen. Es ist außerdem nicht evident, wieso naturwüchsige Vorgänge künstlichen überhaupt ethisch überlegen sein sollten – mag auch unser Alltagsdenken oft dem Natürlichen einen moralischen Sonderstatus zugestehen. Einen ethisch relevanten Unterschied zwischen einer spontanen natürlichen Mutation und einer willentlich herbeigeführten Manipulation des Genoms gibt es dennoch. Zwar können in beiden Fällen die späteren Individuen nicht selbst über ihre genetische Ausstattung verfügen, doch kann im Fall der natürlichen Mutation kein Verursacher oder Verantwortungsträger identifiziert werden. Es macht also durchaus einen Unterschied, ob ich meine DNS der natürlichen Lotterie des Zufalls oder der bewussten Entscheidung meiner Eltern verdanke.

Bei einer gründlichen ethischen Erwägung des Themas muss darüber hinaus bedacht werden, dass nicht allein die Anwendung von Genomchirurgie, sondern auch ihre Unterlassung ethische Probleme aufwirft. Sollte das Verfahren eines Tages so weit ausgereift sein, dass es Menschen vor schweren Erbkrankheiten bewahren kann, stellt sich die Frage nach einer moralischen Begründung eines staatlichen Verbotes. Eine solche Begründung müsste rechtfertigen, wieso der Staat eine Therapie verbietet, die zukünftigen Individuen ein Leben ohne schwere Krankheit ermöglicht. Eine Unterlassung eines solchen Eingriffes untergräbt womöglich das Recht auf körperliche Unversehrtheit des ungeborenen Menschen.

Gegen die Keimbahninterventionen wird dagegen häufig das Recht auf körperliche Selbstbestimmung angeführt. Die Veränderung des Erbgutes geschieht schließlich ohne eine Einwilligung des zukünftigen Individuums. Ein "Informed Consent", wie er anderen medizinischen Maßnahmen zugrunde liegen muss, kann somit nicht gewährleistet werden. Eine willentliche Veränderung der Erbanlagen nach den Vorstellungen anderer könnte außerdem eine unzulässige Instrumentalisierung des noch ungeborenen Menschen und damit eine Verletzung seiner Würde darstellen. Ob aber im Falle der Vorbeugung einer schweren Erbkrankheit von einer verwerflichen Würdeverletzung die Rede sein kann, ist fraglich.

In der ethischen Debatte um Keimbahninterventionen beim Menschen geraten erneut Fragen in den Blick, die schon bei den Debatten um Klonen, Präimplantationsdiagnostik und Pränataldiagnostik diskutiert wurden und noch immer ethischen Zündstoff bieten. Interessanterweise sprechen sich viele ehemalige Gegner der PID heute mit einem Verweis auf die Möglichkeiten der PID gegen Keimbahnexperimente aus. Ein Einsatz von CRISPR/Cas an Embryonen sei überflüssig, da Erbkrankheiten auch durch die risikoärmere PID vermieden werden könnten. Die Veränderungen seien bei der PID auf das Individuum beschränkt. Bei genchirurgischen Eingriffen an der Keimbahn seien dagegen ganze Generationen betroffen. Doch diesem Argument kann auch widersprochen werden: Wieso sollte ausgerechnet die Selektion und Aussortierung von vielen Embryonen weniger verwerflich sein, als die "Reparatur" der Gene eines Einzigen?

Auch die sogenannten Slippery-Slope- oder Dammbruchargumente sollten bei einer ethischen Betrachtung berücksichtigt werden. Besonders die für die Forschung so attraktive Niedrigschwelligkeit von CRISP/Cas birgt Gefahren. Das Handwerk der Genomchirurgie könnte zukünftig so einfach und kostengünstig ausführbar sein, dass es auch in mittelmäßig ausgestatteten Laboren angewendet werden kann. Kritiker warnen, dass eine Anwendung zur Vermeidung von schweren Krankheiten so den Weg ebnen könnte für eine unkontrollierbare Nutzung von CRISPR/Cas zur eugenischen Erbgutoptimierung. Es wird außerdem befürchtet, die Möglichkeit mittels Keimbahntherapie genetisch bedingte Behinderungen verhindern zu können, wirke sich negativ auf den gesellschaftlichen Umgang mit Menschen mit Behinderungen aus. Doch derartige Dammbruchargumente hängen immer auch von starken empirischen Hilfsprämissen ab und sind nur dann triftig, wenn diese Prämissen gut begründet werden können. Es bleibt nämlich fraglich, ob eine Erlaubnis von Keimbahninterventionen zur Vermeidung von schweren Krankheiten tatsächlich den prognostizierten gesellschaftlichen Dammbruch zur Folge hat.

Eine Grenze zwischen Therapie und Optimierung ist schwierig zu ziehen

Die wichtigste und zugleich schwierigste Unterscheidung für eine ethische Betrachtung ist sicherlich die zwischen Therapie und Optimierung. Die klare Mehrheit des Deutschen Ethikrates spricht sich dagegen aus, Gen-Editierung jemals zu Zwecken der positiven Eugenik einzusetzen. Es soll ausgeschlossen werden, dass die Technik statt zur Heilung von Krankheiten zur Perfektionierung der Erbanlagen genutzt wird und Eltern ihren Nachwuchs nach Gesichtspunkten der Ästhetik, Athletik, Intelligenz oder Musikalität optimieren. Eine solche Gestaltung der Erbanlagen von Kindern nach den eigenen Vorstellungen eines guten Lebens stellt eine problematische Instrumentalisierung dar. Auch gilt zu befürchten, dass eine derartige Erbgutoptimierung bestehende soziale Ungerechtigkeiten erheblich ausweiten wird. Doch so essentiell eine Trennung zwischen medizinisch indizierten und optimierenden Eingriffen auch ist; sie ist nicht immer so leicht mit dem Lineal zu ziehen, wie der Ethiker sich das wünscht. Handelt es sich bei einer genchirurgisch hergestellten HIV-Resistenz um eine präventive medizinische Maßnahme oder schon um Enhancement? Um die Grenze zwischen Heilung und Perfektionierung sauber ziehen zu können, bedarf es einer klaren und verbindlichen Krankheitsdefiniton. Aber Krankheitsbegriffe sind immer auch normative Konzepte und unsere Vorstellungen von Gesundheit, Krankheit und Normalität unterliegen einem ständigen gesellschaftlichen Wandel. Eine Trennung zwischen Heilung und Optimierung impliziert deshalb immer auch Werturteile über lebenswertes und defizitäres Leben, über vermeidbares Leid und über einen erstrebenswerten Normalzustand. Solche Werturteile können nicht allein Wissenschaftler und Mediziner treffen – sie müssen Gegenstand einer offenen und transparenten gesellschaftlichen Debatte sein.