Jede dritte Frau wird mindestens einmal im Leben Opfer von Gewalt und jede vierte Frau erlebt Gewalt im Zusammenhang mit ihrer Partnerschaft. Gewalt gegen Frauen fußt auf einem strukturellen Problem, das alle Kulturen, Schichten und Altersstufen umfasst. Geschlechtsspezifische Gewalt greift unser Wertesystem und unsere Demokratie an und trifft Frauen nicht, weil sie zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort waren, sondern weil sie Frauen sind. Die Spitze des Eisberges an geschlechtsspezifischer Gewalt ist der Femizid: Die Tötung einer Frau, weil sie eine Frau ist.
Begriffsdefinition
Der Begriff Femizid wurde im Jahr 1976 von der US-amerikanischen Soziologin und Feministin Diane E. H. Russell beim "International Tribunal on Crimes against Women" in den wissenschaftlichen Diskurs eingebracht. Russel fasst unter den Begriff Femizid insbesondere zwei Aspekte von Frauentötungen zusammen: Zum einen "mysogyne1 Tötungen", d. h. Tötungen von Frauen aus Verachtung und Frauenhass und zum anderen Tötungen von Frauen, weil sie sich der männlichen Kontrolle und Dominanz entziehen und nicht den patriarchalen Rollenvorstellungen entsprechen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat eine ähnliche Definition geschaffen und betont, dass Femizide durch hierarchische Geschlechterverhältnisse motiviert sind. Sie resultieren aus ungleichen Machtstrukturen, in welchen patriarchale Geschlechterrollen oder Denkweisen verwurzelt sind, und Frauen und Mädchen untergeordnet werden.
Formen des Femizids
Es gibt verschiedene Ausprägungen des Femizids: Der intime Femizid bezieht sich auf die Tötung einer Frau durch aktuelle oder frühere Intimpartner wie einen Ehemann oder Lebensgefährten. Im Zusammenhang mit kulturellen Praktiken können Femizide ebenfalls verübt werden, so z. B. im Rahmen der Mitgift-Praktik, vor allem in den Regionen Pakistan, Indien und Bangladesch. Hierbei tötet der Ehemann und/oder die Familie des Ehemannes eine (frisch) verheiratete Frau wegen Konflikten im Zusammenhang mit der Mitgiftzahlung. Diese Art der Tötung ist eine Folge von herrschsüchtigen Beziehungen von Männern gegenüber Frauen. In vielen Ländern gibt es bereits Gesetze gegen Mitgiftzahlungen. Gegen die religiösen und kulturellen Traditionen sind diese aber oft nicht wirksam genug. Auch geschlechtsselektive Abtreibungen und die Tötung weiblicher Kinder gehören zu den Femiziden. Diese Femizide geschehen in Gesellschaften und Kulturen, in denen Mädchen weniger Wert als Jungen beigemessen wird. Auch Säureangriffe auf Frauen können Femizide sein: Säureangriffe sind schwere Körperverletzungen, bei denen dem Opfer Säure auf den Körper oder das Gesicht geschüttet wird. Die Verätzungen schädigen die Organe, führen oft zur Erblindung, erzeugen großflächige, schmerzhafte Vernarbungen und führen ohne medizinische Versorgung häufig zum Tod. In misogynen Gesellschaften, vor allem in Teilen Südostasiens, wie zum Beispiel Indien, sind Säureangriffe auf Frauen allgegenwärtig. Säureangriffe müssen nicht zwangsläufig eine Tötungsabsicht beinhalten. Oft wollen die Täter die Frau aus gekränktem Ego, Rache, Eifersucht, oder Machtdemonstration entstellen und "bestrafen".
Der nicht-intime Femizid wird von einer Person ohne Beziehung zum Opfer begangen. Dazu gehören unter anderem geschlechtsbezogene Tötungen indigener Frauen, Tötungen von Frauen in bewaffneten Konflikten2, Tötungen von Frauen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder aufgrund von Anschuldigungen der Zauberei, was auch heute noch in Afrika und Asien gängig ist. Extrem gewalttätige Frauenmorde werden auch im Zusammenhang mit Drogen- und Menschenhandel verübt.3
Bezogen auf solche nicht-intimen Femizide, wurde von der Anthropologin und lateinamerikanischen Intellektuellen Rita Segato der Begriff des "Femigenozids" geprägt. Femigenozid bezieht sich auf die steigende Anzahl von Morden, die an Frauen im Zuge von kriegerischen Konflikten oder im Kontext von organisierter Kriminalität begangen werden. Es geht hier also um eine unpersönliche und kategorielle Tötung von Frauen. Der Begriff des Femigenozid bezeichnet eine andere Dimension des Femizids und steht damit intentional der Kategorie des Genozids nahe. Dadurch soll zum Beispiel auch die Anerkennung von Femigenoziden vor internationalen Gerichten erleichtert werden, die sich mit Dingen wie Kriegsverbrechen und Genoziden auseinandersetzen.4
Femizid – Feminizid
Ein Unterschied wird außerdem gemacht zwischen den Begriffen Femizid und Feminizid. Während der Begriff des Femizids auch verwendet werden kann, um generell die weibliche Form der allgemeinen Tötung, also jeglichen Mord an Frauen zu beschreiben, versucht der Begriff des Feminizids die Geschlechtsbasiertheit und patriarchale Motivation des Mordes deutlicher hervorzuheben. Durch den Begriff Feminizid soll klargestellt werden, dass zwar alle Feminizide Tötungen von Frauen sind, aber nicht alle Tötungen von Frauen sind patriarchalisch motiviert.5 Außerdem soll der Begriff Feminizid, motiviert durch feministische Bewegungen in Staaten wie Mexiko, Chile und Argentinien, auch die Verantwortung des Staates in den Mittelpunkt rücken. Da die Tötungen an Frauen strukturell geschehen und nicht nur aus frauenfeindlichen Motiven heraus passieren, sondern zudem auch noch unbestraft blieben, benutzt die mexikanische Anthropologin Marcela Lagarde den Begriff des Feminizids, um die Straflosigkeit hervorzuheben.6
Häufig werden die Begriffe Femizid und Feminizid inzwischen aber synonym verwendet, weshalb Terre des Femmes den allgemeineren Begriff "Femizid" verwendet. Beide Begriffen machen deutlich, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts getötet werden und dass Femizide durch hierarchische Geschlechterverhältnisse motiviert sind. Sie resultieren aus ungleichen Machtstrukturen, in welchen patriarchale Geschlechterrollen oder Denkweisen verwurzelt sind, und Frauen und Mädchen untergeordnet werden.
