Warum Pubertierende nicht böswillig sind…

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Die Messehalle / Fotos: Thomas Hummitzsch und Andreas Henschel

STUTTGART (hpd/dhuw) Anlässlich des Engagements von Humanistischem Verband (HVD) und den Jungen HumanistenInnen (Bundes-JuHu) beim 14. Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag in Stuttgart luden Die Humanisten Württemberg zu einem abendlichen Empfang mit Fachvortrag.

Vom 7. - 9. Juni 2011 fand in den Stuttgarter Messehallen der 14. Deutsche Kinder- und Jugendhilfetag unter dem Motto Kinder. Jugend. Zukunft. Perspektiven entwickeln – Potenziale fördern! statt. Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe hatte kommunale und freie Träger sowie Ministerien und Länderverwaltungen aus ganz Deutschland eingeladen, sich mit ihren Initiativen, Projekten, Fachkräften und ehrenamtlich Engagierten der Öffentlichkeit zu präsentieren. Dies taten u. a. Projekte der Kinder- und Jugendhilfe von Bund und Ländern sowie freien Trägern, der Paritätische Wohlfahrtsverband, Caritas und Diakonie, Gewerkschaften sowie viele Jugendverbände. An Größe und Zahl der Ausstellungsstände auf der Messe wurde allerdings deutlich, dass die Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland von Diakonie und Caritas dominiert wird.

So war es umso wichtiger, dass sich erstmals auf der Fachmesse auch die Jungen HumanistInnen (Bundes-JuHu), der Jugendverband des Humanistischen Verbands Deutschlands e.V. präsentiert haben. Zwar kann der HVD bzw. die JuHus mit ihren Angeboten quantitativ nicht mit den kirchlichen Trägern mithalten, sie müssen sich aber keinesfalls verstecken. Denn was im Ausstellungstand der Humanisten gezeigt wurde, konnte sich sehen lassen. Die Vielfalt des Angebotes in der Kinder- und Jugendhilfe das HVD und seines Jugendverbandes ist immens und auch die Qualität der geleisteten Arbeit von Haupt- und Ehrenamtlichen ist beachtlich und lobenswert.

 

Dies haben auch die Reaktionen vieler unserer Standbesucher gezeigt, die eine konfessionsfreie, humanistische Alternative in der ansonsten von kirchlichen Trägern dominierten Kinder- und Jugendhilfe überrascht und vielfach erfreut zur Kenntnis nahmen. Die Angestellten und Ehrenamtlichen der einzelnen JuHu-Landesverbände aus Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg und Niedersachsen gaben kompetent und begeisternd Informationen zu den einzelnen Angeboten, Vorhaben und Plänen in den Ländern. Auch Projektpartner und Verantwortliche aus einzelnen Landesverwaltungen kamen gern an den JuHu-Stand. Für sie war es besonders interessant zu sehen, dass unsere Landesverbände nicht nur Informationen austauschen, sondern auch in der praktischen Arbeit im JuHu-Bundesverband sehr gut vernetzt sind.

Kooperation funktioniert sehr gut

Insbesondere dieses Fazit kann man nach dem 14. Kinder- und Jugendhilfetag ziehen: Die Bundesarbeit der Jungen HumanistInnen und die Kooperation mit dem HVD-Bundesverband funktioniert sehr gut. Bei aller Unterschiedlichkeit gelingt es den einzelnen Landesverbänden, bei Bundes-JuHu an einem Strang zu ziehen. Mit der tatkräftigen und überaus wertvollen Unterstützung vor Ort durch Die Humanisten Württemberg und ihrem Geschäftsführer Andreas Henschel hatten die JuHus den Auftritt auf der Stuttgarter Messe inhaltlich und praktisch perfekt vorbereitet. Viele zusätzliche Arbeitsstunden sind dabei angefallen, aber mit dem Ergebnis waren alle Beteiligten sehr zufrieden. Wie übrigens auch mit dem von der Messebaufirma Keck aus Weil der Stadt/Merklingen gesponserten Messestand, der in seiner professionellen und lebendigen, offenen und nicht aufdringlichen Form perfekt auf unsere Verband abgestimmt und konzipiert war und so viele Besucher anlockte.

Gemeinsam gefeiert wurde der Messeauftritt ebenfalls. Am Mittwoch, den 8. Juni, luden Die Humanisten Württemberg zu einem Empfang ins Humanistische Zentrum Stuttgart ein, bei dem Prof. Dr. Thomas Mohrs, Philosoph und Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der Humanistischen Akademie Bayern einen Vortrag zum Thema Chaos im Kopf. Die Pubertät als neuronaler Transformationsprozess hielt. „Das hört sich erst einmal ziemlich kompliziert an, aber wir dürfen gespannt sein auf viele neue Informationen und Eindrücke zum Thema Pubertät aus einem ganz anderen Blickwinkel“, stellte die ehrenamtliche Jugendreferentin der Württemberger Humanisten, Petra Häneke, in ihrem Grußwort voran.

Musikalisch eingeführt wurde das Thema von Wilma Heuken mit Gesang und quirligen Klängen, die perfekt zum Thema Chaos im Kopf passten. Dann veranschaulichte Prof. Dr. Thomas Mohrs, warum das Verhalten von Pubertären keine mutwillige Bösartigkeit gegenüber den Eltern ist. Dabei stützte er sich ganz auf evolutionsbiologische Fakten und griff auf seine eigenen „Empirie gestützten Erfahrungen“ als vierfacher Vater zurück. Wer eine trockene Wissenschaftslektion befürchtet hatte, wurde so eines besseren belehrt. Spannend, lebensnah und mit zahlreichen persönlichen Anekdoten gespickt sorgte Mohrs für Erhellung.

