Was unterscheidet Floyd von Aïcha, Romina, Rima und Loujain?

Rassismus ist universal

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Weshalb gab und gibt es keinen großen weltweiten Protest, als drei Tage nach Floyds Ermordung im Iran die 13-jährige Romina von ihrem Vater im Schlaf enthauptet wurde. Oder als vier Tage später in Algerien die 10-jährige Rima so brutal bei einem Exorzismus gefoltert wurde, dass sie ums Leben kam. Oder weshalb begehrte die Welt nicht auf für die seit zwei Jahren eingesperrte saudische Frauenrechtlerin Loujain Al-Hathloul?

Die Malierin, Aïcha, wollte eine Hochschule in Nordamerika besuchen. Für ihre Eltern war es aber wichtig, dass sie in einem muslimischen Land studiert. So lebte sie sechs Jahre in Algerien. Und ein Traum wurde zum Alptraum, denn "es gab keinen Tag, an dem man [sie] nicht belästigte, schlug oder an den Haaren zog". Ihr Verbrechen: Eine schwarze Frau zu sein.

Als ich Aïchas Geschichte las, war ich erschüttert. Und einen Sekundenbruchteil fragte ich mich, ob ich ihren bewegenden Text tatsächlich verbreiten sollte oder lieber nicht, um mir keinen Ärger einzuhandeln. Werfe ich damit kein schlechtes Licht auf meine Geburtsheimat, die gerade selbst in Aufruhr ist? Blitzschnell erinnerte ich mich an einen meiner Vorsätze: Über Menschenrechtsverletzungen und Frauenverachtung nicht zu schweigen.

Dass viele AlgerierInnen RassistInnen sind, ist mir bedauerlicherweise nicht neu. Vor einigen Jahren erzählten mir regelmäßig meine schwarzafrikanischen KommilitonInnen, wie sie während ihrer Zwischenstopps am Flughafen von Algier herablassend behandelt worden sind, wenn sie aus Deutschland in ihre jeweiligen Heimatländer zurückflogen. Etwas, das ich weder bestreiten wollte noch konnte. Denn selbst ich muss immer wieder bei der Grenzkontrolle in meinem eigenen Land verachtende Verhaltensweisen erdulden, aus dem einzigen Grund, dass ich eine Frau bin. So kann ich mir sehr gut vorstellen, wie schwarze Afrikaner und vor allem -innen gedemütigt werden.

Geschichten wie die von Aïcha kenne ich auch aus Deutschland. Es gibt Aïchas, die von Thomas und Claudias beschimpft, bespuckt, geschlagen und, ja, gar ermordet werden. Aber nicht selten werden die gleichen und andere Aïchas ebenso von Mohameds, Alis und Fatimas beleidigt, drangsaliert, angegriffen und getötet. Und wiederum müssen Fatimas und Leilas die Misogynie Mohameds und Alis ertragen. Sowohl auf der Straße als auch in den eigenen vier Wänden.

Ich finde es richtig und wichtig, dass Menschen nicht nur in den USA, sondern rund um den Globus symbolisch ihre Fäuste und ihre Stimmen erheben, um ihre Empörung über den barbarischen Mord an George Floyd kundzutun und damit gegen Rassismus und Menschenverachtung gegenüber Afro-AmerikanerInnen zu protestieren. Ohne den strukturellen Rassismus allerorten (und insbesondere in den USA) totschweigen zu wollen oder die mit Hassverbrechen konfrontierten Betroffenengruppen 'gegeneinander auszuspielen', frage mich dennoch: Weshalb gab und gibt es keinen so großen weltweiten Protest, als drei Tage nach Floyds Mord im Iran die 13-jährige Romina von ihrem Vater im Schlaf enthauptet wurde. Oder als vier Tage später in Algerien die 10-jährige Rima so brutal bei einem Exorzismus gefoltert wurde, dass sie ums Leben kam. Oder weshalb begehrte die Welt nicht auf für die seit zwei Jahren eingesperrte saudische Frauenrechtlerin Loujain Al-Hathloul, die von Schlägen, Elektroschocks, Waterboarding und Androhung von Vergewaltigung während ihrer Haft berichtete.