Femizid – ein eigener Straftatbestand?
Wir haben in Deutschland keine ausreichende Datenerhebung zu Gewalttaten gegen Frauen. Eine statistische Erhebung von Gewaltdelikten gegen Frauen und von Femiziden ist jedoch fundamental wichtig, da erst so das gesamte Ausmaß der Problematik deutlich wird und folglich besser bzw. zielführender Präventions- und Interventionsmaßnahmen zur Vorbeugung und Verhinderung von Femiziden implementiert werden können. Femizide sind die Spitze des Eisberges, die auf langanhaltenden Misshandlungen, Bedrohungen, sexueller Gewalt und Einschüchterungen basieren.
Jeden Tag gibt es in Deutschland einen polizeilich registrierten Tötungsversuch an einer Frau und jeden dritten Tag stirbt eine Frau durch ihren (Ex-)Partner. Im Jahr 2020 waren es 139 Frauen, die gewaltvoll von ihrem (Ex-)Partner getötet wurden.
In Deutschland wird unterschieden zwischen zwei vorsätzlichen Tötungsdelikten: Mord und Totschlag. Zur Abgrenzung zwischen den beiden Tatbeständen dienen die Mordmerkmale in § 211 StGB. Dieser Paragraf schreibt für Morde eine lebenslange Freiheitsstrafe vor, während für Totschlag nach § 212 StGB eine Freiheitstrafe von "nur" mindestens 5 Jahren vorgesehen wird, welche jedoch in besonders schweren Fällen auch lebenslänglich ausfallen kann.
Die Istanbul-Konvention, welche in Deutschland im Jahr 2018 in Kraft trat, sieht jedoch in Artikel 46 Strafschärfungsgründe vor, die unter anderem berücksichtigen, wenn die Straftat gegen eine frühere oder derzeitige Ehefrau oder Partnerin begangen wurde. Es besteht im deutschen Strafrecht aktuell jedoch kein explizites Instrument, mit dem Femizide als solche erkannt und gesondert bestraft werden können.
Die Schwere der Tat im Fall eines Femizids begründet sich in der Motivation, also der Tötung einer Frau wegen ihres Frauseins. Solche und ähnliche sogenannte "niedrige" Beweggründe könnten vor Gericht subsumiert werden und zu einer Verurteilung des Täters wegen Mord führen. Theoretisch ist zwar ein solcher Mord aus niedrigen Beweggründen grundsätzlich anzunehmen, wenn eine Frau deshalb getötet wird, weil sie eine Frau ist. Die tatsächliche Beurteilung der Schwere des Tatbestandes obliegt allerdings immer dem zuständigen Gericht und ist normativ. Misogynie oder gekränkte Männlichkeit werden von Gerichten oft nicht als offenkundige Motive der Täter angenommen.
Besonders ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2018 macht dies deutlich. Darin wurde beschlossen, dass die Tötung einer Intimpartnerin, die sich vom Täter abwenden oder trennen wollte, nicht zwangsläufig als durch niedrige Beweggründe motiviert gelten muss.7 Wenn eine Trennung also vom Tatopfer ausging, kann das gegen die Niedrigkeit des Beweggrundes sprechen und so aus einem Mord einen Totschlag machen.
