"Wir sind nicht wie der Sudan"

LANGWEDEL. (hpd) Die Online-Ausgabe der 'USA Today' veröffentlichte am Donnerstag einen Artikel zur weiblichen Genitalverstümmelung (FGM) in Indonesien. Dort ist diese Praxis weit verbreitet und wird von einflussreichen BefürworterInnen vehement verteidigt - so sehr, dass ein 2006 erlassenes Verbot bereits vier Jahre später auf Druck der muslimischen Verbände wieder zurückgenommen werden musste. Viele der 210 Millionen indonesischen Muslime betrachten die Operation als eine religiöse Verpflichtung, auch wenn sie im Koran nicht explizit gefordert wird.

"Es führt zu einem reineren und gesünderen Leben", argumentiert Huzaemah Yanggo, Vizepräsidentin der Fatwa-Kommission des Indonesischen Religionsrats. "Wir sind nicht wie der Sudan", wo die Eingriffstiefe deutlich höher ist, "was die machen ist unislamisch".

Besser als im Hinterhof

Die ehemalige Müttergesundheits-Beauftragte des Gesundheitsministeriums, Ina Hernawati, begründete den Rückschritt von einem Verbot zu einer Ausführungsrichtlinie damals so: "Wir ziehen es vor, wenn die Beschneidung von ausgebildetem Gesundheitspersonal durchgeführt wird statt von beliebigen Schamanen oder traditionellen Heilern, weil das unsicher sein könnte."

Proteste von FrauenrechtlerInnen, dass die Richtlinien einer staatlichen Billigung der Praxis gleichkämen, wies man mit dem Argument zurück, dass es besser sei Regeln aufzustellen, da man die Praxis ohnehin nicht verhindern könne.

Auch andere Interessen spielen scheinbar eine Rolle. Laut Atas Habsjah, Vizepräsidentin des Familienplanungsverbandes PKBI, bieten viele Kliniken weiterhin FGM an, da es sich um ein "einträgliches Geschäft" handle - die Beschneidung wird dort wie auch das Ohrlochstechen als kostenpflichtiges Extra bei der Geburt angeboten.

Riana, eine Mutter, deren erste Tochter auf ärztlichen Rat hin intakt blieb, möchte ihre Zweitgeborene beschneiden lassen. "Ich werde danach googeln", sagt ihr Mann, "Ich weiß, dass es etwas Gutes sein muss, wenn alle es tun".

TERRE DES FEMMES half schließlich gemeinsam mit der indonesischen Frauenrechtsorganisation Kalyanamitra durch eine sehr erfolgreiche Unterschriftensammlung gegen die gesetzliche Legalisierung einiger Formen von FGM in Indonesien, dass auch in deutschen Medien über die dortige eklatante Verletzung von Mädchen- und Frauenrechten berichtet wurde.

Déjà-vu

Die Argumente zur Legitimierung von FGM erinnern wiederholt stark an diejenigen, die auch in Deutschland immer wieder aufgetischt wurden und werden, wenn es um die Genitalverstümmelung an Jungen geht.

Es sei nicht so schlimm wie Praktiken in anderen Ländern, das könne man nicht vergleichen. Besser man erlaube den Eingriff durch geschultes Personal, denn sonst findet er unvermeidlich im Hinterhof statt. Zudem leben ja weltweit eine Milliarde beschnittener Männer, also könne das ja nichts Schlechtes sein.

Und immer ganz vorne mit dabei die religiöse Verpflichtung, die man zu respektieren habe. Diese gilt hier wie dort, denn was Teil der eigenen Religion ist - und wie wichtig man es nimmt - lässt man sich weder in Deutschland noch in Indonesien von christlichen oder nichtchristlichen Europäern vorschreiben - nicht einmal wenn sie religionspolitische Sprecher selbsternannter Menschenrechtsparteien sind.

Der geschlechtsneutrale Schutz

Die Argumente pro und contra weiblicher und männlicher Genitalverstümmelung gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Dies ist nicht verwunderlich, liegt ihnen doch das gleiche patriarchalische Mindset zugrunde - die Missachtung der Eigenentscheidung des Individuums über seinen Körper und seine Sexualität durch die Gemeinschaft und deren Ausübung des "Recht des Stärkeren". Viele internationale Organisationen und Verbände, die sich mit diesem Thema beschäftigen, haben bereits erkannt, dass nur ein geschlechtsneutraler Kampf gegen Genitalverstümmelungen zum Erfolg führen kann, der den gleichen Schutz für alle Kinder zum Ziel hat. Am 7. Mai jedes Jahres feiern sie deshalb den Weltweiten Tag der genitalen Selbstbestimmung.

"Schönwetterkinderschützer"

Einige der größten Kinderschutz-Organisationen, wie zum Beispiel der Deutsche Kinderschutzbund, verharren derweil weiter im Dornröschenschlaf und versuchen, sich durch Untätigkeit möglichen Konfrontationen mit religiösen Lobbygruppen zu entziehen. Doch auch sie, von Christian Bahls, dem Vorsitzenden von MOGiS e.V., schon mal als "Schönwetterkinderschützer" bezeichnet, werden es schwer haben, dauerhaft zwei ähnliche Kinderrechtsverletzungen mit nahezu identischen Legitimationsfloskeln als angeblich zwei völlig unterschiedliche Dinge hinzustellen.