STRASSBURG. (hpd) Der Aktionskünstler Wolfram P. Kastner hat vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Individualbeschwerde eingereicht. Er will sein Recht auf Kunst- und Meinungsfreiheit in seinen Aktionen gegen die Verherrlichung von verbrecherischen Organisationen anerkannt bekommen.
Der Künstler Wolfram P. Kastner hat es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht, mit den Mitteln der Kunst gegen die andauernde Verehrung von Mitgliedern der Waffen-SS öffentlich anzugehen. Nach einer der Aktionen in Mittenwald wurde er 2005 vom Amtsgericht München wegen Sachbeschädigung verurteilt. Die Revision wurde vom Oberlandesgericht München 2006 verworfen. Die daraufhin erfolgte Verfassungsbeschwerde blieb vier Jahre liegen und wurde dann abgewiesen. Dagegen legt der Künstler nun beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Beschwerde ein.
Im Antrag an das Gericht schildert der Anwalt die Person des Beschwerdeführers Wolfram P. Kastner und den Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer ist Künstler, der malt, zeichnet, Grafiken fertigt und im Rahmen der so genannten engagierten Kunst Aktionen durchführt mit dem Ziel, in künstlerischer Weise auf bestehende gesellschaftliche Missstände hinzuweisen.
Insbesondere beschäftigt sich der Beschwerdeführer immer wieder auch, als der un-mittelbaren Nachkriegsgeneration angehörig (Jahrgang 1947), mit den zwölf Jahren des deutschen Faschismus und den immer wieder sichtbaren Verharmlosungen der Verbrechen dieses Unrechtssystems. Im November 1989 nahm er zufällig Kenntnis davon, dass jeweils am 01.11. eines laufenden Jahres auf dem Salzburger Kommunalfriedhof vor dem Kriegerdenkmal der „gefallenen Kameraden der Waffen-SS“ mit einem großen Kranz und schwarzen Bänden gedenkt wird. Auffällig für den Beschwerdeführer war dabei die Achtlosigkeit, mit der andere Passanten an diesem provokativen Gedenken an eine terroristische Vereinigung vorbeigingen.
Nach einem intensiven Studium der jüngsten Geschichte von Salzburg stellte der Beschwerdeführer fest, dass in Salzburg zwar unzähliger Menschen gedacht wird (vor allem natürlich dem Musiker und Komponisten Mozart), dort aber, wo die Verbrecherorganisationen der Nationalsozialisten wirkten, verhörten und folterten, keine Gedenkstätte daran erinnern.
Erstmals schnitt der Beschwerdeführer im November 1994 das schwarze Band, das zum Gedenken an die „Waffen-SS“ an dem Kranz angebracht war, ab. Dabei musste er feststellen, dass nun erstmals von dieser Verherrlichung einer nationalsozialistischen Verbrecherorganisation öffentlich Kenntnis genommen wurde. Rechtsgerichtete Parteien, wie die österreichische FPÖ protestierten gegen die Aktion und es stellte sich heraus, dass auch über diese Partei hinaus immer noch Sympathien gegenüber den Angehörigen der faschistischen Organisation bestanden. Auf der anderen Seite gab es auch Lob und Unterstützung für die Aktion. Somit hatte die Kunstaktion das erreicht, was sie wollte: Die Öffentlichkeit aufzurütteln und zur Diskussion so lange nach dem Ende des zweiten Weltkrieges aufzurütteln.
Das eigentliche Ziel der Demonstration war jedoch: Die Beendigung dieser Verherrlichung von nationalsozialistischem Unrecht! Dies wurde durch seine einmalige Aktion noch nicht erreicht, so dass der Beschwerdeführer in den Folgejahren diese fortsetzte.
Jahr für Jahr wiederholte er die Aktion und brachte auch eine Dokumentation unter dem Titel „SehStörung“ heraus.
Nachdem seitens der österreichischen Ermittlungsbehörden sowohl die Anzeigen des Beschwerdeführer wegen Verherrlichung nationalsozialistischem Unrechts, als auch wegen Sachbeschädigung gegen ihn, jeweils eingestellt wurden, änderte sich dies anlässlich der Demonstration vom 01.11.2003.
Die österreichische Justiz (Staatsanwaltschaft Salzburg) informierte in einer Sachverhaltsdarstellung vom 01.10.2004, dass heißt nahezu ein Jahr nach der Aktion den leitenden Oberstaatsanwaltschaft der Staatsanwaltschaft München I und bat um Aufnahme einer Ermittlung bzw. darum „die Strafverfolgung des Wolfram Kastner zu übernehmen“.
Entgegen der Praxis der österreichischen Behörden, das Verfahren einzustellen, fühlte sich die Staatsanwaltschaft München I veranlasst, beim Amtsgericht München einen Strafbefehl wegen Sachbeschädigung gegen den Beschwerdeführer zu beantragen.
Das Amtsgericht München verurteilte den Künstler im Juni 2005 wegen „Sachbeschädigung“ und stellte dabei fest, dass von der Staatsanwaltschaft „das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung“ für geboten erachtet worden sei. Eine „Rechtfertigung“ der Sachbeschädigung konnte das Gericht auch nicht im Verfassungsrecht auf Kunstfreiheit und Meinungsäußerungsfreiheit erkennen. In seiner Entscheidung führte das Gericht aus, dass auch beim Gedenken an eine verbrecherische Organisation „Eigentumsrechte anderer“ (hier einer öffentlich abgelegten Kranzschleife) vor dem Recht stehen, mit Mitteln der Kunst- und Meinungsfreiheit auf den unerträglichen Zustand hinzuweisen, dass eine nationalsozialistische Verbrecherorganisation geehrt und damit verherrlicht wird.
Mit Beschluss vom Februar 2006 hat das Oberlandesgericht München die Revision als unbegründet verworfen und ausgeführt, dass die Nachprüfung des Urteils „keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben“ habe.
März 2006 erhob Kastner beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde. Nach einer Eingangsbestätigung des Bundesverfassungsgerichtes im März 2006 blieb die Verfassungsbeschwerde trotz diverser Ermahnungen und Anfragen unbearbeitet. Nach vier Jahren - im März 2010 - entschied das Bundesverfassungsgericht schließlich dahingehend, dass „die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen wird“.
Eine inhaltliche Begründung für die Ablehnung der Verfassungsbeschwerde nach einer Bearbeitungszeit von vier Jahren wurde nicht mitgeteilt, lediglich pauschal darauf hingewiesen, dass weder das Grundrecht der Kunstfreiheit, noch die Meinungsfreiheit dem Beschwerdeführer das Recht gebe, das „Eigentum Dritter ohne deren Einwilligung zu verletzen“.
Gegen die genannten drei Entscheidungen des Amtsgerichtes München, des Oberlandesgerichtes München sowie des Bundesverfassungsgerichtes der Bundesrepublik Deutschland, wendet sich der Künstler nun mit seiner Individualbeschwerde.
C.F.
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