Was Karnevals-Wagenbauer Jacques Tilly nach den tollen Tagen erlebte

Ein Satiriker, der austeilt, muss auch einstecken können

Mehrere Dutzend Hassmails, aber auch viel Lob gab es für die Mottowagen von Jacques Tilly im Düsseldorfer Rosenmontagszug. Vor allem an einem provokanten Wagen zur AfD entzündete sich die Kritik. Bis hin zu Vorwürfen, der Künstler habe sich durch eine Hakenkreuz-Darstellung strafbar gemacht.

Die von Jacques Tilly und seinem Team gebauten Mottowagen sind meist bitterböse Satire. Offensiv und durchaus aggressiv greifen sie tagesaktuelle politische Themen auf. Die Kritisierten werden vom Künstler nicht geschont (siehe dazu unsere Berichterstattung).

Von aggressiver und weit über das Ziel hinausschießender Kritik bleibt aber auch der Künstler selbst nicht verschont, wenn er in den auf den Rosenmontag folgenden Tagen sein E-Mail-Postfach öffnet. Da wird ihm gar der Tod gewünscht. Und er sieht sich mit Strafanzeigen konfrontiert. Es gibt aber auch sehr positive und aufmunternde Resonanz. Ein Blick in die "Korrespondenz", in die Tilly dem hpd einen Einblick gewährte:

Schmähkritik

Die Schreiberinnen und Schreiber finden die Kunstwerke wahlweise "ekelhaft", "dekadent", "abstoßend", "widerwärtig", "dümmlich" oder "geistlos". Tilly und sein Team werden als "Festwagenkonstrukteure der Schande" bezeichnet. Was wohl an eine Äußerung von AfD-Chefin Alice Weidel anknüpfte, die im Wahlkampf von Windrädern als "Windmühlen der Schande" gesprochen hatte. Der Wagenbauer wird als "Linksfaschist" und "Hetzer" bezeichnet. Ein Schreiber mit Professorentitel, der sich seiner eigenen Intelligenz sicher scheint, fragt Tilly, wie hoch sein IQ sei. Ein anderer schimpft: "Was bist Du nur für ein armes Würstchen? Versuch doch mal eine Islam-Satire, Hofnarr!" "Schande über Dich, Du Pseudokünstler", ruft ein anderer. Tilly möge "weggesperrt" werden, wird gehofft. Immerhin ist das noch eine rechtsstaatlich kompatible Verwünschung. Andere demaskieren ihren eigenen Charakter viel offener. Eine Dame holzt besonders derbe: "Der Blitz sollte solche Künstler beim Scheißen treffen." Richtig bösartig wird ein Mann, der ankündigt: "Sollte Ihnen jemand ein Loch in den Kopf schießen, zahle ich den Rechtsbeistand."

Die Reaktion von Jacques Tilly

Jacques Tilly als Schlangenbeschwörer. Foto: © Ricarda Hinz
Jacques Tilly war am Rosenmontag als Schlangenbeschwörer aus 1001 Nacht verkleidet. Foto: © Ricarda Hinz

Wie fühlt sich einer, der solche Mails erhält? Lässt sich solcherart Post so einfach geistig in den Papierkorb ablegen? Geht Tilly gar mit Strafanzeigen gegen die Schreiber vor, wenn es zu arg wird? Dazu sagt der Düsseldorfer: "Was die Ablehnung und den Hass angeht, da bin ich immer recht gelassen. Ich bin ja ein großer Anhänger der Streitkultur und nutze gerne auch mal derbe Schimpfwörter. Rosenmontag teile ich aus, da muss ich auch was einstecken können. Nur konkrete Gewaltandrohungen sind die rote Linie, die würde ich auch anzeigen. Da gibt es dann nichts mehr zu verharmlosen. Auch im Interesse all derer, die ebenfalls unter ähnlichen Gewaltandrohungen leiden. Aber für substantielle Kritik bin ich immer zu haben. Ich kann ja auch mal gewaltig daneben liegen, das gebe ich dann auch zu."

