Es kann auch schnell gehen

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Stephansdom in Wien / Foto: Andrew Bossi (Creative Commons Lizenz)

WIEN. (hpd) Die katholische Kirche steht möglicherweise vor einem neuen Skandal um sexuelle Gewalt. Eine heute erwachsene Frau hat zwei Priester wegen sexueller Nötigung angezeigt – und Kardinal Christoph Schönborn wegen Vertuschung. Es ist die erste Strafanzeige gegen die Spitze der Kirchenhierarchie in Österreich.

Es kann auch schnell gehen in der katholischen Kirche. Am Montag ist nach Angaben des Radiosenders Ö1 einer der Priester suspendiert worden, den die heute 45-Jährige Frau wegen sexueller Nötigung angezeigt hatte. Keine 24 Stunden nachdem der Fall publik geworden war. Zuvor hatte die Betroffene jahrelang um ihr Recht gekämpft. Unter anderem bei der kircheneigenen Klasnic-Kommission, die Opfern sexueller Gewalt nach Darstellung der Kirche helfen soll. Die Kommission soll der heute erwachsenen Frau eine Psychotherapie bezahlt haben. Von Entschädigung oder Anzeigen gegen die mutmaßlichen Täter keine Rede. Kurt Scholz, Mitglied der Kommission, erklärt gegenüber Medien, „ich hatte (bei den Gesprächen mit der Frau) den Eindruck, dass eine Anzeige nicht gewünscht war.“ Die Frau sieht das anders. Man habe ihr damals gar nicht angeboten, Anzeige zu erstatten. Den Schritt hat die Betroffene mittlerweile selbst nachgeholt. Enttäuscht über die mangelnde Hilfsbereitschaft innerhalb der Kirche, heißt es.

„Ich war damals sehr naiv und voller Eifer für den Glauben“

Die Anzeige liest sich wie eine Beschreibung der Ausnutzung eines traumatisierten Menschen. Als Kind vom Onkel missbraucht flüchtete sich die gebürtige Burgenländerin in Religiosität. Und landete 1984 bei einer Rom-Reise gemeinsam mit ihrer Schwester im Zimmer eines Tiroler Franziskaners, den sie zufällig getroffen hatten. Die Schwester schickte der Mönch vor die Tür. „Nachdem er K. zur Tür hinaus begleitet hatte, hat sich P. Wolfgang von hinten her kommend genähert, mich umarmt und dann ganz plötzlich mit seinen Händen unter mein T-Shirt auf meine nackte Brust gefasst. Dabei hat er gesagt, dass er als Bruder in Christus sowas dürfe. Ich war ziemlich schockiert und entsetzt darüber, riss mich los und lief zur Tür hinaus. Damals habe ich weder Karin noch sonst irgendjemandem etwas davon erzählt.“

Zwei Jahre später soll es zu einem weiteren Übergriff gekommen sein. Die damals 19-Jährige gibt sich die Schuld. „Gesagt habe ich das lange Zeit niemandem, denn ich schämte mich und dachte nur, ich sei schuld daran, das mir das nochmals passierte, weil ich so dumm war, obwohl ich diese Erfahrung mit ihm in Rom gemacht hatte. Wie gesagt, ich war damals sehr naiv, jung und voller Eifer für den Glauben. Heute würde ich ganz anders handeln aber damals…“

„...ich bekenne mich schuldig“ - oder doch nicht

Eine Erzählung, die der Verdächtige zwischenzeitlich nicht mehr bestritten haben dürfte, wie Briefe an seinen Orden nahe legen. In einer ordensinternen Stellungnahme hatte er noch versucht, sich herauszuwinden. Er habe die Mädchen ins Zimmer eingeladen und vielleicht etwas zu stürmisch umarmt. „Wie es dann zur Berührung der nackten Brust gekommen ist, weiß ich nicht mehr“, heißt es in dem handschriftlichen Schreiben, das dem hpd vorliegt und bereits von mehreren österreichischen Medien zitiert wurde. In einem späteren, ebenfalls handschriftlichen Schreiben, gesteht er ein: „Ich habe mich in meinem ersten Brief wirklich herauszuwinden versucht – sehe aber durch die Mitteilung von (Name der Betroffenen), dass ich im Unrecht bin und ihre Darstellung in allen Punkten richtig ist. Es tut mir wirklich leid, was ich ihr angetan habe und ich bekenne mich schuldig.“ Der Brief dürfte laut Datum geschrieben worden sein, als erste Medienrecherchen zu dem Fall begonnen hatten. Eine knappe Woche später scheint der Priester es sich anders überlegt haben. Er hat sein Geständnis widerrufen und will's doch nicht gewesen sein. Der zuständige Franziskanerorden, der zunächst keine Veranlassung gesehen hatte zu handeln, hat den Priester nach den ersten Medienberichten suspendiert. Ein Anwalt prüfe, ob man selbst Anzeige erstatten werde.

