Mithat Sancar sitzt als Abgeordneter der Oppositions-Partei HDP im türkischen Parlament. Sancar ist Professor für öffentliches Recht und Verfassungsrecht an der Universität Ankara. Studiert hat er unter anderem in Deutschland. Auf Einladung der Partei Bündnis 90 / Die Grünen hielt er eine Gastrede auf der Bundesdelegiertenkonferenz der Partei in Münster am vergangenen Wochenende. hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg sprach mit Mithat Sancar am 12. November am Rande des Parteitags.
hpd: Herr Sancar, wie erleben Sie persönlich derzeit die Situation als Oppositioneller in der Türkei?
Mithat Sancar: Wie alle anderen Mitglieder meiner Partei erfahre ich Repressalien. Unter denen leiden ja nicht nur die Mitglieder der HDP, sondern auch Personen und Organisationen, die uns nahe stehen. Viele Zeitungen wurden geschlossen, Vereine verboten. Zehn Abgeordnete meiner Partei sitzen derzeit im Gefängnis, davon zwei Parteivorsitzende. Und eben habe ich erfahren, dass gestern einige meiner Mitarbeiter festgenommen wurden. Mein Chauffeur und ein Leibwächter. Offiziell wirft man ihnen die Unterstützung einer terroristischen Organisation vor.
Und trotzdem wollen Sie morgen in die Türkei zurückfliegen?
Ja sicher.
Aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie dort verhaftet werden, ist doch ziemlich groß.
Das ist sie für alle Abgeordneten meiner Partei, weil unsere Immunität aufgehoben wurde.
Sie sind zum Parteitag der Grünen gekommen, um über die Situation in der Türkei zu berichten. Was wünschen Sie sich von der Politik in Deutschland?
Ich wünsche mir eine Solidarisierung aller demokratischen Kräfte. Wir brauchen kein Mitleid, wir brauchen den demokratischen Kampf. Ich wünsche mir mehr öffentliche Aufklärung über das, was derzeit in der Türkei passiert und ich wünsche mir, dass Politiker auf die deutsche Regierung einwirken. Die Regierung hat beim Flüchtlingsdeal viel zu viele Zugeständnisse gemacht. Dabei darf man die Politik Erdogans nicht belohnen. Wie gesagt, ich hoffe, dass sich die Menschen und die Politiker in Deutschland für den demokratischen Kampf entscheiden. Denn wahrscheinlich kann man sich hier in Deutschland noch am besten vorstellen, was dort gerade passiert.
Sie spielen auf die Nazi-Zeit an. Den Vergleich zwischen Hitler und Erdogan hört man ja immer häufiger. Glauben Sie wirklich, dass man die beiden vergleichen kann?
Es ist natürlich ein sehr spektakulärer Vergleich, der vielleicht auch etwas zu häufig benutzt wird und deshalb ein wenig an Wirkung verloren hat. Aber ich finde, dieser Vergleich ist für die derzeitige Situation in der Türkei sehr geeignet. Es gibt sehr viele Ähnlichkeiten zur Situation in Deutschland Anfang der 1930er Jahre. Die Entwicklungen dieser Zeit kenne ich sehr gut, weil ich mich beruflich damit beschäftigt habe. In gewisser Weise finde ich es als Akademiker auch irgendwie interessant, all diese Prozesse hautnah zu erleben, die ich bisher nur in der Theorie studiert habe.
Was glauben Sie, wie es mit der Türkei jetzt weitergehen wird?
Das Schlimmste, was passieren kann, ist ein Bürgerkrieg. Und dass es dazu kommt, ist nicht auszuschließen. Leider. Erdogans Gewaltpolitik schürt diese Kräfte. Erdogans Ziel ist es, eine rechtliche Grundlage für den gegenwärtigen Zustand zu schaffen. Er strebt eine Verfassungsänderung an, durch die ein autoritäres Präsidialsystem festgeschrieben wird. Um die Kräfte, die er dafür braucht, zu vereinen, braucht er einen Sündenbock. Und das einzige, was die islamistischen, nationalistischen und chauvinistischen Kräfte des Landes gemeinsam haben, ist nun mal der Kurdenhass. Das ist der Grund für seine Anti-Kurden-Politik.
Welche Rolle spielt Ihrer Ansicht nach die Religion für Erdogan?
Die Religion kann zur Waffe werden, aber man darf den Islam nicht automatisch mit Gewalt gleichsetzen. Wir haben in unserer Partei auch kopftuchtragende Frauen und Muslime, genauso wie Leute, die nichts mit dem Glauben am Hut haben. Erdogan dagegen nutzt die Religion, um seine Macht auszubauen. Und er scheint auch die Vorstellung zu haben, dass er ein einflussreicher Führer innerhalb des Islam ist oder sein sollte.
Das Interview führte Daniela Wakonigg für den hpd.
17 Kommentare
Kommentare
David am Permanenter Link
"aber man darf den Islam nicht automatisch mit Gewalt gleichsetzen."
Warum eigentlich nicht? Hat der Prophet dieser Religion etwa nicht in Kriegen gekämpft und Menschen töten lassen? Hat diese Religion etwa nicht Menschen inspiriert, aus der Wūste des Mittleren Ostens kommend angrenzende Länder zu unterwerfen und ūber Ägypten, Nordafrika, Spanien bis nach Sūdfrankreich vorzudringen? Glorifiziert diese Religion etwa nicht den Märtyrertod, grade auch von Kriegern?
Dropstaking Looser am Permanenter Link
Weil diese Gleichsetzung keiner differenzierten Diskussion über die Zusammenhänge zwischen Religiosität und Gewalt zuträglich wäre.
David Z am Permanenter Link
verstehe, dann relativieren Sie sicher auch den Nationalsozialismus. Autobahn, Kinderkrippe, Vollbeschäftigung und so. Muss man halt differenziert sehen, nicht wahr?
"Es wäre aber undifferenziert und respektlos, das Christentum an sich mit Gewalt gleichzusetzen."
Da haben Sie vollkommen Recht. Und zwar deshalb, weil nicht alle Religionen gleich sind genau so wenig wie alle Ideologien gleich sind (siehe oben).
Übrigens, den Respekt zu Ihrer Oma brauchen Sie nicht in Frage zu stellen, denn weder hat das Breivik Attentat etwas mit den christlich-philosophischen Ideen zu tun, noch steckt in ihnen ein Antisemitismus, was eigentlich jedem klar sein sollte, der weiss, dass Jesus selbst Jude war.
Dropstaking Looser am Permanenter Link
Christliche Attentäter sind also unchristlich, islamische hingegen verkörpern das Wesen des Islam? Warum denn?
Und natürlich muss man den Nationalsozialismus und andere Formen des Faschismus differenziert sehen. Das bedeutet für mich zum Beispiel, wirtschaftliche, politische, autoritär-pädagogische etc. Aspekte zu beleuchten. "Differenzieren" übrigens ungleich "Relativieren".