Einerseits protestieren heute viele Deutsche aufgrund des Falls von George Floyd gegen Rassismus. Andererseits – so ist zu befürchten – sind darunter wohl nicht wenige, die dann mildernde Umstände aufzählen würden, wenn es um Rassismus und Frauenverachtung innerhalb bestimmter Communities hierzulande geht. Es ist mir unerklärlich, wenn selbsternannte "Weiß-Privilegierte" einzig denjenigen Rassismus und Sexismus anprangern, der von anderen "Weiß-Privilegierten" ausgeht, um im gleichen Atemzug diejenigen Menschenrechtsverletzungen zu relativieren, die innerhalb sogenannter "Minderheiten" tagtäglich verübt werden. Steckt dahinter eine Art Redetabu, das es verbietet, Menschenrechtverletzungen innerhalb der Minderheiten klar zu benennen und zu bezeichnen? Verbirgt sich dahinter etwa ein falschverstandenes Schutzbedürfnis?

Das relativierende Konzept der "variablen Menschenrechte" bringt mich als Frau mit Migrationshintergrund in große Verwirrung. Denn für mich rechtfertigt nichts eine Menschenrechtsverletzung: weder Hautfarbe noch Geschlecht, weder Kultur noch Religion.

Gerade bei der Diskussion um die Religionsfreiheit werden nicht selten Menschenrechtsverletzungen relativiert. Vor allem wenn es hierzulande um den Islam und insbesondere seine politische Strömung geht. Über diese sind meine MitstreiterInnen und ich seit einiger Zeit bemüht, beständig aufzuklären. Die Ideologie des politischen Islams hat sich in den letzten vierzig Jahren stark in unseren Geburtsländern verwurzelt. Sie scheut weder verbale noch körperliche Gewalt: sei es durch Predigten der Ab- und Ausgrenzung, durch Gesten der Erniedrigung, sei es durch Verbote und Tugendterror-Gebote oder durch Missbrauch bis hin zum Mord von Anders- und Nichtgläubigen. Rassistische und sexistische Übergriffe allerorten, unter dem Deckmantel der Religion, die einem konkreten Zweck dienen: massiven Druck auf diejenigen auszuüben, die nicht ins eigene religiöse Weltbild passen oder sich diesem nicht unterwerfen wollen: andersdenkende Muslime, Juden, Frauen, Homosexuelle und FreidenkerInnen. Unter diesem Druck stehen nicht nur die Andersdenkenden/Anderslebenden in den Heimatländern, sondern auch in der Bundesrepublik.

Üben wir als säkular eingestellte, freidenkende MuslimInnen daran Kritik, dann hören wir leider allzu oft, dass wir "anti-muslimische RassistInnen" seien und dass Deutschland weder der Iran noch Algerien sei. Auch kommt uns dann nicht selten zu Ohren, man dürfe nicht das Unvergleichbare miteinander vergleichen. Gemäß dieser Logik wären dann die rassistischen Übergriffe in den USA mit denen in Deutschland oder mit denen in Algerien auch nicht vergleichbar?

Lassen wir uns also nicht von falschen relativierenden Kultur-Debatten, gepaart mit inhaltlosen Begriffen, in die Irre führen. Den weltweiten Rassismus werden wir meiner Meinung nach nicht bekämpfen, indem wir die Diskussion lediglich um die "Privilegien der Weißen" führen. Das käme einer krassen Verharmlosung dessen gleich, was Rassismus tatsächlich im Kern ausmacht: Er ist universal, ebenso wie der Sexismus! Und deshalb sind beide nur mit einem offenen, tabufreien, universalistischen Ansatz zu bekämpfen. Denn das Schicksal von Floyd, aber auch das von Aïcha, Romina, Rima und Loujain, geht uns alle an.

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Mit diesem Thema befasst sich auch das Buch "Eine zornige Frau" von Wassyla Tamzali, das 2020 im Alibri-Verlag erschien.