BERLIN. (hpd) Die Humanistische Akademie Berlin hatte zur Konferenz „Laizismus und Gleichbehandlung? Politischer Humanismus im Streit der Richtungen in der Staat-Kirche-Trennung“ eingeladen. Die unterschiedlichen Konzepte wurden deutlich benannt, ebenso die Möglichkeiten und Grenzen von Kooperationen.
Acht ReferentInnen, sechs Stunden Vorträge, vier Stunden Diskussion: Am vergangenen Freitag und Samstag hatte die Humanistische Akademie Berlin zu einer Konferenz eingeladen, auf der VertreterInnen verschiedener säkularer Organisationen zu ihren Positionen und Einschätzungen referieren sollten. Durch die Absage von vier Referenten – wegen Krankheit oder aus familiären Gründen, drei konnten jedoch ‚ersetzt’ werden –, wurde es schließlich eine beinahe ausschließliche Veranstaltung des Humanistischen Verbandes, was aber keineswegs hieß, dass es dadurch langweilig wurde.
Am Freitag ab 17:00 gab es die beiden ersten Referate, wobei die einzige Referentin, die nicht dem Humanistischen Verband verbunden ist, begann.
Ingrid-Matthäus-Maier – Juristin, Politikerin, MdB a.D., Mitglied des Beirates der Giordano-Bruno-Stiftung und Vorsitzende des Kuratoriums der Friedrich-Ebert-Stiftung, hatte das Thema „Laizismus in Deutschland? Eine juristische und politische Betrachtung” übernommen. Sie stellte politische und juristische Aspekte auch in einen biographischen Zusammenhang, da Auffassungen nicht im luftleeren Raum entstehen.
Seit Mitte der 1960er Jahre habe sie sich, zusammen mit ihrem Mann Robert Maier, für Laizismus in Deutschland eingesetzt. Sie waren Mitglieder der Humanistischen Studentenunion im Studentenparlament in Münster – die Trennung von Staat und Kirche war und ist eines der Themen der Humanistischen Union. In Münster habe sie das starke „schwarze Umfeld“ vor Ort erlebt, machte politische und persönliche Erfahrungen, die sie bestärkten.
Dann wurden sie beide Vorsitzende der Jungdemokraten in NRW, die bald ein erstes Papier mit weitgehenden Thesen zur Trennung von Staat und Kirche formulierten - das ganze Programm des klassischen Laizismus. Und es gab damals eine These 2, die später nirgendwo wieder aufgenommen wurde: Kircheneintritt erst mit dem Erreichen des 14. Lebensjahres.
Daraus entwickelte sie dann mit Liselotte Funcke für die FDP (1974) die 13 Thesen der „Freie Kirche im freien Staat”. Und, darauf legte Ingrid Matthäus-Maier wert, Liselotte Funcke war Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, d.h. Laizismus war und ist auch offen für Christen.
Die Reaktion der Kirchen war abwehrend: „In der Praxis ist doch alles gar nicht so rigide, wie es dargestellt wird.”, hieß es. Aber ihre eigenen Erfahrungen belegten immer wieder das Gegenteil.
1975 wurde dem Kirchenrechtler Prof. Horst Herrmann in Münster die missio canonica der katholischen Lehrerlaubnis entzogen, als er sich kritisch zum Staat-Kirche-Verhältnis geäußert hatte (“Ein unmoralisches Verhältnis”). – Verhaltensweisen, die sich durchgehend weiter zeigen, etwa noch 2009, als der Dekan der katholisch-theologischen Fakultät in Bonn, Michael Schulz, Lehrerlaubnis und Lehrstuhl verlor, da er nicht mehr ehelos leben wollte.
