Braucht man Gott, um glücklich zu sein?

Harmonie in der Runde, Empörung auf den Rängen

Auch wenn die unterschiedlichen Lebensentwürfe größtenteils mit gegenseitiger Toleranz aufgenommen wurden, so überraschte die Reaktion des Publikums auf Irmgard Endrulat. Auf die Frage, ob die Gesellschaft durch den fortschreitenden Prozess der Entkirchlichung eine bessere geworden sei, antwortete die pensionierte Lehrerin, unabhängig der Frage nach der Existenz oder dem Stellenwert eines Gottes: „Wir sollten so leben, als ob es keinen Gott gäbe, dann kämen wir besser zueinander.“ Für diese Aussage erntete Endrulat nicht nur empörtes Raunen der Zuhörerinnen und Zuhörer, sondern auch einige erzürnte „Pfui“-Rufe. Das Erstaunliche daran war zum einen, dass sich die vermeintliche Harmonie und die weltanschauliche Toleranz der Diskussionsrunde scheinbar nicht auf alle Teile des Publikums übertrugen. Vielmehr aber erstaunte zum anderen, dass sich die Empörung derer im Publikum, die sich offensichtlich in ihren religiösen Gefühlen verletzt fühlten, gegenüber der ehemaligen Katholikin entluden und nicht etwa gegenüber der als Atheistin vorgestellten Fiona Lorenz, deren „Gottlosigkeit“ von Anfang an außer Frage stand. (Auch Lorenz hatte freilich den lautstark artikulierten Unmut des Publikums auf sich gezogen, als sie, unter Bezugnahme auf Steven Pinker, Professor für Psychologie an der Harvard University, darauf hinwies, dass unsere Gegenwart aus historischer Sicht die bislang friedlichste Epoche sei und diesen Fakt mit der Tendenz der zunehmenden Säkularisierung in Verbindung brachte, aber das steht auf einem anderen Blatt geschrieben.) Endrulat hatte zuvor noch darüber berichtet, dass sie weder an die Dreifaltigkeit glaube, noch daran, dass Jesus tatsächlich Gottes Sohn gewesen sei, sondern dass sie ihn vielmehr als historische Person betrachte. Trotzdem hält sie auch über dreißig Jahre nach ihrem Kirchenaustritt an einer bestimmten Form christlicher Spiritualität fest, die ihr aber großzügige Freiräume ermöglicht.

Werte müssen ausgehandelt werden

Ihre polarisierende Forderung, so zu leben, als ob es keinen Gott gäbe, begründete Irmgard Endrulat mit ihrem Bild des Menschen. Sie begreife den Menschen als entwicklungsfähiges Wesen, dessen ethische Verantwortung bei jedem selbst liege. Demnach bedarf es keiner patriarchalischen Leitfigur, wie der des christlichen „Vaters“ um eine menschliche Ethik zu formulieren und nach ihr zu leben. Während Elke Klink den Menschen zwar ebenso wie Endrulat als mündiges Wesen begriff, diagnostizierte sie jedoch einen gesellschaftlichen Werteverlust, an dem die Entkirchlichung zumindest eine Teilschuld trage. Denn für sie drückt sich der Glaube auch im sozialen Engagement aus. Demgegenüber wies Fiona Lorenz darauf hin, dass eine allgemeingültige Ethik gerade nicht von einer zentralen Instanz vorgegeben werden könne, sondern stattdessen gesellschaftlich ausgehandelt werden muss. Durch den religiösen Alleinvertreteranspruch sah sie vielmehr die Gefahr, dass man Religion als Machtmittel missbrauchen könne um Werte und Menschen zu instrumentalisieren. Um Gutes zu tun, bedürfe es keiner Religion, sondern der Menschlichkeit, aber auch Spaß und Freude am Helfen.

Hierin mag letztlich auch eines der wichtigsten Erkenntnisse des Abends gelegen haben. Denn da, wo in der Gesprächsrunde eine relativ pragmatische Sicht auf den individuellen Glücksbegriff vorherrschte und damit die Antwort auf die eingangs gestellte Frage erfreulich heterogen ausgefallen ist, war es in der Frage nach den Werten die Religion, die ihren Vertretern so etwas wie einen normativen Leitfaden bereit zu stellen schien. Auch wenn dieser sich in einem eher unpraktischen Leitsatz manifestierte, nämlich der „konsequenten Nachfolge Jesu, um Glück für den Mensch und die Menschlichkeit“ zu erreichen (Ackermann), scheint die christliche Moral für ihre Anhänger griffiger, als eine säkulare Ethik, die, wie Fiona Lorenz richtig anmerkte, bereits vor dem Zeitalter des Christentums von der Philosophie formuliert wurde und seit dem Zeitalter der Aufklärung ständig weiter entwickelt wird. Daher erscheint es als unabdingbar, beharrlich für eine humanistische Ethik einzutreten und immer wieder dazu einzuladen, die Werte unserer Gesellschaft auszuhandeln, um einer religiösen Moral eine wirkliche Alternative entgegenstellen zu können, anstatt sich in weltanschaulichen Grabenkämpfen zu verlaufen.


Sascha Schmidt