(hpd) Guido Speckmann und Gerd Wiegel geben in ihrem Band „Faschismus“ einen knappen Überblick über die Geschichte des Faschismus und den Theorien über ihn aus marxistischer Sicht. Auch wenn die Autoren platte Agententheorien vermeiden, bleiben sie bei aller beachtenswerten theorieinternen Kritik doch einer eher mechanischen und schematischen Deutung des Faschismus aus „Klassenkampf“-Perspektive verpflichtet.
„Faschismus“ diente und dient auch als inflationär gebrauchtes politisches Schlagwort, was sich etwa durch dessen inflationäre Verwendung in den unterschiedlichsten Kontexten erklärt. Die Autonomen rechtfertigen mit ihren einschlägigen Feindbildern auch Gewalt gegen Polizeibeamte; die DDR sah in der Mauer einen „antifaschistischen Schutzwall“; und mancher Linker tituliert damit vorschnell alles ihm politisch unangenehme. Macht daher diese Bezeichnung überhaupt noch Sinn? Aus einer wissenschaftlichen Perspektive kann diese Frage sehr wohl bejaht werden, muss doch der inhaltliche Missbrauch nicht gegen den analytischen Nutzen einer Kategorie sprechen. Den beiden Politikwissenschaftlern Guido Speckmann und Gerd Wiegel geht es ebenfalls um eine fortgesetzte Verwendung des Terminus „Faschismus“. In ihrem gleichnamigen Buch wollen sie „vor allem linke, materialistisch argumentierende Ansätze der historischen Faschismusdebatte vorstellen und sie, soweit das möglich ist, am historischen Gegenstand selbst prüfen“ (S. 7).
Ihr Band gliedert sich in drei in Länge und Thema unterschiedliche Kapitel: Zunächst geht es um Faschismustheorien bezogen auf die Analyse von Ideologie, Bewegung und Systemen, den Kontext von Faschismus und Kapitalismus und neuere Definitionsansätze in der jüngeren Forschung. Dabei setzen sich Speckmann und Wiegel aus marxistischer Perspektive mit den einschlägigen Deutungen auseinander. Sie lehnen dabei die Dimitroff-These, die im Faschismus einen Agenten des Monopolkapitals sieht, zugunsten der Auffassung von einem höheren Autonomiegrad ab: „Denn der Faschismus bewahrte nach unserer Ansicht eine relative Autonomie auch nach der Machtübertragung. In seiner dynamischsten und radikalsten Variante – in Deutschland – dominierte er seine ursprünglichen Bündnispartner später deutlich, so dass das Bild des Zauberlehrlings, der die gerufenen Geister nicht mehr loswurde, hier eher die Realität trifft als die Vorstellung von faschistischen Marionetten – wenngleich die Interessenübereinstimmung damit nicht beendet war“ (S.8)
Der zweite Teil widmet sich dem Weg des Faschismus an die Macht und der Rolle der gemeinten politischen Systeme in Deutschland und Italien. Hierzu heißt es u.a. bezogen auf prägende Merkmale und gesellschaftliche Funktionen: „Massenbasis und militante Kampfverbände sind entscheidende Elemente faschistischer Bewegungen und beides macht den Faschismus zu einem attraktiven Bündnispartner der herrschenden Klasse gegen die Arbeiterbewegung“ (S. 71). Danach geht es noch kurz um faschistische Bewegungen und Parteien in anderen Ländern. Und schließlich wird der Faschismus der Gegenwart behandelt. Hierbei nehmen die Autoren auch einen kurzen Vergleich von NSDAP und NPD vor, wobei sie in letzterer eine „faschistische oder neofaschistische Partei“ (S. 117) sehen. Abschließend plädiert man für eine „enge Auslegung des Faschismusbegriffs“, schütze diese doch „vor einer Inflationierung, die historisch schon einmal zu einer Unterschätzung der tatsächlichen faschistischen Gefahr beitrug“ (S. 124).
Den Autoren geht es erklärtermaßen um eine Einführung zum Faschismus aus marxistischer Sicht: Hierbei setzen sie sich durchaus kritisch mit überkommenen Deutungsansätzen wie etwa der Dimitroff-These auseinander. Auch räumen Speckmann und Wiegel einige grundlegende Fehleinschätzungen etwas bezüglich der Ignoranz gegenüber der Bedeutung von Antisemitismus und Rassismus in den bisherigen marxistischen Faschismustheorien ein. Demgegenüber verweisen sie auf die Bonapartismustheorien von Otto Bauer über August Thalheimer bis Leo Trotzki, die in der Tat als die differenziertesten Deutungen aus dieser Perspektive gelten können. Gleichwohl bleiben die Autoren einer etwas sehr mechanischen und schematischen Sicht verhaftet, welche im Faschismus allzu sehr ein – hier objektiv und nicht subjektiv gemeintes - Instrument der „herrschenden Klasse“ sieht. Über das Fehlen einer einschlägigen Organisation in der Gegenwart heißt es dann auch nur schlicht: „Die Bourgeoisie benötigt keine faschistische Partei oder Bewegung ...“ (S. 112).
Armin Pfahl-Traughber
Guido Speckmann/Gerd Wiegel, Faschismus, Köln 2012 (PapyRossa-Verlag), 127 S., 9, 90 €