Auch sie selber hat erlebt, dass ihre Ernennung zur Verwaltungsrichterin Münster verhindert werden sollte, ebenso wie die Ablehnung der Aufnahme ihrer Kinder in einen katholischen Kindergarten – andere gab es in der Gegend nicht – und wie sie im Bundestag als Finanzpolitikerin erlebte, dass die Kirchen jeweils massiv auf die Steuergesetzgebung Einfluss ausübten. Die Kirchensteuer ist als Annexsteuer direkt von der Einkommenssteuer abhängig, und so zeige sich die enge Verknüpfung zwischen Kirche und Staat auch in der gegenwärtigen Diskussion um die Abgeltungssteuer. Da viele Kirchenmitglieder es bisher vermieden haben, ihre Kapitalerträge steuerlich anzumelden, wurde ein „Beitreibungsrichtliniengesetz” formuliert, in denen die Banken den Zugriff auf Daten des Zentralregisters bekommen sollen, wovon rund 90 Mio. Kontoinhaber betroffen sein werden.
Nach mehreren genannten Beispielen der „knochenharten Politik” der Kirchen sei nur noch die Reaktion des SPD-Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier erwähnt, der auf die Frage, warum sich die SPD den Laizisten bisher verschließe, antwortete: „Ihr seid nicht organisiert.”
Worum geht es? Ein Blick in Landesverfassungen: In Rheinland-Pfalz heißt es in Art. 33 „Die Schule hat die Jugend zur Gottesfurcht (…) zu erziehen.” Das muss aufhören. Es geht aber auch um die Ablösung der Staatsleistungen, das gleiche Arbeits- und Selbstbestimmungsrecht auch bei Caritas und Diakonie; es geht um den Artikel 137,3 WRV, den das Bundesverfassungsgericht unter massiven Druck der Kirchen vom Selbstverwaltungsrecht zu einem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen umgebogen hat und damit eine „Kompetenzkompetenz” der Kirchen zugelassen hat. Es darf keine Sonderrechte für die Kirche geben. Der „Dritte Weg” ist ein Relikt, das in Europa einzigartig ist. Und zur behaupteten Liberalität der Kirchen nennt Ingrid Matthäus-Maier nur als Gegenbeispiel das Kirchengesetz, das von der kürzlich zu Ende gegangenen EKD-Synode beschlossen wurde, und das Sonderarbeitsrecht festschreibt. Im Februar/März 2012 wird es dazu eine Anhörung im Bundestag geben.
Aber, so mahnt sie, alle Änderungsvorhaben, die Verfassungsrecht betreffen, sind zurzeit unrealistisch. Über Europa und die Gerichte werde sich aber etwas verändern.
Aus ihrem Fazit von acht Punkten sei erwähnt: Für die Gleichbehandlung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften gibt es generell entweder eine Abbaustrategie – keiner soll etwas bekommen – oder eine Aufbaustrategie – alle sollen das Gleiche bekommen. So pauschal gehe das aber nicht. Ein jeweiliger Abwägungsprozess sei notwendig.
Sie warnte vor einer generellen Aufbaustrategie von Weltanschauungsverbänden, ebenso vor einem „humanistischen Bekenntnis”. Und wenn Professuren für Humanistik gefordert werden, analog den Professuren für Theologie, dann "verrutsche da etwas". Soll es etwa, so fragte sie, dann auch nur „linientreue” Humanisten auf diesen Lehrstühlen geben? Diese Position sei ihr fremd.
Und abschließend gab sie zu bedenken: Keine gegenseitige Überforderung der Organisationen. Man solle die eigenen Traditionen pflegen und sich gegenseitig respektieren.
In der anschließenden Diskussion wurde dann bei der Frage der Humanistik-Professuren deutlich, wovor sie sich verwahrt hatte. Zur Frage, ob diese Professuren einer Weisungsbefugnis unterliegen würden, gab es zwei unwidersprochene Beiträge: dass der Humanistische Verband ein Weltanschauungsverband sei und er, genauso wie die Kirchen, eine Weisungsbefugnis besitzen müsse. Und wenn ein Professor für Humanistik religiös werde? Dann müsse er gehen. Das beruhe darauf, dass die Entwicklung eines Theologen zur Säkularität etwas Positives sei und ein Eingreifen der Kirche in diesen Fällen rückschrittlich sei. Würde aber ein Humanist religiös werden, dann sei er rückschrittlich und der Entzug der Lehrerlaubnis fortschrittlich.
Anschließend referierte Dr. Thomas Heinrichs, Rechtsanwalt, Philosoph und Mitglied der Humanistischen Akademie zum Thema: „Ist Laizismus nach dem Grundgesetz und der Religionsverfassung in Deutschland möglich?”
