Was den Heidenkindern fehlt

„Kindern mangelt es an Werten“

Immerhin, so die Befürworter, mangele es den Kindern an »Werten«. Oder wie es Edith Riether vom Weltethos auf den Punkt bringt: »Wenn die Konfessionslosen aus lauter Angst, es könnte ein Hauch von Religion in den Ethikunterricht eindringen, die Augen davor verschließen, dass die verbale und körperliche Gewalt in den Schulen enorm zugenommen hat, dass das Mobbing SchülerInnen fast bis zum Selbstmord treibt, dass 50 % der Jugendlichen keine Orientierung mehr haben und nicht wissen, wie sie sich in einer mehr oder minder zivilisierten Gesellschaft verhalten sollen, dann zweifle ich am gesellschaftspolitischen Verantwortungsbewusstsein dieser Leute, die in ihrem blinden Hass gegen alles Religiöse auch nicht besser sind als religiöse Fanatiker!«

Empirische Belege für diese Behauptung blieb sie bislang schuldig. Laut Unterrichtsministerium gibt es keine Daten, die in irgendeiner Form belegen würden, dass Gewalt an den Schulen vor allem von Schülern ausginge, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen. Auch von einer enormen Zunahme der Gewalt an Schulen ist nicht die Rede. Erich Eder von den AgnostikerInnen und AtheistInnen für ein säkulares Österreich kann der Argumentation, dass Kindern ohne Religionsunterricht Ethik fehle, wenig abgewinnen. »Wertvorstellungen und ethisches Verhalten werden vom Elternhaus vorgelebt und weitergegeben, nicht von der irrationalen Vorstellung eines alles überwachenden Geistwesens, das alle „Bösen“ in die ewige Verdammnis schickt. Bewusst atheistisch lebende Eltern haben sich oft wesentlich gründlicher mit ethischen Grundsatzfragen auseinandergesetzt und leben diese besser vor als die vielen unkritischen „Taufscheinchristen”.«

Philosophen skeptisch

Auch unter Philosophen scheinen die jüngsten Aktivitäten der Ethikunterricht-Befürworter auf Skepsis zu stoßen. Mit Ausnahme von Kampits, der auch Zusatzausbildungen für Ethiklehrer organisiert, hat sich bisher niemand für einen verpflichtenden Ethikunterricht nur für jene Kinder ausgesprochen, die keinen konfessionellen Religionsunterricht besuchen. Auf entsprechende Fragen des ORF antwortet etwa Konrad Paul Liessmann: »Hier entsteht der Eindruck, dass Ethik etwas mit Religion zu tun habe. Das ist aber nicht der Fall«.

Ähnlich sieht es Philippe Lorre. »Gegen einen Ethikunterricht für alle hat niemand etwas. Wenn die Befürworterinnen schon sagen, dass philosophische Kenntnisse so wichtig sind für die Allgemeinbildung, frage ich mich, warum dann nur die in den Genuss der so wichtigen Bildung kommen sollen, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen.« Er und andere Kritiker sehen in der aktuellen Diskussion auch ein Ablenkungsmanöver. Es diene vor allem dazu, den konfessionellen Religionsunterricht zu legitimieren. Wenn behauptet würde, den Nicht-Teilnehmern würde etwas Wesentliches fehlen, hieße das im Umkehrschluss, dass ethische und philosophische Grundbildung im Religionsunterricht vermittelt würden. Außerdem würde ein verpflichtender Unterricht die Abmeldezahlen senken, die vor allem in den Oberstufen in den Städten in lichte Höhe schnellen können. Bis zu einem Drittel aller Schüler macht dort vom Recht Gebrauch, sich ohne Zustimmung der Eltern vom Religionsunterricht abzumelden. Ethikstunden nach der regulären Schulzeit, noch dazu vielleicht mit echten Prüfungen mit echten Noten im Gegensatz zum Religionsunterricht würde vermutlich einige abschrecken. Und dann geht es um die Frage, wer den Unterricht halten darf. »Ich möchte als Konfessionsfreier nicht, dass mein Sohn von einer katholischen Theologin in Ethik unterrichtet wird«, sagt Lorre. »Die Befürworter nennen das rassistisch, aber für sich selber nehmen sie in Anspruch, dass nur Katholiken oder Evangelische den jeweiligen Religionsunterricht halten dürfen. Dort wo es angeblich um Ethik geht, wird die elementarste Ethik regelrecht mit Füßen getreten, zusammen mit den demokratischen Prinzipien und Grundrechten.«

Religionen und Politik ignorieren Konfessionsfreie - noch

Auch, dass mit Ausnahme der evangelischen Kirche die Befürworter des Ethikunterrichts nicht einmal mit den Vertretern der Konfessionsfreien reden wollen, stößt auf Unverständnis. »Religionsvertreter wollen bestimmen, was mit den Kindern der Konfessionsfreien passiert. Wir werden systematisch mundtot gemacht. Das ist wie im Mittelalter«, sagt Lorre.

Das letzte Wort in der Causa ist nicht gesprochen. Um einen verpflichtenden Ethikunterricht einzuführen, bräuchte es einen Parlamentsbeschluss. Der soll nach einer Enquete erfolgen – und die wird seit längerem immer wieder verschoben. Wobei offen bleibt, ob die Konfessionsfreien wenigstens von der Politik gehört werden. Einschlägige Antworten fielen bisher wenig ermutigend aus. Fraglich ist, ob der kürzliche Empfang bei Bundespräsident Heinz Fischer etwas an der Situation ändern wird. Der steht für Diskussionen zur Verfügung. Bei der Besetzung der Enquete hat er nichts mitzureden.

Christoph Baumgarten