Zweiter Beschuldigter Chef von „Missio Austria“

Der zweite Priester, der sich an der Frau vergangen haben soll, steht wesentlich mehr im Rampenlicht als der Tiroler Geistliche. Laut Anzeige ist es der Österreich-Chef des Päpstlichen Missionierungswerks: Monsignore Leo Maasburg. Die Betroffene fühlte sich ihm seit Ende der 80er-Jahre besonders verbunden. Er habe als besonders spirituell gegolten. „Für mich war er damals ein heiligmäßiger Priester, zu dem ich größten Respekt hatte, er war der erste Adelige, den ich kennen lernte.“ (Bzw. der erste, der sich für adelig hielt. Adelstitel wurden in Österreich 1919 abgeschafft, Anm.)

Und: „Da war zum ersten Mal in meinem Leben ein Mensch, noch dazu ein Priester, den ich überaus schätzte, der mich als Person ernst nahm, der nie schrie oder schimpfte oder laut wurde, ein Mensch, dem ich letztlich restlos vertraute.“ Mitte der 90er arbeiteten sie zusammen an einem katholischen Radioprojekt unter Maasburgs Leitung, schildert die Frau. In dieser Zeit kam es laut Anzeige zu den ersten Übergriffen. Der Priester soll sie begrapscht und ihr Küsse aufgedrängt haben. In Panik habe sie den damaligen Wiener Weihbischof, Christoph Schönborn besucht und ihn gebeten, sie vor Maasburg zu beschützen. Schönborn sagte ihr laut Anzeige zu, mit Maasburg zu sprechen. Passiert sein dürfte nichts.

Schönborn: „War Beichtgespräch“

Der heutige Kardinal Schönborn bestreitet nicht, 1994 mit der Betroffenen gesprochen zu haben. Sein Sprecher Michael Prüller stellt die damalige Unterhaltung als Beichtgespräch dar. Das falle unters Beichtgeheimnis. Mit dieser Interpretation widerspricht er der Strafanzeige gegen Schönborn. Dieser soll unterlassen haben, eine strafbare Handlung zu verhindern, wirft ihm die Betroffene vor. Es ist das erste Mal, dass Strafanzeige gegen einen „Primus Austriae“, einen Wiener Kardinal, in einem Fall sexueller Gewalt erstattet wurde. „Diesmal können wir nachweisen, dass er selbst von dem Fall gewusst hat“, sagt ein Betreuer der Betroffenen.

Von Maasburg abhängig?

Die Betroffene schildert in der Anzeige, dass sie damals an Selbstmord gedacht habe. Der Verdächtige, der zeitweise auch ihr Beichtvater gewesen sein soll, habe ihr die Schuld an den Vorfällen gegeben. „Maasburg - er ist 18 Jahre älter als ich - hatte sehr wohl erkannt, dass ich keinen sexuellen Kontakt haben wollte, dass ich dazu gar nicht fähig war, ihm das zu geben, was er wollte. Irgendwann, wie bereits erwähnt, hat er mir erklärt, dass mein Widerstand und mein allgemeiner Zustand mit den Krampfanfällen auf meine Missbrauchserlebnisse durch Onkel in der Kindheit zurück zu führen sind. Immer wieder habe ich Maasburg - er war immer noch mein geistlicher Begleiter, teilweise Beichtvater, indirekter Chef und Vertrauter, meine einzige Ansprechperson damals - gesagt, wie schuldig ich mich wegen all dem, was da passiert, fühle.“ Laut Anzeige löste sie sich erst im Jahr 2007 aus der Abhängigkeit. 13 Jahre nachdem die ersten Übergriffen passiert sein sollen.