Lob für den Künstler

Tilly verweist darauf, dass er auch viele aufmunternde Worte und Unterstützung erhalten habe. Da heißt es etwa: "Drastische Ereignisse verlangen auch drastische Darstellungen. Wir hoffen sehr, dass Sie dem Düsseldorfer Karnevalsumzug noch etliche Jahre erhalten bleiben."

"Ich möchte mich für Ihr mutiges Engagement ganz herzlich bedanken. Es scheint auf diesem Planeten also doch noch Menschen wie Sie zu geben, die aufstehen und Nein sagen zu Diktatoren, Faschisten, Größenwahn und dergleichen. Machen Sie bitte weiter so!"

"Die Botschaften der Wagen treffen ins Mark. Ich hoffe, sie bringen viele Menschen zum Nachdenken."

"Ich wünsche Ihnen Mut und Stärke für Ihre weitere Arbeit!"

Auch jenseits des Atlantiks werden die Botschaften aus Düsseldorf wahrgenommen. So berichtete die Onlineplattform watson.de in einem Posting, dass die Wagen auch in den USA viel Zuspruch fanden. So sei etwa auf X ein Video aus Düsseldorf von dem "Napo-Elon" mit 16,7 Millionen Views viral gegangen. Auf Reddit habe der Hitler-Stalin-Pakt 2.0 von Putin und Trump über 70.000 Upvotes erlangt. In den Kommentaren hinterfragten User das Klischee der unlustigen Deutschen und wünschten so etwas auch in den USA. Andere User seien beeindruckt von der Meinungsfreiheit in Deutschland.

Eine Verschwörungstheorie gibt es auch

Ein schräges Gerücht wird von Tilly-Gegnern gestreut – dass seine Karnevalskunst aus Steuergeldern oder "Zwangsgebühren" des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bezahlt werde. Als Beleg dafür soll herhalten, dass der Westdeutsche Rundfunk die Karnevalsumzüge alljährlich im Fernsehen zeigt. Die Wahrheit ist eine andere: Nicht der WDR bezahlt die Arbeit des Tilly-Teams, sondern das Düsseldorfer Carnevals-Comitee. Dieses wiederum wird von den Düsseldorfer Karnevalsvereinen getragen.

Der Hakenkreuz-Wagen: Empörung, Lob und das Strafrecht

Ein Mottowagen des Düsseldorfer Rosenmontags erregte die Gemüter ganz besonders. Er zeigt AfD-Chefin Alice Weidel als alte Hexe, die aus einem Hexenhäuschen heraus Erstwählern einen Pfefferkuchen in Hakenkreuzform reicht. Die Süßigkeiten an der Wand des Hexenhauses tragen Aufschriften wie "Tiktok", "Instagram" oder "YouTube", was für einen rechtsradikalen Einfluss stehen soll, den die AfD über Soziale Medien auf junge Menschen hat. Das brachte besonders viele Leute in Rage. Einige Zitate aus Mails, mit denen sich Tilly konfrontiert sah: "Ihr solltet euch für eure Geschmacklosigkeit in Grund und Boden schämen. Ich hoffe, das Team Alice wird sich das für nach der Wahl 2029 merken und euch zur Rechenschaft ziehen."

"Eine absolute Frechheit – Unverschämtheit – man kann es nicht mehr anders ausdrücken, und es ist auch nicht mehr zu ertragen. Ich hoffe, dass die gestellten Strafanzeigen ihre Wirkung zeigen."

Gerade für den Hexenhaus-Wagen gibt es aber auch vielfaches Lob: "Lassen Sie sich durch die Pöbeleien der AfD-Nazis nicht beeindrucken. Es ist wichtig, mit unserer Mehrheit ein Gegengewicht zu Rassismus und Menschenverachtung zu setzen. Für Demokratie und Verfassung unserer Republik."