Es fehlt eine vollumfängliche Anerkennung des Problems von Femiziden als Konsequenz eines patriarchalen Systems. Immer noch gibt es Schuldzuweisungen an Frauen vor Gericht und die deutsche Rechtsprechung kommt der konsequenten Bestrafung von Femiziden in Deutschland nicht nach. Eine einheitliche Bewertung der misogynen Tatmotivation als niedriger Beweggrund für Mord nach § 211 StGB und eine geschlechtsspezifische Analyse der Frauentötung durch die Rechtsprechung, sind dringend notwendig, um Femizide in Deutschland angemessen bestrafen zu können.8
"Ehren"-Morde
"Ehren"-Morde basieren auf dem Konstrukt einer "Ehre", die Familien oder einzelnen Personen in streng patriarchalischen Gemeinschaften zugeschrieben wird. Dies impliziert gewisse Verhaltensnormen, die das gesellschaftliche Umfeld an die einzelnen Personen stellt. Die "Familienehre" gilt als symbolisches Kapital, das gleichfalls den Standort der Familie in der Gemeinschaft verdeutlicht und damit eng mit Akzeptanz und Anerkennung verknüpft ist. Die Familienehre zu wahren und zu verteidigen ist Aufgabe eines jeden Familienmitglieds. Die Rollen sind dabei nach Geschlechtern differenziert. Insbesondere Frauen unterliegen starken Einschränkungen hinsichtlich ihrer individuellen Entfaltungsmöglichkeiten und werden als "Besitz" des Mannes angesehen. Mädchen werden von früher Kindheit an auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter vorbereitet. Die "Ehre" der Familie ist dabei stark an die Kontrolle der weiblichen Sexualität geknüpft: Eine Frau hat gemäß den rigiden Moral- und "Ehr"vorstellungen als "Jungfrau" in die Ehe zu gehen. Die Familie, insbesondere die männlichen Familienmitglieder, haben die sexuelle Reinheit der weiblichen Familienmitglieder sicherzustellen und zu kontrollieren. Die sexuelle Keuschheit bezieht sich dabei auch auf soziale Interaktionen – auch in ihrem Verhalten hat sie sich "keusch" zu benehmen.9
Entspricht eine Frau nicht den der Gemeinschaft zugrunde liegenden Moral- und Verhaltensvorstellungen, gilt die Ehre ihrer Familie als verletzt. Die drei häufigsten Beispiele des vermeintlichen Fehlverhaltens sind dabei:
- (vermeintlicher) vorehelicher sexueller Kontakt (und damit der mögliche Verlust der Jungfräulichkeit)
- (vermeintlicher) außerehelicher sexueller Kontakt
- Selbständigkeitsstreben (bspw. Nicht-Akzeptanz einer Zwangsverheiratung; Scheidung)10
Sollte dies öffentlich werden, sieht sich die Familie zumeist zum Handeln gezwungen, um die "Ehre" wiederherzustellen. Wichtig ist zu betonen, dass es dabei nicht um einen tatsächlichen "Unschuldsbeweis" der Frau geht. Allein, dass die Frau Anlass zu Gerüchten gegeben hat, stellt eine Gefährdung dar. Nicht das "faktische Fehlverhalten" ist also von Interesse, sondern dessen Auswirkung auf das "öffentliche Bild", also die "Ehre" der Familie.11 "Ehren"-Morde zur "Bereinigung der Familienehre" sind in patriarchalischen Gemeinschaften, in der die TäterInnen sozialisiert wurden, zum Teil gesellschaftlich legitimiert.12 Der Psychologe Jan Ilhan Kizilhan, der sich seit vielen Jahren mit "Ehren"-Morden beschäftigt und auch mit verurteilten "Ehren"-Mördern sprach, schreibt dazu:
"Sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart verteidigen nicht die Frauen ihre Ehre, sondern dies obliegt dem Manne. Wenn der Ruf einer Frau auf dem Spiel steht, muss ein Mann für sie eintreten, in der Regel ein Familienmitglied wie z.B. der Bruder oder der Ehemann. Dies gehört zu den Verpflichtungen der kollektiven Familie (…)".13
Insofern ist bei dem Kontext von ehrbezogener Gewalt auch zumeist von einem Kollektiv an Personen auszugehen. Das Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) schreibt dazu: "Anders als bei Gewalt in Partnerschaften sind die Täterinnen und Täter aber nicht nur aktuelle oder vergangene Beziehungspartner. […] Häufig sind mehrere Mitglieder einer Familie – auch Frauen – in die Planung und Ausführung mit einbezogen."14
Auch weltweite Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International und UN Women führen den Begriff des "Ehrenmordes" (bzw. auf Englisch: "honour killing") und verweisen auf die tödliche Gewalt in Zusammenhang mit einem als "falsch" angesehenen Verhaltens weiblicher Familienmitglieder.15
Doch können auch Männer von sog. Ehrenmorden betroffen sein. Häufig betrifft dies die (vermeintlichen) Partner oder "Liebhaber" der Frau, die oft gemeinsam mit der vermeintlichen "Ehebrecherin" getötet werden. Auch gibt es Konstellationen, in denen ein Mann dafür umgebracht wird, weil er sich weigert die "Familienehre" wiederherzustellen.16