In Anlehnung an Richard Dawkins These des egoistischen Gens betonte Mohrs, dass „die Rolle der Vernunft bei unseren Entscheidungen gnadenlos überschätzt wird“, vor allem in der Pubertät. Denn Schuld an den zuweilen seltsamen oder für Eltern manchmal besorgniserregenden Verhaltensveränderungen sind organische Prozesse, die für den Übergang zur Geschlechtsfähigkeit – und darum gehe es bei der Pubertät – evolutionsbiologisch erklärbar und notwendig seien. Die Pubertät sei ein „Ausgeliefertsein der Kinder an die Biologie“. So würden in der Pubertät abertausende Synapsen im Gehirn abgebaut, um kindliche Verhaltensmuster abzulegen. Zugleich entstehen neue Synapsen und die intellektuelle Leistung sowie die Urteilsfähigkeit von Jugendlichen nehmen rasant zu. Das Hinterfragen der Positionen der Eltern habe seine Ursache in diesen Prozessen. Dieser Ablösungsprozess von den Eltern sei daher eine unausweichliche, evolutionsbiologische Tatsache bzw. Notwendigkeit.

Appelle an die Vernunft...

Warum aber sind Pubertierende dann so unvernünftig oder so entsetzlich unberechenbar, emotional? Weil sich dieser Prozess nur sukzessive „von hinten nach vorn“ vollziehe, so dass die für rationale Handlungen verantwortliche vordere Hirnregion meist nicht vor einem Alter von 20 Jahren reife. Elterliche Appelle an die Vernunft gingen daher meist an ihrem Ziel vorbei. Die Verhaltensunterschiede zwischen Mädchen und Jungen in der Pubertät sind ebenfalls zurückzuführen auf unterschiedliche organische Prozesse im Gehirn bzw. im Zuge der Geschlechtsreifung stattfindende hormonelle Prozesse. So erklärt sich z.B. auch das seltsame Schlafverhalten der Pubertierenden, (Wachbleiben bis in die Nacht, spätes Aufstehen am Tag), welches von der in der Phase der Adoleszenz um einige Stunden verzögerten Produktion des für die Steuerung des Tag-Nach-Rhythmus‘ verantwortlichen Hormons Melatonin verursacht wird.

Bleibt noch die Frage, warum die schulischen Leistungen Pubertierender oft rasant abfallen, sie unkonzentriert, ja sogar schläfrig sind. „Weil der Unterricht langweilig ist“, würden Jugendliche sagen, so Prof. Dr. Mohrs, und sie haben Recht. Das Gehirn könne in der Pubertät nur lernen, was das limbische System als attraktiv bewerte. Und solange sich Unterricht nicht an dieser Tatsache orientiere und Lehrer für Jugendliche attraktivere Lernangebote machen, komme es zu unkonzentrierten und müden Schülern, die nicht aus bösem Willen schlechte schulische Leistungen abliefern, sondern weil ein langweiliger Unterricht diese physiologische Realität nicht überlisten kann.

Zum Schluss seines Vortrages machte Mohrs noch einige Vorschläge für geplagte Eltern, die er aber explizit nicht als Ratschläge verstanden haben wollte. Appelle an die Vernunft, lautstarke Erziehungsmaßnahmen oder gar Strafen seien sinnlos, denn „Kinder pubertieren nicht mutwillig“. Vielmehr würden derlei Maßnahmen die Gefahr bergen, die Vertrauensbasis zwischen Eltern und Kinder zu zerstören. Es gelte aber, „bedingungsloses Vertrauen“ zu vermitteln, was jedoch nicht bedeute, eigene Standpunkte oder Werte aufzugeben. Glaubhaft und transparent müssten diese weiterhin an die Kinder herangetragen werden. Nur so könnten familiäre Spielregeln ausgehandelt werden, was den Weg durch die Pubertät leichter machen könnte. Als Faustregel, bekannte der Referent, habe er sich immer gesagt: „Solange sie (meine Kinder) nicht werden, wie ich selber war, ist alles kein Problem.“

Viel Applaus erntete Prof. Dr. Mohrs bevor Geschäftsführer Andreas Henschel das Wort ergriff und sich bei ihm für seinen aufklärerischen Vortrag bedankte. Ebenfalls bedankte er sich ausdrücklich bei allen Engagierten des HVD-/JuHu-Auftrittes zum 14. Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag und erwähnte insbesondere die intensive Vorbereitungsarbeit, die Anita Häfner (Jugendreferentin HVD-Nürnberg), Dr. Margrit Witzke (Abteilungsleiterin Jugend HVD-Berlin), Daniel Nette (Jugendbildungsreferent HVD-Niedersachsen) und Florian Noack (JuHu-Bundesvorsitzender) geleistet haben. Ohne sie wäre die gelungene Präsentation der Humanisten nicht möglich gewesen, sagte Henschel und lud schließlich alle Anwesenden ein, den anregenden Abend sowie den erfolgreichen Auftritte auf der Fachmesse in lockerer Atmosphäre zu feiern, was alle Anwesenden im Anschluss gerne taten und die angenehme Gastfreundschaft der Humanisten Württemberg genossen.

Thomas Hummitzsch für www.diesseits.de