Im Verhältnis von Politik und Religion gebe es generell Probleme, und es stelle sich die Frage nach deren Herkunft: Religion sei eine Weltsicht mit Transzendenzbezug, die soziale Verhältnisse und Gesellschaft gestalten wolle. Damit werde sie politisch. Historisch betrachtet legitimierten Religionen die politische Herrschaft von Eliten. Insofern sei die Verbindung von Politik und Religion das Normale.
Die Säkularisation führe nun zu Schwierigkeiten, da einerseits die Religion nicht mehr in den politischen Herrschaftsstrukturen präsent sei, andererseits der Politik die religiöse Legitimation fehlen würde. Für die Politik sei es wegen dieser Legitimation interessant, Religion im Politikbereich zu behalten, auch wenn die Religion das Interesse habe, Politik zu beeinflussen. Insofern bestehe ein immanentes Konkurrenzverhältnis.
Eine Trennung habe nun zwei Aspekte: zum einen die institutionelle Seite (keine Staatskirche) aber zum anderen das Verhältnis des Staates zu seinen religiösen Bürgern.
Generell gelte für alle Bürger die individuelle Religionsfreiheit, was hieße, dass der Staat für besondere Bereiche, in denen Einzelne keine unbegrenzte Bewegungsfreiheit haben (Gefängnis, Militär, Krankenhäuser) den Zugang für religiöse Betreuung zu öffnen habe. Allerdings beanspruchten die Religionen den Zugang auch zu Schulen, um die Schüler während der Unterrichtszeit religiös zu unterweisen.
Im Verhältnis von Staat und Kirche werde im Grundgesetz geregelt:
- Übertragung religiöser Aufgaben auf den Staat: Religionsunterricht. Der Staat delegiert die moralische Erziehung an die Religionen. Erst mit dem neutralen Ethikunterricht hat der Staat diese Aufteilung durchbrochen, da er die Werteerziehung in eigene Regie übernimmt. Entsprechend heftig waren und sind die kirchlichen Reaktionen.
- Staat übernimmt kirchliche Aufgaben: Kirchensteuerrecht und dabei insbesondere das staatliche Inkasso der Kirchensteuer. Ein einzigartiges Phänomen weltweit. Das Staatskirchenrecht ist dabei ein „closed shop”, da es mit Kirchenvertretern besetzt ist, die entsprechend kirchenfreundlich interpretieren. So ist beispielsweise die Arbeitgeberverpflichtung zur Berechnung der Lohnkirchensteuer ein Verstoß gegen die negative Religionsfreiheit.
- Privilegierung der Religion: Sonntagsschutz für religiöse Zwecke, auch wenn er mittlerweile säkular begründet wird.
- Besondere Seelsorge in öffentlichen Anstalten. Bei dieser Sonderstatusregelung zur Sicherung der Religionsfreiheit seien aber beamtete Militärseelsorger vom Grundgesetz nicht vorgesehen, da der Trennungsgrundsatz damit durchbrochen werde. Besonders problematisch sei dabei zudem der Lebenskundliche Unterricht durch Militärseelsorger, der keinerlei verfassungsrechtliche Begründung habe.
- Der Körperschaftsstatus verleiht den Kirchen quasi staatliche Rechte und ist mit dem Trennungsgrundsatz nicht vereinbar.
In einfachen Gesetzen ist beispielsweise geregelt:
- Besonderes Arbeitsrecht in kirchlichen Einrichtungen (nicht hinzunehmen)
- Bauplanungsrecht: Der Bedarf für Kirchen ist bei Erschließungsplanungen zu berücksichtigen (hinzunehmen, da Realisierung von positiver Religionsfreiheit).
- Subsidiaritätsprinzip im Sozialgesetzbuch, d.h. Vorrang für freie Träger, was faktisch Kirchen bedeute. Abgeleitet aus dem katholischen Naturrecht (was egal ist) ist es für staatliche Regelungen nicht hinzunehmen, wenn die Kirchen dadurch Monopolstellungen bekommen.