Die vom Bundeskriminalamt (BKA) in Auftrag gegebene Studie "Ehrenmorde in Deutschland" geht intensiver auf die Schwierigkeit einer allgemeingültigen Definition ein und beschreibt auch sog. Grenzfälle zu "Partnertötungen" und "Blutrache".17 Je nachdem, wie eng oder weit man die Definitionen fasst, werden mehr oder weniger (versuchte) Tötungsdelikte darunter subsumiert. Denn eine Definition des Begriffs "Ehren"-Mord im "engeren Sinne" bezieht sich zumeist auf Tötungsdelikte durch direkte Blutsverwandte (z. B. Vater, Brüder) und könnte Delikte ausschließen, bei denen der (Ex-)Partner seine Frau aus Gründen der "Ehre" tötet. Auch wenn hinter allen Tötungen weiblicher Intimpartner "ein extremer Ausdruck männlichen Dominanz- und Besitzdenken[s]"18 zu sehen ist, können auch Elemente eines "Ehren"-Mordes zum Tragen kommen – zum Beispiel, wenn der Täter in seiner (geplanten) Tat durch das soziale Umfeld – v. a. Familienmitgliedern – bestärkt, oder im Nachhinein durch Schweigen geschützt wird.19 Denn trennt sich die Tochter/Schwester von ihrem Ehepartner, kann diese "Schande" auf die Herkunftsfamilie zurückfallen und zu einem "Ehrverlust" führen.20 Zusätzlich wird auch die "Ehre" des (Ehe-)Mannes in Frage gestellt, wenn er von seiner Frau verlassen wird – dann gilt er nicht selten als "unmännlich", jemand, der auf seinen "Besitz" nicht aufpassen kann.21 Der soziale Druck, der nach einem vermeintlichen Fehlverhalten und daraus resultierenden Verlust der "Ehre" entsteht, wird also massiv von mehreren Seiten aufgebaut.22
Terre des Femmes schließt sich der (Arbeits-)Definition des BKA an, in der es heißt: "Ehren"-Morde sind "vorsätzlich begangene versuchte oder vollendete Tötungsdelikte, die im Kontext patriarchalisch geprägter Familienverbände oder Gesellschaften vorrangig von Männern an Frauen verübt werden, um die aus Tätersicht verletzte Ehre der Familie oder des Mannes wiederherzustellen."23
Kritik am Begriff
Der Begriff "Ehren"-Mord ist durchaus stark umstritten. So wird zum Beispiel angeführt, dass dieser Begriff einem "Euphemismus"24 gleichkäme, da ein derartiges Tötungsdelikt nach hiesigen Maßstäben in keinster Weise "ehrenwertes Verhalten" darstelle.25
Auch wird der Begriff oft als "rassistisch", "xenophob" und stigmatisierend einer bestimmten (religiösen) Gruppe gegenüber wahrgenommen und kritisiert – insbesondere mit Hinblick auf muslimische (Diaspora-)Gemeinschaften.26 Besonders in der medialen Öffentlichkeit hat man zuweilen den Eindruck, der Begriff werde herangezogen, um die "Betonung der Andersartigkeit"27 und eine "Abgrenzung vom liberalen und modernen Westen" auszudrücken.28 Demzufolge ist bisweilen die Tendenz zu erkennen, mit dem Begriff des "Ehren"-Mordes die Tat, also die Tötung einer Frau, zu exotisieren und das Phänomen, "Gewalt gegen Frauen" von sich weg- und einer anderen kulturellen, religiösen oder ethnischen Gruppe zuschieben zu wollen.29 In Deutschland war und ist dies immer wieder in Integrationsdebatten Tenor, oft auch in Zusammenhang mit einer vermeintlich generellen "Rückständigkeit und Gewaltorientierung des Islam".30 Die Studie des BKA verweist in diesem Zusammenhang auch auf sozialpsychologische Mechanismen, bei denen die Kriminalität der "Anderen" immer als bedrohlicher wahrgenommen werde als die der eigenen Gruppe. Und das, "obgleich tödliche Gewalt gegen Frauen ein kulturübergreifendes Phänomen ist."31
In diesem Kontext betonen verschiedene Studien, dass "Ehren"-Morde kein "muslimisches" Phänomen sind oder durch den Islam begründet werden. Die Wurzeln dieser "Ehrverbrechen" liegen in vorindustriellen, agrarisch geprägten, stark patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen. Ein weiteres Muster, das sich erkennen lässt, ist, dass Ehrverbrechen nach wie vor vor allem in Regionen vorkommen, die generell über eine schwache Präsenz staatlicher Ordnungs- oder Strafverfolgungssysteme verfügen.32
Als Exkurs sei auch darauf verwiesen, dass mit Blick auf Diaspora-Gemeinden insbesondere dann auch verstärkt an patriarchalen Strukturen und "Ehr"vorstellungen festgehalten wird, wenn der Zugang zu Bildung bzw. Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt nicht gegeben ist. Die Rückbesinnung oder Fokussierung auf die Familienehre stellt dann einen Versuch dar, für sich und seine Familie auf anderen Wegen Anerkennung und Akzeptanz innerhalb der Gemeinschaft zu generieren.33
Warum eine Verwendung des Begriffs dennoch wichtig ist
Zweifellos darf die Verwendung des Begriffs "Ehren"-Mord nicht darüber hinwegtäuschen, dass (tödliche) Gewalt an Frauen in jedem Land, in jedem Kulturkreis und in jeder sozialen Schicht anzutreffen ist (s. die obigen Ausführungen zu "Femizid"). Und wie bei jeder Auseinandersetzung mit einem Themengebiet ist es auch hier wichtig, differenziert und sachlich, ohne Pauschalisierungen zu arbeiten. Nicht jede Frau, die aus einem stark patriarchal geprägten Land stammt, ist auch von "Ehren"-Mord oder Gewalt im Namen der Ehre bedroht oder betroffen. Ebenso wird nicht jeder Mann aus einem stark patriarchalen Land automatisch zu einem potenziellen Mörder, wenn sein Ehrgefühl vermeintlich verletzt wird.34
