BERLIN. Eine Neuordnung der Repräsentanz religiöser und weltanschaulicher Gruppen in öffentlich-rechtlichen Medien steht an.
Die gegenwärtige Debatte um das „Wort zum Sonntag“ und seine mögliche Ergänzung durch ein „Wort zum Freitag“ ist erst der Anfang eines politischen Streits darüber, wie die tatsächlichen „Glaubensverhältnisse“ in Deutschland sich auch in Sendezeiten darstellen. Die Konkordate und Staatsverträge, in denen sich die beiden großen christlichen Kirchen auf Dauer Sendungen und Zeiten gesichert zu haben meinen, werden sich auch aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen der Sender selbst nicht halten lassen.
Diese Situation hat der „Zentralrat der Juden in Deutschland“ auf den Kern gebracht. „Radio Vatikan“ hat deren Haltung so gemeldet: „Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Salomon Korn ... meinte ... im Hamburger Nachrichtenmagazin ’Der Spiegel’, die ARD solle ’über die ganze Art der Sendung’ nachdenken. Ein zeitgemäßes öffentlich-rechtliches Fernsehen müsse alle Religionen und Weltanschauungen kritisch begleiten. ’Das Wort zum Sonntag ist ein Anachronismus’, so Korn. Sinnvoller sei ein Format, in dem es um die Frage gehe, welche Werte es in der Gesellschaft gebe. Das könne dann aber nur ein Informationsforum sein und kein Predigtmarkt.“ Salomon Korn sprach von „kritischer“ Begleitung von Religionen und Weltanschauungen, um einen „Predigtmarkt“ zu verhindern. Letzteren möchten die beiden christlichen Kirchen auch nicht. Sie bestehen auf ihrem Monopol.
Trotz der Klarheit bei Salomon Korn, nötig sei ein Form für „alle Religionen und Weltanschauungen“, begann sofort die Debatte über ein „Wort zum Sabbat“, das in einigen Äußerungen schon zum „Wort zum Wochenende“ ausgeweitet wurde, als sei eine Ökumene aller Gläubigen schon beschlossene Sache und suggerierend, man habe sich die Tage irgendwie bereits aufgeteilt.
Karikieren wir zunächst den gemäßigten „Predigtmarkt“: Käme er, wären nach dem jetzigen Modell wohl nicht mehr viele Wochentagsabende frei für das jeweilige „Wort zum nächsten Tag“. Das „Wort zum Sonntag“ bleibt danach unverrückbar samstagabends bei der ARD im Ersten angesiedelt, zwischen „Komödiantenstadl“ und „James Bond“ oder „Boxen".
Wenn aber die Orthodoxen Kirchen in den eingehegten „Predigtmarkt“ einsteigen und ihre Ansprüche anmelden, könnte das so aussehen (nach einer Wochentagfesttagsliste von REMID: Religionen feiern, 1997): Der Montag gehört den Heiligen Engeln, der Dienstag Johannes dem Täufer, der Mittwoch erinnert an den Beschluss des Hohen Rates über den Tod Christi, der Donnerstag ist den Aposteln und Bischöfen gewidmet, der Freitag ist Erinnerungstag an die Kreuzigung, der Samstag gilt allen Heiligen und den Verstorbenen – was für ein Repertoire. Da am Mittwoch und Freitag gefastet werden soll, bietet sich zumindest am Dienstag ein „Wort zum Mittwoch“ an. Der Mittwochabend scheint im Moment noch frei. Und vor „Plusminus“ wäre ein symbolischer Platz.
Weitere Ansprüche sind nicht ausgeschlossen, jedem sein eigenes Wort. Die Gewerkschaften werden vielleicht ein „Wort zum Montag“ einfordern zwischen „Tatort“ und „Sabine Christiansen“, um ihre Mitglieder auf die werktägliche Woche einzustimmen und zu propagieren, dass Arbeit nicht als Gottesdienst zu sehen sei, auch nicht in Erinnerung an den Heiligen Benedikt. Nicht „ora et labora“ sei des Lohnabhängigen Losung, sondern Mindestlohn und Schutz vorm unheiligen „Hartz IV“.
