Sonntagsreden - kirchliche Sozialkonzerne

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Hände der Fürsorge / Foto: E. Albrecht (pixelio.de)

HERNE. (hpd) Die Auswirkungen neoliberaler Unternehmensformen in der Evangelischen Kirche anhand eines aktuellen Beispiels aus dem Ruhrgebiet. Hier haben sich zwei Unternehmen zu dem größten evangelischen Arbeitgeber im Ruhrgebiet zusammengeschlossen. Sie beweisen, wie man sich evangelisch nennen kann, sonntags schöne Reden hält, gleichzeitig demokratische Rechte von Arbeitnehmern beiseite lässt und selbstgemachte Kirchenregeln nicht beachtet.

Aus aktuellem Anlass hat das Plenum des Herner Sozialforum einen Beitrag veröffentlicht, in dem es zu den aktuellen Vorgängen im Evangelischen Kirchenkreis Herne Stellung nimmt.

Die Last unter dem Kreuz

Die Arbeits- und Sozialstandards in kirchlichen Betrieben erreichen immer wieder mal öffentliche Aufmerksamkeit, wenn es um spektakuläre Fälle wie die Entlassung eines geschiedenen und wiederverheirateten Organisten oder einer aus der Kirche ausgetretenen – und dafür gemaßregelten – Erzieherin geht. Doch erleben immer mehr bei den Kirchen Beschäftigte ihre Situation als alltägliche Last und Ungerechtigkeit. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di bemüht Gerichte und engagiert sich seit Jahren – sie sollte nicht allein bleiben. Die arbeitsweltlichen Realitäten in kirchlichen Einrichtungen betreffen uns alle und nicht nur die ca. 900.000 dort Beschäftigten. Deshalb brauchen wir einen öffentlichen Diskurs. Dazu will das Sozialforum Herne mit diesem Papier einen Beitrag leisten.

Der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft verursacht große qualitative und quantitative Veränderungen unserer Arbeitswelt. Dabei gewinnen die Sozial- und Gesundheitsdienste als traditionelle und zugleich innovative Wachstumsbranchen zu Recht eine zunehmende Bedeutung. Unter dem Druck der neoliberalen Politik und Wirtschaftsideologie entstehen gerade hier „Märkte“, auf denen vormals öffentliche Güter zu marktgängigen Waren werden, die von zunehmend mehr privaten Unternehmen mit gewinnorientiertem Interesse angeboten werden.

Hauptakteure auf dem Gesundheitsmarkt

Auf diesem Markt waren und sind die Kirchen traditionell Hauptakteure und wollen das auch bei wachsender Konkurrenz bleiben. In diesem Bemühen – so will uns scheinen - wird das Verhältnis zwischen religiös fundiertem Selbstverständnis und unternehmerischen Handeln offenbar immer brüchiger. Das Selbstverwaltungsrecht, das aus der Weimarer Verfassung ins Grundgesetz übernommen wurde, privilegiert die Kirchen in der Politik und vor Gerichten. Es begründet ihr Verständnis als „Dienstgemeinschaft“ und rechtfertigt ihren sogenannten dritten Weg, auf dem die Rechte normaler Arbeitnehmer nicht vorgesehen sind. So reglementieren die Kirchen ihre Beschäftigten als Privatpersonen und als Mitarbeiter: die katholische Kirche z.B. erlaubt weder Homosexualität noch Ehebruch; beide Kirchen verhindern Betriebsräte und verbieten Streiks als Mittel zur Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen und tolerieren keine Kirchenaustritte.

Lohndumping und Zweiklassensystem

Ob dies auch in Zukunft Bestand haben wird, das beschäftigt die Gerichte bis zum Bundesarbeitsgericht - ver.di sei Dank. Doch damit nicht genug: Der unter dem Privatisierungsdruck wachsende Wettbewerb im „Sozial- und Gesundheitsmarkt“ wird bemüht, um Lohndumping und ein Zweiklassensystem der Belegschaften zu rechtfertigen. Die Kirchen, die sich gern als Bewahrer von Glaubenswahrheiten, Moral und Gerechtigkeit begreifen, haben offensichtlich keine Probleme dem Zynismus der neoliberalen Ökonomie um das Linsengericht von Konkurrenzvorteilen im eigenen Verantwortungsbereich Tür und Tor zu öffnen. Anstatt an der Seite der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften mutig diesen – nicht an Bedürfnissen, sondern an Profitinteressen orientierten Ökonomie – entgegenzutreten, bestimmt zunehmend mehr betriebswirtschaftliches Kalkül ihr Handeln.