Terre des Femmes vertritt jedoch die Ansicht, dass es für eine zielgerichtete Präventions- und Sensibilisierungsarbeit sowie für die Ausrichtung der unterstützenden Hilfesysteme unerlässlich ist, sich über die Spezifika der geschlechtsspezifischen Gewalt mit einem vermeintlichen Ehrkontext bewusst zu sein. Alle Stellen, die mit (potenziell) bedrohten oder betroffenen Personen in Kontakt geraten können, müssen über die besondere Gefährdungslage informiert sein. Denn nur so kann aus unserer Sicht gewährleistet sein, dass gefährdete Personen frühzeitig identifiziert und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln geschützt werden. Denn die Gefahr geht bei Ehrverbrechen nicht "nur" von einem (potenziellen) Täter aus, sondern zumeist von einem (Familien-)Kollektiv an Personen. (Todes-)Drohungen in patriarchalen Kontexten sollten zudem dringend ernst genommen werden. Eine einmal "beschmutzte Ehre" verjährt nicht. In extremen Fällen sucht die Familie jahrelang nach der verschwundenen Tochter/Schwester/Ehefrau, um die Familienehre wiederherzustellen und instrumentalisiert für die Suche auch Behörden und entsprechende Hilfseinrichtungen.35
Aus diesem Grund sind zwei Hauptforderungen von Terre des Femmes, Behörden und Institutionen, die mit (potenziell) bedrohten Personen Kontakt haben, über dieses Gewaltphänomen zu schulen und für mögliche "Warnzeichen" zu sensibilisieren. Gleichzeitig ist es wichtig, mehr spezialisierte Schutzeinrichtungen für von "Gewalt im Namen der Ehre" bedrohte Mädchen und Frauen einzurichten. Mädchen und Frauen, die streng kollektivistisch erzogen wurden, verlieren mit einer "Flucht" aus der Familie zumeist das komplette soziale Umfeld. Sie benötigen daher eine besonders intensive Betreuung, quasi eine Art "Familienersatz".36
Dies ist besonders relevant, wenn man sich vor Augen führt, dass "Ehren"-Morde nur die vielzitierte Spitze des Eisbergs patriarchaler Gewalt darstellen.37 Es gibt keine gesonderten statistischen Erhebungen, wie vielen Morde "im Namen der Ehre" jährlich geschehen.38 Es ist davon auszugehen, dass sich hinter jedem konkreten Todesfall eine Vielzahl weiterer Fälle von "Gewalt im Namen der Ehre" verbergen, die sich im Dunkelfeld bewegen. Es ist zudem zu befürchten, dass viele, insbesondere Minderjährige, ins Ausland verschleppt und dort zwangsverheiratet, im schlimmsten Fall Opfer eines "Ehren"-Mordes werden – nicht zuletzt aufgrund der mangelhaften Strafverfolgung in einigen Ländern in Fällen von Gewalt im Namen der Ehre.39
Die Notwendigkeit – aus Sicht von Terre des Femmes – den Begriff "Ehren"-Mord zu verwenden, spiegelt sich auch mit Hinblick auf weltweite Presseberichte von stattgefundenen "Ehren"-Morden wider. Aktuelle Fälle, wie beispielsweise ein Fall, in dem ein Vater im Iran seine 15-jährige Tochter angeblich deswegen erschoss, weil sie im Park mit einem Jungen gelacht habe40 oder der Fall in Indien, bei dem die Mutter die eigene Tochter an den Füßen festhielt, während der Sohn seine Schwester köpfte, weil sie laut Medienberichten einen anderen Mann heiratete als von der Familie bestimmt41, zeigen: Derartige Gewalttaten wären ohne ein grundlegendes Verständnis von "Ehre" und streng patriarchalen Strukturen kaum einzuordnen. Dies wird dadurch gestützt, dass es in streng patriarchalen Ländern für "Ehren"-Morde Strafmilderungen gab, gibt oder trotz gesetzlichen Veränderungen im Gewohnheitsrecht der Menschen noch gelebt werden.42
Bezogen auf stattfindende "Ehren"-Morde in Deutschland kommt auch die vom Bundeskriminalamt (BKA) in Auftrag gegebene Studie zu dem Schluss, dass ohne das Wissen um diesen spezifischen kulturellen Hintergrund der "zählebigen patriarchalen und kollektivistischen Verhaltensnormen"43 derartige Tötungsdelikte "schlichtweg nicht erklärbar"44 seien. Dennoch gibt es auch bei „Ehren“-Morden oft eine Gemengelage aus individuellen Motiven und Schnittmengen zu sog. "Partnertötungen". Dies zeigt: Die Grenzen sind fließend, es kommt immer auf den jeweiligen Einzelfall an.
Terre des Femmes verwendet also weiterhin den Begriff "Ehren"-Mord, setzt aber "Ehre" in "Ehren"-Mord in Anführungszeichen oder spricht von "sog. Ehrenmorden". Damit soll deutlich gemacht werden, dass TdF die "Ehrvorstellungen" streng patriarchaler Gemeinschaften nicht teilt und sich von dem Motiv, der Wiederherstellung einer vermeintlichen Familienehre, distanziert.
Resümee
Gemeinsamkeiten
Sowohl "Femizide" als auch "Ehren"-Morde betreffen hauptsächlich bzw. ausschließlich Frauen. Bei beiden Begriffen finden sich patriarchale und traditionelle Denkmuster, die ein Machtgefälle zwischen den Geschlechtern zementieren wollen und einen grundsätzlichen Besitzanspruch des Mannes über die Frau zugrunde legen. Damit verfestigt sich die erhöhte Bedrohung für Frauen Opfer von Gewalttaten zu werden – allein aufgrund ihres Geschlechts und dem daraus abgeleiteten erwarteten Verhalten. Beide Begriffe stehen für (versuchte) Tötungen, in denen die Sozialisation des jeweiligen Täters und seine Wahrnehmung von der "Rolle der Frau" oder ihrem "richtigen Verhalten" entscheidend für seine Handlung ist.