Maasburg dementiert Anschuldigungen

Leo Maasburg ist nach den schweren Anschuldigungen gegen ihn zum medialen Gegenangriff übergegangen. Er sei nicht Täter sondern Opfer, richtet er in via Presseaussendung bzw. in einem Video aus, das auf der Seite kath.net zu finden ist. Er sei der Frau freundschaftlich verbunden gewesen, eine sexuelle Beziehung habe es nie gegeben. Die Betroffene habe ihn gestalkt. Die Tiroler Tageszeitung zitiert Eugen Waldstein, Sprecher des Missionswerks Missio, dem Maasburg vorsteht: „Die zuständige Kongregation des Heiligen Stuhls kam in ihrem abschließenden Schreiben zu dem Ergebnis, „dass diese Anklagen überhaupt kein Fundament haben“. Waldstein verweist gegenüber der APA auch auf einen angeblich psychisch labilen Zustand der Frau, der in einem Gutachten des Grazer Psychiaters Peter Hofmann laut ORF bestätigt wurde. Darin heißt es, „dass sich aufgrund der konkreten Datenlage der dringende Verdacht eines Stalkingverhaltens ergibt“. Auslöser sei gewesen, dass Maasburg die Betroffene zurückgewiesen bzw. den Kontakt zu ihr abgebrochen habe.

Dass die Betroffene unter großem psychischen Druck steht, bestreitet auch die Plattform Betroffene Kirchlicher Gewalt nicht, die die Frau betreut. Nur führt man die psychischen Probleme dort auf die traumatischen Erlebnisse zurück – und darauf, dass die Frau Angst habe, der Monsignore könnte plötzlich vor ihrer Tür stehen. Die Betroffene fühle sich massiv unter Druck gesetzt.

Odysee einer Hilflosen

Der Fall ist auch ein Beispiel, wie schwer es für Menschen sein kann, Hilfe zu bekommen. Die Betroffene hat nachweislich bei den Ombudsstellen der Erzdiözese Wien und Innsbruck vorgesprochen, auch bei der Klasnic-Kommission, ebenso bei der Stiftung Opferschutz. Mindestens drei Jahre lang ging es von Stelle zu Stelle – etwas Bewegung in die Sache kam erst, als sie mit einem Psychiater der Ombudsstelle der Erzdiözese Wien sprach. Dieser geht laut einem dem hpd vorliegenden Schreiben von einer sexuellen Nötigung aus, mit dem Zusatz: Letztendlich könne das nur juristisch geklärt werden. Auch geht aus dem Protokoll nicht hervor, ob sich die Aussage auf einen oder auf alle Vorfälle bezieht. Dann war ein halbes Jahr lang Pause. Erst der Schritt der Betroffenen, an die Medien zu gehen, löste die jüngsten Entwicklungen aus.
Staatsanwaltschaft entscheidet

Die Staatsanwaltschaft Wien dürfte in den nächsten Tagen entscheiden, ob und wie die Anzeigen weiterverfolgt werden. Möglich ist, dass die Übergriffe bereits verjährt sind. Unabhängig davon erzeugt das gewaltige Medienecho politischen Druck, der Kirche nicht die Untersuchung sexueller Gewalt in der eigenen Einrichtung zu überlassen. Der Justizsprecher der Grünen Albert Steinhauser fordert eine staatliche Untersuchungskommission. Ins gleiche Horn stoßen die Initiatoren des Volksbegehrens gegen Kirchenprivilegien. Er fordere die Republik auf„durch eine unabhängige Kommission dem vielfach dokumentierten rechtswidrigen Verhalten der Kirche Einhalt zu gebieten“, sagt Niko Alm, Mitinitiator des Volksbegehrens. Seit dem Fall Groer habe sich wenig geändert: „Die Missbrauchsfälle werden weiter vertuscht und die Opfer eingeschüchtert“, zitiert etwa die Tiroler Tageszeitung eine Presseaussendung der Plattform.

Christoph Baumgarten