David Z am Permanenter Link
"Christliche Attentäter sind also unchristlich, islamische hingegen verkörpern das Wesen des Islam? Warum denn?"
Eine merkwürdige Frage von jemandem, der vorgibt, differenzieren zu wollen. Ist die Antwort nicht offensichtlich? In dem einen Fall besteht eine direkte Verbindung zu den religiösen Ideen und in dem anderen Fall nicht.
"Aber denken Sie, dass Christen aufgrund von Jesus' Religionszugehörigkeit keine Antisemiten sein können?"
Christen können alles mögliche sein und dies auch aus allen möglichen Gründen. Und ja, selbstverständlich können Christen Antisemiten sein. Sie können dies aber nicht sein auf Basis der religiösen Ideen Jesu.
"Martin Luther z.B. war beides."
Warum kommen Sie ständig mit Luther? Der logisch-konsistente Vergleich besteht zwischen Jesus und Mohammed und nicht zwischen den Religionsgründern und all den später auftretenden Wirrköpfen, Predigern und Scharlatenen.
"Und natürlich muss man den Nationalsozialismus und andere Formen des Faschismus differenziert sehen."
Ganz Ihrer Meinung. Warum setzen Sie dann diesen Massstab nicht auch beim Christentum an, wenn es darum geht, die zugrundeliegenden Ideen zu bewerten?
Sie geben vor zu differenzieren, aber ich fürchte, das tun Sie nicht. Sie pauschalisieren beim Vergleich der Religionen. Und indem Sie pauschalisieren, relativieren Sie die spezifische Problematik der der islamischen Religion zugrunde liegenden Ideen.
Dropstaking Looser am Permanenter Link
Nach Ihrem Argument der "direkten Verbindung" müsste alles, was im Namen des Christentums getan wurde und den Worten Jesu widersprach, als unchristlich definiert werden.
Luther nannte ich schlicht als Beispiel eines christlichen Antisemiten, nicht auf die Jesus-Mohammed-Diskussion bezogen. Dies tat ich aufgrund ihres letzten Satzes, den ich so verstand, dass Breivik aufgrund seines angenommenen Christentums kein Antisemit sein könnte, nur weil Jesus Jude war.
Auf Ihren letzten Satz bezogen wüsste ich gerne, was ich Ihrer Ansicht nach pauschalisiere.
David Z am Permanenter Link
"Nach Ihrem Argument der "direkten Verbindung" müsste alles, was im Namen des Christentums getan wurde und den Worten Jesu widersprach, als unchristlich definiert werden."
Ja, das würde ich so sehen. Denn darum geht es doch letztlich, oder? Wenn sich ein Religiöser der Religion X nicht in Relation zum Religionsgründer X setzt, ist er dann noch ein Religiöser im Sinne der Religion X?
"aber um das Christentum heute zu definieren, fasse ich die Gesamtheit der Menschen zusammen, die sich selbst christlich nennen. "
Selbst wenn wir dies als Prämisse nehmen, müssen Sie doch die quantitativen und "qualitativen" Unterschiede im religionsbezogenem Handeln zur Kenntnis nehmen, die heutzutage aus dem Kreis "der Christen" resultieren im Vergleich zur Gruppe "der Muslime".
"Unter denen sind gewalttätige und friedliche, darum ist das Christentum ungleich Gewalt und genauso verhält es sich mit allen anderen Religionen. "
Nein. Diese Folgerung ist nicht schlüssig. Jeder kann sich irgendwie als Christ bezeichnen, wenn sie hier so willkürlich gruppieren. Somit kann man dann daraus nicht einen spezifischen Schluss folgern wie "das Christentum ist...".
Folglich ist das Christentum nicht deshalb "ungleich Gewalt" weil es neben gewalttätigen auch friedfertige Christen gibt, sondern deshalb, weil die Ideen des Christentums tendenziell ungleich Gewalt sind bzw auf Basis des NT sehr einfach so gesehen werden können. Dieser Sachverhalt ist im Islam leider komplett umgekehrt. Selbstverständlich gibt es auch friedfertige Muslims. Aber nicht deshalb, weil sie den islamischen Ideen in ihrer letzten Konsequen folgen, sondern weil sie ihnen eben nicht (!) folgen. Erkennen Sie den Unterschied?
""Die" religiösen Ideen gibt es eben auch nur nach bestimmten Definitionen, nach meiner sind es von Mensch zu Mensch unterschiedliche. "
Da bin ich ganz bei Ihnen. Selbstverständlich ist das so. Deshalb gab es Christen, die trotz der Lehren Jesu der faschistischen Gewaltideologie folgten und deshalb gibt es Muslime, die trotz der intoleranten Gewaltideen Mohammeds, friedlich mit "Ungläubigen" zusammen leben können. Erkennen Sie den Unterschied?
"Das hat den Grund, dass ich Psychologie und Soziologie für deutlich geeigneter halte als Ideengeschichte, wenn es um die Ergründung der Ursachen von ideologisch motivierter Gewalt geht."
Die Untersuchung dieser Einflüsse hat sicherlich ihre Berechtigung. Aber genau so wie die Ideen des Nationalismus oder des Rassimus ein Rolle spielen, spielen die Ideen von Religionen eine Rolle. Und diese Ideen lassen sich nun mal unterschiedlich bewerten.
Würden Sie den Nationalisozialismus nur aus der soziologischen bzw psychologischen Perspektive bewerten und die logisch-direkte Verbindung zwischen Idee und Handlung ausser acht lassen?
"Auf Ihren letzten Satz bezogen wüsste ich gerne, was ich Ihrer Ansicht nach pauschalisiere."
Nun, wenn ich von Ideologien, also der Ideenwelt des Christentums und des Islams, spreche und Sie behaupten daraufhin, diese sein nicht unterschiedlich, dann erscheint mir das als Pauschalisierung, aus den oben genannten Gründen.
Dropstaking Looser am Permanenter Link
Wenn wir bei der Definition bleiben, eine Religion sei die Gesamtheit derjenigen, die sich ihr zugehörig fühlen, ist es sehr wohl möglich, festzustellen, was diese Religion nicht ist.
Ich denke auch, dass es im Islam (nach selbiger Def.) gewalttätige Strukturen gibt. Deren Quanti- und Qualität will ich nicht benennen oder mit denen im Christentum vergleichen, dazu kenne ich mich viel (!) zu wenig aus.
Ihre Aussage über den Ausnahmecharakter friedfertiger Muslime und gewalttätiger Christen nehme ich zur Kenntnis, teile sie aber ebensowenig wie die bipolare Gegenüberstellung vom friedfertigen Jesus und dem gewalttätigen Mohammed. Nicht weil ich Mohammed für einen Engel (haha) oder alle Muslime für friedlich halte, sondern weil mir Religion zu komplex ist, um sie auf das Verhältnis der Religiösen zu den Religionsgründern zu reduzieren.
