Gehirndoping – nicht ohne Risiken

Zusätzlich verschieben sich die Grenzen zwischen krank und gesund immer mehr und es entsteht ein großer Graubereich. Schüchternheit wird zu einer Social Disorder und Unaufmerksamkeit zu ADS. Für beides hält der Pharmakonzern das entsprechende Mittel bereit – dass man dann wegen der Nebenwirkung Appetitlosigkeit bei Ritalin auch nicht konzentrierter ist, ist erst einmal Nebensache. Natürlich kann auch eine soziale Phobie sich zu einer Schwierigkeit entwickeln, doch es gibt durchaus effektivere Methoden als chemische Substanzen, damit umzugehen.

Bei einer Pilotstudie haben Lieb und sein Team herausgefunden, dass die Bereitschaft zu solchen „Neuroenhancers“ oft mit Alkoholkonsum, männlichen Geschlecht und schlechten Schulleistungen einhergeht. Welches dieser Phänomene ursächlich ist wurde noch nicht geklärt. Die meisten Befragten nennen „keine langfristigen Schäden“ und „keine Nebeneffekte“ als Voraussetzung der Einnahme solcher Mittel. Nebenwirkungen und Langzeitschäden bei neuropharmakologischen „Leistungsverbesserern“ sind bis heute jedoch noch nicht ausreichend untersucht und getestet worden. Wenigstens ist die Abhängigkeitsgefahr nicht so hoch, wenn man diese Substanzen in regelmäßigen Abständen dosiert zu sich nimmt, und zwar am besten eben nicht durch die Nase.

Natürliche Balance belassen

Insgesamt sieht Lieb die Zukunft von „Neuroenhancern“ sehr düster. Denn etwas bei einem schon gesunden Gehirn zu verbessern, in chemische Prozesse einzugreifen und die Produktion von z.B. Dopamin zu erhöhen, heißt auch immer gleichzeitig, dass etwas wo anders fehlt oder weggenommen wird. Eine Kuh, die möglichst viel Milch über das natürliche Maß hinaus produzieren soll, ist anfälliger für alle möglichen Krankheiten. Ein hoher Intelligenzgrad geht oft mit sozialer Inkompetenz einher. Zu wenig Schlaf auf Dauer führt zum Nervenzusammenbruch. Die natürliche Balance also zu belassen, mittelmäßige Fähigkeiten, ist für die Evolution des Menschen durchaus vorteilhafter. Manchmal geht es einfach nicht besser als gut.

Des Weiteren diskutierte Arnold Sauter die Begriffsverwendung Enhancement und Dirk Lanzerath die Möglichkeiten normative Grenzziehungen zu überdenken. Obwohl diese Vorträge durchaus anregend waren, trugen sie für mich nicht zur konkreten Erkenntnis bei. Denn am Schluss blieb eine Feststellung: Es gibt einen Trend, immer öfter und immer unbeschwerter nach Substanzen zu greifen, deren Nebenwirkungen und Langzeitschäden nicht bekannt sind und für das menschliche Wesen auf Dauer nicht gesund sein kann. Die Ursachen für diesen Trend mögen vielseitig sein, ob gesellschaftlicher Druck oder Optimierungsdenken, individuelle Faulheit oder Feigheit vor Konfrontation mit sich selbst, Anerkennungsdrang oder Konkurrenz. Hier könnten die Sozialwissenschaftler ihren Beitrag leisten, qualitativ mögliche Ursachen erforschen anstatt sich wieder in abstrakten, wenn auch wichtigen Überlegungen zu verlieren, die ihre Randposition als Wissenschaftler eher wieder verstärkt. Aus einer Zusammenarbeit mit einem Mediziner, einem Bioethiker und einem Politikberater hätte doch eigentlich ein gemeinsames Produkt entstehen können. So war es zwar interessant, sich die Perspektiven anzuhören, aber es bleibt eben dabei.

Theresa Siess