Staat-Kirchen-Verträge:
- Sind es Staatsverträge oder Verwaltungsverträge? Das ist juristisch umstritten. Die Argumente der Staatskirchenrechtler seien dürftig und als Postulate zu betrachten. Es seien faktisch Verwaltungsverträge, die nur eine besondere Form der formalen Beschlussfassung haben und durch einfache Gesetze aufzuheben sind.
- Die Regelungen in den Staat-Kirche-Verträgen seien der Versuch, durch parallele Vereinbarungen zu bereits bestehenden Rechtsgrundsätzen diese bereits bestehenden Regelungen möglichen politischen Veränderungen zu entziehen. Auch wenn sich gesetzliche Bestimmungen veränderten, seien nach Auffassung der Kirchen diese Staat-Kirche-Verträge höherrangig und müssten bedient werden.
Braucht der Staat Religionen, um sich zu legitimieren? Das hinge von der Herrschaftsordnung ab. Eine demokratische Herrschaftsordnung legitimiere sich durch sich selbst und brauche keine Legitimation von außen, also auch keine Religion. Insofern seien – demokratisch gesehen – Religionen eine Gefahr und politische und soziale Störenfriede. Die Entpolitisierung von Religionen sei daher eine Voraussetzung für ihre Integration in einen demokratischen Staat.
Fazit zu Kirche im Staat: So wenig wie möglich, aber so viel wie nötig.
Das heißt für einzelne Themen:
- Religionsunterricht als staatliches Fach: nein.
- Militärseesorge/Gefängnisseelsorge: zurück zum Verfassungsgrundsatz des freien Zugangs, mehr nicht.
- Kirchensteuer: zurück auf den Verfassungsgrundsatz, dass die Kirchen das selber organisieren.
- Körperschaftsstatus: geht nicht, evtl. Religionsgesellschaften als besonderer Verein.
- Subventionen: nicht zu rechtfertigen.
- Theologische Fakultäten: sind in den normalen Wissenschaftsbetrieb zu integrieren bzw. die Kirchen müssen sie selber finanzieren.
- Sozialbereich: Monopole dürfen nicht bestehen.
Am Samstag wurden weitere Aspekte zur Situation des Laizismus behandelt, die hier zumindest kurz zusammengefasst werden sollen.
Werner Schultz (Abteilungsleiter Bildung des Humanistischen Verband Berlin und Verbindungsmann zur Europäischen Humanistischen Föderation) und Ulrike Dausel (Humanistische Lebensberaterin im „Haus des Menschen” der Organisation DeMens.nu in Antwerpen) gaben einen detaillierten Überblick über die Situation in verschiedenen Ländern Europas.
Werner Schultz warnte gleich zu Beginn: Wenn man sich die Situation in Europa anschaue, werde es auch nicht einfacher. Jedes Land sei unterschiedlich und es sei eine ständige Nötigung über die Definition von Begriffen und Konzepten zu diskutieren. In der unterschiedlichen Ausprägung von Laizismus (weitestgehender Abbau der Verbindung zum Staat) oder Gleichbehandlung (gleichberechtigte Verbindungen mit dem Staat) sehe es zurzeit so aus:
- In Irland spricht zum ersten Mal auch eine Humanistin bei der Amtseinführung des Staatspräsidenten. Das ist gut so, aber ist das Abbau oder Aufbau?
- In der EU wird eine Gleichberechtigung von Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften vorausgesetzt. Es bedurfte aber einer Beschwerde der Europäischen Humanistischen Föderation (EHF), um den stockenden Kommunikationsprozess voran zu bringen. Das wiederum hat einen Protest der französischen Libre Pensée verursacht: Die EHF verhalte sich wie ein Agent des Vatikans.
- Die EHF arbeitet im Europäischen Parlament mit der „European Parliamentary Platform for Secularism in Europe” (EPPSP) zusammen, bei der auch christliche Organisationen mitarbeiten. Es finden regelmäßige Diskussionsrunden statt, die vorwiegend dem Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Organisationen über die Situation in ihren Ländern dienen.
- Auch die Verteidigung der Resolution des Europäischen Parlaments zur Aids-Präventation gegen die Versuche christlicher Organisationen, die Forderungen zu verwässern, ist nur möglich gewesen, weil man sich organisiert habe. Es müssen Strukturen vorhanden sein, um zu agieren.
