Preis für Freies Denken an Sihem Bendresine

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Sihem Bendresine / Foto: Ibn Rushd Fund

BERLIN. (hpd) Am 25.11.2011 hat der Ibn Rushd Fund for Freedom of Thought seinen diesjährigen Preis für Freies Denken an die tunesische Menschenrechtlerin Sihem Bendresine verliehen. Die Verleihung fand in einem Saal des Museums für islamische Kunst in Berlin-Mitte statt, angemessen umrahmt von Kunstwerken aus der frühen islamischen Welt.

 

Gewürdigt wurde die langjährige Arbeit von Sihem Bendresine u.a. für Menschenrechte und Demokratie, für Frauenrechte und die Schaffung eines Verbandes unabhängiger Zeitungen. Trotz vielfältiger Repression durch die tunesischen Behörden — Frau Bendresine wurde bis in ihr Privatleben überwacht und bespitzelt, ihr wurden Taschen mit den verrottenden Eingeweiden von Tieren vor die Tür gestellt, ihre Kinder wurden eingeschüchtert, ihre Verwandten und Nachbarn bedroht, sie selbst wurde verhaftet und wiederholt zusammengeschlagen mit erheblichen Verletzungen — hat sie nicht aufgehört, für ihre humanistischen und demokratischen Ziele zu kämpfen.

Aber auch in Zukunft wird sie ihren Kampf fortsetzen, wie sie in ihrer Rede anlässlich der Preisverleihung ausführte: „Wir haben so viel Arbeit zu tun. Wir müssen noch unser System und unsere Mentalitäten, unsere Geisteshaltung, reinigen vom Gift der Diktatur. Wir müssen beweisen, dass ein arabisches Land, muslimisch, eine tolerante Demokratie werden kann, die die Menschenwürde respektiert.“

Beeindruckend an der Preisträgerin war nicht nur, dass sie ihren mutigen Kampf viele Jahrzehnte gegen alle Repressionen durchgehalten hat, sondern auch ihre Bescheidenheit: Sie stellte ihr persönliches Schicksal nicht in den Vordergrund, sondern sprach über die Verhältnisse im bisherigen Tunesien und die kommenden Aufgaben; bei ihrem Ehemann, ihren Kindern, Verwandten und Nachbarn entschuldigte sie sich wegen deren Beeinträchtigungen durch die Behörden mit den Worten: „Mögen (sie) mir verzeihen für das Leid, das ich ihnen bereitet habe."

Der Laudator, Prof. Kai Hafez, bezeichnete Sihem Bensedrine als „eine zentrale Figur des tunesischen Widerstands" in den letzten Jahrzehnten, die nicht lediglich behaupte, sondern recherchiere und beweise; sie habe deutlich gemacht, „dass die Freiheit des Wortes ein verbindender Wert von Frauen und Männern in Europa und in der arabischen Welt ist. Ohne mutige Journalistinnen und kritische Zeitgenossen wie sie wäre diese Welt ein deutlich unerfreulicherer Ort."

Prof. Hafez skizzierte die Entwicklungen in der arabischen Welt und bezeichnete sie als „Jahrzehnte dauernde Degenierung der arabischen Entwicklungsdiktatur zur reinen Despotie." Als Ursache für den „arabischen Frühling" benannte er, dass sich die arabischen Zivilgesellschaften schneller entwickelt hätten als die arabischen politischen Systeme, denn seit Jahren zeige die empirische politische Kommunikationsforschung, dass Araber mehrheitlich Demokratie wollten. Dies habe bislang jedoch niemand zur Kenntnis nehmen wollen.

In seiner außerordentlich interessanten Laudatio verwies er auch auf Jahrzehnte währende Kollaboration der europäischen Staaten mit den arabischen Regimen, wobei Europa die arabische Welt „mit falschen Maßstäben gemessen“ und einen „subtilen Rassismus“ gepflegt habe. In den arabischen Ländern, in einer von Europa verschiedenen Welt, in denen in erster Linie Armut, Unfähigkeit und religiöse Gewalt wahrgenommen wurden, hätten die Europäer sich für berechtigt gehalten, ihre eigenen Werte zu relativieren und mit den Mitteln der Barbarei zu agieren. Allerdings sieht Prof. Hafez gegenwärtig auch die „Chance zur gemeinsamen euro-arabischen Zukunft der Demokratie“, was er näher erläuterte. Es bleibt zu hoffen, dass seine Analyse und dieser Appell an eine gemeinsame Zukunft der Demokratie nicht ungehört verhallen.

2011 hat der Ibn Rushd Fund bereits zum dreizehnten Mal seinen Preis für Freies Denken verliehen. Die bisherigen Preise gingen an Personen im arabischen Raum, die sich in besonderer Weise für freies Denken, Menschenrechte und Demokratie eingesetzt haben, und an den Sender Al-Jazeera, dessen kritische Berichterstattung gewürdigt wurde. Benannt hat sich der Fund nach Ibn Rushd (Avarroes), einem Universalgelehrten des 12. Jahrhunderts, der in Andalusien und Nordafrika tätig war, u.a. die Philosophie gegen die Theologie verteidigt hat, und wegen seiner philosophischen Haltung als Ketzer verurteilt wurde. Der Fund benennt seine Zielsetzung mit der Förderung des freien Denkens sowie der Förderung von Innovation und Zivilcourage im arabischsprachigen Raum. Die Preisverleihungen sind gute Gelegenheiten, diese Ziele auch in der Öffentlichkeit bekanntzumachen.

Walter Otte

 

Im Anhang: Die Laudatio und die Rede der Preisträgerin in vollem Wortlaut