Ich habe den Eindruck, dass die Religiosität Einzelner häufig (wenn nicht immer) so sehr durch die lebensgeschichtlichen Umstände bestimmt ist, dass es mir im Grunde egal sein kann, ob sie an Gott oder Nirvana glauben, dafür um so wichtiger ist, wie es kommt, dass sie überhaupt glauben (bei manchen Menschen, auch in meinem persönlichen Umfeld, denke ich: glauben müssen). (Damit verknüpft sich natürlich wunderbar die Frage, ob ich selbst eigentlich (noch) glaube, und woran.) Die Gründe können meines Erachtens nur weltlicher Art sein, darum ist die Diskussion über weltliche Themen ungleich wichtiger, als dass man sich als Nicht-Moslem den Kopf darüber zerbricht, ob und inwiefern gewalttätige Muslime die einzig wahren Muslime sind. Dass es muslimische Gesellschaften gibt, in denen Gewalt eine große Rolle spielt, schließt diese Betrachtungsweise keineswegs aus, aber ich müsste dort leben, um die Rolle des Glaubens in diesen konkreten Gesellschaften ansatzweise zu verstehen. Und solange ich auch nur einen Moslem kenne, der nicht gewalttätiger ist als ich, der ich mich Existentialist nenne, so lange werde ich die Aussage, der Islam sei Gewalt, als pauschalisierend und einer konstruktiven Debatte nicht zuträglich bezeichnen.
M.M.n. ist die Verbindung zwischen Idee und Handlung auch im Fall des NS Teil soziol./psychologischer Betrachtungen. Dass ein Nazi verantwortlich für sein Tun ist, ist damit nicht relativiert, sondern differenziert, auch wenn es leider Psychologien gibt, die den Begriff der Verantwortung verwerfen, da sie paradoxerweise versuchen, subjektlos zu argumentieren.
Ich sagte nicht, die Ideenwelt von Christentum und Islam seien nicht unterschiedlich.
Hoffentlich alles verständlich. Das Kommentarfeld ist so klein, dass Scrollen keinen Spaß macht.
David Z am Permanenter Link
"Wenn wir bei der Definition bleiben, eine Religion sei die Gesamtheit
derjenigen, die sich ihr zugehörig fühlen, ist es sehr wohl möglich,
dieser Definition schon schwieriger sagen.
Ich denke auch, dass es im Islam (nach selbiger Def.) gewalttätige
Strukturen gibt. Deren Quanti- und Qualität will ich nicht benennen oder mit
denen im Christentum vergleichen, dazu kenne ich mich viel (!) zu wenig aus."
Das ist ihre Definition. Ich habe Ihnen bereits gesagt, was meine ist, nämlich die auf Basis der Ideen, und warum. Aus einer willkürlichen Gruppierung kann man keine spezifische Besonderheit herleiten, weder in die eine noch in die andere Richtung. Und genau deshalb ist das nicht meine Beurteilungsbasis. Die Basis kann nur der Ideenpool sein.
Dass Sie die Unterschiede in den Ideen der beiden Ideologien nicht kennen, nehme ich Ihnen nicht ab. Dies erscheint mir als ein allzu leichtfertiger Versuch, einem unangenehmen Argument auszuweichen.
"Ihre Aussage über den Ausnahmecharakter friedfertiger Muslime und
gewalttätiger Christen nehme ich zur Kenntnis, teile sie aber ebensowenig
wie die bipolare Gegenüberstellung vom friedfertigen Jesus und dem
gewalttätigen Mohammed. Nicht weil ich Mohammed für einen Engel (haha) oder
alle Muslime für friedlich halte, sondern weil mir Religion zu komplex ist,
um sie auf das Verhältnis der Religiösen zu den Religionsgründern zu
reduzieren."
Bitte verdrehen Sie mir nicht das Wort. Einen Ausnahmecharakter „friedfertiger Muslime“ hatte ich nirgends behauptet. Es scheint, Sie behaupten auch weiterhin, dass es keinen Zusammenhang zwischen religiösen Ideen und Handlungen besteht. Wir müssten also zunächst klären, warum Sie diese Prämisse nicht teilen, obwohl wir zB mit der religiösen Beschneidung ein Paradebeispiel für diesen Sachverhalt haben: aus einer spezifischen Idee resultiert eine spezifische Handlung. Oder ein weiteres eindeutiges Beispiel: Die islamische Variante der Menschenrechte (Kairoer Deklaration der MR der OIC Staaten).
Hierzu passt wunderbar die Erkenntnis: Gute Menschen tun Gutes und schlechte Menschen tun Schlechtes. Damit gute Menschen Schlechtes tun, eignet sich Religion mit am besten. Wir sehen also: a) Es besteht ein Zusammenhang zwischen Ideen und Handlungen und b) Religiöse Ideen können ansonsten liebe und gute Menschen zu unvernünftigem, ja gefährlichem Verhalten veranlassen. Wenn wir das als Prämisse setzen, ergibt sich die vergleichende Beurteilung von Religion (bzw Ideologien) ganz zwangsläufig aus den grundsätzlichen Ideen und nicht aus dem, was alle Gläubigen individuell irgendwie irgendwo glauben oder meinen zu glauben.
„Ich habe den Eindruck, dass die Religiosität Einzelner häufig (wenn nicht
immer) so sehr durch die lebensgeschichtlichen Umstände bestimmt ist, dass
es mir im Grunde egal sein kann, ob sie an Gott oder Nirvana glauben, …“
Das mag sein. Es ist aber definitv nicht egal, ob jemand glaubt, gewaltlos zu leben sei „gottgefällig“ oder glaubt, Gewaltanwendung habe seine „gottgegebene“ Berechtigung.
„Die Gründe können meines Erachtens nur weltlicher Art sein, …“
Warum? Welche weltlichen Gründe bringen Juden und Muslime dazu, ihren Kindern an den Genitalien herumzuschneiden?
„darum ist die Diskussion über weltliche Themen ungleich wichtiger, als dass man sich als Nicht-Moslem den Kopf darüber zerbricht, ob und inwiefern gewalttätige Muslime die einzig wahren Muslime sind. „
Warum sollte ich mir als Nicht-Muslim nicht den Kopf über eine Ideologie „zerbrechen“, deren Ideen mich als Atheisten ausgrenzen, unterjochen, deklassieren und in letzter Konsequenz ausmerzen möchten?
„Dass es muslimische Gesellschaften gibt, in denen Gewalt eine große
Rolle spielt, schließt diese Betrachtungsweise keineswegs aus, aber ich
müsste dort leben, um die Rolle des Glaubens in diesen konkreten
Gesellschaften ansatzweise zu verstehen.“
Man braucht nicht neben einem Nazi zu leben, um zu verstehen, dass die Naziideologie scheiße ist.