- In Polen ist die Palikot-Bewegung mit zehn Prozent der Wählerstimmen ins Parlament eingezogen. Palikot, der auch laizistische Forderungen vertritt (Kruzifixe hinaus aus dem Parlament) gilt den polnischen Humanisten als Provokateur und sie sind sehr verunsichert, was sie von dem Erfolg halten sollen.
- Soll es Religions-/Weltanschauungsunterricht in Schulen geben? In Polen, Großbritannien (NSS) heißt es: Nein! (Organisationen sind draußen, Kirchen sollen auch hinaus). In Deutschland (HVD), Niederlande und Belgien: Ja! (Organisierter Pluralismus)
- In Frankreich gibt es die Fedération Nationale de la Libre Pensée (die sich als rationalistisch und radikal atheistisch versteht), die größte Organisation ist jedoch La Lique de l’Enseigement, die weltoffener ist, rund 35.000 Gruppen organisiert und einen pluralistischen Dialog pflegt. Kleiner ist L’Union des Familles Laïques (UFAL) die rund 3.000 Vereinigungen organisiert, die sich für Familien einsetzen und sich als antiklerikal, aber nicht antireligiös verstehen. Schließlich gibt es noch die Organisation L’Egale, die sich, 2004 gegründet, als Plattform zum Erhalt öffentlicher Schulen versteht, gegen Verschleierung arbeitet und maßgeblich das Burka-Verbot in Frankreich beeinflusst hat.
- In Belgien ist die Situation historisch so entstanden, dass sich Liberale und Konservative verbündet hatten, um sich zu befreien und so gibt es einerseits eine Trennung von Staat und Kirche (Liberale), andererseits eine staatliche Finanzierung der anerkannten Religionen (Konservative). Entsprechend der sprachlich-politischen Unterteilung des Landes gibt es in der Wallonie (näher am französischen Laizismus) das Centre d’Action Laïque (CAL), das sich vorrangig als gesellschaftskritisch versteht. In Flandern besteht die Organisation DeMens.nu („Der Mensch.jetzt”), die frühere Unie Vrijzinnige Verenigingen (UVV), deren Konzentration auf mitmenschliche Dienstleistungen liegt. Die Gemeinsamkeit beider Organisationen liegt im aktiven Pluralismus und einem positiven Humanismus.
- Ein Streifzug durch die Niederlande, Großbritannien, die USA und die IHEU zeige, dass es überall Diskussionen über die Art der Religionskritik gebe und die Schriften von Richard Dawkins eine Art klärendes „Scheidewasser” seien. Insbesondere bestehe ein schwieriges Verhältnis zwischen Religionskritik und positivem Humanismus.
- Insofern sei es in Deutschland nicht anders als in Europa und weltweit.
Dr. Dr. Joachim Kahl (Freiberuflicher Philosoph), der kurzfristig eingesprungen war, referierte über „Staatliche Festakte und Gedenkfeiern – Prüfstein für pragmatischen Laizismus und kluge Gleichbehandlungsstrategie”.
Drei Punkte waren für ihn dabei wesentlich:
• In einem Leserbrief in der Frankfurter Rundschau (Druckausgabe, 30.11.2011) hatte sich Helge Nyncke über die „Würdige Form des Gedenkens” geäußert und den möglichen Gedenkgottesdienst für die muslimischen Nazi-Opfer kritisiert. Diesen Brief nahm Kahl als ersten Prüfstein für sein Thema und stimmte Nyncke zu, dass eine nicht-religiöse Trauerfeier nicht nur den Opfern angemessen, sondern auch ein Wendepunkt in Deutschland wäre, sowie dem, dass für Empathie und menschliche Nähe in pluralen Gesellschaften nur nicht-religiöse Räumlichkeiten angemessen seien. Kritikwürdig fand Kahl dann aber den Ressentimentgeladenen Ton, mit dem der Bundespräsident als „Wulff im Schafspelz” und „religionsanbiedernd” angegangen werde, dann aber als „Regisseur” bezeichnet werde. Wenn er denn der Regisseur sei, dann solle man ihn für sich gewinnen.
