Vor 20 Jahren wurde die Apartheid beendet

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Rassentrennung / Foto: privat

SÜDAFRIKA. (hpd) Vor 20 Jahren stimmten die weißen Einwohner Südafrikas über das Ende der Rassentrennung ab. Zwei Drittel von ihnen entschlossen sich, die Apartheid abzuschaffen. Der lange Kampf des Nelson Mandela und seines African National Congress hatte Erfolg gehabt.

Bald darauf gehörte die jahrzehntelange Rassentrennung, die immer wieder mit Polizeigewalt verteidigt worden war, der Vergangenheit an.

Was viele nicht wissen, ist, dass der rassistische Staat sich auch in Zeiten der internationalen Isolation auf die Unterstützung der Christlichen Rechten verlassen konnte. Für manche der konservativen Christen war die Solidarisierung mit dem Apartheidstaat nichts weiter als die Verlängerung der Rassentrennung in den Südstaaten der USA, die ab den 1950er Jahren schrittweise abgeschafft wurde.

Die Wurzeln dieser Entwicklung liegen weit vor dem amerikanischen Bürgerkrieg in der Sklavenhaltergesellschaft der Südstaaten begründet. Die weißen Plantagenbesitzer ließen die Schwarzen auf ihren Feldern arbeiten und enthielten ihnen elementare Menschenrechte vor. Diese Situation war unter den damaligen Christen umstritten und führte sogar zu einem Schisma.

Wo es eine Southern Baptist Convention gibt, gibt es folgerichtig auch eine Northern Baptist Convention (wobei ihr Name inzwischen American Baptist Churches USA lautet). 1845 zerfiel der amerikanische Baptismus in diese beiden Fraktionen, wobei die zahlenmäßig stärkere Fraktion im Süden die Sklavenhaltung begrüßte.

Die Abschaffung der Sklaverei verbesserte die Situationen der Schwarzen jedoch nur teilweise. Nur selten gelang ihnen der berufliche Aufstieg, viele lebten weiterhin in Armut. Die wichtigsten Bereiche des öffentlichen Lebens wie Busse oder Bildungseinrichtungen blieben rassisch getrennt, ganze Wohnsiedlungen oder Vereine blieben komplett weiß.

Die weißen Christen sahen sich selbst in Übereinstimmung mit der Bibel. Ihre Haltung führten sie zurück bis in die Zeit der Sintflut. Denn neben Noah und seiner Frau waren auch noch ihre Söhne mit an Bord der Arche, die die komplett entvölkerte Erde neu besiedeln sollten. Einer von ihnen zog laut Bibel Gottes Zorn auf sich. Noah, der als erster Winzer gilt, hatte sich nach zu dem Konsum von zu viel Wein entkleidet und war von seinem Sohn Ham verspottet worden. Für diese Sünde verfluchte Gott dessen Sohn Kanaan. Er solle fortan seinen Brüdern dienen. Nach Ansicht vieler damaliger Theologen stammen die afrikanischen Völker (Hamiten) von Kanaan ab. Daher sei die Versklavung der Schwarzen biblisch gerechtfertigt. Eigentlich die Sklaverei ein Geschenk für die Schwarzen, denn nur wenn sie ihren Fluch erdulden, können sie genauso wie Weiße ins Himmelreich einziehen, auch wenn dies nicht über die Ungerechtigkeit im Diesseits hinwegtäuschen kann.

Im Himmelsreich gelten jedoch andere theologische Maßstäbe. So schrieb John R. Rice, einflussreicher Baptist und Herausgeber der Publikation „The Sword of the Lord“, dass es im Paradies weder Kriminalität, Unmoral noch Geschlechtskrankheiten gebe und daher eine jenseitige Rassentrennung nicht erforderlich sei. Außerdem war er der Ansicht, dass Schwarze nicht zusammen mit Weißen zur Schule gehen sollten, da sie sich vor ihnen erst recht minderwertig fühlen würden.

Dass schwarze Theologen sich in dieser Bibelinterpretation nicht wiedersahen, verwundert nicht. Und es ist kein Zufall, dass ausgerechnet Baptistenpastor Martin Luther King zum Führer der Bürgerrechtsbewegung aufstieg. Viele seiner Mitstreiter waren Geistliche. Dies ist vor allem durch das starke Gemeindeleben in der Black Church bedingt. Vom politischen Betrieb ausgeschlossen, wurde sie für viele Schwarze zu einer Art Ersatzheimat.