„ Und solange ich auch nur einen Moslem kenne, der nicht gewalttätiger ist als ich, der ich mich Existentialist nenne, so lange werde ich die Aussage, der Islam sei Gewalt,
als pauschalisierend und einer konstruktiven Debatte nicht zuträglich
bezeichnen.“
Selbstverständlich ist diese Aussage pauschal. Aber weit aus zutreffender als zu behaupten, Islam bzw seine Ideen seien Frieden, oder sie seien gewaltfrei (sic!) – und zwar ganz besonders dann, wenn man sich die Ideen als Bewertungsgrundlage vornimmt und nicht ein Individuum X.
Wäre das Individuum X ausreichende Bewertungsgrundlage, könnte man auch Nationalsozialismus und Rassimus schönreden.
„M.M.n. ist die Verbindung zwischen Idee und Handlung auch im Fall des NS Teil
soziol./psychologischer Betrachtungen. „
Warum sehen Sie einen Zusammenhang zwischen Idee und Handlung im Fall des NS, aber keinen im Fall von Religionen?
Ich gebe Ihnen noch einen Gedanken zum reflektieren:
Wenn die Fundamentalisten einer Religion ein Problem darstellen, dann sind logischerweise die Fundamente der Religion problematisch. Sind Muslimische Fundamentalisten ein Problem? Ja. Sind christliche Fundamentalisten ein Problem? Ja. Haben wir mit christllichen Fundamentalisten ein genau gleichartiges (Gewalt-)Problem wie mit muslimischen Fundamentalisten? Offensichtlich und empirisch belegbar nein.
Dropstaking Looser am Permanenter Link
Um keinen Roman zu schreiben, beziehe ich mich auf Textstellen Ihres Kommentars, indem ich seine Absätze gedanklich nummeriere (die Stellen, wo Sie mich zitieren, eingeschlossen). Zu…
2. Beide Definitionen haben ihre Berechtigung. Ihre scheint mir eher für theologische Auseinandersetzungen geeignet zu sein. Meine ist nicht willkürlich, sondern wie gesagt an der Selbstbezeichnung als Zugehöriger der Religion X festgemacht.
3. Es ist, wie ich sage.
5. Sie hatten den Ausnahmecharakter nicht explizit behauptet, aber ich leitete ihn aus Ihrer Argumentation ab. Ich behaupte nicht, dass es keinen Zusammenhang zwischen religiöser Idee und Handlung gibt. Ich behaupte aber, dass die Lebensgeschichte des Einzelnen Ursachen für Handlungen birgt, für die die Religion (nach Ihrer Definition) nur legitimierende, nicht ursächliche Bedeutung haben kann. Dass die Beschneidung als religiöse (nun wieder/auch nach meiner Definition) Idee und Praxis zu kritisieren ist, brauchen wir nicht zu diskutieren.
6. Ich teile Ihre Ausführung nicht, da die Bedeutung Ihrer Rede von "gut" und "schlecht" mir nicht klar ist.
8. Einverstanden.
9. Das bezog sich auf die Entscheidung Einzelner zur Religiosität.
10. In der Ideenwelt der Religiösen sind es keine weltlichen Gründe, aber für die Gewalt muss es selbstverständlich weltliche Gründe (oder sprachlich genauer: Ursachen) geben.
12. Das habe ich weder geschrieben noch gemeint. Ich halte es für wichtig, über Ideologien zu diskutieren, sonst würde ich wohl auch nicht so lange Kommentare schreiben. Ich halte es nur für absurd und zur weltlichen Debatte über Ideologien (also auch Religion als solche und konkrete Religionen) nichts beitragend, theologische Diskussionen zu führen darüber, worin das Wesen des abstrakten Islam bestehe.
14. Einverstanden. Andersherum reicht es aber nicht, die Naziideologie scheiße zu finden, um zu verstehen, warum ein Nazi scheiße ist, und darum geht es mir in der konkreten Gesellschaft (bzw. den konkreten Gesellschaften), in der ich lebe, nun einmal primär.
16. Eine Aussage ist zutreffend oder nicht, es sei denn, sie fasst mehrere Aussagen in sich zusammen. Die Aussage "Der Islam ist Gewalt" ist (m.M.n.) nicht zutreffend. Die Aussage "Teile des Islam sind Gewalt" ist (m.M.n.) zutreffend. Worauf bezieht sich Ihr "sic!"? Ihrem letzten Satz widerspreche ich. Sowohl die Frage nach der Verantwortung als auch die Frage nach den Ursachen für/von Gewalt sind nur über das Individuum verstehbar. Es geht nicht ums Schönreden aka Verharmlosen. Es ist ein m.M.n. verbreiteter Irrtum, zu sagen, eine Handlung sei weniger schlimm oder gefährlich, weil sie individuelle Ursachen habe. Dieser Irrtum hat m.E. einen Grund darin, dass das Benennen einer individuellen Ursache oft vermeintlich ausreicht, um die Existenz einer strukturellen Ursache auszuschließen. Missverstehen Sie mich bitte nicht: Es gibt Dinge wie Massenzwang, aber die Voraussetzungen dafür müssen in den einzelnen Individuen liegen, auch wenn sie sich untereinander ähneln oder gleichen mögen. Und dass ich das betone, rührt auch aus der Überzeugung, dass Autoritarismus nicht mit Autoritarismus bekämpft werden kann, aber das mag jetzt etwas sprunghaft assoziiert sein.
18. Das unterstellen Sie mir gerne. Ich sehe in beiden Fällen sehr wohl Zusammenhänge, aber anders gewichtet als Sie.
19. Auch Fundamentalisten interpretieren, was die "Fundamente" der Religion sind.
XX. Ich bitte Sie, weitere Antworten kurz zu halten, damit wir beide mehr Zeit finden, um gesellschaftliche Strukturen, die menschenfreundlicher sind als Ideologien und Ideologen, zu stärken und für sie einzustehen. Zumal wir wahrscheinlich beide dieses oder ähnliche Gespräche auch andernorts und Aug in Aug mit anderen Menschen führen können, wo der Informationsgehalt auch aufgrund nonverbaler Mitschwingsel deutlich überwiegt. Danke auch!
David Z am Permanenter Link
Ihre Nummerierung war sicher gut gemeint, hat mich aber etwas durcheinander gebracht. Wenn Sie gestatten, bleibe ich beim Zitat, was den Text zwar etwas vergrößert aber mMn verständlicher macht.
„2. Beide Definitionen haben ihre Berechtigung. Ihre scheint mir eher für theologische Auseinandersetzungen geeignet zu sein. Meine ist nicht willkürlich, sondern wie gesagt an der Selbstbezeichnung als Zugehöriger der Religion X festgemacht.“
Für eine sinnvolle vergleichende Betrachtung kann nur jene Definition Berechtigung haben, bei der der Gegenstand der Betrachtung so präzise wie möglich eingegrenzt werden kann. Mit Ihrer Betrachtung kann man das aus genannten Gründen nicht. Ihr letzter Satz ist übrigens ein Widerspruch in sich: Grade weil sich jeder irgendwie irgendwo eine Selbstbezeichnung geben kann, ist Ihr Ansatz willkürlich.