• Die Einladung eines humanistischen Rednerin zur Amtseinführung des Staatspräsidenten Irlands befand Dr. Dr. Joachim Kahl als „Eine Kulturrevolution!” – schließlich ging die Christianisierung Europas von Irland aus. Die Teilnahme der Humanistin stehe für ihn im Gegensatz zu einem dogmatischen radikalen Laizismus, es sei aus seiner Sicht eine „goldrichtige Entscheidung”.
• Schließlich hielt Kahl ein Plädoyer für eine „Ökumenizität”. Ökumene sei ein klassischer Begriff, der auf Epikur zurückgehe und die „Weite” meint „alle Gegenden, wo Menschen leben”. In Deutschland heiße Ökumene aber Enge und sei kirchlich vereinnahmt als „Schrumpf-Ökumene”. Ein „Ökumenischer Gottesdienst” sei insofern ein Widerspruch in sich selbst, da er die Nicht-Gläubigen ausschließe. Man müsse den Begriff aus der kirchlichen Vereinnahmung zurückgewinnen und ihn mit der Bedeutung „Gleichberechtigung” aller verbinden.
Dafür wurde er in der anschließenden Diskussion aber grundsätzlich kritisiert, da es unverständlich bleibe und man religiöse Begriffe nicht wieder zurückholen könne.
Dr. Horst Groschopp (Kulturwissenschaftler und Direktor der Humanistischen Akademie) sprach zum Thema „Organisierter Humanismus zwischen Konfession und Kulturorganisation”. Da wesentliche Teile des Textes bereits in gedruckter Form verfügbar sind (Humanismus als Kulturbewegung und Humanismus), hier nur ein paar Hinweise zu seinen Fragen zum Thema: Laienwelt/Freidenkerorganisationen/Humanismus.
Der Begriff Laie war (als Ungebildete, Ungelernte) der Gegenbegriff zum christlichen Klerus. In der Mitte des 19. Jahrhunderts entstehen jedoch freireligiöse Gemeinden, d.h. nicht kirchliche Laienorganisationen, aus denen sich dann der Begriff des Laizismus her ableitet – im Gegensatz zur Staatsreligion und zum staatlichen Kultus(!)ministerium. Diese ersten Freidenker waren bürgerlich, dem Liberalismus verpflichtet und als Kulturorganisationen begründet worden. (Die sozialdemokratischen Freidenker bilden sich dann erst Ende des 19. Jahrhunderts, in der Zeit der Sozialistengesetze). Die „Laienwelt” war somit der Lebensraum außerhalb der Religionen.
Mittlerweile haben wir das Ende der priesterlichen Herrschaftsform, und Priester sind heute nur noch Teil eines arbeitsteiligen Systems der Kulturvermittlung: Die Modernität kann man aus ihrer Sicht auch als „Zersetzungsvorgang” beschreiben. Humanismus und Priesterschaft widersprechen sich.
Wo ist jedoch, fragte Dr. Horst Groschopp, der Platz der säkularen Organisationen? Womit und wie wollen sie Alternativen sein? Wenn es nur Kulturorganisationen sind, braucht es keinen Humanismus. Dafür braucht es mehr.
In der „Kultur-Enquete” des Deutschen Bundestages werden säkulare Organisationen nur am Rande erwähnt, und zudem der Humanistische Verband mit der Humanistischen Union verwechselt. Dabei habe, so Groschopp, der Humanistische Verband als einzige Organisation in Deutschland eine Weltanschauungsstrategie (Humanistische Konfession) als Humanismus. Daraus folge die Forderung nach Gleichbehandlung mit den Religionen bei gleichzeitiger Subsidiarität und Trennung von Staat und Kirche.
Helmut Fink (Physiker und Vorsitzender des Humanistischen Verband Bayerns) referierte zum Thema „Positive oder negative Gleichbehandlung. Was fordern die Säkularen?” und meinte gleich zu Beginn: „Es kommt darauf an.” Nach einer Abfolge sorgfältiger Definition zu „Die Säkularen”, „Weltanschauung”, „Weltanschauungsgemeinschaft”, „Gleichbehandlung” kam er auf den thematischen Kern der Konferenz: „positive und negative Gleichbehandlung”.