Man könnte zu dem ganzen Hin und Her allerlei Späße der soeben vorgeführten Art machen, ginge es nicht um Macht, bezogen auf das Zeitregime im öffentlich-rechtlichen Medienbetrieb. Hier hört der Spaß durch zwei Vorgänge auf, hinter denen berechtigte Ansprüche stehen: Wer redet für die Säkularen und wer für die Muslime? – Es handelt sich um zwei nicht einfach mal so vom Tisch zu wischende relevante Gruppenansprüche.
Der „Humanistische Verband Deutschlands“ (HVD) befragte vor der letzten Bundestagswahl in Wahlprüfsteinen sich zur Wahl stellende Parteien nach ihrer Haltung zur Vertretung von Konfessionsfreien in Medien und Medienbeiräten. Die Antworten auf Frage 10 zu Kirchen und Medien sind erhellend, besonders diejenige der CDU: Sie meint, in den Medienräten seien säkulare Verbände bereits „in großer Überzahl“ vertreten.
Das sieht der „Humanistische Verband Deutschlands“ ganz anders. Er hat sich, basierend auf seinem Konzept der „Gleichbehandlung“ von Religionen und Weltanschauungen in seinem „Selbstverständnis“ dafür ausgesprochen „in den öffentlich-rechtlichen Medien ... die Bevorzugung der christlichen Kirchen zu beenden“ und „in den Bereichen der Öffentlichkeit, die staatlicher Verantwortung unterliegen, darf keine Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft benachteiligt werden.“
Andere Verbände und Organisationen im säkularen Spektrum haben ähnliche oder vergleichbare Positionen – gerade im aktuellen Streit. Der IBKA wiederholte am 9. Februar aus Anlass des Beginns der öffentlichen Debatte über das „Wort zum Freitag“ (worauf gleich eingegangen wird) seine Forderung, die kirchlichen Sendevorrechte in den öffentlich-rechtlichen Medien generell abzuschaffen, „zumal alle größeren Religionsgemeinschaften mittlerweile ausreichend über eigene oder ihnen inhaltlich sehr nahe stehende Publikationsorgane (TV, Radio, Presse und Internet) verfügen“. Der IBKA sieht im „Wort zum Sonntag“ eine „kostenlose Werbezeit“, obwohl die „Kosten für derartige Sendungen von allen Gebührenzahlern getragen werden“. – Der DFW forderte am 5. März „mehr Pluralität in den Medien“. – Die „Giordano-Bruno-Stiftung“ stellte gleich nach Eröffnung des hpd-Portals die Forderung auf, Konfessionsfreie sollten in den Medienanstalten stärker vertreten sein.
Säkulare Verbände haben derzeit – falls überhaupt – eine lächerlich geringe Sendezeit, selbst wenn sie „Körperschaften des öffentlichen Rechts“ sind wie der „Bund für Geistesfreiheit Bayern“ und die „Freien Humanisten Niedersachsen“, die in ihren jeweiligen Landessendeanstalten im Rundfunk zu nicht sehr gefragten Zeiten etwas erzählen dürfen, aber ansonsten in den entsprechenden Gremien nichts zu sagen haben.
Der zweite Vorgang, der berechtigte Ansprüche kenntlich macht, ist der neuere Organisationsdrang der Muslime in Deutschland nach dem Motto: Wer keine Interessen anmeldet – hat keine. Muslime haben aber Interessen und den Stein, der die soeben angedeuteten Wellenbewegungen ausgelöst hat, ins Wasser geworfen. Sie fordern seit Anfang Februar ein „Wort zum Freitag“. Das ZDF ist ihnen entgegen gekommen. Das „Wort“ soll freitags gesendet werden. Andere Berichte sprechen nur von Zugeständnissen im online-Programm. Zwar mokieren sich noch die Kirchen, das dürfe kein „Wort“ sein, sondern nur ein „Forum“. Doch scheint es schon praktisch zu werden.