Unterschiede
Der entscheidende Unterschied ist jedoch, dass der Begriff des "Ehren"-Mords ein komplexeres Konzept struktureller Gewalt umfasst und einem in der Gemeinschaft geteilten und tradierten Konzepts von "Ehre" widerspiegelt. Hinter diesem Begriff verbirgt sich eine Vielzahl an Rollenbildern und -zuschreibungen, die den jeweiligen Familienmitgliedern unterschiedliche Teilhabemöglichkeiten an gesellschaftlichem und sozialem Leben zusprechen. Frauen werden nicht die gleichen (Bewegungs-)Möglichkeiten wie Männern zuerkannt. Brechen sie aus diesen Rollen heraus, laufen sie Gefahr, von einem Kollektiv an Personen physisch oder psychisch erpresst, bedroht und sogar ermordet zu werden. Sogenannte Ehrenmorde sind also nicht als Einzeltaten zwischen zwei beteiligten Personen (Betroffene und Täter) zu begreifen. Anders als bei Femiziden, die häufig unter "Partnerschaftsgewalt" subsumiert werden, ist bei "Ehren"-Morden ein innerhalb der Gemeinschaft ausgehandelter "Regelkodex" für alle der Gemeinschaft angehörigen Personen verbindlich. Dieser dient als Triebfeder und als vermeintliche Legitimation für das Handeln. Auch Männer können durch Ehrgewalt tödlich getroffen werden.
Ein "Ehren"-Mord kann auch ein Femizid sein. Nicht jeder Femizid ist aber auch ein "Ehren"-Mord. Dennoch sollte nie aus dem Blick geraten: Jede Tötung, die geschieht, ist eine zu viel – ungeachtet der Bezeichnung.
Yamina Lourghi / Elisabeth Gernhardt für Terre des Femmes
- "Misogynie", auch als Frauenfeindlichkeit bezeichnet, ist ein Oberbegriff für soziokulturelle Einstellungsmuster bei denen Frauen weniger Relevanz und Wertigkeit zugesprochen wird als Männern. Misogynie ist die Basis patriarchaler Beziehungsgefüge. ↩︎
- In bewaffneten Konflikten werden Frauen oft als Zielscheiben benutzt. Um das Gefüge von Gesellschaften zu zerstören, werden Frauen beispielsweise systematisch vergewaltigt oder ermordet. (Beispielsweise der Konflikt in Ruanda 1994, und die Massentötungen von Jesidinnen 2014 durch den Islamischen Staat). ↩︎
- World Health Organization/ Pan American Health Organization. 2012. Understanding and addressing violence against women: femicide. World Health Organization. Abrufbar unter: https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/77421/WHORHR12.38eng.pdf ↩︎
- Segato, Rita. 2022. Femizid. Der Frauenkörper als Territorium des Krieges. Münster: Unrast Verlag: S. 109. ↩︎
- Dyroff, Merle/ Pardeller, Merlene/ Wischnewski, Alex. 2020. Femizide in Deutschland. Berlin: Rosa-Luxemburg-Stiftung: S. 5 ff. ↩︎
- Vásquez, Patsilí Toledo. 2021. Femicide / Femizid / Feminizid: Sprechen wir über dasselbe?. Goethe Institut. Abrufbar unter: https://www.goethe.de/ins/es/de/kul/sup/fem/22233935.html [letzter Abruf am 22.09.2022] ↩︎
- BGH, Urteil vom 21. Februar 2018 - 1 StR 351/17 - HRRS 2018 Nr. 378, Rn. 10. Abrufbar unter: https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/1/17/1-351-17.php [letzter Abruf am 22.09.2021] ↩︎
- Leogrande, Laura. 2021. Die Verurteilung von Femiziden. Wie sinnvoll ist die Schaffung eines eigenen Straftatbestandes?, in: Forum Recht (Hrsg.): Home Sweet Hell- Leben im Außenbereich (01/2021). Abrufbar unter: https://forum-recht-online.de/wp/?p=2116 [letzter Abruf am 22.09.2022] ↩︎
- Für nähere Informationen zu dem Konzept der "Ehre" siehe z.B. Terre des Femmes, 2011 "Im Namen der Ehre. Misshandelt, zwangsverheiratet, ermordet" Hilfsleitfaden für die Arbeit mit von Zwangsheirat/Gewalt im Namen der Ehre bedrohten oder betroffenen Mädchen und Frauen, Berlin: S. 7ff.; Kizilhan, Ilhan. 2006. "Ehrenmorde". Der unmögliche Versuch einer Erklärung (Friedens- und Demokratiepsychologie Bd. 4), Berlin; Elyfai-Schulz, Senan. 2012. Das Phänomen des "Ehrenmordes". Eine rechtliche Untersuchung unter Berücksichtigung der Täter- und Opferperspektive, Marburg; Böhmecke, Myria. 2005. Studie: Ehrenmord, Tübingen: S. 4 ff. ↩︎
- Vgl. Böhmecke 2005, S. 5f, 25; Terre des Femmes 2011, S. 8. ↩︎
