Hessenpremiere der Dokumentation zu Fritz Bauer

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Filmplakat

FRANKFURT. (hpd/hu) Bei der Hessenpremiere von "Fritz Bauer - Tod auf Raten"  im Frankfurter Naxos-Kino mußten viele Besucher wegen Überfüllung abgewiesen werden: der Dokumentarfilm von Ilona Ziok weckte enormes Interesse beim Publikum, weitere Vorführungen folgen. Im Anschluß an den Film lief ein lebendiges Filmgespräch.

Auf dem Podium saßen die Regisseurin Ilona Ziok, Peter Menne von der Humanistischen Union Frankfurt und der Berliner Rechtsanwalt Dr. Christian Hullmann. Anmoderiert wurde die Diskussion von Wolf Lindner vom Naxos Kino. Wer die lange Schlange an der Kasse überstanden hatte, wurde im Foyer Premieren-angemessen begrüßt: die Gäste wurden dank Unterstützung durch die IG Metall mit Sekt und Canapées empfangen. Deren Wissenschaftsstiftung Otto Brenner Stiftung hat den Film mit gefördert.

Der 97-minütige Film lief im trotz ausgeteilter Decken unterkühlten Saal - passend zum Klima im Nachkriegsdeutschland, das Fritz Bauer umgab. Anschließend traf man sich im etwas besser beheizten Foyer zum Filmgespräch.

Die Filmdokumentation über Fritz Bauer

Ilona Zioks Dokumentarfilm über den Ausnahmejuristen Dr. Fritz Bauer beginnt mit dessen Wünschen für ein besseres Nachkriegsdeutschland: schwarz-weiß-Ausschnitte aus einer alten Sendung des hr-Fernsehens. Die Regisseurin gruppiert Aussagen von Freunden, Kollegen und Zeitzeugen ganz bewußt um Ausschnitte aus dem Gespräch, das Fritz Bauer in den 60er Jahren mit jungen Frankfurtern im "Kellerklub" führte und in dem er seine wichtigsten ethischen Maximen formulierte. Aus über 100 Stunden Interviews und Filmaufnahmen entwickelt Ziok eine Struktur, die keine biographische Aufarbeitung ist. Sondern mithilfe der zahlreichen Mosaiksteinchen gestaltet sie themenorientiert die wichtigsten Stationen von Fritz Bauers Werk. Trotz der beabsichtigten optischen Spröde entsteht eine fesselnde Erzählatmosphäre. Der Zuschauer gewinnt ein lebendiges Bild vom Wirken Fritz Bauers, von seiner Person und von seiner Zeit.

Am Anfang steht die Ergreifung Adolf Eichmanns im Mai 1960 in Argentinien - Bauer hatte dem israelischen Mossad einen entscheidenden Hinweis auf den Aufenthaltsort des Organisators des industrialisierten Massenmords in Auschwitz und anderen KZ's gegeben. Zeitzeugen berichten, wie Fritz Bauer angesichts der Durchsetzung der deutschen Justiz mit ehemaligen Nazis fürchtete, ein deutscher Auslieferungsantrag könne dem SS-Obersturmbannführer verraten und ihm zur Flucht verholfen werden. Erschreckend die Filmausschnitte, auf denen Eichmann während des Jerusalemer Prozesses 1961 jede Schuld bestreitet und behauptet, reiner Befehlsempfänger gewesen zu sein. Das Jerusalemer Gericht überführte ihn, wies seine aktive Rolle und seine wahre Haltung zur Judenvernichtung auch dank der Sassen-Protokolle nach.

Nächster Themenblock ist der Remer-Prozeß: der Major Otto Ernst Remer leitete das Berliner Wachbataillion, das die Attentäter vom 20. Juli 1944 festnahm. In der Bundesrepublik baute Remer die SRP - Sozialistische Reichspartei - auf, die später als verfassungswidrig verboten wurde. Remer verunglimpfte die Widerstandskämpfer als Landesverräter. In dem Braunschweiger Prozeß 1952 argumentierte Fritz Bauer, daß es keinen Verrat gegen eine verbrecherische Regierung geben kann: Weil das Nazi-Regime ein Unrechtsregime war, war jeder Widerstand dagegen rechtmäßig. Bauer hatte Erfolg: zum ersten Mal in der Geschichte Nachkriegsdeutschlands wurde das NS-Regime gerichtlich zum Unrechtsstaat erklärt, die Widerstandskämpfer des 20. Juli offiziell rehabilitert und Remer wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener verurteilt. Freunde berichteten, daß es Bauer weniger auf die Verurteilung Remers ankam - in seinem Schlußplädoyer habe er sogar vergessen, ein Strafmaß zu fordern. Sondern entscheidend war ihm, daß das Gericht das Nazi-Regime als Unrechtsregime verurteilt. Auch später forderte er stets Anerkennung für das Nein-Sagen gegenüber unrechten Befehlen.

