In Anlehnung an Richard Dawkins These des egoistischen Gens betonte Mohrs, dass „die Rolle der Vernunft bei unseren Entscheidungen gnadenlos überschätzt wird“, vor allem in der Pubertät. Denn Schuld an den zuweilen seltsamen oder für Eltern manchmal besorgniserregenden Verhaltensveränderungen sind organische Prozesse, die für den Übergang zur Geschlechtsfähigkeit – und darum gehe es bei der Pubertät – evolutionsbiologisch erklärbar und notwendig seien. Die Pubertät sei ein „Ausgeliefertsein der Kinder an die Biologie“. So würden in der Pubertät abertausende Synapsen im Gehirn abgebaut, um kindliche Verhaltensmuster abzulegen. Zugleich entstehen neue Synapsen und die intellektuelle Leistung sowie die Urteilsfähigkeit von Jugendlichen nehmen rasant zu. Das Hinterfragen der Positionen der Eltern habe seine Ursache in diesen Prozessen. Dieser Ablösungsprozess von den Eltern sei daher eine unausweichliche, evolutionsbiologische Tatsache bzw. Notwendigkeit.
Appelle an die Vernunft...
Warum aber sind Pubertierende dann so unvernünftig oder so entsetzlich unberechenbar, emotional? Weil sich dieser Prozess nur sukzessive „von hinten nach vorn“ vollziehe, so dass die für rationale Handlungen verantwortliche vordere Hirnregion meist nicht vor einem Alter von 20 Jahren reife. Elterliche Appelle an die Vernunft gingen daher meist an ihrem Ziel vorbei. Die Verhaltensunterschiede zwischen Mädchen und Jungen in der Pubertät sind ebenfalls zurückzuführen auf unterschiedliche organische Prozesse im Gehirn bzw. im Zuge der Geschlechtsreifung stattfindende hormonelle Prozesse. So erklärt sich z.B. auch das seltsame Schlafverhalten der Pubertierenden, (Wachbleiben bis in die Nacht, spätes Aufstehen am Tag), welches von der in der Phase der Adoleszenz um einige Stunden verzögerten Produktion des für die Steuerung des Tag-Nach-Rhythmus‘ verantwortlichen Hormons Melatonin verursacht wird.
Bleibt noch die Frage, warum die schulischen Leistungen Pubertierender oft rasant abfallen, sie unkonzentriert, ja sogar schläfrig sind. „Weil der Unterricht langweilig ist“, würden Jugendliche sagen, so Prof. Dr. Mohrs, und sie haben Recht. Das Gehirn könne in der Pubertät nur lernen, was das limbische System als attraktiv bewerte. Und solange sich Unterricht nicht an dieser Tatsache orientiere und Lehrer für Jugendliche attraktivere Lernangebote machen, komme es zu unkonzentrierten und müden Schülern, die nicht aus bösem Willen schlechte schulische Leistungen abliefern, sondern weil ein langweiliger Unterricht diese physiologische Realität nicht überlisten kann.
Zum Schluss seines Vortrages machte Mohrs noch einige Vorschläge für geplagte Eltern, die er aber explizit nicht als Ratschläge verstanden haben wollte. Appelle an die Vernunft, lautstarke Erziehungsmaßnahmen oder gar Strafen seien sinnlos, denn „Kinder pubertieren nicht mutwillig“. Vielmehr würden derlei Maßnahmen die Gefahr bergen, die Vertrauensbasis zwischen Eltern und Kinder zu zerstören. Es gelte aber, „bedingungsloses Vertrauen“ zu vermitteln, was jedoch nicht bedeute, eigene Standpunkte oder Werte aufzugeben. Glaubhaft und transparent müssten diese weiterhin an die Kinder herangetragen werden. Nur so könnten familiäre Spielregeln ausgehandelt werden, was den Weg durch die Pubertät leichter machen könnte. Als Faustregel, bekannte der Referent, habe er sich immer gesagt: „Solange sie (meine Kinder) nicht werden, wie ich selber war, ist alles kein Problem.“
Viel Applaus erntete Prof. Dr. Mohrs bevor Geschäftsführer Andreas Henschel das Wort ergriff und sich bei ihm für seinen aufklärerischen Vortrag bedankte. Ebenfalls bedankte er sich ausdrücklich bei allen Engagierten des HVD-/JuHu-Auftrittes zum 14. Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag und erwähnte insbesondere die intensive Vorbereitungsarbeit, die Anita Häfner (Jugendreferentin HVD-Nürnberg), Dr. Margrit Witzke (Abteilungsleiterin Jugend HVD-Berlin), Daniel Nette (Jugendbildungsreferent HVD-Niedersachsen) und Florian Noack (JuHu-Bundesvorsitzender) geleistet haben. Ohne sie wäre die gelungene Präsentation der Humanisten nicht möglich gewesen, sagte Henschel und lud schließlich alle Anwesenden ein, den anregenden Abend sowie den erfolgreichen Auftritte auf der Fachmesse in lockerer Atmosphäre zu feiern, was alle Anwesenden im Anschluss gerne taten und die angenehme Gastfreundschaft der Humanisten Württemberg genossen.
Thomas Hummitzsch für www.diesseits.de