- Schirrmacher, Christine. 2011. Mord im "Namen der Ehre" zwischen Migration und Tradition, in: Rechtspolitisches Forum. Institut für Rechtspolitik an der Universität Trier: S. 7; Oberwittler, Dietrich/ Kasselt, Julia. 2011. Ehrenmorde in Deutschland – 1996–2005. Eine Untersuchung auf der Basis von Prozessakten, in: Bundeskriminalamt (Hrsg.). Polizei + Forschung Bd. 42. Köln: S. 17; Vgl. Terre des Femmes 2011, S. 8; siehe auch: Kizilhan 2006, S.91 ff. ↩︎
- Böhmecke 2005, S. 9; Vgl. Schirrmacher 2011, S. 21 f. ↩︎
- Kizilhan 2006, S. 83. ↩︎
- BMFSFJ. 2021. Frauen vor Gewalt schützen. Formen der Gewalt erkennen. Abrufbar unter: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/frauen-vor-gewalt-schuetzen/haeusliche-gewalt/formen-der-gewalt-erkennen-80642 [letzter Abruf am 05.09.2022]; siehe auch: Kizilhan, Jan Ilhan. 2011. Sozialisation und Überzeugungen bei sogenannten Ehrenmördern. Eine vergleichende Studie zwischen den sogenannten Ehrenmördern und anderen gewalttätigen Straftätern, in: Recht und Psychiatrie (29)2: S. 93. ↩︎
- Vgl. UN Women Deutschland. 2020. Formen der Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Abrufbar unter: https://unwomen.de/formen-der-gewalt-gegen-frauen-und-maedchen/ [letzter Abruf am 01.09.2022]; Vgl. Amnesty International Deutschland. 2009. Verbrechen im Namen der Ehre ("Ehrenmorde"). Berlin. Abrufbar unter: https://amnesty-frauen.de/wp-content/uploads/39/2018/04/Pos.Ehrverbrechen2009.pdf. [letzter Abruf am 22.09.2022] ↩︎
- Vgl. Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM). Ehrenmorde in Deutschland. Abrufbar unter: https://www.igfm.de/ehrenmorde-in-deutschland/ [letzter Abruf am 08.09.2022];
Vgl. BMFSFJ 2021. https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/frauen-vor-gewalt-schuetzen/haeusliche-gewalt/formen-der-gewalt-erkennen-80642 [letzter Abruf am 05.09.2022]; siehe auch: Oberwittler / Kasselt 2011. ↩
- Vgl. Oberwittler/ Kasselt 2011, S. 19 ff. ↩︎
- Ebd., S. 24. ↩︎
- Ebd., S. 24; Siehe auch: Böhmecke 2005, S. 10. ↩︎
- Böhmecke 2005, S. 26; Oberwittler/ Kasselt 2011, S. 14. ↩︎
- Terre des Femmes 2011, S. 7; Kizilhan 2006, S. 81. ↩︎
- Vgl. Kizilhan 2011, S. 89, S. 91ff; siehe auch: Kizilhan 2006, S. 85 ff. ↩︎
- Oberwittler/ Kasselt 2011, S. 165. ↩︎
- Valerius, Brian. 2008. Der sogenannte Ehrenmord: Abweichende kulturelle Wertvorstellungen als niedrige Beweggründe?, in: JuristenZeitung 19/63: S. 913. ↩︎
- Ebd., S. 913. ↩︎
- Terman, Rochelle. 2010. To Specify or Single Out: Should We Use the Term "Honor Killing?", in: Muslim World Journal of Human Rights 1(7): S. 3. ↩︎
- Oberwittler/ Kasselt 2011, S.4. ↩︎
- Ebd., S. 4. ↩︎
- Vgl. Terman 2010, S. 22; Vgl. Oberwittler/ Kasselt 2011, S. 4. ↩︎
- Oberwittler/ Kasselt 2011, S. 4. ↩︎
- Ebd., S. 164. ↩︎
- Vgl. ebd., S. 15f., S. 29ff, S. 166; ausführlich hierzu: Kizilhan 2006. ↩︎
- Vgl. Terre des Femmes 2011, S. 9. ↩︎
- Vgl. Böhmecke 2005, S. 10. ↩︎
- Vgl. Terre des Femmes 2011, S. 22, S. 35; Siehe auch: Terman 2010, S. 22 ff. ↩︎
- Vgl. Terre des Femmes 2011, S. 20. ↩︎
- Beispielhaft: O.A. 2021. Grausame neue Details zum Berliner „Ehrenmord“ – Debatte um Integration. Abrufbar unter: https://www.welt.de/politik/deutschland/article233046903/Ehrenmord-von-Berlin-Grausame-neue-Details-Debatte-um-Integration.html [letzter Abruf am 14.09.2022];
O.A. 2021. Prozessauftakt im Berliner "Ehren"-Mordfall: Brüder sind angeklagt, ihre Schwester aufgrund ihres "Lebenswandels" ermordet zu haben. Abrufbar unter: https://frauenrechte.de/unsere-arbeit/themen/gewalt-im-namen-der-ehre/aktuelles/5065-prozessauftakt-im-berliner-ehren-mordfall-brueder-sind-angeklagt-ihre-schwester-aufgrund-ihres-lebenswandels-ermordet-zu-haben [letzter Abruf am 14.09.2022] ↩
