Braucht man Gott, um glücklich zu sein?

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Endrulat, Klink, Ackermann, Otterbach, Lorenz, Petry

WEISKIRCHEN. (hpd) Dies war die Leitfrage der Diskussionsrunde, die sich am Freitagabend zum „Biblischen Nachtcafé“ im saarländischen Weiskirchen zusammengefunden hatte. Das Fazit vorweg: Eine klare oder gar allgemeingültige Antwort darauf hat es – zum Glück - nicht gegeben. Trotzdem verlief die Diskussion über weite Teile in überraschender Eintracht. Wer klare und kantige Positionen suchte, musste vor allem zwischen den Zeilen lesen.

Veranstaltet von verschiedenen katholischen Trägern aus dem Raum Merzig und Wadern fand am vergangenen Freitag im Parkhotel Weiskirchen das fünfte „Biblische Nachtcafé“ statt, das unter der Frage „Glücklich - mit oder ohne Gott?“ Menschen mit unterschiedlichen Lebensentwürfen ins Gespräch brachte. Die Gäste des Abends waren die stellvertretende Leiterin des Humanistischen Pressedienstes, Dr. Fiona Lorenz, die pensionierte Lehrerin Irmgard Endrulat, die in den sechziger Jahren aus der Kirche ausgetreten ist, der Bischof von Trier, Dr. Stephan Ackermann, die Behindertenbeauftragte des Landkreises Kusel und Contergan geschädigte Elke Klink und der DSDS Top 15-Kandidat Dirk Petry. Moderiert wurde die Runde von SR-Rundfunkjournalist Christian Otterbach.

Um sich dem Begriff des „Glückes“ anzunähern, zeichneten die Gesprächsteilnehmerinnen und –teilnehmer zunächst ihre Vorstellungen davon, was Glück für sie bedeutet. Da war die Rede vom Gespräch mit Vertrauten und der inneren wie äußeren Reflexion, von Harmonie und Kunst, von der Möglichkeit sich selbst zu verwirklichen ebenso wie vom materiellen Glück. Dinge also, von selbstverständlicher Alltäglichkeit.

Einen Gottesbezug in ihrem Glücksbegriff stellten Bischof Ackermann und Elke Klink her, die beide von einer Form des „inneren Friedens“ sprachen, den sie durch ihren Glauben zu Gott gewinnen. Fiona Lorenz dagegen warnte vor der Gefahr, dass Religion gerade durch religiöse Zwänge aber auch für persönliches Unglück verantwortlich sein kann.

Sie plädierte für ein menschliches Glück, das im Hier und Jetzt stattfindet und nicht auf christliche Heilserwartungen im Jenseits projiziert werden soll. Dem entgegnete Ackermann einen für kirchliche Verhältnisse überraschend hedonistisch wirkenden Ansatz. Denn auch im christlichen Glauben ginge es nicht bloß um das Glück im Jenseits, sondern gerade um das irdische Glück. Dazu soll das „Glück des Himmels“ bereits zu Lebzeiten beginnen, um es dann, über den Tod hinaus, darin fortbestehen zu lassen. Zugleich widersprach er einer „einfachen Form der Jenseitsvertröstung“. Worin in beiden Ansätzen der konkrete Unterschied lag, wurde indes nicht wirklich klar. Beide Formen bedienen sich nämlich der selben Mechanismen: Die reine Form des Glücks findet man demnach erst nach dem Tod und selbst für jene, die bereits zu Lebzeiten eine rudimentäre Form des „himmlischen Glücks“ erfahren, findet die „Jenseitsvertröstung“ dergestalt statt, dass dort Schmerz, Unglück und Ungerechtigkeit des Lebens ausgeblendet werden.

