Totalitäres System
„Eine christliche Gesellschaftsordnung anerkennt auf zivilem Gebiet selbstverständlich die Eheschließung vor der Kirche, sie kennt insbesondere keine zivile Ehescheidung. Die Unauflöslichkeit der Ehe ist sogar einer ihrer Grundpfeiler. Folglich sagt sie dem Konkubinat wie auch den vorehelichen und außerehelichen Beziehungen den Kampf an. Sie unterbindet den Vertrieb von empfängnisverhütenden Mitteln. Ebenso verbannt sie Gotteslästerung, Homosexualität und Pornographie aus dem öffentlichen Leben; sie bestraft die Abtreibung und verwirft die Euthanasie wie die Drogen. Auch schließt sie Freimaurerlogen und verbietet Geheimgesellschaften.“ Schmidberger in CIVITAS, Heft 1/2007, Seite 44 f.
Es gab schon solche vorbildlich christlichen Gottesstaaten: in den Schriften der Piusbruderschaft werden häufig rechtstotalitäre Diktaturen als christliche Idealstaaten mit Vorbildcharakter empfohlen: Der austrofaschistische Ständestaat unter Dollfuß, die Diktatur des General Franco in Spanien und das Salazar-Regime in Portugal.
Frauenbild
Eine Frau hat nach Ansicht der Piusbruderschaft in erster Linie Hausfrau und Mutter zu sein und dem „Familienoberhaupt“ die lästige Hausarbeit abzunehmen.
Nach Meinung der Piusbruderschaft ist übrigens etwa jeder Dritte zu einem Priester- oder Ordensberuf als Nonne oder Mönch berufen. Da muss zahlreiche Nachkommenschaft her, um die – zumindest in der Theorie zölibatären – Ausfälle zu ersetzen. So müssen die Frauen sich natürlich ganz schön ins Zeug legen, was die Produktion von Nachwuchs angeht, Zeit für Berufstätigkeit bleibt da nicht mehr. Jede Form der Kinderbetreuung, Horte, Kindergärten, die einer Frau Mutterschaft und Beruf ermöglichen, werden von den Piusbrüdern als sozialistische Attacke auf die Familie diffamiert, die nur ein Ziel habe: die Zerstörung der Familie und die Umerziehung der Kinder.
Das ist aus Sicht der Piusbrüder auch nachvollziehbar, denn was ein Kind außerhalb der Mauern des Elternhauses kennenlernt, ist Pluralismus. So werden sie vorzugsweise bis zum sechsten Lebensjahr zuhause gehalten und dann, wo in örtlicher Nähe vorhanden, bei einer Pius-Grundschule zusammen mit anderen Kindern aus Pius-Elternhäusern angemeldet.
Die Frau hat kein Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper und die eigene Fruchtbarkeit (Verhütung, Abtreibung).
Hochschulbildung für Frauen ist unnötig, bringt sie nur auf „dumme Gedanken“ und macht sie aufmüpfig. Der Skandalbischof Williamson (hier das eine Zitat) begründet, warum Frauen keinen Universitätsabschluss erwerben sollten:
„Wenn ein Mädchen [sic! - es fällt auf, dass Williamson erwachsene junge Frauen als Mädchen bezeichnet] mehrere Jahre ihrer Jugend und viel Geld ihrer Eltern darauf verwendet, eine Universitätsausbildung zu erwerben, speziell eine gute, wie einfach wird sie sich dann ihrem Ehemann unterwerfen, besonders wenn er ihren Ausbildungsstand nicht hat? Wird sie mit ihm nicht kontrovers diskutieren, wenn er ihn hat? Und wenn sie einen „akademischen Abschluss“ hat, wie kann sie sich dann nicht erhaben denken über die vielfachen Erniedrigungen, „barfuß und schwanger“ zu sein. Und wenn sie eine „Akademikerin“ ist, wie kann sie sich dann nicht als etwas Besseres fühlen, als ein „Gemüse an der Küchenspüle“?“ Richard Williamson; Letters to Friends and Benefactors, Winona 1.9.2001
Langner hatte den englischen Ausdruck „vegetable at the kitchen sink“ zunächst für ein englisches Idiom gehalten, etwa die Entsprechung zum deutschen „Heimchen am Herd“. Dies stellte sich jedoch als Irrtum heraus und er musste nach Konsultation mehrerer Wörterbücher feststellen, dass Williamson diesen Ausdruck anscheinend selbst geprägt hat. Langner ist auch nicht bekannt, dass sich die Piusbruderschaft von diesem Statement des Herrn Williamson distanziert hätte!
