Hessenpremiere der Dokumentation zu Fritz Bauer

Das Filmgespräch zur Hessenpremiere

Das Podiumsgespräch nach der Filmvorführung eröffnete Wolf Lindner mit der Frage an Ilona Ziok, wie sie zu ihrem Sujet gekommen sei? Als sie ihre Dokumentation "Der Junker und der Kommunist" drehte, bekam Ilona Ziok erste Hinweise auf Fritz Bauer, den sie zuvor nicht gekannt hatte: Obwohl sie in Frankfurt Abitur gemacht hatte, war sie keiner Erinnerungstafel oder nach ihm benannten Straße begegnet. Ziok bedauerte, daß Bauer weder zu Lebzeiten durch Bundesverdienstkreuz o.ä. noch nach seinem Tode durch Gedenktafel oder Straßennamen gewürdigt wurde. Aus dem Publikum wurde darauf hingewiesen, daß es seit 1995 das Fritz Bauer Institut zur Erforschung von Geschichte und Wirkung des Holocaust gebe. Leider werde das Fritz Bauer Institut - so Stimmen aus dem Publikum - vorrangig im akademischen Bereich wahrgenommen, aber nicht genügend in der Breite. Gemeinsame Veranstaltungen mit der Humanistischen Union - wie die Diskussion zum NPD-Verbot oder der Kongreß "60 Jahre Grundgesetz - mehr Demokratie wagen!", die Publizität brächten, würden das Problem nicht grundsätzlich beheben.

Im Film wurde deutlich, wie weit personelle Kontinuitäten reichten: zu viele Nazi-Juristen sprachen auch in der Bundesrepublik Recht oder wirkten an seiner Weiterentwicklung in Justizministerien mit. Die vom früheren Außenminister Jockel Fischer in Auftrag gegebene Studie über personelle Kontinuitäten im Auswärtigen Amt wurde thematisiert: jetzt erst würde erkannt, wie stark das Auswärtige Amt in Nazi-Verbrechen verstrickt gewesen sei und wieviele Altnazis weiter Dienst tun konnten. Ähnliche Erkenntnisse würden für die kommende Studie zum Finanzministerium erwartet.

Peter Menne relativierte deren Neuigkeitswert: schon Anfang der 60er Jahre erschienen im "Braunbuch" Karten, in welchen Ländern Botschafter mit Nazi-Vergangenheit weiterarbeiteten - das waren die allermeisten. Für das BKA hatte Dieter Schenck, ehemaliger dortiger Kriminaldirektor und Fritz-Bauer-Preisträger, die braunen Wurzeln herausgearbeitet. Vor wenigen Jahren gab die Deutsche Bank sich überrascht, wie stark sie in die Finanzierung der Nazis eingebunden gewesen sei. Menne verwies auf den OMGUS-Report (Overseas Military Government of the United States), der schon 1947 die massive Verstrickung der Deutschen Bank nachgewiesen und ihre Auflösung empfohlen hatte. Hans Magnus Enzensberger hatte 1985 eine deutsche Übersetzung herausgebracht - daher sei es scheinheilig zu behaupten, man hätte das nicht früher gewußt.

Menne betonte, daß es gerade in der Justiz neben personellen noch weitere Kontinuitäten gäbe: gar manches Nazi-Gesetz gelte weiter. Die Bundesrepublik habe leider nicht sämtliche Nazi-Gesetze als Unrecht annulliert. So diente das Rechtsberatungsgesetz von 1935 dazu, den vom Anwaltsberuf ausgeschlossenen jüdischen Rechtsanwälten und entlassenen jüdischen Richtern etc. auch letzte Einkommenschancen über (nicht-anwaltliche) Rechtsberatung zu nehmen, indem es sie ausschließlich zugelassenen Anwälten vorbehielt. Das Gesetz blieb weiter in Kraft, bis der pensionierte Richter am OLG Braunschweig Dr. Helmut Kramer es vor dem Verfassungsgericht angriff - und das Nazi-Gesetz zu Fall brachte. Helmut Kramer befaßte sich schon lange mit der Aufarbeitung von NS-Unrecht und wurde dafür im September 2010 von der Humanistischen Union mit dem Fritz-Bauer-Preis geehrt.

Bauers Dictum "nichts gehört der Vergangenheit an. Alles ist Gegenwart und kann wieder Zukunft werden" bezog Peter Menne nicht nur auf den Faschismus. Wenn man es auf Unrecht generell beziehe, gewinne der Film seine hohe Aktualität. Daß es in der Justiz auch heute nicht immer zum Besten bestellt sei, zeige sich etwa am aktuellen Fall Buback: Michael Buback habe dank penetranter Nachforschungen aufgezeigt, daß für den Mord an seinem Vater Generalbundesanwalt Siegfried Buback wohl auch die Falschen verurteilt wurden. Manch' wahrer Täter hätte anscheinend mit dem Verfassungsschutz zusammengearbeitet - und sei im Gerichtsprozeß verschont worden. Wichtige Indizien wie das Tatmotorrad seien inzwischen nicht mehr auffindbar. Ihm gehe es nicht darum, das rechtlich auseinanderzunehmen, so Menne. Vielmehr stelle sich die - politische - Frage: wer kontrolliert die Kontrolleure? Genau das bleibe auch heute aktuell.

Dr. Christian Hullmann lobte die Schriften von Fritz Bauer. Seine Texte zeichneten sich durch eine schöne, dabei klare und leicht verständliche Sprache aus - was bei juristischen Texten nicht selbstverständlich sei, so der Berliner Anwalt. Leider seien manche Bücher Bauers vergriffen. Man solle sich darum bemühen, daß sie bald wiederaufgelegt würden. Aus dem Publikum wurde darauf hingewiesen, daß es beim Fritz Bauer Institut eine Publikationsliste gebe - doch stehen die Texte nicht online zur Verfügung. Hullmann erzählte viele interessante Details über Bauer als Juristen und Humanisten. Er plant eine Ausstellung über den großen Demokraten in der Berliner Humboldt-Universität.

Zu Beginn des Films steht eine Szene, in der Fritz Bauer meint, die demokratischen Institutionen seien jetzt vorhanden - was es aber brauche, seien die Menschen, die Demokratie leben! Seinen Wunsch nach mehr gelebter Demokratie verlieh Bauer auch organisatorische Gestalt: Peter Menne verwies darauf, daß Fritz Bauer gemeinsam mit Gerhard Szczesny 1961 die Humanistische Union gründete: eine Bürgerrechtsvereinigung, zu deren Zielen neben der Sicherung, besser noch Erweiterung der Grundrechte und der (längst überfälligen) Trennung von Kirche und Staat auch ein sinnvoller Strafvollzug gehört. Fritz Bauer war gleichermaßen wichtig, daß Täter verfolgt werden wie auch, daß sie während des Strafvollzugs ein Leben ohne erneute Straffälligkeit erlernen: er mahnte das Vollzugsziel einer Resozialisierung an.

Ilona Ziok griff den Hinweis auf die Humanistische Union (HU) auf; bei einer Veröffentlichung des Films könne sie sich einen Hinweis auf die von Fritz Bauer mitgegründete Bürgerrechtsorganisation vorstellen. Die Humanistische Union vergibt einen Preis für bürgerrechtliches Engagement - der nach dem Gründer "Fritz-Bauer-Preis" benannt ist.