Der „Himmel auf Erden“ als weltanschauliches Verkaufskriterium

Der metaphysischen Heilserwartung im Jenseits eine irdische Dimension zu verleihen, wirkte derweil etwas konstruiert, um einem weltlichen Ansatz von säkularer und im Diesseits verorteten Glücksbegründung eine attraktive christliche Alternative entgegensetzen zu können. Dieser Eindruck erhärtete sich auch im weiteren Verlauf des Abends, als Ackermann von der „Bereicherung eines atheistischen Umfeldes für die Religion“ sprach und von „unserer Zeit der Freiheit“, die es der Religion abverlange, das Gute und Anziehende am Glauben zu finden und genauer zu definieren.
Obgleich Religion ein an sich geschlossenes System darstellt, das seine Begründung in heiligen, und somit logisch nicht überprüfbaren, „Wahrheiten“ des Glaubens findet, hat Bischof Ackermann hier ein deutliches Wettbewerbsszenario mit weltlichen Alternativen entworfen. Dass es ihm darum geht, den persönlichen Nutzen des Glaubens für das Individuum zu formulieren, eröffnet der Frage nach Religiosität eine grundsätzlich hedonistische Dimension und erkennt die zweckrationale Nutzenabwägung der Menschen in weltanschaulichen Belangen an.

„Auch Atheisten kommen in den Himmel“

Nicht nur in der Erweiterung des Himmlischen um das Irdische bewies sich Bischof Ackermann als rhetorisch geschickter Redner. Da er selbst abweichende Äußerungen für sich nutzbar machte, indem er säkulare oder religionskritische Positionen aus christlicher Perspektive deutete, erzeugte er einen vermeintlichen Konsens, dem das Format der Diskussion kaum Möglichkeit zur argumentativen Gegenrede bot. So überraschte er, als er der „Atheistin Fiona Lorenz“ plötzlich sogar die Chance prophezeite, in den christlichen Himmel zu kommen. Denn, so seine Argumentation, wenn man den „Weg der Liebe“ gehe, folge man automatisch dem Weg Jesu, selbst dann, wenn man dies ohne den Glauben an einen Gott tue. Damit präsentierte Ackermann eine unerwartete Final-Exit-Option für skeptische Skeptiker, die sich aufgrund ihrer inhaltlichen Unbestimmtheit kaum über die rhetorische Stilblüte hinaus als praktikabel erweisen dürfte.

Gerade in dem unbestimmten, weil eben metaphysischen, Glück der Jenseitsvertröstung machte Fiona Lorenz schließlich einen Placeboeffekt des Glaubens aus. Eine These, die Dirk Petry im Grunde bestätigte. Er selbst glaube zwar an keinen Gott und suchte bislang auch noch nicht aktiv nach einer Religion. Dennoch ist er sich sicher, dass er irgendwann unweigerlich religiös werde, wenn er sich etwa mit einem schweren Schicksalsschlag konfrontiert sehe. Demgegenüber stand Lorenz mit weltlicher Gelassenheit. Mit einem eben solchen Schicksalsschlag, den Petry als vermeintlichen Auslöser für seine mögliche zukünftige Hinwendung zur Religion betrachten könnte, muss sie nämlich leben. Eine schwere Erkrankung werde sie vermutlich früher sterben lassen, als andere Menschen, sagte sie. Trotzdem war die Diagnose für sie kein Grund, religiös zu werden, nach etwaigen übernatürlichen Gründen zu suchen oder auf so etwas wie Glück oder Erlösung im Jenseits zu hoffen. Vielmehr gelte es, das Leben mit seinen Problemen zu akzeptieren und Glück und Erfüllung im Diesseits und der Gegenwart anzustreben.