Wie problematisch Ihre Herangehensweise ist, können wir am Beispiel Indien sehen. Dort ist Hitler in weiten Teilen der Bevölkerung als dufter Typ bekannt. Man findet sein Namen auf Produkten und Geschäftsbannern. Sind Inder deshalb alles Nazis? Nein, natürlich nicht. Viele kennen wahrscheinlich nicht nicht mal Details. Relativiert das den problembeladenen Nazimus? Nein. Es würde aber genau das tun, wenn wir Ihrer Sichtweise folgen würden und den Gläubigen zum Massstab machen.
„3. Es ist, wie ich sage.“
Wenn Sie die ideologischen Unterschied nicht kennen, warum glauben Sie dann zu wissen, dass ich Unrecht habe?
„5. Sie hatten den Ausnahmecharakter nicht explizit behauptet, aber ich leitete ihn aus Ihrer Argumentation ab. „
Das ist schade, denn es lässt den Schluss zu, dass Sie meine Position noch nicht ganz erfasst haben. Ich beurteile und kritisiere hier IDEEN, nicht notwendigerweise Menschen. Dies sind zunächst einmal zwei völlig verschiedene Ebenen.
„ ...Ich behaupte aber, dass die Lebensgeschichte des Einzelnen Ursachen für Handlungen birgt, für die die Religion (nach Ihrer Definition) nur legitimierende, nicht ursächliche Bedeutung haben kann."
Die „Lebensgeschichte des Einzelnen“ ist eine Konstante in der Menschheitsgeschichte und daher in diesem Kontext völlig unerheblich. Wir sprechen hier über die Verbindung von spezifischen Ideen und spezifischen Handlungen. Ob legitimierend oder ursächlich ist da nur eine Spitzfindigkeit. Wären die Lebensumstände das Problem und nicht die Ideen, würden Christen, Atheisten, Kommunisten oder sonstwer ihre Kinder ebenfalls „religiös“ beschneiden und Tibetaner oder amerikanische Indios einen Gottesstaat ausrufen, Frauen in Kleidersäcke packen, die Frauen von Gegnern als Sexsklavinnen nehmen und Andersgläubige eine Sondersteuer zahlen lassen.
„6. Ich teile Ihre Ausführung nicht, da die Bedeutung Ihrer Rede von "gut" und "schlecht" mir nicht klar ist.“
Fair enough. Ich präzisiere: Gut/Schlecht im Sinne einer Betrachtung, mit der Sie zB die Beschneidung, den Nationalsozialismus oder Rassismus ablehnen.
„8. Einverstanden.“
Wenn wir hier soweit einen Konsens haben, ist es dann nicht völlig logisch zu überlegen, was jemanden dazu bringt, das zu glauben, was er glaubt? Denn die Problemfälle glauben ja offensichtlich nicht willkürlich sondern spezifisch. Ist es also nicht völlig logisch, die Ursache für zB die religiöse Beschneidung in der Idee selbst und nicht in den weltlichen Lebensumständen zu suchen?
„9. Das bezog sich auf die Entscheidung Einzelner zur Religiosität.“
Sie weichen aus: Sie behaupten (siehe oben), dass Religion nur legitimierende aber keine ursächliche Wirkung hat. Ich frage daher nochmal: Wenn keine ursächliche, welche weltlichen Lebensumstände sollten Juden und Muslime dazu bringen, ihren Kindern an den Genitalien herumzuschneiden?
„10. In der Ideenwelt der Religiösen sind es keine weltlichen Gründe, aber für die Gewalt muss es selbstverständlich weltliche Gründe (oder sprachlich genauer: Ursachen) geben.“
Im Gegenteil. Für den Religiösen ist seine Ideenwelt sehr wohl real, ansonsten wäre es ja nicht sein Weltbild. Folglich muss es auch keine „weltlichen“ Ursachen haben, es reichen irrationale, in diesem Fall religiöse, Ideen. Das gilt übrigens nicht nur für Religionen sondern auch für „weltliche“ Ideologien.
„12. ...Ich halte es nur für absurd und zur weltlichen Debatte über Ideologien (also auch Religion als solche und konkrete Religionen) nichts beitragend, theologische Diskussionen zu führen darüber, worin das Wesen des abstrakten Islam bestehe.“
Das Wesen des Islam ist leider überhaupt nicht abstrakt, sondern vielmehr äußerst konkret. Ein Blick in die Weltgeschichte reicht hierzu völlig aus. Es ist auch völlig unerheblich, ob Sie Ideen in „weltlich“ und „theologisch“ unterteilen. Wichtig in diesem Kontext ist allein die Relevanz, die Gläubige einer Religion (oder allgemein: Anhänger einer Ideologie) ihren Ideen beimessen. Um so wichtiger ist es zu verstehen und zu beurteilen, welche Ideen eine Religion/Ideologie transportiert.
„14. Einverstanden. Andersherum reicht es aber nicht, die Naziideologie scheiße zu finden, um zu verstehen, warum ein Nazi scheiße ist, und darum geht es mir in der konkreten Gesellschaft (bzw. den konkreten Gesellschaften), in der ich lebe, nun einmal primär.“
Warum der Nazi der Nazi-Ideologie folgt, ist zunächst eine völlig andere Frage als zu beurteilen, ob die Nazi-Ideen "gut" oder "schlecht" sind.
"16. Eine Aussage ist zutreffend oder nicht, es sei denn, sie fasst mehrere Aussagen in sich zusammen. Die Aussage "Der Islam ist Gewalt" ist (m.M.n.) nicht zutreffend. Die Aussage "Teile des Islam sind Gewalt" ist (m.M.n.) zutreffend. "
Das kommt auf den Grad der Abstraktion an. An und für sich gebe ich Ihnen hier Recht. Aber sagen wir "Teile des Nazismus sind gewaltätig, intolerant und menschenverachtend"? Nein. Wir sagen zurecht "Nazimus ist schlecht". Weil pauschal in der Summe betrachtet die nationalsoz. Ideennwelt einfach nur "schlecht" (im humanistischen Sinne) ist. Wir relativieren hier nicht. Und die gleichen Kriterien müssen konsequenterweise für andere Ideologien ebenfalls gelten, inkl. Islam. Die schlechten Ideen des Islam durchziehen seine Kultur und Geschichte seit dem 7.Jh. Diese stellen mit ihrem intoleranten, ignoranten, gewaltätigen, dogmatischen, martialischen, archaischen, spaltenden Ideencharakter ein konservierendes Element dar, was einen nicht unerheblichen Anteil daran hat, dass ein Grossteil der Weltbevölkerung nicht in die Moderne vordringen kann. Warum sollte man vor diesem Hintergrund den Islam nicht negativ sehen?
"Ihrem letzten Satz widerspreche ich. Sowohl die "Frage nach der Verantwortung als auch die Frage nach den Ursachen für/von Gewalt sind nur über das Individuum verstehbar. "
Mir ist nicht ganz klar, auf welchen Satz Sie sich beziehen. Wollen Sie abstreiten, dass Ideen Konsequenzen haben?