Der Bürgerrechtsbewegung gelangen schnell wichtige Erfolge. 1954 wurde in einem vielbeachteten Urteil des Obersten Gerichtshofes die Rassentrennung an öffentlichen Schulen aufgehoben. Dies zog den Zorn des jungen Pastors Jerry Falwell auf sich, der in den 80ern Jahren zum politisch einflussreichsten Kirchenführer avancierte. Er predigte, dass das Gericht dieses Urteil nie gefällt hätte, wenn ihm Gottes Wort bekannt gewesen sei: „Die Einrichtungen sollten getrennt sein. Wo Gott eine klare Trennlinie gezogen hat, sollten wir sie nicht überschreiten. […] Der wahre Neger will keine Integration. […] Er begreift, dass sein Potential eher in der eigenen Rasse liegt.“ Letztendlich gefährde die Integrationspolitik das Bestehen der weißen Rasse.

Fortan nannte Falwell die Bürgerrechtsbewegung (Civil Rights Movement), nur noch „Civil Wrongs Movement". In seinen ersten Fernsehsendungen begrüßte er demokratische Politiker wie Lester Maddox und George Wallace, die sich für die Beibehaltung der Rassengesetze aussprachen. 1964 attackierte er Martin Luther King und James Farmer. Er stellte die Ehrlichkeit ihrer Absichten in Frage, da bekannt sei, dass sie mit dem „Linken Flügel" [d.h. der Sowjetunion] verbandelt seien. Ihre Bewegung schade dem Ansehen der USA, denn: „Es ist offensichtlich, dass die Kommunisten, so wie sie es bislang in jedem Winkel der Erde getan haben, ihren Nutzen aus der angespannten Situation in unserem Land ziehen und jeden Vorfall über Gewalt und Blutvergießen sofort ausschlachten."

King und Farmer, die beide Baptistenprediger waren, riet er, lieber Seelen zu retten, anstatt Politik zu betreiben. G. Archer Weniger predigte, dass King ein Kommunist und Modernist sei, der nicht an die Wahrhaftigkeit der Hölle glaube und daher als Apostat bezeichnet werden müsse.

Als in den 60er Jahren in den Südstaaten die ersten gemischtrassigen Schulen eröffnet wurden, gründete Falwell 1966 die „Lynchburg Christian Academy", eine private Bildungseinrichtung, die nur Weißen offen stand. 1971 folgte das „Lynchburg Baptist College", das heute als Liberty University bekannt ist. Auch die Bob Jones University, die wichtigste evangelikale Universität in den USA, nahm lange keine Schwarzen auf. Nachdem sie durch mehrere Gerichtsurteile steuerliche Vorteile zu verlieren drohte, überdachte sie ihre Haltung. Als Kompromisslösung durften Schwarze studieren, die entweder mit anderen Schwarzen verheiratet waren, oder sich verpflichteten, keine Beziehungen mit ihren weißen Kommilitonen einzugehen.

Kings Einsatz für die Gleichberechtigung der Schwarzen zog den Zorn der Rassisten auf sich. 1968 wurde er in Memphis von James Earl Ray erschossen. The Sword of the Lord verurteilte den Mord, doch titelte: „Dr. Martin Luther King starb an der Gesetzlosigkeit, die er befürwortete.“ Er habe die „Waffe, die ihn tötete, selbst geladen, indem er sich zum Symbol des Widerstands gegen Gesetz und Ordnung machte.“ Seine Bewegung sei antichristlich gewesen, da Jesus kein Revolutionär war. Außerdem habe er die heidnische Philosophie Mahatma Gandhis befolgt. Die Bob Jones University weigerte sich der Anordnung Präsident Johnsons Folge zu leisten, anlässlich des Attentats die Flagge auf Halbmast zu setzen.

Doch in den USA war der Kampf verloren. Kings Bewegung überdauerte seinen Tod und konnte alle diskriminierenden Gesetze beseitigen. In Südafrika aber existierte weiterhin eine Rassentrennung, die sogar noch schärfer war. Dort sicherte sich die kleine weiße Elite die Macht über das gesamte Land, das mehrheitlich von Schwarzen bewohnt war. In den 80ern geriet der Staat im ausklingenden Kalten Krieg allmählich ins Visier der Weltöffentlichkeit, die seine rassistischen Praktiken anprangerte.