Geschlechterrollen
Ein aktueller Artikel aus der September-Ausgabe des „Mitteilungsblatt der Priesterbruderschaft St. Pius X.“ belehrt uns, dass wir „Geschlechtsaufweichung“ betreiben, wenn wir Mädchen technische Spielzeuge in die Hand geben und sie ermutigen, sich gegen die Jungs durchzusetzen.
Kann es überhaupt noch ein reaktionäreres Menschen- und speziell Frauenbild geben?
Langner machte hierzu einen kurzen Exkurs in seine Berufswelt: Man höre täglich in den Medien die Klagen über den Fachkräftemangel im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich. Diese seien berechtigt, wir leisteten uns in Deutschland aber trotzdem den Luxus, das Potential von 50% unserer Kinder und Jugendlichen zu vernachlässigen - das der Mädchen.
An den deutschen Standorten der Firma, in der er tätig ist, läge die Frauenquote im Ingenieurbereich bei etwa 8%. Da sei weder Frauenfeindlichkeit noch böser Wille im Spiel: mehr gäben die deutschen Universitäten und der Arbeitsmarkt einfach nicht her. An ihren indischen Standorten läge die Quote bei der Firma hingegen bei ca. 45% Ingenieurinnen. Und, wie er sagte: verdammt gute!
Sein Fazit: Gebt den Mädels Baukästen und Experimentierkästen, führt sie schon im Kindergarten spielerisch an Technik heran: als Industrienation werden wir im globalen Wettbewerb nur mit den Ideen von übermorgen erfolgreich bleiben - nicht mit den Ideologien von vorgestern!
Liberalismus
„Diese Ablehnung der Wahrheit geht aus einem falschen Verständnis der Freiheit hervor ... Es ist das Freiheitsverständnis der Aufklärung und der Französischen Revolution. Freiheit besagt hier so viel wie weitestgehende Willkür des Einzelnen, die ihre Schranken nur in der Freiheit des Anderen findet. … Der liberale Staat erlaubt alles. Die skurrilste Sekte, die verrückteste Meinung wird 'respektiert', denn das höchste aller 'Menschenrechte' ist die Meinungsfreiheit.“ Dr. Rafael Hüntelmann in Mitteilungsblatt 1/2010, Seite 25
In den Schriften der Piusbruderschaft finden wir, dass Freiheit einzig und allein die Freiheit zum Finden und Annehmen der einzigen Wahrheit ist – der des vorkonziliaren katholischen Konservativismus – alles andere ist zu bekämpfender Missbrauch der Freiheit. Meinungsfreiheit ist nur Freiheit zur Verkündung der einzigen Wahrheit.
Aber - in einem hat der Autor ja doch Recht. Ja, der liberale Staat erlaubt beinahe alles. Die skurrilste Sekte, die verrückteste Meinung, sogar die der Piusbrüder!
Um es noch einmal zu betonen: Die hier aufgeführten Zitate sind keine „Rosinenpickerei“ besonders übler verbaler Entgleisungen der Piusbrüder, sondern beispielhaft und typisch für ihre Ideologie.