"...Es ist ein m.M.n. verbreiteter Irrtum, zu sagen, eine Handlung sei weniger schlimm oder gefährlich, weil sie individuelle Ursachen habe. Dieser Irrtum hat m.E. einen Grund darin, dass das Benennen einer individuellen Ursache oft vermeintlich ausreicht, um die Existenz einer strukturellen Ursache auszuschließen."
Ich bin verwirrt, das klingt als ob Sie meiner Argumentation "Ideen haben Konsequenzen" zustimmen.
"Es gibt Dinge wie Massenzwang, aber die Voraussetzungen dafür müssen in den einzelnen Individuen liegen, auch wenn sie sich untereinander ähneln oder gleichen mögen. ..."
Warum? Welche individuellen Voraussetzungen haben Juden und Muslime, ihren Kindern freiwillig und fröhlich an den Genitalen herumzuschneiden und sich dabei noch für das Kind zu freuen?
"18. Das unterstellen Sie mir gerne. Ich sehe in beiden Fällen sehr wohl Zusammenhänge, aber anders gewichtet als Sie."
Warum gewichten Sie denn anders?
"19. Auch Fundamentalisten interpretieren, was die "Fundamente" der Religion sind."
Nein. Beispiel: Eine Frau zu "züchtigen" mit der religiösen Begründung, der Prophet hätte dies so vorgegeben, bedarf keiner "Interpretation" sondern ist eine direkte Umsetzung des religiösen Fundaments.
"... Zeit finden, um gesellschaftliche Strukturen, die menschenfreundlicher sind als Ideologien und Ideologen, zu stärken und für sie einzustehen."
Volle Zustimmung. Ich fürchte aber, um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir, muss sich jeder, grade mit dem Islam auseinandersetzen. Vor diesem Hintergrund sehe ich unseren Austausch.
Dropstaking Looser am Permanenter Link
Ich antworte nicht chronologisch, da mir das zu lang wird, sondern versuche, die wichtigsten Punkte unserer Diskussion einzubeziehen.
M.E. machen Sie einen Denkfehler, indem Sie Analyse und Kritik vermischen. Für mich bedeutet, den Gegenstand der Betrachtung so präzise wie möglich einzugrenzen, auch seine Widersprüche wahrzunehmen und einzubeziehen. Das gilt auch für den Islam als Ideenlehre. Beispiel: "Du sollst die Frau achten" vs. "Du sollst sie prügeln". Die Eingrenzung wird nicht präziser sondern unpräziser, wenn man einen der beiden Sätze als nicht-islamisch bestimmt. Darum ist ihr Satz "Der Islam ist Gewalt" auch nach Ihrer ideengekoppelten Definition falsch. Was Sie "Grad der Abstraktion" nennen, ist m.E. Grad der Abgrenzung ganz offensichtlich dem Islam zugehöriger Ideen von Ihrer Islam-Definition. Oder Grad der Pauschalisierung.
Bezüglich der Selbstbezeichnung gebe ich Ihnen recht, das war falsch von mir. Ein Nazi muss sich selbst nicht als Nazi bezeichnen.
Doch, Fundamentalisten interpretieren auch. Beispiel Achtsamkeit/Gewalt gegen/-über Frauen. Beide Einstellungen können fundamentalistisch sein, d.h. nicht weiter durch den Fundamentalisten begründet, als dass es in seinem heiligen Buch steht. Dass IS-Kämpfer Fundamentalisten sind, bedeutet nicht, dass es keine anderen muslimischen Fundamentalisten gibt, die den IS für unislamisch halten.
Meine These: Dass jemand für Ideologie empfänglich ist, kann nur in seiner Lebensgeschichte begründet liegen. Deshalb ist es wichtiger, die Lebensumstände zu analysieren und ggf. zu ändern, als die Ideen zu analysieren und zu diskutieren, die dem Einzelnen als Legitimation für seine Gewalttätigkeit dienen. Die in Deutschland aufgewachsenen Konvertiten, die ausreisen und IS-Kämpfer werden, sind wohl gute Beispiele, um diese These zu belegen.
Die Konsequenzen von Ideen geschehen immer erst durch Handlungen, deren Ursachen nie nur in den Ideen liegen können.
Ich hoffe, mein Standpunkt ist Ihnen klarer als vorher. Rückfragen und Argumente lese ich gerne, aber bitte nicht ausschweifend oder repititiv. Selbiges versuche ich.
David Z am Permanenter Link
Ich habe Ihnen bereits eine Menge Argumente vorgestellt. Unser Problem ist, dass Sie darauf nicht eingehen. Daraus resultiert dann zwangsläufig die von Ihnen bemängelte "Repitition".
Mit der relig. Beschneidung haben Sie ein glasklares Beispiel dafür, dass spezifische Ideen spezifische Konsequenzen haben, und zwar unabhängig von irgendwelchen "Lebensgeschichten". Ich bat Sie zu erklären, wie nach Ihrer These andere Gründe als die Religiösen Menschen dazu veranlassen könnten, ihren Kindern an den Genitalien herumzuscheinden und sich dabei noch gut zu fühlen. Sie schwiegen.
Dann zeigte ich Ihnen am Beispiel Indien auf, dass es für die Bewertung einer Ideologie völlig sinnfrei ist, als Bewertungsgrundlage das zu nehmen, was unter Vorgabe der Ideologie irgendwo irgendwie geglaubt wird. Der Nationalsozialismus bleibt ein Potpourrie der schlechten Ideen, völlig unabhängig davon, ob irgendwo Menschen leben, die sich als Nazis bezeichnen, sich aber nicht entsprechend verhalten. Exakt genau so verhält es sich mit anderen Ideologien und eben auch mit dem Islam. Der Islam ist ein Potpourrie der schlechten Ideen, völlig unabhängig davon, ob es Menschen gibt, die sich als Muslime bezeichnen und die faktisch nachweisbaren Inhalte der relig. Schriften leugnen.
Merkwürdigerweise behaupten Sie, dass es für Sie bedeutet, "den Gegenstand der Betrachtung so präzise wie möglich einzugrenzen, auch seine Widersprüche wahrzunehmen und einzubeziehen", ohne zu merken, dass ihr Ansatz eben dies genau nicht macht: Er ist durch die Einbeziehung von dem, was irgendwo irgendwie geglaubt wird, so dermassen unpräzise, dass hier eine Analyse der ursächlichen Ideologieideen völlig abwegig wäre.