Für ein Linsengericht

Inwieweit der Selbstanspruch „Kirchlicher Dienst ist durch den Auftrag bestimmt, das Evangelium in Wort und Tat zu verkünden“, erfüllt ist, bleibt allzu häufig dem aufmerksamen Beobachter verborgen. Vielleicht deshalb, weil die EKD wirklich glaubt, der „religiös“ neutrale Staat könne zwischen verkündigungsnaher bzw. verkündigungsferner Wahrnehmung des kirchlichen Auftrags nicht unterscheiden. Wohl aber „darf“ der Staat über Steuern und Sozialversicherungen über 95% der Kosten kirchlicher Einrichtungen übernehmen, ohne dass damit allgemeine Rechtsnormen des Arbeits-, Sozial- und Unternehmensrechts auch für kirchliche Einrichtungen gelten. Wohlfahrtsverbände und Kirchen entwickeln sich im infrastrukturellen Wandel des Sozialstaates zunehmend zu Sozialkonzernen, in denen Betriebswirtschaft zum Credo für Unternehmenserfolg wird. Die Gewinnerzielung tritt tendenziell an die Stelle einer gemeinwohlorientierten, auf gesellschaftlichen Grundwerten basierenden Versorgung.

Evangelischer Verbund Ruhr

Ein augenfälliges Beispiel für diesen Entwicklungsprozess ist leider auch der Evangelische Verbund Ruhr (EVR), ein Zusammenschluss der Evangelischen Krankenhausgemeinschaft Herne/Castrop-Rauxel gGmbH und der Diakonie Ruhr gGmbH mit Verwaltungssitz Herne, der mit ca. 4700 Beschäftigten und einem Umsatz von 223 Mill.€ zum größten Arbeitgeber der Region aufsteigt. So gründet die zum EVR gehörende Ev. Krankenhausgemeinschaft Herne/Castrop-Rauxel vier Tochterunternehmen, in denen neue Mitarbeiter um bis zu 40% unter dem bisherigen Lohnniveau beschäftigt werden. Im Sinn von Nikolaus Schneider, dem Präses der EKD, kann das nicht sein. Er meint zu Recht, dass eine Zersplitterung von Tarifsystemen in Unternehmen zur Spaltung von Belegschaften führt.

Widerspruch zwischen Wort und Tat

Wie der zuständige Aufsichtsratsvorsitzende dieser Krankenhausgemeinschaft und zugleich Mitglied des Aufsichtsrats des EVR, der Herner Superintendent R. Rimkus, dies tolerieren kann, bleibt unerklärlich. Setzt er sich doch auf synodaler Ebene dafür ein, dass „wachsender Ungerechtigkeit und Armut zu begegnen (sei) und erkennt den Auftrag der Ev. Kirche (darin), Missstände zu benennen und dagegen zu arbeiten.“ Nicht besser verhält sich das ebenfalls zum EVR gehörende Ev. Krankenhaus Witten. Hier werden aus einer hauseigenen Leiharbeitsfirma Pflegekräfte dauerhaft an das Krankenhaus ausgeliehen, obwohl der Evangelische Kirchengerichtshof – das höchste innerkirchliche Gericht – dies als unvereinbar mit dem Leitgedanken der Dienstgemeinschaft erklärt hat.

Mitbestimmung bleibt außen vor

Und schließlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass im Aufsichtsrat des EVR weder die Gewerkschaft ver.di noch Mitarbeitervertreter der Beschäftigten vertreten sind. Heißt es in der „Barmer Erklärung“ nicht, „Die verschiedenen Ämter begründen keine Herrschaft der einen über die anderen“. Der Präses der EKD beherzigt das wohl – mindestens in seiner Festrede zu „60 Jahre Montanmitbestimmung“, in der er keine Zweifel an der unverzichtbaren Rolle der Gewerkschaften zulässt. Schade, wie leichtfertig die Kirche mit ihrer Glaubwürdigkeit umgeht. Warum wundert sie sich da über leere Gotteshäuser.

Vordemokratisch

Das unternehmerische Verhalten der Kirchen – das der katholischen Kirche dürfte sich nur graduell von der evangelischen unterscheiden – ist nach der verfassungsrechtlichen Realität sicher legal, ob es auch legitim ist, darf bezweifelt werden. Man kann es auch, wie Frank Bsirske, vordemokratisch nennen.

Es bleibt die verstörende Erkenntnis, dass die Kirchen offenbar weniger ihrem Selbstverständnis folgen, als mehr einem ökonomischen Credo, in dem nicht der Mensch, sondern die Gewinnerzielung im Mittelpunkt des Handelns steht. Wenn das so ist, dann sollten wir uns um eine andere Rechtsgrundlage bemühen. Die Privilegien der Kirchen sind nicht sakrosankt.

Herne, im Oktober 2011
Plenum des Herner Sozialforums