Zu empfehlen ist auch die Lektüre weiterer Ausgaben der Zeitschrift CIVITAS, die der Piusbruderschaft nahe steht und in der hochrangige Mitglieder der Bruderschaft regelmäßig publizieren. (Alle Ausgaben der Zeitschrift CIVITAS sind online verfügbar. Die in den Quellenangaben genannten Seitenangaben der Seitennummerierung folgen der Printausgabe. PDF-Reader zählen das Titelblatt und Ähnliches als Seite mit und liefern daher abweichende Ergebnisse.)
Eine weitere wahre Fundgrube: Die Mitteilungsblätter der Piusbruderschaft, besondere Highlights sind die Mitteilungsblätter Januar und Mai 2010, wo noch Drastischeres zu finden ist, z.B. unverblümte antijüdische Hetze.
Der Skandal
Fast alle hier aufgeführten Äußerungen stammen aus der Zeit vor der Rücknahme der Exkommunikation durch Papst Benedikt XVI. und sind selbst bei oberflächlicher Recherche leicht aufzufinden.
Herr Joseph Ratzinger war, vor seiner Wahl zum Papst, Präfekt der „Vatikanischen Glaubenskongregation“, einer Organisation, die aus der Heiligen Inquisition hervorgegangen ist und deren Aufgabe es bis heute ist, Ketzer und Abweichler von der reinen Lehre zu verfolgen.
Er dürfte daher einer der Kirchenmänner mit den gründlichsten Detailkenntnissen über Lehre und Gesinnung der Piusbrüder sein.
Er hat also sehr wohl gewusst, was er tat, als er die Piusbrüder rehabilitierte, bezeichnenderweise aber z.B. nicht den Theologen Küng.
Dies legt den Schluss nahe, dass Todesstrafe und die Ablehnung der Menschenrechte, freier Wahlen sowie der Religions- und Meinungsfreiheit nach Meinung dieses Papstes anscheinend mit der katholischen Lehre vereinbar sind. Sonst hätte eine Rehabilitierung der Piusbischöfe kaum stattfinden können.
Der Unterschied zu den Missbrauchsfällen: in diese und deren innerkirchliche Vertuschung, die hohe Aufmerksamkeit in den Medien erhielten, waren einzelne Kirchenvertreter verwickelt. Sie waren aber kein grundsätzliches, systemimmanentes Problem der Organisation Kirche, sie wurden von der Organisation gedeckt, aber nicht gewollt oder gar gefördert.
Mit der Rehabilitation der Piusbrüder baut dagegen eine staatlich privilegierte Kirche offensichtlich bewusst und vorsätzlich eine bekanntermaßen verfassungs- und menschenrechtsfeindliche „Elitetruppe“ als Speerspitze eines fundamentalistischen Katholizismus auf.
Die oberste Leitung dieser Kirche ist nicht – wie bei den Missbrauchsfällen – durch Wegschauen schuldig geworden: hier geht es um aktives Handeln und Fördern von Verfassungsfeinden.
Denn wie anders als „Verfassungsfeinde“ sollte man eine Gruppierung nennen, die wesentliche Menschen- und Bürgerrechte, wie sie in der UN-Menschenrechtsdeklaration und in unserem Grundgesetz garantiert werden, aktiv bekämpft, wenn auch vorerst „nur“ durch Worte.
Das ist der eigentliche Skandal, und dieser Skandal ist systemimmanent.
Langner erzählte, er habe in dieser Sache letztes Jahr eine sehr freundliche E-Mail an den Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Herrn Fürst, geschrieben und um Aufklärung gebeten. Die Antwort: Schweigen.
Was sagen Staat und Behörden?
Die hier dargestellten Positionen zu Demokratie und Menschenrechten, Todesstrafe, Glaubens- und Pressefreiheit stehen in offensichtlichem Widerspruch zum Grundgesetz. Ein Fall für den Verfassungsschutz?