Das von Ihnen genannte Beispiel erfüllt hier in keinster Weise seinen Zweck. Selbstverständlich wird die Betrachtung präsizer, wenn man zwischen dem was ist und dem, was als Wunschbild projeziert wird, trennt, denn das eine Element ist faktisch und das andere ist willkürlich. Und auch Ihr Einwand hinsichtlich Fundamentalismus ist nicht schlüssig. Genau so wenig, wie es jüdische Fundamentalisten gibt, die fundamentalistisch begründet die Beschneidung nicht als Gottesgebot sehen, läßt sich im Islam fundamentalistisch Gleichberechtigung und Achtsamkeit der Frauen herauslesen. Dies ist leider nichts weiter als naives Wunschdenken oder schlimmstenfalls intellektuelle Unredlichkeit. Man kann aus "Und dann schlagt sie!" nicht fröhlich "Und dann streichelt sie!" interpretieren oder leugnen, dass archaische Stammeskulturen im arabischen Frühmittelalter ein für unsere heutigen Vorstellungen übles Frauenbild hatten.
Im übrigen hatte ich bereits eingeräumt, dass Monokausalität selten der Fall ist. Das relativiert aber nicht die Kritik an einer Ideensammlung, sprich Ideologie, in unserem Fall am Islam. Und schon gar nicht bedeutet dies den von Ihnen behaupteten Umkehrschluss, "dass jemand für Ideologie empfänglich ist, kann nur in seiner Lebensgeschichte begründet liegen".
Zu behaupten, dass die Dschihad-Touren unserer europäischen Konvertiten ein Beleg für Ihre These ist, ist schon wirklich kühn. Denn im Gegenteil, dieser Sachverhalt ist im Grund die Widerlegung Ihrer These: Es sind nämlich nicht nur Konvertiten, die in den Dschihad ziehen, es sind nicht nur Europäer, es sind nicht nur Ungebildete und es sind nicht nur Benachteiligte oder Mittellose. Nur eines haben alle gemeinsam. Eine Idee. Gespeist aus dem Ideenpool einer Religion.
Und zu guter letzt werfen Sie mir nun vor, ich würde " Analyse und Kritik vermischen", bleiben aber auch hier wieder einer präzisen Erklärung schuldig. Schade. Mir ist Ihr Standpunkt durchaus klar - im Grunde die apologetische Haltung "das hat alles mit dem Islam nichts zu tun". Aber diese Position ist weder logisch noch vernünftig. Aus oben genannten Gründen.
Dropstaking Looser am Permanenter Link
Gründe ungleich Ursachen. Ideologien bieten Gründe, die Lebensgeschichte beschreibt mögliche Ursachen. Ursache dafür, Kindern Gewalt anzutun (jüd.
Ich hab ja schon erklärt, dass ich den Begriff Islam für die Gesamtheit der Weltanschauungen verwende, die sich auf islamische Lehren berufen, als Sammelbegriff also. Nicht in dieser Definition selbst liegt die möglichst präzise (und dabei je nach Kriterium auch unpräzise) Eingrenzung des Gegenstandes der Betrachtung, sondern in ihrer Konsequenz. Teil dieser Konsequenz ist es, dass auch Menschen von mir als Muslime bezeichnet werden, die sich nur auf Teile der Gesamtheit an verfügbarer islamischer Lehre berufen. (Gibt ja auch genug Konflikte zwischen Muslimen darum, was Islam eigentlich sei.)
Dass Sie Analyse und Kritik vermischen, liegt m.E. in Ihrer Forderung, der Gegenstand müsse möglichst präzise eingegrenzt werden, wobei das "möglichst präzise" sich daran misst, eine eingängige, unwidersprüchliche ideologische Ausrichtung des Islam festzustellen. Ob die gegeben ist, machen Sie aber nicht daran fest, wie der Begriff Islam in nicht-theologischen Diskussionen definiert ist und was für Ideologien sich darin finden lassen.
Missverstehen Sie mich hier nicht: Ich trete nicht per se ein gegen die Neubesetzung von Begriffen, aber ich frage nach dem Grund, und der scheint mir in diesem Fall zweifelhaft zu sein.
Denn: Wem nützt es, Menschen, die heute allgemein anerkannt Muslime genannt werden, nicht mehr Muslime zu nennen? Dann nennen Sie sich eben Anhänger einer Auslegung des Islam. Aber die Problematik der Anfälligkeit für Ideologien jeglicher Namen ist damit gar nicht thematisiert. Und dass religiöse Auslegungen allesamt ideologischen Charakter haben, müssen wir beide wahrscheinlich nicht diskutieren. Stärken Sie mit Ihrer Aussage, der Islam sei Gewalt, nicht vor allem einerseits muslimische "Gelehrte", die genau diese gewaltsame Variante des Islam predigen, und auf der anderen Seite Menschen, die meinen, das muslimisches Leben aufgrund dieser Variante des Islam weniger wert sei und entsprechend gewaltsam handeln?
Es geht ja bei unserer Diskussion auch ein Stück weit um die Macht von Sprache und Deutungen, oder wie sehen Sie das?
Was meinen Sie mit "ursächliche Ideologieideen"? Ursächlich wofür?
Sie irren: Ich behaupte nicht, dass Gewalt und Islam nichts miteinander zu tun hätten.
Dschihad-Kämpfer haben nicht nur eine mehr oder weniger gemeinsame Idee, sondern gleichen sich auch dahingehend, dass sie alle anfällig für diese Idee (geworden) sein müssen. Nichts anderes wollte ich mit dem Beispiel der europ. Konvertiten zum Ausdruck bringen.
Bzgl. des Fundamentalismus möchte ich mich nicht versteigen, habe es u.U. aber schon getan. Ich meine, mal einen Islamwissenschaftler über die verschiedenen Frauenbilder in Mohammeds Schriften reden gesehen zu haben, der auch sagte, Mohammed habe in der verschiedenen Phasen seines Lebens verschiedene Einstellungen zu Frauen gehabt, etwa freiheitlich und unterdrückend. Daraus leitete ich die Möglichkeit eines Fundamentalismus ab, der diesen freiheitlichen Gedanken als, nun ja: Fundament übernähme – aber es mag sein, dass es diese Form des Fundamentalismus im Islam nicht geben kann, wenn man den Koran als Fundament nimmt. Dazu kann ich keine Aussage treffen und rudere hiermit diesbezüglich einen Meter zurück.
Freut mich übrigens, mal so eine ausgiebige Diskussion, die rein schriftlich ist. Das ist wahrscheinlich nicht nur für mich ungewohnt.
David Z am Permanenter Link
Sie gehen mir wieder viel zu leichtfertig über das Beispiel Beschneidung hinweg.
Auch beim Thema Islamdefinition winden Sie sich wieder heraus. Ich versuche es mal anders herum: Wenn A=x+beliebig, wie wollen Sie dann allen ernstes behaupten, A definieren zu können, um es einer Beurteilung und ggf Kritik zuzuführen? Bei all der gelebten Unterschiedlichkeit gibt es historisch/religiöse FAKTEN und gelebte GEMEINSAMKEITEN im religiösen Habitus, und selbstverständlich sind es diese, die zur Betrachtung herangezogen werden müssen. Was denn sonst? Sollen wir Islamkritik an Achmet Müller festmachen, der glaubt, schlagen bedeutet streicheln und mit Köpfen würde eine Nackenmassage gemeint sein? Wenn Sie bei dieser willkürlichen Definition verbleiben, kann man nicht anders, als Ihnen die Fähigkeit abzusprechen, den Islam als Ideologie- und Ideenkonstrukt beurteilen zu können, denn ein solches Vorhaben ist dann aus dieser Perspektive schlicht und ergreifend faktisch nicht möglisch, da Willkür.