- Im Jahr 2000 verzeichnete der Weltbevölkerungsbericht ca. 5.000 "Ehren"-Morde an Mädchen und Frauen in 14 Ländern. United Nations Population Fund (UNFPA). The state of World Population 2000. Lives together, worlds apart. Men and women in a time of change, S. 29f. TDF erstellt jährlich, ausschließlich basierend auf Presseberichten, eine Übersicht über mutmaßliche versuchte oder vollzogene "Ehren"-Morde in Deutschland. Für 2020 und 2021 wurden bislang 25 "Opfer" erfasst. Terre des Femmes. 2022. Im Gedenken an Hatun Sürücü: Gewalt im Namen der Ehre nach wie vor unvermindert hoch. Abrufbar unter: https://frauenrechte.de/unsere-arbeit/themen/gewalt-im-namen-der-ehre/aktuelles/4986-im-gedenken-an-hatun-sueruecue-gewalt-im-namen-der-ehre-nach-wie-vor-unvermindert-hoch [letzter Abruf am 22.09.2022]. ↩︎
- Eine Studie des BMFSFJ ergab, dass 27 % der von Zwangsverheiratung bedroht oder betroffene Personen mit Waffen und/oder Mord bedroht wurden. Zudem sind, bezogen auf Deutschland, 52 % der Zwangsverheiratungen im Ausland geplant oder finden dort statt. Vgl. BMFSFJ. 2011. Zwangsverheiratung in Deutschland - Anzahl und Analyse von Beratungsfällen. Kurzfassung. Berlin: S. 37 ff. ↩︎
- Vgl. Mahmoodi, Oranus. 2022. Ehrenmord im Iran. Mädchen muss sterben, weil sie mit einem Jungen gelacht hat. Abrufbar unter: https://hpd.de/artikel/maedchen-muss-sterben-weil-sie-einem-jungen-gelacht-hat-20625 [letzter Abruf am 26.08.2022] ↩︎
- Vgl. O. A. 2021. Bruder köpft schwangere 19-Jährige wegen Liebeshochzeit – mit Zustimmung der Mutter. Abrufbar unter: https://www.spiegel.de/panorama/justiz/indien-bruder-koepft-schwangere-19-jaehrige-wegen-liebeshochzeit-mit-zustimmung-der-mutter-a-3f6f24dd-5590-4193-bbfe-62e9ef1e5f9d [letzter Abruf am 26.08.2022] ↩︎
- Beispiel Iran: Im Iran wird ein "Ehren"-Mord nicht als "Mord" behandelt, sondern nur mit einer Höchststrafe von 10 Jahren bestraft, wenn das Kind von seinem Vater oder Großvater väterlicherseits ermordet wurde. Mahmoodi 2022; Weitere Informationen hierzu bei: Schirrmacher 2011, S. 19 ff. ↩︎
- Oberwittler/ Kasselt 2011, S. 166. ↩︎
- Ebd., S. 166. ↩︎
4 Kommentare
Kommentare
SG aus E am Permanenter Link
Femizid oder "Ehren"-Mord? – Das ist nicht nur eine Frage für definitionswütige Theoretikerinnen.
Zur Zeitgemäßheit des Mordparagraphen siehe z.B. [1] oder [2].
Jedoch: _Für_ die Einstufung des "Ehren"-Mordes als Mord nach bisherigem Recht spricht folgender Umstand: "Als Mörder ist demnach zu bestrafen, wer einen Menschen mit Methoden oder aus Motiven tötet, die die Gesellschaft besonders ablehnt" [3]. Diese besondere Ablehnung durch die deutsche Gesellschaft ist bei von orientalischen Männern begangenen Tötungsdelikten in der Regel gegeben – denke ich, fürchte ich.
—
[1] https://www.haufe.de/recht/weitere-rechtsgebiete/strafrecht-oeffentl-recht/reform-des-mordparagraphen_204_315730.html
[2] https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-05/toetung-mord-strafrecht-reform-lebenslang/komplettansicht
[3] https://www.sueddeutsche.de/panorama/reform-des-strafrechts-mord-soll-nicht-mehr-zwingend-mit-lebenslanger-haft-bestraft-werden-1.2542407
David Z am Permanenter Link
Ich halte den Begriff für schwierig, weil er sich zu sehr auf das Geschlecht bezieht.
Als spezifisches Motiv werden genannt:
"Eifersucht, Nicht-Akzeptanz der Trennung, Männliches Besirz- und Dominanzverhalten.". Diese Tatmotive sind auch bei Homosexuellen Partnern denkbar. Demnach wäre die Tat eines homosexueller Täters, der seinen Freund aus diesen Gründen tötet, ein Femizid.
Die Tat entwickelt sich nicht aus dem Geschlecht. Sie entwickelt sich aus der Emotionalität einer gescheiterten Beziehung, weniger aus dem Geschlechterunterschied an sich.
wolfgang am Permanenter Link
Warum müssen immer wieder Frauen unter den dummen Männern leiden? Besonders unter den vielen unterschiedlichen Justizbehörden in den einzelnen Ländern. Im Namen des Volkes? Wird es jemals gefragt?
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Im Namen des Volkes--- im Namen Gottes, werden Wir jemals gefragt?---- Nein wir sind ja
nur eine anonyme Masse von Melkkühen der Kirchen und des Staates.