Requiem für die abendländische Kultur

Belege für die Verantwortung der Staatskirche für den kulturellen Niedergang lieferte Bergmeier jedenfalls zahlreiche. Anhand der Entwicklungen im öffentlichen Schul- und Bibliothekswesen attestierte er eine „tiefe Schlucht zwischen neuer Religion und alter Bildung“.

So drastisch der frühmittelalterliche Rückfall unter klerikalem Vorzeichen für den Bereich der Bildung auch war, muss an dieser Stelle freilich auch darauf hingewiesen werden, dass Bildung in der Antike nun auch nicht übermäßig demokratisch, gar „emanzipativ“ ablief; stattdessen kann die reflektierte Erziehung als „herrschaftliche Erziehung“, geprägt durch ständische Konventionen und geheiligte Traditionen sowie nach dem Muster des Protektionswesen beschrieben werden. Trotz der weiten Verbreitung der elementaren Kulturtechniken (Lesen und Schreiben) existierten flächendeckend keine Schulen nach heutiger Art, keine Jahrgangs-/Fachgliederung, keine „Lehrpläne“ oder lernpsychologische Aufbereitung der Inhalte. Spezialisierte und reflektierte Erziehung war ein Oberschichtenprivileg.

Maßgebliche Entscheidungen gingen hier vor allem von Kaiser Theodosius aus, welchen der Referent daher mal als „den Macher“, ob seines Werdeganges aber auch als „ordinären spanisch-römischen Haudegen“ charakterisierte.

Insbesondere sein Edikt „Cunctos populos“ aus dem Jahre 380 beschrieb Bergmeier als Schlüssel zum Verständnis der gesellschaftlichen Entwicklung. Erlassen wurde hier (von einem Kaiser wohlgemerkt und unter Nichtbeteiligung der Bischöfe) die ab diesem Zeitpunkt einzig zulässige Lesart des Christentums, nämlich die trinitarische. Nicht nur an dieser Stelle betonte Bergmeier mit Nachdruck, welche Minderheitssekte mit untereinander hochgradig verfeindeten Untergruppen „das Christentum“ bis dato – gute 350 Jahre lang! – gewesen ist (erinnert sei hier vor allem an die arianische Lesart, die nicht von der Gotthaftigkeit Jesu ausging).

Umwertung aller Werte

Durch „Cunctos populos“ wurden also reichsweit Fakten geschaffen: die Verteufelung heidnischen Wissens, die Schließung von Schulen und Bibliotheken samt Bücherverbrennungen, einen Bücherverlust von 1:1000, dadurch ein erneut um sich greifender Analphabetismus und den Verfall der bildenden Künste zählte Bergmeier zu den direkten Folgen. Aber auch das „neue Menschenbild“ des Christentums wirkte sich aus: die radikale Endzeitlehre, religiöse Intoleranz und das Klassendenken von Geistlichen gegenüber Laien fasste der Referent als „dialektischen Quantensprung“ und „Umwertung aller Werte“ zusammen.

Ein Großteil des antiken, „heidnischen“ Wissens ging so verloren und Vieles konnte nur durch Rücküberlieferung aus z.B. arabischen Quellen wiedererlangt werden. Als zusätzliche Technik des 19. Jahrhunderts zur Wiedererlangung antiker Schriften stellte Bergmeier das Palimpsestieren vor: antike Schriften, die wegen des Papiermangels mit christlichen Texten überschrieben wurden, werden mühsam wieder abgeschabt und ihr Inhalt zurückgewonnen. Eine bezeichnende Metapher.

Zusammenfassend stellte Bergmeier fest, dass es ihm mit seinen Impulsen nicht so sehr um Detailfragen gehe (etwa, ob und in welchem Sinne Kaiser Konstantin denn nun Christ war). Vielmehr sei ihm daran gelegen, die Debatte um die „Herkunft unserer Werte“ zu bereichern und damit auch das „Miteinander im arabisch-europäischen Kulturraum“ zu betonen – in der Tat ein Vorsatz mit sozialintegrativem Potential, der so manchem national verkürzten oder religiös fixierten Hegemoniestreben eine Absage erteilt.

Diskussion und Ausklang

In der anschließenden Diskussion stellte sich Rolf Bergmeier den Fragen und Anmerkungen des Publikums und stieß auch dabei auf Interesse und Zustimmung. Beispielsweise wurde die Frage gestellt, wie im Kontext der sich etablierenden Staatskirche eine derart kleine Minderheit wie die christliche Sekte zu absoluter gesellschaftlicher Dominanz gelangen konnte. Bergmeiers Ansicht nach lag dies - unmittelbar - an der gottgleichen Autorität des Kaisers Theodosius in seinem Regulierungsdurchgriff und – langfristig – an dem sich herauskristallisierenden Bildungsgefälle zwischen der Kirche samt ihrem Bildungsmonopol und dem zunehmend ungebildeten Volk.

Eine weitere Frage zielte auf die Durchsetzungskraft von Memen, die aus heutiger Sicht vernünftig und gut scheinen und auf den scheinbaren Widerspruch, dass sich am historischen Beispiel des Frühmittelalters auf geistigem Gebiete nicht gerade eine Evolution zum Vernünftigen hin vollzogen habe. Der Referent antwortete, dass Vernunft nicht als einziger Beweggrund (bzw. „Durchsetzungsfaktor“ eines Memes) in der menschlichen Geschichte durchgehen könne, man deshalb aber nicht gleich zum Pessimisten werden und lieber das Gute in der je subjektiven Lebensperspektive anstreben solle.

Schließlich wurde zugespitzt gefragt, ob Theodosius einen guten Taliban abgegeben hätte und was die Parallelen der weltanschaulichen Konflikte im fünften Jahrhundert zur aktuellen, religiös aufgeladenen Identitätsdebatte seien. Hier rief Bergmeier zu einer „Entklerikalisierung“ der Debatte auf, da sie das Gegeneinander verschärfe. Im Sinne des Miteinanders seien auf der säkularen kulturellen Basis Anknüpfungspunkte zu suchen. Die vorchristliche Antike liefere hier maßgebliche Impulse.

Nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung war insbesondere Bergmeiers aktueller Titel „Kaiser Konstantin und die wilden Jahre des Christentums“ am Büchertisch äußerst gefragt und rasch ausverkauft. Die Möglichkeit zur persönlichen Signierung durch den Autor fand ebenso viel Zuspruch wie der anschließende Umtrunk im Restaurant des Saalbaus Bornheim.

 

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