Hier sprang die Christliche Rechte Präsident Pieter Willem Botha von der National Party, der wegen seiner gewaltsamen Verfolgung von Oppositionellen auch „Das große Krokodil“ genannt wurde, bei. Er gehörte der niederländisch-reformierten Kirche, die gewissermaßen offizielle Religion der Regierungspartei war, an und ließ seine Amtseinführung von einem Geistlichen begleiten. Unter internationalem Druck lockerte er die rassistischen Restriktionen minimal. Televangelist Jimmy Swaggart gab daher die Parole: „Apartheid ist tot!“, heraus. Dies entsprach zwar in keiner Weise der Lebensrealität der schwarzen Bevölkerung, war für ihn aber Entschuldigung genug, Südafrika unkritisch zu unterstützen. 1983 war es das Opfer „kommunistischer Angriffe“ und eines der wenigen afrikanischen Länder, das „die Bibel und Jesus Christus“ hochhielt. Auch der Katholik Pat Buchanan, einer der Berater Ronald Reagans, sprach sich gegen Sanktionen aus. In keinem anderen afrikanischen Land gehe es den Schwarzen so gut wie in Südafrika. Ebenso befürchtete er eine kommunistische Machtergreifung.

Wie aus jüngst bekannt gewordenen Tonbandaufnahmen hervorgeht, beklagte auch Billy Graham, der „Evangelikale Papst“, im Gespräch mit Präsident Richard Nixon die Attacken des „linken“ Ökumenischen Kirchenrates gegen Südafrika. Dies ist umso erstaunlicher, da Graham einer der wenigen konservativen weißen Kirchenführer war, die sich in der Öffentlichkeit deutlich gegen Rassentrennung ausgesprochen hatte.

Mehrere amerikanische Teleevangelisten durften im staatlich gelenkten südafrikanischen Fernsehen predigen, da ihre strikt antikommunistische Haltung auf das Wohlwollen der Regierung stieß. Christliche Gruppierungen wie die Missionsorganisation Campus Crusade for Christ mit Sitz in den USA passten sich den örtlichen Gepflogenheiten an und errichten sowohl einen weißen, wie auch einen schwarzen Ableger in Südafrika.

Die zentrale Figur in der Verteidigung der Apartheid war jedoch Jerry Falwell. Inzwischen war er vom einfachen Pastor zum Fernsehprediger aufgestiegen und mit der Gründung der Moral Majority zur uneingeschränkten Führungsfigur der Christlichen Rechten aufgestiegen. Er schmiedete die Allianz zwischen Evangelikalen und Republikanern, die Ronald Reagan ins Weiße Haus trug.

1985 brach Falwell zu einer Reise nach Südafrika auf, um sich mit der Staatsführung zu unterhalten. Nach seiner Rückkehr in die USA erklärte er seine Haltung. Natürlich sei er gegen die Repressionen, äußerte jedoch Zuversicht, dass Botha sie lockern würde, sobald die Schwarzen sich endlich „ruhig“ verhielten. Natürlich lehne er Apartheid ab, aber der südafrikanische Präsident sei ein Reformer, der sie ohnehin schon abgeschafft habe. Falwell äußerte sich skeptisch über wirtschaftliche Sanktionen gegen das Land, da sie letztlich die schwarze Bevölkerung stärker treffen würden. Er meinte, dass die Schwarzen daher mehrheitlich gegen ein Embargo seien, was aber damaligen Umfrageergebnissen widersprach. Amerikaner sollten weiterhin in Krügerrand (Münzen) und südafrikanische Firmen investieren, damit das Land nicht aus wirtschaftlicher Not die Annäherung an die Sowjetunion suche. Diese und der „blutrote Fluss des Kommunismus“ bedrohten das mineralreiche Land am Kap der guten Hoffnung, das durch seine Position auch strategisch wichtig für den Schiffsverkehr sei.