Harmonie in der Runde, Empörung auf den Rängen

Auch wenn die unterschiedlichen Lebensentwürfe größtenteils mit gegenseitiger Toleranz aufgenommen wurden, so überraschte die Reaktion des Publikums auf Irmgard Endrulat. Auf die Frage, ob die Gesellschaft durch den fortschreitenden Prozess der Entkirchlichung eine bessere geworden sei, antwortete die pensionierte Lehrerin, unabhängig der Frage nach der Existenz oder dem Stellenwert eines Gottes: „Wir sollten so leben, als ob es keinen Gott gäbe, dann kämen wir besser zueinander.“ Für diese Aussage erntete Endrulat nicht nur empörtes Raunen der Zuhörerinnen und Zuhörer, sondern auch einige erzürnte „Pfui“-Rufe. Das Erstaunliche daran war zum einen, dass sich die vermeintliche Harmonie und die weltanschauliche Toleranz der Diskussionsrunde scheinbar nicht auf alle Teile des Publikums übertrugen. Vielmehr aber erstaunte zum anderen, dass sich die Empörung derer im Publikum, die sich offensichtlich in ihren religiösen Gefühlen verletzt fühlten, gegenüber der ehemaligen Katholikin entluden und nicht etwa gegenüber der als Atheistin vorgestellten Fiona Lorenz, deren „Gottlosigkeit“ von Anfang an außer Frage stand. (Auch Lorenz hatte freilich den lautstark artikulierten Unmut des Publikums auf sich gezogen, als sie, unter Bezugnahme auf Steven Pinker, Professor für Psychologie an der Harvard University, darauf hinwies, dass unsere Gegenwart aus historischer Sicht die bislang friedlichste Epoche sei und diesen Fakt mit der Tendenz der zunehmenden Säkularisierung in Verbindung brachte, aber das steht auf einem anderen Blatt geschrieben.) Endrulat hatte zuvor noch darüber berichtet, dass sie weder an die Dreifaltigkeit glaube, noch daran, dass Jesus tatsächlich Gottes Sohn gewesen sei, sondern dass sie ihn vielmehr als historische Person betrachte. Trotzdem hält sie auch über dreißig Jahre nach ihrem Kirchenaustritt an einer bestimmten Form christlicher Spiritualität fest, die ihr aber großzügige Freiräume ermöglicht.

Werte müssen ausgehandelt werden

Ihre polarisierende Forderung, so zu leben, als ob es keinen Gott gäbe, begründete Irmgard Endrulat mit ihrem Bild des Menschen. Sie begreife den Menschen als entwicklungsfähiges Wesen, dessen ethische Verantwortung bei jedem selbst liege. Demnach bedarf es keiner patriarchalischen Leitfigur, wie der des christlichen „Vaters“ um eine menschliche Ethik zu formulieren und nach ihr zu leben. Während Elke Klink den Menschen zwar ebenso wie Endrulat als mündiges Wesen begriff, diagnostizierte sie jedoch einen gesellschaftlichen Werteverlust, an dem die Entkirchlichung zumindest eine Teilschuld trage. Denn für sie drückt sich der Glaube auch im sozialen Engagement aus. Demgegenüber wies Fiona Lorenz darauf hin, dass eine allgemeingültige Ethik gerade nicht von einer zentralen Instanz vorgegeben werden könne, sondern stattdessen gesellschaftlich ausgehandelt werden muss. Durch den religiösen Alleinvertreteranspruch sah sie vielmehr die Gefahr, dass man Religion als Machtmittel missbrauchen könne um Werte und Menschen zu instrumentalisieren. Um Gutes zu tun, bedürfe es keiner Religion, sondern der Menschlichkeit, aber auch Spaß und Freude am Helfen.

Hierin mag letztlich auch eines der wichtigsten Erkenntnisse des Abends gelegen haben. Denn da, wo in der Gesprächsrunde eine relativ pragmatische Sicht auf den individuellen Glücksbegriff vorherrschte und damit die Antwort auf die eingangs gestellte Frage erfreulich heterogen ausgefallen ist, war es in der Frage nach den Werten die Religion, die ihren Vertretern so etwas wie einen normativen Leitfaden bereit zu stellen schien. Auch wenn dieser sich in einem eher unpraktischen Leitsatz manifestierte, nämlich der „konsequenten Nachfolge Jesu, um Glück für den Mensch und die Menschlichkeit“ zu erreichen (Ackermann), scheint die christliche Moral für ihre Anhänger griffiger, als eine säkulare Ethik, die, wie Fiona Lorenz richtig anmerkte, bereits vor dem Zeitalter des Christentums von der Philosophie formuliert wurde und seit dem Zeitalter der Aufklärung ständig weiter entwickelt wird. Daher erscheint es als unabdingbar, beharrlich für eine humanistische Ethik einzutreten und immer wieder dazu einzuladen, die Werte unserer Gesellschaft auszuhandeln, um einer religiösen Moral eine wirkliche Alternative entgegenstellen zu können, anstatt sich in weltanschaulichen Grabenkämpfen zu verlaufen.


Sascha Schmidt