Das wirft die Frage auf, wer von muslimischer Seite in diesem „Forum“ zu Wort kommen darf und ob die Sprecher Mullahs sein dürfen und ob sie in ihrem Outfit dürfen oder ob bürgerliche Kleidung Pflicht wird. Dürfen nur Männer etwas verkünden und wenn Frauen, dann mit Kopftuch? Richtig islamisch religiös soll das Ganze schließlich sein.
Die Gründung des „Zentralrates der Ex-Muslime“ hat in diese Wellenbewegungen einige Widerspruch-Steine geworfen und wenigstens eine Erkenntnis gebracht: Es gibt mindestens drei relevante muslimische Gruppen in Deutschland, für die nicht eine einzige Organisation zu sprechen berechtigt ist: die religionskritischen Ex-Muslime, die säkularen Kulturmuslime und die islamgläubigen Moslems, die wiederum mindestens in Allewiten, Schiiten und Sunniten sich gliedern, auch wenn sie einen großen Dachverband gründen sollten.
Das religiöse „Wort zum Sonntag“ gibt es seit 53 Jahren im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Es ist seitdem das Monopol zweier christlicher Kirchen. Sie lassen weitere christliche Kirchen ebenso vor der Tür, wie andere monotheistische oder sonstige Religionen – und Atheisten sowieso. Das „Wort zum Sonntag“ zu öffnen, mit anderen zu teilen oder gar ganz abzuschaffen, das würde ein Zeichen setzen. Das hätte Symbolkraft. Das macht das „Wort zum Sonntag“ zu einer Art christlichem Bollwerk in den bedrohlichen Sturmwellen der Säkularisierung und Pluralisierung auch der Medienwelt.
Gerade deshalb sollte es auch ein „Humanistisches Wort“ geben, genau zu dieser Sendezeit, um den Wandel zu dokumentieren, den Konfessionsfreien eine Stimme zu geben und die Pluralität im demokratischen Gemeinwesen auch hier vorzuzeigen.
Doch in dieser Frage lässt die organisierte deutsche Christenheit bisher nicht mit sich reden. Das Wort bleibt christlich und kirchlich und „unser Wort“, so sagt die EKD. Die Menschen wollen, so wird behauptet, eine „christliche Zeitansage, christlichen Trost, christliche Orientierung“. Zu allem andren müsse man sowieso erst die Staatsverträge ändern, wird gedroht. Der geübte Leser und die Leserin liest die Zeitansage zwischen den Zeilen: Christliche Gotteskinder, es ist fünf vor zwölf, Konkurrenz ante portas!
Ein „Humanistisches Wort“, ein „Wort zum Sabbat“ usw. wären der Einstieg in eine Neuordnung der Selbstvertretung religiöser und weltanschaulicher Gruppen in den öffentlich-rechtlichen Medien. Wie wäre es denn damit: Alle bisherigen Ausgaben der Medienanstalten für nur zwei Kirchen werden ermittelt und kommen in einen Topf für alle Religionen und Weltanschauungen, die sich zum Grundgesetz bekennen. Dann untersuchen Meinungsforschungsinstitute unter Verwendung überprüfbarer Kriterien die tatsächlichen „Glaubensverhältnisse“. Danach werden in die Medienräte Vertreter und Vertreterinnen entsandt und Sendezeiten verteilt und alle fünf Jahre neu verhandelt. Kirchen, Zentralräte und Verbände gibt es inzwischen viele.
Die Säkularen können hoffnungsfroh sein. Bei einer „Atheistenquote“ von 25,7 % der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland, einer „Humanistenquote“ von 7,1 % „voll und ganz“ und 44,5 % „überwiegend“ und einer „Christenquote“ von 24,1 % kämen sie nicht schlecht weg. Wer andere Zahlen hat, kann sie ja vorlegen. Aber wie es ist, kann es nicht bleiben.
Horst Groschopp