Eine Zwischenbemerkung: Hinsichtlich der Frage der Gleichbehandlung hätten diejenigen, die für eine positive(!) Gleichbehandlung plädieren, stets einen sprachlich-assoziativen Vorteil gegenüber denen, die für eine negative (!)Gleichbehandlung sind, da die „positive” dann auch noch mit „Aufbau”, „Anheben” und „alle rein” verbunden ist – wer sollte denn etwas dagegen haben? -, während diejenigen, die als Laizisten die komplette Trennung anstreben, mit den Begriffen „Abbau”, „Absenken” und „alle raus” verknüpft werden.
Helmut Fink sieht jedoch zwischen Laizismus (Trennung, Säkularisierung) und einer Rollentrennung (einer staatlichen Neutralität durch Äquidistanz gegenüber allen Weltanschauungsgemeinschaften) keinen Gegensatz, sondern Vereinbarkeiten.
Beide Richtungen sind begründbar. Auch wenn es Streitpunkte gebe (Seelsorge, Staatsverträge, Privatschulen, u.a.m.), seien sie keine Gegenrichtungen, die sich ausschließen. Anhand eines Diagramms veranschaulichte er seine Auffassung von mindestens zwei Dimensionen. Die eine lässt Positionierungen mit einer „Säkularisierung” zu (mehr oder weniger), die andere eine Positionierung auf einer Achse von organisierten Weltanschauungen (religiös bis humanistisch).
Themenspezifisch seien dann jeweils unterschiedliche Lösungen möglich. Themen gebe es hinreichend viele. In der Reihenfolge eines „Trennungsdrucks” formulierte er (mit absteigender Priorität, also das Wichtigste zuerst): 1. Staatlicher Einzug der Mitgliedsbeiträge, 2. Religiös-weltanschauliche Symbole in Schulen und Gerichtssälen, 3. § 166 StGB („Gotteslästerung”), 4. Konkordatslehrstühle, 5. Kirchenaustritt bei staatlichen Stellen, 6. Eintrag auf der Lohnsteuerkarte, 7. Körperschaftsstatus, 8. Lehrerausbildung, 9. Bekenntnisfächer an Schulen, 10. Privatschulen, 11. Sozialdienstleistungen, 12. Seelsorge/Humanistische Betreuung, 13. Beratungsstellen, 14. Präsenz in den Medien.
Die Forderungen müssen seiner Ansicht nach auch logisch konsistent ein. Was gehe, seien beispielsweise Formulierung des „So lange”, also: „So lange die anderen das bekommen, wollen wir das auch. Aber eigentlich sind wir dagegen.”
Abschließend sprach Michael Bauer (Hauptamtlicher Vorstand des Humanistischen Verbands Bayern und Mitglied im Sprecherkreis der SPD-Laizisten) über „Laizismus – Streitergebnisse in Deutschland 2010/11 aus parteipolitischer Sicht.” Hinsichtlich des Politikfeldes „Religionspolitik” sprach er erst über die Akteure, dann über Strukturen und gab abschließend einen Überblick über die Parteien.
Bei den Akteuren der Religionspolitik hätten die Christen in allen Parteien teilweise prominent besetzte Arbeitskreise, zudem gebe es hauptamtliche Kontaktstellen zu den Kirchen in den Parteien, wie auch alle Fraktionen Religions-/Kirchenpolitische Sprecher hätten. Der Islam sei zwar nicht so prominent vertreten, aber es gebe eine ganze Anzahl von Innen- und Integrationspolitikern, die sich für den Islam einsetzen. In der „Fläche” (Parteien, Kommunen, etc.) redete dagegen jeder über Religion, gleichgültig, ob dafür qualifiziert oder nicht, nach dem Prinzip: „Jeder kann, jeder darf”.
Bei den Strukturen der Religionspolitik gebe es massive ökonomische Interessen, vor allem bei Caritas und Diakonie. Im Unterschied zu den Lobbyisten anderer Organisationen betrieben die Christen eine offene und unverdeckte Lobbyarbeit. Ein Beispiel sei Kerstin Griese, MdB und Vorsitzende der Christinnen und Christen in der SPD, die hauptamtlich im Hauptvorstand des Diakonischen Werkes tätig sei.