Außerdem sei es heuchlerisch, nur auf Südafrika einzuschlagen, während auch andere Staaten harte Kritik verdienten. Falwell nannte Bischof Desmond Tutu, der für seine Opposition gegen die Apartheid mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, einen „Scharlatan" (eng. phony), wenn es darum ginge, die schwarze Bevölkerung zu repräsentieren und warf Mandela Sympathien für den Kommunismus vor. 1987 rief Falwell zum Boykott des Films „Mandela“ auf dem amerikanischen Sender HBO auf. Er und andere Konservative vermuteten kommunistische Propaganda hinter der Fernsehsendung.

Auch Pat Robertson, ein enger Weggefährte Falwells, hatte sich 1988 zugunsten der Apartheid geäußert. Zu diesem Zeitpunkt bewarb er sich um die republikanische Präsidentschaftskandidatur, während auf demokratischer Seite Kings Mitstreiter Jesse Jackson ins Weiße Haus strebte. Dieser hatte sich bereits mit Jerry Falwell über den richtigen Umgang mit Südafrika gestritten. Robertson griff seinen Konkurrenten indirekt an. Die Schwarzen hätten die Bürgerrechtsbewegung bis nach Südafrika erweitert und wüssten nicht, womit sie es wirklich zu tun haben. In Amerika werde es zunehmend üblich, auf Südafrika herumzuhacken, wenn man um die Wählerstimmen der Afro-Amerikaner werbe, was schlecht sei. Den Linken warf er vor, Südafrika fallen sehen zu wollen und kein Interesse an einer „freien Regierung zu haben.“

Die Kommunisten würden in Südafrika Aufstände provozieren, um dann genüsslich über die „Schlagstock-wirbelnde Polizei“ herzufallen und sie für ihre Propaganda zu benutzen. Die südafrikanische Regierung solle daher nicht so hart gegen die Aufständischen vorgehen. Letztlich vertritt Robertson damit eine NPD-Position, denn 2008 hatte der Kölner Lokalpolitiker Benedikt Frings Exilserben davor gewarnt, Gewalt gegen Albaner anzuwenden, weil dies der antiserbischen Propaganda nützen würde.

Außerdem sei es wichtig, dass die Mineralien Südafrikas weiter dem Westen zur Verfügung stünden, da dieser sonst ein Vasall der Sowjetunion werden könnte. Wer ökonomische Sanktionen fordere, unterstütze damit wissentlich oder unwissentlich eine marxistische Einparteienherrschaft. Südafrika stehe ein Blutbad bevor, wenn der ANC Mandelas die Macht erlange.

1992 kommentierte Robertson den Volksentscheid und die Abschaffung des Klassenwahlrechts in seiner Fernsehsendung folgendermaßen: „Ich denke 'ein Mann, eine Stimme,' also unbeschränkte Demokratie wäre nicht weise. Es muss eine bestimmte Art Schutz für die Minderheit, die die Weißen inzwischen darstellen, geben und sie haben ein Recht darauf, den Schutz ihrer Rechte einzufordern.“

Anlässlich ihres 150-jährigen Bestehens beschloss die Southern Baptist Convention 1995 in einer Stellungnahme, die Afro-Amerikaner um Verzeihung für die Sünden der Vergangenheit zu bitten. Auch Jerry Falwell überdachte seine Position in den Folgejahren. Die politischen Verhältnisse hatten sich geändert. Lange Zeit dominierten die Rassenfrage und der Kalte Krieg die Debatten in der Christlichen Rechten. Ab den 70er Jahren zeichnete sich jedoch immer deutlicher der Kampf gegen Abtreibungs- und Homosexuellenrechte als prägendes Thema ab. Hier war ein Entgegenkommen möglich, denn Afro-Amerikaner sind konservativer eingestellt als Weiße und daher seit dem Ende der Rassentrennung bereit für neue Bündnisse. Falwell fand zum Beispiel in Alveda King, einer Nichte des großen Bürgerrechtlers, eine Mitstreiterin. Zu Robertsons Verteidigung lässt sich sagen, dass seine Haltung sich rein aus seinem Antikommunismus heraus erklärt. Mit Schwarzen hatte er nie große Berührungsängste. Beispielsweise unterhielt er millionenschwere Geschäftsbeziehungen zu den Diktatoren Zaires und Liberias, Mobutu Sese Seko und Charles Taylor.

Lukas Mihr