Langner hatte sich in Vorbereitung des Vortrags auch einmal die Homepage der NPD „angetan“. Dort fände sich viel krudes Zeug und einige Belege übler Intoleranz, aber die NPD sei meilenweit von solchen Aussagen entfernt, wie er sie den Zuhörern aufgezeigt habe. Vorstand und Mitglieder der NPD, selbst wenn sie möglicherweise ähnlich denken sollten wie die Piusbrüder, wüssten wohl sehr genau, dass auch nur ein oder zwei solcher unmissverständlich verfassungsfeindlicher Äußerungen auf ihrer Homepage die Debatte um ein Verbotsverfahren erneut befeuern würden.
Gleiches Recht für alle? Offensichtlich nicht: er erzählte, dass er im März dieses Jahres eine E-Mail in Sachen Piusbruderschaft an das Landesamt für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg geschickt habe.
Reaktion? Keine!
In der dem Vortrag folgenden Diskussion kam natürlich sofort die Frage auf, wie es denn zu diesem Verhalten des Verfassungsschutzes und der Medien kommen könne.
Langner gebrauchte hier den Ausdruck des „Artenschutzes“, den die Kirche in Deutschland einfach genösse.
Man war sich im Publikum einig, dass man aufgrund der Tatsache, dass der Papst, neben der Rehabilitierung der Piusbruderschaft auch das Opus Dei und den Exorzismus stärkt, davon ausgehen kann, dass er den Aufbau eines stramm konservativen „Elitebataillons“ und eine reaktionäre Neupositionierung der Katholischen Kirche anstrebt.
Auf Nachfrage erklärte Langner, dass die Brüder in Frankreich, Deutschland und den USA zahlenmäßig am stärksten vertretenen seien.
Auch auf die etwas sachfremde Frage, die sich auf ein ebenfalls von ihm präsentiertes antisemitisches Zitat Schmidbergers bezog: warum eigentlich immer die Juden als „Christusmörder“ angeklagt würden, obwohl es doch die Römer waren, die ihn hinrichteten, konnte er antworten: Da zur Zeit des frühen Christentums der neue Glaube in viel höherem Maße Zuspruch bei Römern als bei Juden fand, die ärgerlicherweise meist an ihrem Glauben festhielten, sei es nicht opportun gewesen, den Römern seine Hinrichtung anzulasten. So einfach ist das...
Zur Frage, warum die SPD-Führung sich so schwer damit täte, eine Gruppierung der Laizisten in ihren Reihen zuzulassen und die Lücken im Bundestag bei der Papstrede sichtbar sein zu lassen, führte ein SPD-Mitglied aus, dass in der SPD der Prozentsatz der Kirchenmitglieder höher sei, als der in der Gesamtbevölkerung.
Man staunte.
Aber eine gute Nachricht gibt es auch noch: Nachdem eine Juristin aus dem Publikum Langner den Tipp gab, dass er es beim Verfassungsschutz noch einmal mit einer Nachfrage gemäß Informationsfreiheitsgesetz versuchen könne, will er nun doch noch einmal einen Versuch starten.
Man kann gespannt sein, ob er nun endlich einmal Antwort erhalten wird...
Der besondere Dank an diesem Abend galt dem Referenten, der nicht nur keine Mühe gescheut hat, die unsäglichen Aussagen aufzustöbern, genau zu recherchieren und zu belegen, sondern es auch ertragen hat, sich in diese reaktionären „Gedanken“-Welt einzulesen, die eigentlich Erheiterung auslösen müsste, wäre die Sache nicht so ernst.
Nicht zuletzt ergibt sich aus dem Wissen, welch schlimme Gruppierung – und mit ihr deren Weltbild – der Papst rehabilitiert hat, im Grunde genommen die staatsbürgerliche Verpflichtung, bei der Rede des Herrn Ratzinger vor dem Bundestag durch demonstrative Abwesenheit zu glänzen.
Constanze Cremer