"Dieser Wagen gab mir unfassbar viel Hoffnung, dass wir als Gesellschaft die AfD immer noch gemeinsam abwehren können."

Doch was ist dran an dem strafrechtlichen Vorwurf – haben sich Tilly und sein Team strafbar gemacht, indem sie ein Hakenkreuz in Pfefferkuchenform durch Düsseldorfs Straßen rollen ließen? Das Verbreiten von nationalsozialistischen Parolen, Gesten und Codes ist nach den Paragrafen 86 und 86a Strafgesetzbuch strafbar – als Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Allerdings enthält der Paragraf 86 eine sogenannte Sozialadäquanzklausel. In Absatz 4 der Vorschrift heißt es, dass das strenge Verbot des Verwendens der Symbole dann nicht gilt, "wenn die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient."

Beim Satirewagen dürfte diese Klausel mit Blick auf die Kunstfreiheit erfüllt sein. So berichtete denn auch die in Düsseldorf erscheinende Rheinische Post (RP), dass Staatsanwaltschaft und Polizei das Thema am Rosenmontag durchaus auf dem Schirm gehabt hätten. So hieß es in der RP: "Bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf sieht man jedenfalls keinen Anlass, einzugreifen, sagt eine Sprecherin, und verweist auf den entsprechenden Paragrafen 86 des Strafgesetzbuches. Davon dürfte das Lebkuchen-Hakenkreuz gedeckt sein, so die Sprecherin, man habe keine Bedenken."

Und Jacques Tilly sagte zu dem Thema auf Anfrage des hpd: "Wir haben uns vorher abgesichert und den Entwurf auch der Polizei gezeigt. Schließlich sollte der Wagen ja nicht Rosenmontag aus dem Zug gewunken werden. Aber da gab es keine Bedenken."

Dem Online-Rechtsportal Legal Tribune Online sagte der Strafrechtsprofessor Matthias Jahn von der Goethe-Universität Frankfurt: "Für mich ist das haarscharf noch straflos." Die Weidel-Karikatur sei gesellschaftliche Aufklärung in künstlerisch verfremdeter Form. Jahn weist darauf hin, dass die Rechtsprechung die Sozialadäquanzklausel sehr zurückhaltend anwende. "Die Norm will als abstraktes Gefährdungsdelikt verhindern, dass die Verwendung von Nazi-Symbolik, Nazi-Sprech und Nazi-Gesten wieder zu unserem Alltag gehören darf. Die Botschaft ist klar: Finger weg von Nazi-Gestik, -Rhetorik und allem, was damit assoziiert ist."

Für Jahn liegt hier aber eine "freie schöpferische Gestaltung vor." Diese Gestaltung werde mit der gesellschaftskritischen Warnung, dass die AfD Heranwachsende mit rechtsradikalen Inhalten vergifte, verbunden. Ob man die gewählte Formensprache mit dem Narrativ der bösen Hexe aus dem Volksmärchen für stilvoll oder auch nur gelungen hält, stehe auf einem anderen Blatt, betont Jahn. "Schließlich konterkariert es ein Stück weit den strengen Schutzzweck, NS-Symbole unbedingt aus dem öffentlichen Raum zu verbannen." Strafverfassungsrechtlich aber überwiege der Schutz der Meinungs- und Kunstfreiheit aus Artikel 5 Grundgesetz.

Das sagt die Staatsanwaltschaft

Der hpd fragte auch bei der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft nach. Eine Sprecherin bestätigte, "dass uns zahlreiche Strafanzeigen in diesem Zusammenhang vorliegen, die nun im Einzelnen geprüft werden." Die Staatsanwältin weist jedoch auch darauf hin: "Der betroffene Wagen wurde aber vorab bereits von Amts wegen geprüft. Nach dieser vorläufigen Prüfung wurde der Wagen als unbedenklich gewertet, da hier § 86 Absatz 4 StGB einschlägig sein dürfte. Anhaltspunkte für strafrechtlich relevantes Verhalten liegen nach dieser Prüfung nicht vor."„"

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