Ihre Spezifizierung zum Vorwurf Analyse/Kritik überzeugt nicht. Wieder plädieren Sie im Grunde für Ungenauigkeit anstelle von Präzision. Sie sind hier wirklich nicht ehrlich. Mit dieser Position würden Sie weder den Nationalsozialismus bewerten können noch sonstige Ideologien. Fakt ist: Die Schriften des Islam geben Ideen vor wie auch "Mein Kampf" oder die Deklaration der Menschenrechte Ideen vorgeben. Können Sie einschätzen, ob die Ideen der Menschenrechte gut oder schlecht sind? Mit Sicherheit. Können Sie einschätzen, ob die Ideen in "Mein Kampf" gut oder schlecht sind? Ganz bestimmt. Warum weigern Sie sich, die gleiche Analyse bei den islamischen Schriften zuzulassen?
Die Neubesetzung von Begriffen stellt jener her, der aus A ein X macht und nicht der, der A als A nimmt. Sie fragen nach dem Nutzen: Der Nutzen ist Ehrlichkeit und Präzision. Und ohne diese läßt sich Islamkritik, die beinhalteten Ideen und deren Konsequenzen nicht thematisieren. Wenn Sie sogar einräumen, dass Religionen ideologischen Charakter haben, warum können Sie dann nicht die spezifischen Ideen bewerten? Zu Ihrer Frage: Nein, die stärke ich damit nicht. Das ist zunächst auch sekundär. Was zählt ist, ob etwas wahr oder falsch ist. Es ist faktisch falsch zu behaupten, dass schlagen = streicheln bedeutet und Kopfabhacken = NAckenreinigung oder dass schlagen und Kopfabhacken gute Ideen sind. In Anbetracht der weltweit zahllosen Opfer von islamisch motivierter Gewalt (inkl. Inter-muslimisch) halte ich Ihren letzen Satz schon für ziemlich merkwürdig und es befremdet mich, wie emphathielos Sie damit die nichtmuslimischen Opfer islamisch motivierter Gewaltideen abtun. Meinen Sie tatsächlich, wenn wir uns nur alle kräftig was vorlügen, wird alles besser? Das klingt mir reichlich kindisch. Nein, wir können Veränderungen nur mit Ehrlichkeit bewirken, so wie Ehrlichkeit die deutsche Geschichtsaufarbeitung ermöglicht hat während das Fehlen ebendieser in der Türkei bewirkt, dass die Aufarbeitung des Armenier-Genozid in einem grotesken postfaktischem Lügennebel untergeht.
Nun schreiben Sie, Sie würden nicht behaupten, Gewalt und Islam hätte nichts miteinander zu tun. Gut. Das zu behaupten, wäre angesichts der weltweiten Problematik auch sehr schwer. Wenn Sie also einsehen, dass es eine Verbindung zwischen Islam und Gewalt gibt, warum sträuben Sie sich, diesen Zusammenhang näher zu untersuchen? Im übrigen, ob Dschihadkämpfer speziell anfällig waren, ist eine völlig andere Frage, als zu beurteilen, ob die Idee Heiliger Krieg eine gute Idee ist. Es ist auch eine andere Frage als festzustellen, dass die Idee vom heiligen Krieg in den Schriften klar fixiert ist und, darüber hinaus, klar von keiner der großen Religionsschulen jemals relativiert wurde. DAS sind Fakten. Und die gehört es zu bewerten, wenn wir von Islam sprechen.
Dropstaking Looser am Permanenter Link
Sie polemisieren: "aus A ein X macht", "kräftig was vorlügen", "wie empathielos Sie", "Ehrlichkeit", etc. – aber wiederholen Ihre Argumente.
Dass auch Eltern, die bei anderen Themen sensibel sind, beim Thema Beschneidung unsensibel sein können, habe ich nicht bestritten. Dass religiöse Gebote sowohl die Idee als auch die Legitimierung liefern, bestreite ich ebensowenig. Halten Sie es für Haarspalterei, aber der Grund dafür, dass religiöse Eltern ihre Kinder beschneiden lassen, liegt m.E. nicht in ihrer Religion sondern in ihrer Religiosität, und darin ihre Hörigkeit (aka fehlende Sensibilisierung, oder vielleicht das, was Sie Ehrlichkeit nennen?), auch gegenüber sog. Geboten. Und ich bestehe darauf: Indem Sie sagen, die Religion und nicht die Religiosität sei die größte Scheiße daran, entsprechen Sie genau der Argumentation des Religiösen, der meint, seine Religion habe irgendeine andere Macht, als die, die er ihr durch seine Religiosität erst verleiht und die er sich damit aneignet. Ich versuche, die Sache vom Subjekt her zu denken.
"Im übrigen, ob Dschihadkämpfer speziell anfällig waren, ist eine völlig andere Frage, als zu beurteilen, ob die Idee Heiliger Krieg eine gute Idee ist." – Meine Rede! 1. ja, 2. nein. Und 1. ist mir wichtiger und 2. nur dann wichtig, wenn es für 1. eine Rolle spielt. So wie Ideologie eben m.E. nicht ohne Ideologen gedacht werden kann.
Das hatte ich auch so ähnlich schon geschrieben, darum wundert mich, dass Sie meinen, ich würde mich sträuben, den Zusammenhang zwischen Islam (nach unserer beider Definition) und Gewalt näher zu untersuchen. Nur (ich wiederhole mich auch): Nach Ihrer Definition scheint mir die Untersuchung sehr verkürzt zu sein und auf Monokausalität und den falschen Satz "Das Bewusstsein (bzw. die Idee) bestimmt das Sein" hinauszulaufen.
Ob und inwiefern und, wenn ja, warum es in islamischen Gemein- und -sellschaften das Problem der Gewalt gibt, ist damit nicht besprochen. Unsere Diskussion ging aus von Ihrem "Der Islam ist Gewalt". Dieser Satz ist sowohl nach Ihrem Begriff ("Eine Ideologie der Gewalt ist Gewalt.") als auch nach meinem ("Ein Sammelbecken aus Weltanschauungen ist Gewalt."), mit Verlaub, Unsinn.
Arno Gebauer, ... am Permanenter Link
Moin,
auch in dem Kirchenstaat Deutschland wird die Religion zum Machterhalt der Parteien von CDU/CSU, SPD und Grüne genutzt,
wodurch sich die Kirchenorganisationen mit bestens gefüllten Fleischtöpfen bedienen und als mächtigster Lobbyverband
in alle politischen Entscheidungen einmischen dürfen!
Also nichts Neues!
Viele Grüße
Arno Gebauer