Das Deutsch-Amerikanische Institut Tübingen präsentiert noch bis zum 25. April 2024 die Foto-Ausstellung "The End of Nature as We Know It" mit Bildern des gefeierten Dokumentar-Fotografen James Balog. Einige der gezeigten Bilder in der Ausstellung sind im Film "Chasing Ice" von Jeff Orlowskis als Fotos zu sehen. Der Film wurde am 23. Januar ergänzend zur Foto-Ausstellung gezeigt.
Balogs Ambitionen liegen auf der Fotojagd nach den größten Gletschern der Erde, ihrer Schönheit und Gefährdung gleichermaßen: In der Arktis, auf Grönland, Island, in Kanada. Daneben machte er auch ein paar Aufnahmen von solchen in der Schweiz, die vergleichsweise klein sind. Manche seiner Fotos wirken wie von vergrößerten Diamanten oder Bergkristallen in vollendeter Schönheit. In 74 Minuten zeigt der Film "Chasing Ice" Ausschnitte aus dem Leben und der Arbeit dieses ambitionierten Naturfotografen, der von seiner Ausbildung her Geomorphologe ist (Studium am Boston College und der University of Colorado) und sich längst auf die Untersuchung von Eis spezialisiert hat, um den weltweiten Klimawandel in seinen Ausmaßen und Auswirkungen sichtbar zu machen. Er startete im Jahr 2007 sein eigenes weltweites Projekt "EIS – Extreme Ice Survey" und gründete den "Earth Vision Trust". Doch Balog geht es um mehr: Die Gletscher beziehungsweise das Eis sind für ihn eine Art Archiv der Erdgeschichte und des durch den Menschen stark mitverursachten Klimawandels. Aus dem Eis können Glaziologen und Geomorphologen einiges ab- und herauslesen, dokumentieren, nachvollziehen, berechnen und beweisen.
James Balog, der jahrelang als Naturfotograf Bilder von bedrohten Tierarten, Urwäldern und Bäumen für renommierte Magazine wie National Geographic, Life usw. lieferte, produziert seit Jahren vor allem Bilder vom Eis. Der von seiner Arbeit besessene Wissenschaftler beobachtet es so akribisch und geduldig wie ästhetisch anspruchsvoll: Seine Bilder sind Kunstwerke – so wie die Naturphänomene, die er mit einer zweistelligen Zahl hochwertiger Spezialkameras aufnimmt und sammelt, die er an verschiedenen Orten der Erde gleichzeitig montiert, um sie gemeinsam mit einigen jungen Mitarbeitern regelmäßig aufzusuchen und auszuwerten. Dabei kommt es zwischendurch auch zur Zerstörung seiner aufwändigen Ausrüstung durch die Kälte, Stürme, die gesamte extreme Witterung und manchmal durch Vögel (was ihn daran am meisten zu enttäuschen scheint, ist der Verlust der Aufnahmen). Doch immer wieder gelingen ihm hervorragende Abbildungen dessen, was sich in den Eisregionen dieser Erde an Wandel vollzieht; so filmte er beispielsweise den vermutlich bisher größten kalbenden Gletscher, den Ilullisat-Gletscher auf Grönland, der eine Fläche von über 8 Quadratkilometern umfasst.
Diese Arbeit ist anstrengend, gefährlich, herausfordernd und mit enormem Verschleiß an Kräften und Material verbunden: Balog musste seine teuren Ausrüstungen schon mehrmals ersetzen und hat bereits mehrere Knie-Operationen hinter sich. In diesem Sommer wird er 72 Jahre alt. Seine Leidenschaft und sein Interesse am Gegenstand seiner jahrelangen Arbeit scheinen ungebrochen zu sein. Inzwischen hält er immer wieder Vorträge vor wissenschaftlichem und vor Laien-Publikum, um das zu dokumentieren und zu zeigen, was von Vielen nach wie vor in seinem Ausmaß und seinen Auswirkungen nicht richtig verstanden wird: Die Veränderung der Erde durch den zum erheblichen Teil menschlich herbeigeführten Klimawandel und damit einhergehende Bedrohungen, vor allem die Veränderungen der Atmosphäre und der Luft, die wir Menschen täglich einatmen, durch einen ständig steigenden CO2-Gehalt. James Balog tut dies auf eine äußerst sympathische Weise: Mit eindrucksvollem Material, wissenschaftlich akribisch ausgewertet, technisch grandioser, überzeugender Zeitraffer-Präsentation, die alles anschaulich verdeutlicht, und das Ganze ästhetisch äußerst anspruchsvoll. Seine Familie trägt seine Leidenschaft mit, weil sie verstanden hat, dass ihn das Eis und seine Projekte nicht loslassen, auch wenn damit lange Phasen der Abwesenheit von Zuhause einhergehen.
In den USA wird der 74-minütige Dokumentarfilm "Chasing Ice" inzwischen immer wieder auch an Schulen gezeigt und erregt viel Aufmerksamkeit. Genau dies ist ihm auch in Europa zu wünschen, denn dieser Film klagt nicht an: Er zeigt auf, was in den kältesten Regionen der Erde passiert und welche Auswirkungen dies weltweit hat beziehungsweise welche Zusammenhänge es dazwischen mit hoher Wahrscheinlichkeit gibt und was sich nicht leugnen lässt – auch wenn viele laute Münder dies anhaltend abstreiten. Welche Rolle dabei die von Menschen durchgeführten Unternehmungen in Sachen Ausbeutung der Natur- und Bodenschätze spielen, lässt ein in der Dokumentation zu Wort kommender ehemaliger Mitarbeiter der Shell Company erahnen, der nach dem Sehen dieser Dokumentation und einem Vortrag von James Balog seinen Job in der Firma gekündigt hat, weil er das nicht mehr für sich verantworten konnte. Das überzeugt mehr als die apokalyptisch aufgeladenen Anklagen so mancher Klima-Aktivisten – weil es getragen wird von den (Er-)Kenntnissen eines technisch und visuell hochbegabten, ambitionierten Wissenschaftlers und Dokumentars und dessen ruhiger, unschlagbar überzeugender Vermittlung.