Am Mittwochabend luden der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) und die Humanistische Akademie zu einer Veranstaltung in das "Haus des Humanismus" ein. Es ging um Schwangerschaftsabbrüche, Frauenrechte und die aktuelle Entwicklung in der Politik.
Vor den nicht ganz gefüllten Sitzreihen des "Haus des Humanismus" in Berlin-Schöneberg sprach Katrin Raczynski aus dem Vorstand des Bundesverbands des HVD ein paar einleitende Worte. Eingeladen war zu diesem Abend auch Carmen Wegge, Bundestagsabgeordnete der SPD und Mitglied im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages. Diese musste wegen der aktuellen Situation in der Regierungskoalition leider kurzfristig absagen.
Raczynski und das gesamte Plenum waren sich von Beginn an einig, dass es zukünftig – also nach der Neuwahl im Februar kommenden Jahres – schwer bis unmöglich werden wird, das den Abend bestimmende Thema auf der Tagesordnung des Bundestages zu behalten. Auch von der gescheiterten Koalition wurde nicht erwartet, dass das Thema noch behandelt werden wird1.
Anschließend referierte Gita Neumann (Bundesbeauftragte für Medizinethik und Autonomie am Lebensende des HVD) zu den Motiven, weshalb sich der HVD an der gesellschaftlichen Debatte um die Abschaffung des Paragraphen 218 (und § 219) beteiligt hat. Sie berichtete über die jahrelangen Diskussionen innerhalb des Verbands, der schlussendlich dann 2022 in dem Positionspapier zum Schwangerschaftsabbruch mündete. Dieses Papier entspricht auch dem jüngst von drei Juristinnen vorgestellten Gesetzentwurf zur Neuregelung von Abtreibungen außerhalb des Strafrechts (der hpd berichtete).
Neumann warnte in den zukünftigen Debatten – auch im Hinblick auf sich verändernde politische Verhältnisse – vor einer Polarisierung und der Unfähigkeit, Kompromisse zu schließen. Es brauche einen "langen Atem". Dabei erwähnte sie auch, dass das für zukünftige Debatten um die Suizidhilfe ebenfalls zutreffen werde. (Siehe dazu auch ihren Artikel beim hpd: "Unstimmigkeiten zur Reform des Schwangerschaftsabbruchs benennen und überwinden")
Die Philosophin Christine Zunke lehrt an der Carl-von-Ossietzky-Universität in Oldenburg und ist Bundesbeauftragte für Frauen* und Diversity des Humanistischen Verbands Deutschlands. Sie stellte anfangs klar, dass es der HVD trotz der internen Differenzen geschafft hat, das bereits erwähnte Positionspapier zu verabschieden. Sie stellte noch einmal klar, dass sich der Verband klar für die Möglichkeit von Schwangerschaftsabbrüchen außerhalb des Strafgesetzbuches positioniert.
Für sie sei es "ein unfassbarer patriarchaler Eingriff in das Leben der Frauen, dass ein Abbruch noch immer strafbar ist".
Der evangelischen Theologie-Professor und Ethiker Dr. Hartmut Kreß sprach über den Stand der Dinge bei der Reform des Schwangerschaftabbruchs. Kreß war ebenfalls maßgeblich an der Erarbeitung des oben genannten Positionspapiers beteiligt.
Auch er machte noch einmal deutlich, dass ein Abbruch in Deutschland noch immer ein Straftatbestand ist. Daran ändere auch eine Ausnahmeklausel nichts. Grund dafür sei unter anderem, dass Deutschland eine Besonderheit im Strafrecht aufweist: Strafe wird als moralische Wiedergutmachung gesehen. Deshalb wird eine ethisch zu diskutierende Entscheidung hierzulande strafrechtlich benormt. Zeitgemäßer wäre für Kreß eine zivilrechtlich Regelung zum Beispiel im Bürgerlichen Gesetzbuch.