Es bestünden vielfache Querbeziehungen zwischen Politikern und Zentralkomitee der deutschen Katholiken, zur Synode der EKD, zum Kirchen- und Katholikentag, etc. Dieses Geflecht sei aber einerseits strukturell konservativ und defensiv ausgerichtet, eine Innovation erfolge allenfalls durch Ausweitung auf andere Politikfelder, andererseits sei es aber auch diffus, weil kirchliche Interessen sich in vielen Querschnitten mit diversen Politikfeldern befinde. Politiker würden diese Strukturen auch zur Gewinnung von Wählerstimmen verwenden, indem sie die appellative Funktion von Religion für sich nutzten.
Hinsichtlich der Parteien gebe es bei der CDU/CSU gegen den Laizismus teilweise heftige Abwehrreaktionen. Traditionell gebe es in der CDU/CSU eine Bindung an die (katholische) Kirche, die sich auch in der Sichtbarkeit von Kruzifixen ausdrückt. Allerdings habe die CSU in Bayern unter Ministerpräsident Stoiber eine Reduzierung der katholisch-theologischen Lehrstühle durchgesetzt. Auch bei ethischen Entscheidungen gebe es differenzierte Positionen, wobei eine „populistische Wendigkeit” manchmal nicht auszuschließen sei.
Die FDP stehe programmatisch traditionell in einer kirchenkritischen Position (Kirchenpapier, 1974; Wiesbadener Grundsätze, 1997). In Betonung der „offenen Bürgergesellschaft” sei Toleranz und Respekt auch vor nicht-religiösen Überzeugungen programmatisch. Aber, so Michael Bauer, die papierne Wahrheit unterscheide sich durchaus von der Realität.
Die Linke sei traditionell atheistisch, vor allem in der Verankerung im ostdeutschen Volksatheismus. Es gebe zwar prominente Christen in der Führung der Partei, programmatisch würden aber eindeutig kirchenferne Positionen formuliert (Erfurter Programm 2011).
Bei den Grünen bestünden vorrangig freiheitliche und integrationspolitische Perspektiven sowie der Schutz der negativen Religionsfreiheit. In der Programmatik werde eine staatliche Äquidistanz zu allen Weltanschauungen als Hüter des Pluralismus betont.
Die SPD habe eine lange laizistische Tradition. Mit dem Godesberger Programm sei dann der Versuch unternommen worden, auch den Kirchen verbundene Wähler anzusprechen. Es gebe zudem einige Bündnisse mit den Kirchen bei Fragen des Friedens, der Atompolitik sowie der Ökologie. Zudem fand in der DDR die Gründung des Ost-SPD in einem Pfarrhaushalt statt.
Insgesamt gebe es eine Auflösung sozialdemokratischer Milieus, wofür ein Beispiel die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sei, die sich selber in der Tradition von Christus sieht. Es gibt aber auch in der SPD positive Einstellungen zum Laizismus, wie das Kirche-Staat-Papier (29.6.2011) der bayerischen SPD-Landtagsfraktion.
Zu den SPD-Laizisten gab Michael Bauer einen Überblick seit der Gründung im Oktober 2010. Einerseits gab es (Mai 2011) die einstimmige Ablehnung eines Arbeitskreises durch den Parteivorstand, andererseits die einstimmige Anerkennung (Juli 2011) des „Gesprächskreises Humanisten und Konfessionsfreie” durch den Landesvorstand der SPD in Bayern.
Das Fazit von Michael Bauer: Laizisten will keiner, Humanisten/Konfessionsfreie gehen, aber nur eventuell, denn auch von den SPD-Laizisten wurde bei den Diskussionen des „Roßdorfer Signal” der Vorschlag einer Namensänderung in "Humanisten und Konfessionsfreie" nicht angenommen. Seiner Einschätzung nach wird mit der Forderung nach Gleichbehandlung und Äquidistanz mehr für die Laizität erreicht, als durch die Forderung nach Laizismus. Parteipolitisch seien Initiativen, die positiv argumentieren, erfolgversprechender.
C.F.