Ilona Ziok blendete einige Dokumente zu Fritz Bauers Herkunft, seinem Stuttgarter Elternhaus und seiner Tübinger Studienzeit ein, um zum Auschwitz-Prozeß 1963 - 65 überzuleiten: dem ersten Verfahren gegen die ausführenden Mörder. Fritz Bauer hatte das Verfahren organisiert, die Prozeßführung aber vier Mitarbeitern übergeben. Zwei der damaligen Staatsanwälte wurden von Ilona Ziok interviewt. Die damalige Atmosphäre dokumentierte sie über Wochenschau-Auschnitte, darunter, wie fünf der angeklagten Massenmörder in den Prozeßpausen frei über die Zeil spazieren (in anderen Mordprozessen - z.B. später gegen RAF-Terroristen - wird regelmäßig Untersuchungshaft wegen Fluchtgefahr verhängt). Die Ehegattin eines der SS-Schergen berichtet, was für ein guter Familienvater der gewesen sei: sie könne sich überhaupt nicht vorstellen, daß ihr Gatte Kindern ein Leid zugefügt haben könnte ... Ziok dokumentiert, wie die Nazi-Verbrechen systematisch verdrängt wurden.

Schlimmer noch: NS-Täter wurden geschützt und gelangten wieder in führende Positionen - nicht nur Hans Globke, der erst die Nürnberger Rassegesetze kommentierte und dann Staatssekretär von Kanzler Konrad Adenauer wurde. Dreher, ein anderer Nazi-Jurist, der im Nachkriegsdeutschland seine Karriere fortsetzen konnte, erarbeitete eine Strafrechtsänderung, die die weitere Verfolgung von Nazi-Verbrechen erheblich erschwerte. So wurden von den 7.000 Mitarbeitern des RSHA - Reichssicherheitshauptamtes - keine 35 angeklagt. Mit hanebüchenen Urteilen wurden NS-Mörder vom Vorwurf des Mordes freigesprochen: so sei das Erschießen polnischer Häftlinge in ihrer Zelle mit einer MP-Salve weder "heimtückisch" noch "grausam" gewesen - weshalb nur ein minderschwerer Fall von Totschlag vorliegen würde...

Kein Wunder, wenn Fritz Bauer in solchem Umfeld äußerte, sobald er sein Büro verlasse, betrete er "feindliches Ausland". Bauer erhielt reichlich Drohanrufe und wurde angefeindet. Feindschaften aus dem Justizumfeld dürften noch zugenommen haben, als Bauer sein nächstes Projekt anging: die Aufarbeitung der Euthanasie. Ein Zirkel von OLG-Richtern hatte eine Anweisung an nachgeordnete Instanzen entwickelt, wonach Anzeigen und Nachfragen nach dem Verbleib psychisch Kranker nicht bearbeitet werden sollten - um jegliche Unruhe in diesem Mordprogramm zu vermeiden. Bauer sah hier eine Tatbeteiligung am Mord. Die Psychiatrie in Hadamar hatte eifrig im Euthanasie-Programm mitgewirkt. Das Landgericht Limburg war hierfür regional zuständig - und der zuständige Richter ließ Fritz Bauers Anträge anderthalb Jahre unbearbeitet. Kurz nach Bauers Tod wurden die Ermittlungen mit neun dürren Zeilen eingestellt.

Fritz Bauer starb in der Badewanne: das Wasser bis zum Hals; im Blut ein hoher Promillegehalt - obwohl er sonst nie trank. Dazu einige Schlaftabletten im Magen - dennoch fand keine Obduktion nach der Strafprozeßordnung statt. Der 65-jährige, der gerade erst erwirkt hatte, weiterarbeiten zu dürfen, solle Selbstmord begangen haben - woran manche seiner Freunde zweifeln. Die ansonsten üblichen Untersuchungen fanden nicht statt.