Im Weiteren ging er auf aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse ein, die aufzeigen, dass ein Fötus kein vollgültiger Mensch sein könne, da er in den 24 ersten Wochen nicht lebensfähig sei. Das sei er erst im letzten Drittel der Schwangerschaft. Kreß definierte das Menschsein mit der Möglichkeit, Schmerz zu empfinden. Das wäre durch die Entwicklung des Gehirns erst in der 28. bis 29. Woche der Fall. Daher sei auch die Dreimonatsfrist unwissenschaftlich. Diese beruhe auf dem christlichen Glauben, dass nach 90 Tagen die Seele in den Menschen einfahre. Schon allein das zur Grundlage staatlichen Handelns zu machen, passe nicht zu einem säkularen Staat.
Er wies darauf hin, dass sich viele kirchlich geführte Krankenhäuser und Kliniken weigern, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Dabei sind Krankenhäuser von der Allgemeinheit finanziert – und das Gemeinwohl müsse über internen Regelungen der Kirchen stehen.
In der anschließenden Podiumsdiskussion wurden noch offene Fragen angesprochen. Christiane Herrmann (HVD), Sina Tonk (Terre des Femmes), Dr. Catharina Conrad (Deutscher Juristinnenbund), Dr. Gabriele du Bois (Deutscher Ärztinnenbund) sowie Prof. Dr. Reiner Anselm (Evangelische Kirche in Deutschland) diskutierten unter der Moderation von Christine Zunke.
Reiner Anselm (EKD) widersprach zu Beginn der Tatsache, dass in kirchlichen Einrichtungen weniger Abbrüche gemacht werden. Es läge für ihn einzig daran, dass die Krankenkassen diese Leistung nicht bezahlen. Das hätte die katholische Kirche seinerzeit verhindert.
Sina Tonk (Terre des Femmes) wies darauf hin, dass in den letzten Jahren die Hälfte aller Beratungsstellen geschlossen und massiv Personal abgebaut wurde. Sie stellte die Beratungspflicht insgesamt in Frage: "Etwa 69 Prozent der Frauen haben sich bei der Pflichtberatung bereits für einen Abbruch entschieden." Den 30 Prozent Frauen, die eine Beratung wollen, müsse diese ermöglicht werden. Und diese Dienstleistung müsse vom Staat angeboten und finanziert werden.
Auf den Hinweis von Christine Zunke (HVD), dass Abbrüche nicht Bestandteil der medizinischen Ausbildung sind, kam die Entgegnung, dass die Universitäten keine Ausbildung zu einer strafbewehrten Behandlung anbieten würden. Das sei auch der Grund für die Verunsicherung vieler Ärztinnen und Ärzte und deren Ablehnung, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Sicherlich spiele auch die Gewissensfreiheit der Mediziner*innen eine Rolle, aber das beträfe weniger als 10 Prozent dieser.
Ausführlich wurde auch die Forderung nach kostenfreien Verhütungsmitteln auf dem Podium diskutiert. Dabei ergab sich der Eindruck, dass die sexuelle Aufklärung von Kindern und Jugendlichen mit den Jahren schlechter geworden ist. Christiane Herrmann (HVD, Lebenskundelehrerin) bestätigte, dass Verhütung kein Thema mehr sei. Sie beobachte, dass selbst 15- bis 16-Jährige kein Wissen über Verhütung mehr hätten.
Erstaunlicherweise jedoch liege die Zahl der Schwangerschaften bei Frauen unter 20 Jahren unter 3 Prozent. Du Bois bestätigte auch, dass immer weniger Frauen die Pille nehmen, was Tonk konterte mit dem Hinweis, dass es auch Teil der Selbstbestimmung der Frauen sei, sich chemischen Verhütungsmaßnahmen zu verweigern. Einig waren sich die Podiumsteilnehmerinnen dann aber wieder darin, dass auch Männer eine Mitverantwortung bei der Empfängnisverhütung haben.
Eine weiterführende Veranstaltung findet am 29. Januar 2025 unter dem Titel "Später Schwangerschaftsabbruch" in Berlin statt.
1 Gestern wurde allerdings bekannt, dass es nun doch noch einen Gesetzentwurf gibt, über den noch vor den Neuwahlen entschieden werden soll. Wie dieser einzuschätzen ist, darüber wird der hpd noch berichten.